Wolfram Weimer / 09.09.2017 / 06:25 / Foto: Marcus Cyron / 17 / Seite ausdrucken

Das Einhorn der deutschen Politik

Christian Lindner ist so etwas wie das Einhorn der deutschen Politik. Wie ein seltenes, magenta-farbenes Fabelwesen durchstreift er das Land und springt so eigenartig heiter umher, dass man stutzt. Er wird nicht gehört, er wird bestaunt. Vor vier Jahren, als Lindner den Vorsitz der Partei übernahm, da hing die FDP wie ein verwesender Aal über der Reling des deutschen Politikdampfers. Die FDP drohte im Meer der gebrochenen Wahlversprechen vollends unterzugehen. Umso erstaunlicher ist das jetzige Comeback. Nach allen Umfragen wird sie ihr Ergebnis bei der anstehenden Bundestagswahl glattweg verdoppeln. Sie kehrt nicht nur ins Parlament zurück, wahrscheinlich sogar direkt in eine neue Regierung. Die Partei und vor allem ihr Spitzenkandidat gelten als – man mag es kaum glauben – “cool”. Fragt man Politikwissenschaftler nach den Gründen des Comebacks, dann bekommt man drei Antworten.

Erstens sei Deutschland relativ bürokratisch und bevormundend markiert, so dass eine Freiheitspartei einen wachsenden Markt finde. Gerade der wirtschaftende Mittelstand und die aufstrebende Start-Up-Generation suchten eine Partei, die Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit sichert, jenseits von staatsgläubigen Regulierern und moralischen Besserwissern. Lindners Narrativ dazu: “Es geht darum, dass unser Land mit den schwarzen, roten und grünen Sozialdemokraten im Bundestag und der autoritären AfD vor der Tür nicht alleine gelassen wird.”

Zweitens profitiere die FDP von einer Lücke in der politischen Schlachtordnung des Jahres 2017, einer Nische zwischen der linksgeneigten CDU und der rechtspopulistischen AfD. Die Sozialdemokratisierung der Union unter Angela Merkel führe dazu, dass viele bürgerliche Kernwähler neue politische Heimaten suchten. Wer nicht gleich nach rechts außen stolpere, fände in der FDP eine Protestpartei der Gemäßigten, Weltoffenen und Pro-Europäer. So setze die FDP-Kritik an der Migrationspolitik nicht auf Ressentiment und Nationalismus sondern auf das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit. Lindner erklärt das so:

“Man hat das Gefühl, es herrscht in Deutschland Wilder Westen. Gefährder im Visier der Sicherheitsbehörden werden nicht lückenlos überwacht. Ausreisepflichtige können sich frei bewegen, sogar über Grenzen hinweg. Mit ausgedachten Identitäten können Sozialleistungen erschlichen werden. Wir akzeptieren nicht, dass der Bürokratismus wächst, der Staat in seinen Kernaufgaben aber der Lächerlichkeit preisgegeben ist.”

Die zeitgeistige Neo-Bürgerlichkeit

Das dritte Argument der Politprofis verweist auf die zeitgeistige Neo-Bürgerlichkeit in vielen westlichen Ländern. Die politischen Achsen der meisten Republiken verschöben sich gerade nach rechts. Daher sei es für eine bürgerliche Partei derzeit leichter, Gefolgschaft zu mobilisieren als für linke Parteien.

An allen drei Argumenten mag etwas dran sein. Doch der wahre Grund für das Überraschungscomeback der FDP liegt woanders – nämlich in der Person Christian Lindners. Er ist – genau wie Robert Habeck bei den Grünen und wie Jens Spahn bei der CDU – ein Politiker mit Mut zur Autonomie, zum Querdenkertum. Er verkörpert damit eine neue Generation, die weniger gestanzt und ideologisch analog, sondern geistig vernetzt und digital variantenreich daherkommt. In einem Wahlkampf, in dem die anderen Spitzenkandidaten erstaunlich betagt wirken, kann Lindner seine relative Jugend ausspielen. Schließlich feiern derzeit jugendliche Typen wie Emmanuel Macron, Justin Trudeau oder Sebastian Kurz auch andernorts politische Triumphe. In westlichen Gesellschaften wächst offenbar die Sehnsucht nach Generationenwechseln.

