Thomas Rietzschel / 21.06.2016 / 15:14 / 3 / Seite ausdrucken

Das große Fressen: Berlin auf dem Weg in die spätrömische Dekadenz

Seit einer Woche ist das Berliner Publikum eingeladen, sich auf eine Zeitreise zurück in die Epoche der spätrömischen Dekadenz zu begeben. Damals tobten die Zuschauer auf den Rängen des Colosseum, wenn unten in der Arena lebendes Menschenfleisch an brüllende Tiger und Löwen verfüttert wurde. Gleiches ist uns nun für die kommende Woche im historischen Zentrum der Bundeshauptstadt, gegenüber der Staatsoper und in Sichtweite des Deutschen Historischen Museums, direkt neben der Humboldt-Universität und dem Maxim-Gorki-Theater an der Straße „Unter den Linden“, in Aussicht gestellt.

Als kreativer Kopf und Organisator des Ganzen zeichnet das „Zentrum für politische Schönheit (ZPS)“, eine  Künstlerinitiative, die schon öfter mit außergewöhnlichen Aktionen auffiel; so zum Beispiel, als sie Menschen, die bei der Flucht über das Mittelmeer umkamen, exhumierte und nach Deutschland überführte, um die Leichen mit großen Medienrummel in deutscher Erde erneut zu bestatten. Der gute Zweck, der Protest gegen die europäische Flüchtlingspolitik, sollte die Leichenfledderei heiligen.

Und genauso soll es sich auch diesmal wieder verhalten. Auch bei der eben anlaufenden Performance „Flüchtlinge fressen“ handelt es sich um ein Politikum, aber nicht deshalb, weil die „Künstlerinitiative“ die öffentliche Inszenierung ihrer perversen Phantasien als politische Aktion bemäntelt, als einen Akt der Verzweiflung im Kampf für den Menschenrechte der Flüchtlinge, sondern weil die Politik, der Berliner Senat, dabei mitspielt. Findet das Spektakel doch nicht irgendwo auf dem Acker eines durchgeknallten Sonderlings statt, sondern im öffentlichen Raum. Niemand könnte da ohne behördliche Genehmigung einen Käfig aufbauen, in dem er vier Tiger zur Schau stellt, die demnächst Menschenfleisch fressen sollen.

Reklame für das Widerwärtige

Jede Zirkusdirektor weiß ein Leid davon zu singen, wie schwer, oftmals unmöglich es ist, heute noch irgendwo in Deutschland mit Raubkatzen aufzutreten. In Berlin indes scheint das kein Problem zu sein, nicht, wenn das ZPS Schlagzeilen machen will. Keine Geschmacklosigkeit, die da nicht großzügig hingenommen würde, sogar ein römisch kostümierter Gladiator vor dem Eingang zum Käfig. Die kitschige Reklame für das Widerwärtige.

Damit die „Künstlerinitiative“ die Stimmung im Vorfeld ordentlich anheizen kann, wurden ihr überdies die Räumlichkeiten des Maxim-Gorki-Theaters, dessen Hausherr ebenfalls das Land Berlin ist, großzügig zur Verfügung gestellt. Dort präsentierten die Veranstalter der Presse denn auch das erste von sieben potentiellen Opfern, die aus Syrien stammende Schauspielerin May Skaf. Mit bisweilen tränenerstickter Stimme erklärte sie den geladenen Journalisten, dass sie sich wie die anderen freiwillig und lebend an die Tiger werde verfüttern lasse, falls die Bundesregierung nicht bis zum Ende dieser Woche jene Verfügung des Aufenthaltsgesetzes streiche, die es den Fluglinien untersagt, Menschen ohne Einreiseerlaubnis nach Deutschland zu fliegen. Dies sei unabdingbar, so die Argumentation des ZPK, damit die Flüchtlingen per Flugzeug einreisen könnten und nicht länger Gefahr liefen, bei der Passage über das Mittelmeer umzukommen.

Um die Probe aufs Exempel zu machen, ist schon in der kommenden Woche ein Flug für hundert Flüchtlinge geplant. Die Kosten von 80.000 Euro würden durch Spenden gedeckt, behauptet  das ZPK. Sollte der Weg dafür nicht durch die geforderte Gesetzesänderung frei gemacht werden, würde es dann  heißen, Vorhang auf für den nächsten Akt der inszenierten Abscheulichkeit: das Verfüttern der Flüchtlinge an die Tiger. Dass sie von diesem Plan abrücken könnten, lassen die Veranstalter bisher nicht erkennen. Sie bestehen auf ihrem Ultimatum.

