Bernd Fischer, Gastautor / 25.09.2020 / 10:30 / Foto: EPP / 88 / Seite ausdrucken

Das Gute-Witze-Gesetz

Von Bernd Fischer.

Ein erneuter Witzeskandal erschüttert die Republik. Christian Lindner verabschiedete seine scheidende Generalsekretärin Linda Teuteberg auf dem Bundesparteitag mit den Worten: "Ich denke gerne daran, Linda, dass wir in den vergangenen 15 Monaten ungefähr 300 Mal (...) den Tag zusammen begonnen haben." Diese lustige Bemerkung wurde in Wokeness-Kreisen als eine sexistische Herabwürdigung von Frau Teuteberg empfunden; von Altherrenwitzen war die Rede. Dabei bestritt Lindner, dass die Bemerkung überhaupt als Witz gemeint war, da seine Arbeitstage tatsächlich mit einem Telefonat mit Frau Teuteberg begannen. Allerdings lachte eine Reihe von Anwesenden, was eher die These stützt, dass es sich doch um einen Witz gehandelt hat. Das politische Berlin ist jedenfalls aufgeschreckt und wird nun aktiv. Jetzt ist buchstäblich Schluss mit lustig! 

Blicken wir einmal zurück! In der jüngsten Vergangenheit kam es wieder zu kontroversen Diskussionen über Witze, die nicht konform zu den mittlerweile sehr hohen Standards der Political correctness waren, etwa der Witz von Friedrich Merz über die schlechten Wahlkampfergebnisse einiger Politikerinnen (vor allem Annegret Kramp-Karrenbauers): „Es sei reiner Zufall, dass alle Sturmtiefs in 2020 Frauennamen trügen.“ Erinnern wir uns auch an den Eklat um Annegret Kramp-Karrenbauers Karnevalsrede. Worum ging es in dieser Debatte? Frau Kramp-Karrenbauer witzelte seinerzeit, dass die von der „Latte-macchiato-Fraktion“ ins Spiel gebrachten Toiletten für das „dritte“ Geschlecht wohl für Männer gemacht seien, die sich beim Pinkeln noch nicht zwischen Sitzen und Stehen entscheiden könnten. Dies brachte die Jünger (und Jüngerinnen) der Wokeness förmlich zur Weißglut! Allerdings waren die teilweise hämischen Reaktionen reaktionärer Kreise auf die Kritik an Annegret Kramp-Karrenbauers Rosenmontagsrede gänzlich unangebracht, deuteten sie doch auf einen Missstand in der öffentlichen Debattenkultur hin.

Es ist offenbar gänzlich unklar, wie die Bürger unseres Landes die politische Zulässigkeit eines Witzes beurteilen sollen, wenn selbst Fachmänner (und natürlich Fachfrauen!) der Political correctness wie Annegret Kramp-Karrenbauer, Ralf Stegner, Katarina Barley und Robert Habeck zu gänzlich unterschiedlichen Einschätzungen gelangen. So weit, so (un)witzig, mag man denken. Doch viele Kommentatoren sahen in diesem Scherz eine Diskriminierung von „Menschen mit intersexueller Identität“ (Barley) und forderten gar eine Entschuldigung (Habeck). Allerdings kann man bei näherer Reflexion über die Bemerkung von Frau Kramp-Karrenbauer zu dem Ergebnis kommen, dass der Witz eigentlich zulasten der einzigen Gruppe geht, über die man sich uneingeschränkt lustig machen kann: (alte) weiße Männer.

Verunsicherung des Otto-Normal-Witzekonsumenten

Das männliche Publikum war bei dieser Rede übrigens mehrheitlich von weißer Hautfarbe und alt, und die 3. Toilette bildete lediglich den Rahmen für diesen Witz, sieht man einmal von dem kleinen Seitenhieb mit der Latte-macchiato-Fraktion ab. Angesichts der starken Verunsicherung des Otto-Normal-Witzekonsumenten, von dem man sicherlich nicht erst verlangen kann, die Witze genauestens auf ihre politischen Bestandteile hin zu analysieren, bevor er lacht (oder auch nicht), werden nun also erste Stimmen laut, die die Regulierung des Witzes durch die Festlegung eines geeigneten Rahmenwerkes fordern. In Berlin wird gar gemunkelt, dass Teile der SPD einen verbindlichen Rechtsrahmen (das sogenannte „Gute-Witze-Gesetz“) schaffen wollen, mit dem das Witzereißen zulasten diskriminierter Bevölkerungsgruppen eingeschränkt werden soll.

Kritiker dieses radikalen Ansatzes verweisen auf den damit verbundenen hohen bürokratischen Aufwand, denn schließlich müsste der Vortrag eines nicht regelkonformen Witzes auch entsprechend sanktioniert werden. Als wenn dies nicht schon aufwändig genug wäre, würde die Sanktionierung derer, die über einen unkorrekten Witz lachen, die Gerichte endgültig über Jahre hinaus blockieren. Denn hier sehen Experten große Probleme bei der Beweisführung. Worin die einen ein glasklares Lachen erkennen, darin mögen andere nur ein Sichräuspern oder gar nur ein abschätziges Grunzen wahrnehmen. Wann ist also ein Witz überhaupt ein Witz?