Hier hat die FDP ihre maximale Marktlücke. Lindner wirkt in seiner Sprache und seinem Gestus, in seinem Humor und seinem Mut zur politischen Inkorrektheit (“Ich liebe meinen Porsche und mache gerade einen Jagdschein”) bis hin zu den Unterhemden-Wahlplakaten einfach drei Jahrzehnte jünger als seine Konkurrenz. Dabei bedient er eine unpolitische Sehnsucht nach einem lässig-liberalen Lifestyle des 21. Jahrhunderts. In einer politischen Szenerie der formierten Sprach- und Denkweisen kommt er vielen vor wie der Anti-Spießer. Bei Lindner fühlt man sich zuweilen wie in einem Start-up-Loft beim Fußballkickern oder mit den Comedy-Kumpeln beim Poetry Slam.

Lindner ist so jung wie Kimi Raikkönen, Joko Winterscheidt oder Britney Spears. Damit verkörpert er schlichtweg die Zukunft. Es ist wahrscheinlich, dass Lindner im Falle eine Regierungsbeteiligung der FDP gerade nicht das Außenministeramt anstrebt und damit den Fehler Guido Westerwelles wiederholt. Neu denken heißt in seinem Fall eher: Superminister für Wirtschaft und Digitales werden.

Sein Förderer, der frühere Bundesminister und NRW-FDP-Chef Jürgen Möllemann, nannte Lindner einst “Bambi”. Nun könnte Bambi bald Deutschlands Superminister in der Merkel-IV-Regierung werden. Und wenn viele Menschen die FDP als “One-Man-Show” kritisieren, dann haben sie völlig Recht. Es ist Christian Lindner, der die neue Freiheit der FDP ganz allein verkörpern kann wie ein seltenes Fabelwesen – das Einhorn aus dem Westen.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf The European hier.

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Leserpost

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Jens Frisch / 10.09.2017

Nietzsche, “Also sprach Zarathustra”: “»Gelbe«: so nennt man die Prediger des Todes, oder »Schwarze«. Aber ich will sie euch noch in andern Farben zeigen.” Ziemliche passende Beschreibung der politischen Situation in Deutschland.

Manfred Gimmler / 09.09.2017

„Er wird nicht gehört, er wird bestaunt.“ Das darf man meiner Ansicht nach eine Punktlandung nennen, Herr Weimer! Daher neige ich, ohne Ihnen widersprechen zu wollen, eher zu folgender Schwerpunktsetzung: Bereits früher unterstellte man der FDP einen gewissen Hang zur Klientelpolitik. Auch gegenwärtig darf man annehmen, daß diese Partei unter Ausklammerung des Allgemeinwohls Politik betreibt. Sie sammelt nämlich auf den von Merkel verlassenen Orten die Modebewußten, die mit Dünkel Beladenen und Extravaganten, denen die Politik der Kanzlerin bereits seit langem auf die Nerven geht, aber die sich dennoch aus Feigheit parallel zum Mainstream bewegen, mit ihren geschickt inszenierten Marketingkampagnen ein. Jene „Paralleldenker“ bestaunen eben lieber das „Einhorn der deutschen Politik“ als selbst angestrengt über gesellschaftliche Probleme nachzudenken. Somit bedarf es vom überaus flexiblen Christian Lindner keines großen Mutes. Es ist und bleibt auch nach dem Farbenwechsel einfach das alte politische Kalkül der kleinen Partei FDP.

Caroline Neufert / 09.09.2017

“Bei Lindner fühlt man sich zuweilen wie in einem Start-up-Loft beim Fußballkickern oder mit den Comedy-Kumpeln beim Poetry Slam.” JA. Nur, ist das schön ? Ist das gut ? Ich halte mich für liberal und gewinne liberalen Gedanken vieles ab, aber genau das finde ich bei Lindner mit “seinem “Mut” zur politischen Inkorrektheit” nicht. Welcher “Mut zur Autonomie” verkörpert er ? Bzw wollen Sie sagen, dass das Tragen eiines Unterhemdes “mutig” sei ? Gestern gab es in meiner Firma ein “Event” und wir sprachen auch über die Wahl. Viele Kollegen präferieren eigentlich Rot und Grün und ich mit meiner Sympathie für Frau Merkel bin eher die Ausnahme. Nun kam ich aber aus dem Staunen nicht heraus. Die meisten (ob es kommt, werden wir ja sehen) wollen Lindner wählen, sei es weil man keine GroKo will, weil man bei KGE nicht weiß, was sie will, weil man die Home-Ehe will oder eben weil Lindner so toll aussieht ... Ja, Sie haben recht, es muss wohl so sein, dieser “Mut” ist es ;-)

