Gastautor / 22.02.2012 / 12:22 / 0 / Seite ausdrucken

Das Gutmenschentum und die Intelligenzforschung

Alexander Schertz

“Mein einziger Fehler war die Antwort auf die Frage nach der genetischen Identität der Juden”, sagte Thilo Sarrazin kürzlich in einem Interview. Tatsächlich hat nichts an Sarrazins Thesen Teile der deutschen Öffentlichkeit so auf die Palme gebracht wie sein Hinweis auf genetische Grundlagen kognitiver Fähigkeiten. Sigmar Gabriel sagte damals: “Thilo Sarrazin hat in der Öffentlichkeit so getan, als würde sich Intelligenz und Dummheit und Fleiß und Leistungsverhalten genetisch vererben, und wer das sagt ....., der ist natürlich ganz nah an den ganzen Rassentheorien, .... Damit verstößt er gegen elementare Wertvorstellungen der Sozialdemokraten. Ich glaube übrigens, auch gegen elementare Wertvorstellungen unserer Verfassung”.  Die genetische Verhaltenstheorie ist nach Meinung des SPD-Vorsitzenden also verfassungsfeindlich.

Aus dem ABC der Intelligenzforschung
Die Auffassung, dass Intelligenzunterschiede wie andere Eigenschaften des Menschen zum großen Teil auf Erbanlagen zurückzuführen sind, die der natürlichen Auslese unterliegen, geht auf die Evolutionstheorie von Charles Darwin zurück. Sein Cousin Francis Galton (1822 - 1911), war der Begründer der Intelligenzforschung. Der englische Psychologe Charles Spearman (1863 - 1945) entwickelte die heute auf vielen Forschungsgebieten angewandte Methode der Faktorenanalyse und wies damit nach, dass hinter den verschiedenartigen kognitiven Leistungen (mathematisch, sprachlich usw.) eine allgemeine Intelligenz (“general factor” oder einfach “g”) steht, die in allererster Linie (wenn auch nicht ausschließlich) die intellektuelle Leistungsfähigkeit bestimmt.

Den ersten brauchbaren Intelligenztest schlug der französische Psychologe Alfred Binet 1905 vor. Der Intelligenzquotient (IQ), der auf den deutschen Psychologen William Stern zurückgeht (1912),  ist ein relatives Maß für die Intelligenz. Wer z. B. einen IQ von 100 hat, liegt damit genau in der Mitte der allgemeinen Intelligenzverteilung, ein IQ von 115 bedeutet definitionsgemäß, dass man weniger intelligent ist als die oberen 15,8% der Bevölkerung und intelligenter als die restlichen 84,2%. Als “durchschnittlich”  wird ein IQ zwischen 85 und 115 angesehen. Im Lauf der Zeit wurden immer bessere Tests zur Messung der allgemeinen kognitiven Leistungsfähigkeit entwickelt und auch in großem Stil eingesetzt, z. B. von der amerikanischen Armee zur Klassifizierung von Rekruten schon im Ersten Weltkrieg. Die Intelligenz gilt als das am besten messbare Persönlichkeitsmerkmal.

Intelligenz wird von genetischen Anlagen und der Umwelt bestimmt. Die Erblichkeit gibt an, wie groß der Anteil an der Gesamtheit der gemessenen IQ-Unterschiede ist, der auf Unterschiede in den für den IQ relevanten Genen zurückgeht. Für Erwachsene liegt die Erblichkeit der Intelligenz bei 60 - 80%. Für Kinder ist sie niedriger, weil sich die kognitive Leistungsfähigkeit nur allmählich bis zum Erwachsenenalter zu einem genetisch festgelegten Endzustand hin entwickelt. Für die kognitive Grundfähigkeit “g” wurde sogar eine Erblichkeit von 87% ermittelt. Diese Zahlen wurden vor allem durch Studien an Gruppen eineiiger getrennt aufgewachsener Zwillinge bestimmt. Die Korrelation ihrer IQ-Ergebnisse ist allein auf die genetische Übereinstimmung zurückzuführen und liefert deshalb unmittelbar die Erblichkeit.

Aufregung über den IQ
Wie in allen Humanwissenschaften gab es auch in der Intelligenzforschung immer große Streitfragen, aber ein Generalangriff auf grundlegende Konzepte dieses Wissenschaftszweigs begann erst in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts in den USA. Insbesondere wurde bestritten, dass die Intelligenzunterschiede zum größten Teil erblich sind. Selbst der Realitätsgehalt einer allgemeinen Intelligenz wurde seither immer wieder in Frage gestellt. Intelligenzforschung wurde von vielen Kritikern als Ideologie zur Rechtfertigung sozialer Ungerechtigkeiten attackiert.