Wenn auch viele den SPD-Vorstoß kritisch sehen, so scheint im politischen Berlin (ausgenommen natürlich die AFD und Teile der CDU/CSU) doch ein mehr oder weniger breiter Konsens über die Sinnhaftigkeit eines allgemeinen Rahmenwerks zu bestehen, auch wenn sich bereits deutlich zeigt, dass der Teufel wieder einmal im Detail steckt. Unstreitig ist bisher nur, dass Witze zulasten alter weißer Männer weiterhin zulässig sein sollen. Allerdings hat die SPD hier schon eine Einkommensuntergrenze gefordert. Bei einem Jahresgehalt unter 60.000 Euro wären alte weiße Männer somit von Witzen ausgenommen. Die Linke hat sofort reflexartig nachgezogen und eine Untergrenze von „mindestens 40.000 Euro“ gefordert.

Völlig unklar ist hierbei noch, ob bei dieser Betrachtung auch das Vermögensverhältnis eine Rolle spielen soll und andere wichtige Faktoren zu berücksichtigen sind. Dürfen etwa über Männer, die eigentlich aufgrund ihres geringen Einkommens ausgenommen sind, aber ihre Frauen schlagen oder im Stehen pinkeln, Witze erzählt werden? Von Teilen der SPD und den Grünen wird auch ein Vorschlag unterstützt, der eine Altersgrenze vorsieht, gemäß der Männer über 65 von besonders bloßstellenden Witzen ausgenommen werden sollen. Leichte Witze (sogenannte „humorvolle Bemerkungen“) wären aber auch über Männer jenseits der 65 möglich. Angeblich kam die Anregung zu diesem Kriterium von Ralf Stegner, der damit wohl auch pro domo spricht. 

Ostfriesen und Schwaben könnten aufatmen

Frauen, Homosexuelle, Behinderte sowie Hartz-IV-Empfänger sollen grundsätzlich von Witzen ausgenommen sein, sofern es sich nicht um Diktatoren oder Mitglieder einer rechten Partei wie der AfD handelt. Somit wären also Witze wie der von Christian Lindner zukünftig nicht mehr möglich. Eine vergleichbare Regelung würde auch für ethnische Minderheiten oder kleinere Bevölkerungsgruppen gelten. Ostfriesen und Schwaben könnten also aufatmen. Schottenwitze wären allerdings von dieser Regelung nicht erfasst. Hier wird eine Regelung auf europäischer Ebene angestrebt. 

Wie auch immer diese Empfehlungen ausfallen werden, versprechen sie doch bereits jetzt einen verlässlichen Rahmen für das zukünftige gute Witzeerzählen. Um die Ausarbeitung der noch offenen Details kümmert sich jetzt ein parlamentarischer Ausschuss unter der Leitung von Anton Hofreiter. Bei den Mitgliedern soll es sich um ausgewiesene Humorexperten wie Karl Lauterbach, Bernd Riexinger und Katja Kipping handeln.

Von allen Seiten wird nachdrücklich betont, dass das Witzeerzählen grundsätzlich weiterhin möglich sein soll. „Alles darf prinzipiell gesagt werden“, wird ein Ausschussmitglied zitiert. Von einer Einschränkung der Meinungsfreiheit, wie sie von rechten Kreisen unterstellt wird, könne somit überhaupt keine Rede sein, da alle Entscheidungen rein freiwillig getroffen werden. Reaktionen der „Zivilgesellschaft“ könne man allerdings nur schwerlich beeinflussen. Zur Unterstützung der Witzeerzähler und -konsumenten soll eine Clearingstelle geschaffen werden, die in Zweifelsfragen Auskunft über die politische Zulässigkeit von Witzen gibt. Zudem soll die Einrichtung einer Hotline die für das Witzeerzählen charakteristische Spontaneität bewahren helfen. 

Neben der Festlegung der zulässigen Personengruppen, sollen vom Ausschuss auch Beispiele für politisch zulässige Witze erarbeitet werden. Einige diese Musterwitze wurden bereits durchgestochen. Wir beschränken uns darauf, die Pointen wiederzugegeben: „Hahaha, das war doch Tofu!“, „Hahaha, Soja ist doch gar nicht glutenfrei!“ oder „Und dann schloss der vierzigjährige Mann mit einem Einkommen von 120.000 Euro ohne Behinderung und nennenswertes Sozialengagement sein Elektroauto an die Starkstromsteckdose an!“ Sie sind sehr vielversprechend. 