Roland Schmiermund / 09.09.2017

Dabei meinte Herrn Lindner nach der NRW-Wahl, dass er nicht in den Bundestag will…

Andreas Rühl / 09.09.2017

Das alles gilt bis zum nächsten Betrug. Und der kommt in dem Moment, in Dem sich die Frage stellt, posten oder Opposition. Ich jedenfalls mache einen Fehler nicht zweimal.

Christian Schulz / 09.09.2017

Wird die one-woman-show CDU wirklich eine riskante Vierer-Koalition CDU/CSU/FDF/Grüne wollen, wenn entspannt mit der SPD und Schulz als geschwächtem Juniorpartner durchregieten kann?

Ulrich Zinkeisen / 09.09.2017

Dieser Text kann richtig sicherlich nur als Groteske verstanden werden, andernfalls muss am Urteils- bzw. Einfühlungsvermögen - denn seine Deutung der Person Lindner gründet ja auf Anmutungen - des Autors gezweifelt werden.  Sofern das unsägliche Label “Spießer” überhaupt zu irgendetwas taugt, dann dazu, dass diese Lichtgestalt eben alles, nur kein >Anti< ist:  Ein ewig Neunmalkluger, Alles- und Besserwisser, dessen pseudomäßige Selbstinszenierung den Habitus z.B. eines Hans Eichel ( sicherlich der Inbegriff eines oberlehrerhaften >Spießers< ) lediglich zu übertünchen weiß.  Mag sein, dass in einer bräsig-onkelhaften bzw. die intellektuellen Grenzen entblößenden Gesprächsrunde Lindners verbale Angriffslust sowie seine “Schnapper”- Fertigkeiten den Ausschlag dafür geben, ihn für den Besseren zu halten.  Das nebenstehende Interview ist für mich da aufschlussreicher.  Ich glaube, dieser Mann folgt einzig dem Impuls, einen Komplex abarbeiten zu müssen.  Von daher steht er eher in einer Reihe mit Leuten wie Gabriel und Trittin als im Gefolge irgendwelcher Querdenker.

Thomas Hellerberger / 09.09.2017

Schlecht getarnte Wahlwerbung für die FDP, ein als Zitat camoufliertes Bashing der AfD als “rechtspopulistisch” (gähn) - Sie tun weder der FDP noch Lindner damit wirklich einen Gefallen. Lindner hat Erfolg, weil er, viel besser als ein Martin Schulz, verkaufen kann, er sei “Anti-Establishment” obwohl er nicht minder systemkonform ist wie Angela Merkle oder eine Marietta Slomka. Zweifellos: Er sieht, richtig fotografiert, gut genug aus, um auf dem Titelblatt von “GQ” oder Men’s Vogue” abgebildet zu werden. Für Neuköllner Hipster-Cafes ist er an sich schon zu alt, aber im “Borchardts” oder “Cafe Einstein” können wir uns ihn, im Valentino-Anzug, selbstverständlich zu eng, selbstverständlich hochwasser, selbstverständlich marineblau mit brauen Schuhen, wie es sich diese Saison gehört, gut vorstellen. Den männlichen Jungwählern reicht das. Sie produzieren derzeit in die FDP die gleichen irrealen Hoffnung der Generation Schneeflocke nach dem politikfreiem Postmaterialismus plus Smartphone-Komptabilität wie sie es zuvor in die Piraten projizierten. Vergebens. Lindner ist linksliberal wie Thomas Oppermann oder Robert Harbeck. Seine Hoffnungen ruhen darauf, einen Platz in Merkel Tafelrunde zu bekommen. Nichts wäre für die FDP schlechter als Opposition. Eingeklemmt zwischen AfD und PdL würde sie zugrundegehen an der Unmöglichkeit, innerlich Merkel gut zu finden, nach außen aber das Gegenteil zu sagen. Daran ist schon Martin Schulz gescheitert. Reicht das nicht als Warnung?

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