Während in den USA gestritten wurde, herrschte in Deutschland zu dem Thema lange Zeit Funkstille. Der Wissenschaftsjournalist Dieter E. Zimmer hat seinem vor kurzem erschienenen, sehr empfehlenswerten Buch “Ist Intelligenz erblich” eine Literaturliste von 19 Seiten beigefügt, die nach Angaben des Autors nur ganz wenige Aufsätze und Bücher deutschen Ursprungs enthält, weil sich die deutschen Psychologen und Genetiker mit wenigen Ausnahmen “aus diesem Forschungsgebiet weitgehend ausgeklinkt zu haben scheinen”. Es wurden noch nicht einmal die bedeutenden Werke der ausländischen (vor allem amerikanischen) Literatur ins Deutsche übersetzt. Trotzdem wurde Sarrazin gerade im Land der “IQ-Ignoranz” nicht nur von der SPD-Spitze völlige Unwissenheit über den Forschungsstand vorgeworfen.

Gutmenschentum contra IQ
Unter Gutmenschentum verstehe ich eine heutzutage sehr verbreitete Art moralischer Selbststilisierung, deren Vertreter ständig auf eine wirkliche oder vermeintliche Schuld der eigenen Gruppe hinweisen, um mit wenig Aufwand das moralische Selbstwertgefühl zu heben und anderen gegenüber die eigene moralische Überlegenheit zu demonstrieren (siehe http://www.achgut.com/dadgdx/index.php/dadgd/article/die_zukunft_des_gutmenschentums/). Die beliebtesten Angriffspunkte bei diesem Spiel sind angebliche Diskriminierungen Dritter und Sünden wider die Umwelt. Für Gutmenschen gibt es gleich zwei Gründe, die Intelligenzforschung vehement anzugreifen.

Erstens sind die Intelligenzforscher Spielverderber, wenn sie soziale Unterschiede mit der IQ-Verteilung in Zusammenhang bringen, weil man sich über biologische Unterschiede schlecht empören kann. Zweitens ist eine rein theoretische Auseinandersetzung um die Intelligenzforschung für Gutmenschen äußerst attraktiv, weil es nur um “gute” und “böse” Ansichten geht. Anders als bei Angriffen auf “Umweltsünder” besteht nicht die Gefahr, dass die Übereinstimmung von Wort und Tat der Moralisten in Frage gestellt werden könnte. Die Auseinandersetzung spielt sich vor allem auf drei Feldern ab: soziale Unterschiede, Unterschiede zwischen Frauen und Männern sowie internationale Unterschiede.

Soziale Unterschiede und IQ
Frauen in niedriger sozialer Stellung mit unterdurchschnittlichem IQ bekommen heutzutage mehr Kinder als gut ausgebildete und beruflich erfolgreiche Frauen, was einen Abwärtstrend der Durchschnittsintelligenz fördert. Diese Feststellung war einer der Steine des Anstoßes an den Thesen Thilo Sarrazins, weil er einen Zusammenhang von sozialer Stellung und Intelligenz unterstellte. Damit wiederholte sich in Deutschland eine Auseinandersetzung, die sich vierzehn Jahre zuvor in den USA abgespielt hatte. Als 1994 der Harvard-Psychologe Richard J. Herrnstein und der Politikwissenschaftler Charles Murray das Buch “The Bell Curve” veröffentlichten, in dem sie darlegten, dass die Klassenstruktur der USA, ganz anders als noch am Anfang des 20. Jahrhunderts, der Intelligenzverteilung entsprach und dass viele gesellschaftliche Probleme wie Kriminalität, Arbeitslosigkeit, Kindervernachlässigung und Armut in hohem Maße mit Intelligenzdefiziten zusammenhingen, wurden wiederum die Autoren heftig des Rassismus (weil Arme oft Schwarze waren) und der Rechtfertigung ungerechter Zustände beschuldigt. Nicht selten wurden aber auch den Kritikern von Herrnstein und Murray in den Medien “Political Correctness” statt wissenschaftlicher Ehrlichkeit vorgeworfen. 52 Professoren wiesen in einer öffentlichen Erklärung mit dem Titel “Mainstream Science on Intelligence” (http://en.wikipedia.org/wiki/Mainstream_Science_on_Intelligence) die Angriffe auf ihre Wissenschaft zurück.

Ginge es den Gutmenschen nicht um moralische Selbsterhöhung, sondern tatsächlich um das Wohl der “Betroffenen”, würden sie die kognitiven Schwächen der unteren sozialen Schichten als ernstes Problem anerkennen und sich z. B. darüber Gedanken machen, wie in einer sich technologisch immer weiter entwickelnden Gesellschaft für Menschen mit geringen geistigen Fähigkeiten sinnvolle Arbeit, Erfolgserlebnisse und gesellschaftliche Anerkennung erreichbar sind. Anklagen gegen die vermeintlich ungerecht verteilten Chancen nützen nur den Anklägern selbst, solange sie sich damit noch in Szene setzen können.

