Wolfram Weimer / 04.10.2016 / 15:48 / Foto: DonkeyHotey / 7 / Seite ausdrucken

Der anarchistische Reflex und Trumps Erfolgsgeheimnis

Hillary Clinton hat das erste TV-Duell nicht spektakulär, aber doch solide gewonnen – allerdings nur nach den Regeln herkömmlicher Politik. Sie war besser vorbereitet, kontrollierter, präziser, argumentativer als er. Ihr Problem ist allerdings: Das könnte nichts nutzen. Denn Donald Trump Erfolgsgeheimnis basiert gerade darauf, dass er die Regeln der herkömmlichen Politik bricht, ja sie verhöhnt und seinem Publikum signalisiert, mit ihm werde das “verlogene”, “politisch korrekte”, “verkrustete System Washingtons” endlich überwunden. Er braucht Clinton nur als Inkarnation dieses Systems zu beschreiben. Und so machte er im TV-Duell sein “Politicians like Hillary Clinton” zur Formel für den Generalverdacht in die Politik. Darum ist ihr vermeintlicher Erfolg beim ersten TV-Duell möglicherweise ein Pyrrhussieg für Clinton.

Donald Trump ist eben ein politischer Schiffschaukel-Bremser. Sein ganzes Wesen strömt etwas scheppernd Hochfahrendes und plärrend Ordinäres, das man eher von der Kirmes als vom politischen Salon her kennt. Er zelebriert Tugenden, die im politischen Geschäft der westlichen Mediendemokratien bislang als tödlich galten: das Angeberische, das Rüpelhafte, das Extreme, das Aggressive, das Selbstgefällige.

Die meisten Leitmedien von Boston bis Los Angeles, ja von Tokio bis Toronto haben ihn als vulgär-volksverhetzenden Moby Dick der Politik längst abgeurteilt. Doch dem “gigantischen Mittelfinger” (Norman Lear), dem “Ego-Ideologen” (“New York Times”) und “Kotzbrocken” (FAZ) schadet das nicht. Es macht ihn eher stärker, weil seine Anti-Establishment-Attitüde durch die Attacken der Medien etwas Revolutionäres bekommen. Das Misstrauen von Millionen US-Amerikanern in die herkömmliche Politik und ihrer Medienrituale ist so groß, dass sie dessen Großkritiker Trump instinktiv beschützen. “Ich könnte mitten auf der 5th Avenue stehen und auf jemanden schießen, und ich würde trotzdem keine Wähler verlieren”, macht sich Trump inzwischen lustig über diesen verblüffenden Effekt seiner Marketing-Strategie. Während andere Politiker peinlich auf Fehlervermeidung achten, lässt Trump im Wahlkampf bewusst kein Fettnäpfchen aus, er planscht lieber lustvoll darin.

Die Bevölkerung lehnt Parteipolitik und volkserziehende Medien immer mehr ab

Denn Trumps Regelbruch ist sein Erfolgsgeheimnis. Sein politischer Durchmarsch bis in die entscheidenden TV-Duelle und damit an die Pforte des Weißen Hauses ist schon jetzt ein Donnerschlag für die politische Kultur der USA. Denn beinahe die gesamte politisch-mediale Elite des Landes warnt unablässig vor ihm wie vor einem aufziehenden Hurrikan.

Doch mit jeder günstigen Umfrage für Trump wird deutlicher, dass die Mahnung immer eine Kehrseite hat – sie entlarvt, wie kritisch die Bevölkerung die Parteipolitik und volkserziehende Medien inzwischen sehen. Offenbar sind sehr viele Menschen derart verärgert und entfremdet von der politischen Korrektheit und der verkrusteten Funktionärsdemokratie, die sich in den vergangenen Jahren ausgebreitet hat wie ein Bevormundungskartell, dass sie das einfach nicht mehr akzeptieren wollen.

Die Wähler von Trump wählen den Tabubruch, just weil sie Tabus nicht mehr ertragen wollen. Sie empfinden Politik als formiert, unecht und berechnend, als würden sich politisch korrekte Gesellschaften nur selber schauspielern in ihren glatt geschliffenen Spiegeln des öffentlichen Raums. Das wollen sie beenden und zerschlagen diese Spiegel, indem sie bewusst eine Fratze wie Trump wählen.

Professionellen Inkompetenz als Glaubwürdigkeits-Ausweis

Politisch wilde Quereinsteiger sind in den USA zwar nichts Neues. Ob Schauspieler wie Ronald Reagan oder Arnold Schwarzenegger, ob Milliardäre wie Ross Perot oder Michael Bloomberg – doch sie alle mühten sich letztlich um Akzeptanz. Trump hingegen zielt weiter auf Dissonanz. Seine Strategie hat darum etwas Revolutionäres. Denn Trump will nicht überzeugen, er will die Welt der professionell Überzeugten demaskieren.