Beihilfe zum Ritualmord

Sollte es also zum Äußersten kommen, dann würde sich - und damit sind wir wieder bei dem Politikum - auch der Berliner Senat der Beihilfe zum planmäßig vorbereiteten Ritualmord schuldig machen. Nicht einmal mit dem Hinweis auf die Respektierung der künstlerischen Freiheit könnte er sich noch aus der Affäre ziehen. Denn Mord ist etwas anderes als Satire. Teil einer künstlerischen Aktion konnte er allenfalls in den Augen eines Nero und Seinesgleichen sein.

Wer aber heute auch nur mit dem Gedanken an eine derartige Gräueltat spielt, um damit politische Ziele durchzusetzen, handelt erpresserisch und keinen Deut besser als die Selbstmordattentäter des IS. Schlimmer noch, da die Aktionskünstler nicht daran denken, sich selbst den Tigern zum Fraß vorzuwerfen, was immerhin noch von einer gewissen Opferbereitschaft für die verfochtene Sache zeugte, schwingen sich sie aus persönlicher Eitelkeit kaltblütig zu Herren über Leben und Tod anderer auf: Sie handeln verbrecherisch.

Wer dabei Schmiere steht, indem er die Wahnsinnigen erst einmal gewähren lässt, ihren Vorbereitungen zur Tat selbst tatenlos zuschaut, macht sich von Anfang an mitschuldig. Das gilt zuerst für die Berliner Politik, etwa für den Kultur-Staatssekretär Tim Renner, der das makabre Geschehen achselzuckend mit der Bemerkung kommentierte, „die Aufgabe von Kunst“ sei es nicht, „bequem zu sein“. Es gilt aber auch für einen großen Teil der Medien, die wie etwa das 3sat Kulturmagazin darüber allenfalls im Ton der Verwunderung berichten, das Ganze vielleicht „grenzwertig“ finden, um dann doch wieder wie Spiegel Online festzustellen, „die großangelegte und aufwendige Kunstaktion“ sei „eine mit großer Ernsthaftigkeit durchgeführte Inszenierung“. Selbst für die FAZ liegt auf der Hand, dass die Veranstalter des Spektakulums natürlich nicht selbst in den Käfig springen könnten, „auch wenn  das im Sinne einer deutschen Selbstkritik plausibler“ wäre. Denn was würde dann aus dem Kunstwerk, aus der „Zirkusmetapher“? Sie ginge „verloren“. Mit anderen Worten, die Künstler könnten den Erfolg ihrer Inszenierung, das Gruseln, den Applaus des Publikums nicht mehr genießen. Und da hörte der Spaß nun wirklich auf, heute wie zu Neros Zeiten.

PS. Als Guido Westerwelle 2010 sagte, die Zustände in Deutschland glichen der „spätrömischen Dekadenz“, glaubten wir alle, der Mann habe zu tief ins Glas geschaut. Das war nicht richtig. Auch wenn es damals nur um den Sozialstaat ging, müssen wir heute einräumen, dass er, alles in allem, seiner Zeit damals nur ein bisschen voraus gewesen ist.

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Dr. Ralph Buitoni / 21.06.2016