Geschlechtsunterschiede und IQ
Intelligenzforscher haben festgestellt, dass die Intelligenzverteilung bei Frauen und Männern unterschiedlich ist. Bei Frauen kommt sowohl sehr niedrige als auch sehr hohe Intelligenz viel seltener vor als bei Männern. Einen IQ von über 125 weisen Frauen nur halb so oft auf wie Männer, über 155 ist das Verhältnis eins zu fünf. Das wirkt sich z. B. auf die Häufigkeit der Verleihung von Nobelpreisen an Männer und Frauen aus. Für Literatur gingen 10%, für Naturwissenschaften 2% (in der zweiten wie in der ersten Häfte des 20. Jahrhunderts) aller Nobelpreise an Frauen. Die Fields-Medaille, eine der höchsten Auszeichnungen für Mathematiker seit 1936, wurde noch nie einer Frau verliehen. Beim Schach gibt es eigene Titel für Frauen (z. B. Woman Grand Master) mit niedrigeren Qualifikationskriterien als für die entsprechenden allgemeinen Klassen.

Gutmenschen ignorieren diese Fakten und empören sich über alle Maßen, wenn etwa ein Zusammenhang zwischen der Häufigkeit, mit der Frauen Spitzenpositionen einnehmen, und den geschlechtsspezifischen Intelligenzverteilungen angedeutet wird. Diese Erfahrung musste z. B. 2005 Lawrence Summers machen, damals Präsident der Universität Harvard, als er vorsichtig andeutete, dass die Unterrepräsentation von Frauen in Natur- und Ingenieurwissenschaften an Spitzenuniversitäten etwas mit der Intelligenzverteilung zu tun haben könnte. Die Kontroverse war einer der Gründe für seinen Rücktritt im folgenden Jahr.
 
Internationale Unterschiede und IQ
Weltweit haben IQ-Tests gezeigt, dass man in allen großen Populationen der Menschheit das ganze Spektrum der Intelligenz von den niedrigsten bis zu den höchsten Werten findet. Es gibt also keine wissenschaftliche Grundlage für Rassismus. Jeder Mensch muss damit rechnen, dass ihm ein anderer Mensch einer beliebigen Hautfarbe intellektuell gleich oder überlegen sein könnte. Es wurden jedoch erhebliche Unterschiede zwischen den IQ-Durchschnittswerten festgestellt (http://www.isteve.com/iq_table.htm, http://en.wikipedia.org/wiki/File:AverageIQ-Map-World.png). Für Europäer ergab sich ein Wert von etwa 100, für Ostasiaten von 105 und für Afrikaner von 70. Auch Intelligenztests an Einwanderern in den USA bestätigten erhebliche Unterschiede, so dass die Verschiedenheit nicht alleine mit Umweltbedingungen erklärt werden kann.

Besonders heftige Kontroversen gab es in den USA um das Forschungsergebnis, dass Afroamerikaner (deren Gene im Schnitt zu 20% europäischer Herkunft sind) einen mittleren IQ von 85 haben, während Weiße bei 100 liegen und Amerikaner asiatischer Abstammung noch höher. Als 1969 der Psychologe Arthur Jensen, der als einer der fünfzig bedeutendsten Vertreter seines Fachs im 20. Jahrhunderts gilt, die Ansicht äußerte, dass Bildungsprogramme im Rahmen des “War on Poverty” so enttäuschende Ergebnisse gebracht hatten, weil sie überproportional auf junge Afroamerikaner orientiert waren, die einen erheblich niedrigeren IQ hatten als ihre weißen Altersgenossen, wurde er zur Zielscheibe heftigster Angriffe. Wo immer er auftrat, gab es Zoff.

Damit war afroamerikanischen Kindern mit schlechten Zukunftschancen natürlich nicht geholfen. Es zeigte sich jedoch, dass durch intensive Betreuung und geistige Anregung von Kindern mit niedrigem IQ in den ersten Lebensjahren der IQ zwar nur vorübergehend spürbar angehoben werden konnte, die Kinder jedoch nachher wesentlich motivierter und darum auch erfolgreicher in Schule und Beruf waren als ihre Altersgenossen in einer Vergleichsgruppe ohne intensive Betreuung.

Fazit: das Gutmenschentum steht einem rationalen Umgang mit Intelligenzunterschieden im Wege
Intelligenzunterschiede, nicht nur zwischen Individuen, sondern zwischen Gruppen von Menschen, sind nicht Hirngespinste von Apologeten sozialer Ungerechtigkeit, sondern harte Tatsachen, die man zuerst einmal zur Kenntnis nehmen muss, wenn man die damit zusammenhängenden Probleme richtig angehen will. Der hysterische Umgang der Gutmenschen mit der biologischen Ungleichheit nützt jedenfalls am allerwenigsten denen, die von der Natur mit geringerer kognitiver Leistungsfähigkeit ausgestattet worden sind als andere.

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