In den USA spricht man inzwischen vom “Jesse-Ventura-Effekt”. Trump könne mit der gleichen Masche wie seinerzeit der glatzköpfige Muskelschrank und Wrestler Jesse Ventura – eine Art Tim Wiese der USA – gewinnen. Der wurde ebenfalls wider alle Regeln der tradierten Politik zum Gouverneur von Minnesota gewählt, nicht trotz, sondern wegen seiner professionellen Inkompetenz im herkömmlichen Sinn. Im Wahlkampf warb Ventura mit dem Slogan “Don’t vote for politics as usual”. Das gilt genauso nun für Trump.

Der linke Vordenker der USA, Michael Moore, schreibt daher, dass er inzwischen einen Wahlsieg Trump fest erwarte, weil der anarchistische Reflex der Amerikaner von ihm perfekt mobilisiert werde: “Die Wut gegenüber einem kaputten politischen System ist so groß, dass Millionen Trump wählen werden, nicht weil sie mit ihm übereinstimmen, nicht weil sie seinen Fanatismus oder sein Ego mögen, sondern einzig und allein, weil sie es können.”

Dieser Beitrag erschien zuerst auf The European hier.

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Leserpost

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Karla Kuhn / 05.10.2016

Ich vergleiche das mit den Äpfeln in Nachbars Garten. Die Medien werden nicht müde auch den kleinsten Furz von Trump in die teuflichste Ecke zu schicken. Genau wie unsere Medien und die Politik noch dazu. Die AfD und Pegida erleiden das gleiche Schicksal wie Trump. Da werden die Menschen ganz besonders neugierig, mir gehts jedenfalls so und befassen sich erst mal richtig mit den Personen, Parteien oder Organisationen.  Wer tief gräbt, erhält oft ein ganz anderes Bild. Wenn man sich veräppelt fühlt, dann gibt man der Person oder der Partei, die unermüdlich verleumdet wird gerade seine Stimme. Anscheinend kapieren die ewigen Schlechtmacher das nicht oder, sie wollen oder dürfen es nicht.

Peter Hofstetter / 05.10.2016

In der Schule hören wir von John Locke, Rousseau und den anderen und wie toll die Aufklärung war. Und wenn dann doch mal einer die Unzufriedenheit von Millionen aufgreift, dann soll es plötzlich bäh sein? Was für ein Bild vom Staatsvolk bei den Politikern und ihren Freunden herrscht, sah man in den enttäuschten Reaktionen auf das Dresdner Fest-Debakel. Gewünscht wäre offenbar ein brav klatschendes Fuß-Volk gewesen, eine nette Kulisse, so als wäre in den letzten Monaten nichts gewesen. Das Trump-Prinzip ist hier ganz gut beschrieben. Vielleicht sollte man noch vertiefen, dass die Medien mit jeder Diffamierungskampagen, wie auch hier bei uns gegen die AfD usw., weitere Bürger verlieren, weil schlicht das Gleichförmige, das Automatisierte dieser Kampagnen abstößt. Medien und Politik sind wie die zwei Blätter eines Hubschrauber-Rotors, sie drehen sich immer schneller umeinander und heben schließlich ab. Und wundern sich, dass sie keinen Kontakt mehr zur Basis haben. Tja.

Geert Aufderhaydn / 05.10.2016

Eines haben Sie, Herr Weimer, und der schlaue “linke Vordenker” vergessen: Trump vermittelt glaubwürdig politischen Handlungswillen ohne die Angst, sich häßlich zu machen. Die Mauer nach Mexiko, alle Moslems rausschmeißen - das hat etwas von Blut, Schweiß und Tränen und hebt sich wohltuend ab vom Taktieren der abgewrackten Politikerdarsteller. Lieber einen Trump, der ab und zu Fehler macht als einen seelenlosen Politapparatschik wie Clinton, die auf alles eine (verlogene) Antwort hat und letztlich, ähnlich Merkel, nur ein “Weiter so!” verkörpert.

Andreas Glaesel / 05.10.2016

Also, plärrend ordinär, angeberisch, aggressiv und selbstgefällig kommen mir eher unsere alternativlosen (?) Polit-Darsteller Merkel, Schulz und Juncker daher. Aber im Gegensatz zu uns Europäern haben die Menschen in USA eine echte Wahlmöglichkeit. Ich für meinen Teil bete jeden Abend zum Himmel, daß Trump gewinnen möge. Nicht, weil ich seine politischen Überzeugungen teile (hat er überhaupt welche?), sondern um endlich den pervers-korrupten Clinton-Obama Deal überwunden zu sehen.

Steffen Lindner / 05.10.2016

Setzt man im Artikel für Trump “AfD” ein, so zeigen sich doch in Deutschland ähnliche Reflexe des politischen Establishments und seiner Medien.

sabine erdmann / 04.10.2016

Richtig. Und genau dasselbe würde hier in Deutschland geschehen, hätten wir das gleiche System (Kandidaten- d.h. PERSONEN-Wahl) und einen ähnlichen Kandidaten. Der Mittelfinger ist hier wirklich die passende Metapher.

Dietrich Herrmann / 04.10.2016

“Die Wut gegenüber einem kaputten politischen System ist so groß” Und diese Situationsbeschreibung nach der Amtszeit Obamas, des übergroßen Hoffnungsträgers? Was ist denn da in USA passiert? Kann man das mal analysieren?

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