 

Bernd Fischer studierte Physik und Mathematik mit anschließender Promotion in Köln und Boca Raton (USA), anschließend war er viele Jahre in leitenden Positionen in der Finanzbranche sowie Autor von zahlreichen Artikeln und Fachbüchern zur Finanzmathematik tätig. Seit 2019 arbeitet er als freier Schriftsteller. Seinen Blog finden sie hier: philippicae.de

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Leserpost

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B. Ollo / 25.09.2020

Na ja, ein Witzverbot würde ja gar keiner im Land bemerken. Hier gibt es ja nichts zu lachen außer bei vollversorgten Politikern, Staatsbediensteten und ÖRR-Mitarbeitern. Von daher bin ich ja eher für ein Verbot dieser ganzen Witzfiguren und wandelnden Pointen s.o. . Nur so als Beispiel: Kann man nicht lieber eine Chebli oder Roth verbieten? Wenn die Auftrittsverbot haben, macht ja auch keiner mehr Witze über sie oder lacht einfach so über die. Sozusagen zwei Fliegen mit einer Klappe und ganz im Sinne dieser Initiative ;)

Wilfried Düring / 25.09.2020

Der Witz (oder sollte man gendergerecht besser ‘die Satire’ sagen) bedarf einer gesetzlichen Regelung. Das ist unstrittig. Und infolgedessen bedarf es einer neuen Behörde: ‘Bundesprüfstelle für haltungsgefährdenden Humor’. Besonders schlimme Witze und Witze, die gegen Chebli, Neubauer, Bockbaer, Dorotheebaer, Böhmermann, Hengameh Yaghoobifarah (das ist die ‘nonbinäre, geschlechtsneutrale’ Tante, die in der TAZ menschenverachtenden Müll zusammenschmiert) oder Walther den Spalter gerichtet sind, werden als ‘Vorbehalts-Witze’ aktenkundig gemacht und verboten! Im Ernst: Es muß Schluß damit sein, daß jeder sagt, was er gerade denkt! In Zeiten der Cancel Culture, würde das ja am Ende bedeuten, daß man nicht mehr zu DENKEN wagt! dazu darf es niemals kommen. Das ist es gut, daß das ‘Gute-Witze-Gesetz’ da vorbeugt! Drauf und dran - Sozial-Desolate voran.

Walter Weimar / 25.09.2020

In der DDR hatten Witze den gleichen Charakter wie Fabeln in der alten Welt. Gut gingen Ostfriesenwitze, weil Ostfriesland bekanntlich nicht in der DDR lag. Lachen vom Bauern bis zum hohen Stasimann war fast garantiert. Als Abschlußwitz fragte ich dann, “warum es keine Ostfriesen in der DDR gibt”: ratloses schweigen. Die Antwort erlarvte dann so manchen Zuhörer, sein lachen im Halse stecken blieb. “So blöd sind sie dann auch wieder nicht”

giesemann gerhard / 25.09.2020

Schon lustig zu sehen, mit welchem Aufwand vom Eigentlichen abgelenkt wird. Kommt mir vor wie das Gejammere über CO2 beim Flugverkehr, wobei die Zementherstellung vier mal so viel CO2 in die Luft haut, jeweils jährlich und weltweit, gucksdu wiki. Wenn die aberst kaum noch fliegen, dann geht das tendenziell sogar gegen unendlich mal so viel, rein mathematisch. Ich aber bin gerne mit meiner Ka6, einem einsitzigen Segelflugzeug aus der Vorzeit in den Geier-Sturzflug gegangen, lautlos und ganz ohne Sprit, daher auch der Name “Ka” wie Kamikaze, japanisch für “göttlicher Wind”. Heute hängt meine Ka6 im Deutschen Museum an der Decke und macht gar nix. Am besten finde ich noch den von AKK, aber auch den, @Andreas Spata: “Saublöd, der Kopf geht in’n Westen, der Arsch bleibt hier ... .” - weiß echt nicht mehr genau, wie er ging, egal. Weiß nur: Inzwischen sind viele Ärsche auch im Westen.

Horst vom Holtz / 25.09.2020

„Mir scheint, ich verspüre eine leise Ironie in Ihren Worten, Sir.“ - „Mitnichten, James, ich erschaffe nur eine heilsame Distanz zwischen den bizarren Entgleisungen der Welt und mir selbst. Das Verrückte ist gar nicht verrückt; es ist banal und alltäglich. Das bringt mich manchmal zum Lachen, auch wenn es zum Weinen ist.“

Jürgen Fischer / 25.09.2020

Ach, ich hab auch noch einen, den ich hier noch zum besten gebe, ehe ich abgeholt und mitgenommen werde: Ein Flüchtling gerät in eine Personenkontrolle. “Können Sie sich ausweisen?” - Flüchtling: “Waas, muss man das jetzt schon selber machen?” OK, OK, ich bin ja schon ruhig ...

Gabriele H. Schulze / 25.09.2020

Wollte gerade schreiben: “Um Gottes Willen, besprechen Sie’s nicht”, da lese ich @Albert Pflügers Kommentar…

Peter Wachter / 25.09.2020

Nachtrag zu meinem Kommentar, da keine Links erlaubt sind, googelt nach “Diversity-Landesprogramm Berlin / Drucksache 18/3015 vom 11.09.2020” Viel Spass, solange es noch erlaubt ist !?

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