Sehr geehrter Herr Rietzschel, die Rückkehr des Ritualmords in westliche Gesellschaften gibt es schon länger - üblicherweise verklausuliert als “Ehrenmord” bezeichnet. Es geht dabei darum, dass ein Mitglied eines Klans stellvertretend die “Sünden” des Klans durch sein vergossenes Blut “wegwaschen” muss. Es ist kein Zufall, dass dieses Ritual über eine Religion nach Europa rückimportiert wurde, die vehement den einen, weltbekanntesten und weltgeschichtlich relevantesten Ritualmord, nämlich den an Jesus dem Nazarener, der sich freiwillig als “Lamm Gottes” am “Stamm des Kreuzes” “schlachten” ließ (um ein aus der Mode gekommenes Kirchenlied zu zitieren) vehement verleugnet. Denn dieses eine Opfer, ein “Gottesselbstopfer” wurde dargebracht, um ein und für alle Mal den menschlichen Ritualmord mit seinem unendlichen Kreislauf von Rache und Gegenrache zu durchschlagen (René Girard). Da diese frisch importierte Religion, die das Gottesselbstopfer, ja selbst seine Möglichkeit, seit jeher leugnete, inzwischen offiziell zu Deutschland gehört ist es auch nur konsequent, dass der Ritualmord nun auch in die noch Mehrheitsgesellschaft integriert wird. Eine frühe, noch relativ unblutige Variante besteht darin, dass Eltern, deren Kinder (vor allem Söhne) zu Opfern von ritualisierter Gewalt durch Angehörige der neu zu Deutschland gehörenden Religion geworden sind, eben von diesen ihren zu Opfern gewordenen Kindern verlangen, sich für die ihnen angetane Gewalt bei ihren Peinigern zu entschuldigen. In anderen Fällen werden diese Opfer dadurch dargebracht, indem man ihre Mörder konsequent verschweigt und stattdessen die Toten als Opfer einer unerklärten und unerklärlichen geheimen Kraft erklärt, die angeblich “von rechts” komme. Diese Form des Menschenopfers ist inzwischen kollektiv anerkannt, indem man die zukünftigen Mörder der eigenen Söhne (und Vergewaltiger der eigenen Töchter) jubelnd ins Land einlädt, ihnen mit zahlreichen Geschenken und Gaben zu verstehen gibt, dass sie tun und lassen können was sie für richtig halten, und sie vorauseilend von ihren zukünftigen Tagen als “schuldlos” weil dafür nicht verantwortlich erklärt. So ist die Opferung der eigenen Kinder schon beschlossene und bejubelte Sache. Dazu braucht es keine Arenen und Löwen mehr, das wird jetzt und in Zukunft umstandslos an jeder U-Bahnhaltestelle, jedem Bahnhof, ja jeder beliebigen Straßenecke erledigt. Und so schließt sich der Kreis, die Anike ist - in zugegebenermaßen unendlich vulgarisierter Form - zurückgekehrt, 2000 Jahre christlicher Kultur-und Zivilisationsgeschichte ist an ihr Ende gekommen…. der Traum der Nationalsozialisten in der Nachfolge Nietzsches, die verhasste “Sklavenreligion” mit ihrem Empathiekult für die Schwachen und Schuldlosen ist endlich in Erfüllung gegangen, und endlich wissen wir: der “Untergang” von 1945 war gar kein Untergang, sondern nur eine kleine Pause im Welttheater gewesen, die Enkel der Täter bringen das Geschäft konsequent zu Ende - nur dass statt der “Aufnordung” von damals heute die “Aufsüdung” im Sinne Schäubles erfolgt….

Ralf Schmode / 21.06.2016

Noch perverser als die Inszenierung durch einen Haufen durchgeknallter Linksradikaler und die (bestenfalls) Gleichgültigkeit des politischen und medialen Establishments gegenüber einer derartigen Obszönität ist das eiskalte Kalkül, mit dem die Initiatoren ihre Eigenwerbung durchziehen. Diese Kreaturen (nein, nicht die Tiger) wissen ganz genau, dass ihnen der Staat, den sie so sehr hassen, vor der Vollendung ihrer als “Kunst” ausgegebenen Scheußlichkeit in den Arm fallen muss und wird. Darüber hinaus wird sich der Besitzer der Tiger kaum damit einverstanden erklärt haben, seine Tiere für das “Happening” zu opfern, denn wenn es den Irren von Berlin ernst wäre und die Polizei griffe ein, könnte das für die Tiere (deren artgerechte Haltung man unter solchen Umständen wohl bezweifeln darf) tödlich enden. Es ist in jedem Fall zu hoffen (wenn auch nicht zu erwarten), dass die “künstlerische” Widerwärtigkeit ein handfestes juristisches Nachspiel haben möge. Dass es nicht zur Verfütterung von Menschen an die Tiger kommen wird, davon ist auszugehen. Nötigung eines Verfassungsorgans ist allerdings auch kein Kavaliersdelikt und kann unangenehme Konsequenzen haben. Für in Gefangenschaft gehaltene Tiger sind von Gitterstäben gesäumte Ambiente mittlerweile begrüßenswerterweise aus der Mode gekommen; für den einen oder anderen Politkriminellen wäre eine solche Unterbringung vielleicht ein Anlass, das Vakuum zwischen den Ohren einmal gründlich durchzulüften.

Andreas Rochow / 21.06.2016

Ich stimme der dezidierten Kritik von Thomas Rietzschel voll und ganz zu und möchte meinen Eindruck hinzufügen, dass heutzutage die ehemals etablierten Parteien ihre ehemaligen Wähler in eine außerparlamentarische Opposition treiben, während die Unkultur des staatlich gesponserten politisch korrekten Zeichensetzens um sich greift. Das ist unter demokratischen Verhältnissen weder mutig noch erforderlich. Es dient vielmehr der erpresserischen Umgehung demokratischer Entscheidungen und vor allem der hypermoralischen Selbsterhöhung der Veranstalter. Kunst und/oder Satire werden von Aktivisten missbraucht, um auch die ärgste Geschmacklosigkeit zu rechtfertigen und Kritik einzudämmen.

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