Quentin Quencher / 14.07.2016 / 10:00 / 3 / Seite ausdrucken

Das Denken macht den Unterschied, nicht die Geografie

Peter Heller schreibt in einem Beitrag für AchGut, dass die Religionen nicht zu Deutschland gehören. Auch beim zweiten lesen von Peters Text, mit ein paar Wochen Abstand, kann ich mich nicht damit anfreunden. Es liest sich wie ein Rechtfertigungstext, hauptsächlich getragen vom Wunsch, ein Weltbild zu legitimieren. Peters größter Fehler dabei ist: Er blendet die Wirkmächtigkeit des Transzendenten aus, weil er meint, alle Entwicklung auf das Materielle beziehen zu können. Oft ist dies tatsächlich der ausschlaggebende Punkt, dennoch stehen am Anfang immer Träume und Wünsche die trotz ihres imaginären Charakters Begehrlichkeiten auslösen. Weshalb gerade dort wo die Menschen geopolitisch im Nachteil sind, Kräfte frei werden, die versuchen diesen Nachteil zu überwinden. Das ist konträr zu Peters These, dass Europa geopolitisch in einer bevorzugten Lage gewesen wäre. Das waren sie nicht, im Gegenteil.

Stefan Zweigs Roman über die erste Weltumseglung unter Magellan beginnt, glaube ich, mit den Worten: „Am Anfang war das Gewürz“ und beschreibt sehr gut welche Kräfte frei werden, will man Nachteile überwinden. Wäre an Peters These etwas dran, müssten ja die Araber, als große Händler mit Kontakt zu allen möglichen Zivilisationen, mit den sichersten Zugriffen auf alle möglichen Ressourcen, eine Gesellschaft entwickelt haben, wie sie in Europa entstanden ist. Das ist eben nicht geschehen, ihre Religion und ihre Kultur waren ihnen im Weg.

Der segensreiche Wille, einen Nachteil zu überwinden

(West)Europa profitierte nicht von der Geographie, diesbezüglich liegt der nahe und mittlere Osten viel günstiger. Alle Handelswege kreuzten sich hier. Aus dem fernen Osten, aus Europa, aus Afrika und Indien. Der Nachteil Europa begann sich mit Henrique dem Seefahrer (15. Jhd. Portugal) in einen Vorteil zu entwickeln, in dem mittels technischer Innovationen und Sammlung von Wissen darauf hin gearbeitet wurde, den Vorteil den die Araber durch ihre geopolitische Lage hatten, zu überwinden. Es war der Willen, einen Nachteil zu überwinden, nämlich den, dass man keinen direkten Zugang zu Indien hatte. Die Gewürze.

Diese wirtschaftlichen und geopolitischen Interessen deckten sich mit dem Missionierungsgebot der Kirche, was als Motivation in dieser Zeit nicht unterschätzt werden darf, selbst dann es als Vorwand erkennbar ist. Die Missionierung spielte bei den islamischen arabischen Herrschern keine große Rolle, denen ging es um Unterwerfung und Macht, nicht um Missionierung.

Weltliche und kirchliche Macht standen in den christlichen Ländern aber immer in Konflikt miteinander, man denke nur an dieses jahrhundertelange Hickhack zwischen Papst und Kaiser. Sie brauchten einander, zur gegenseitigen Legitimation, standen aber immer in Konkurrenz um die Macht und Wahrheit zueinander. Dieser Zwiespalt, die konkurrierenden Macht- und Werteordnungen, verbunden mit der Wiederentdeckung der griechischen Philosophen, schufen das Potential aus einen geopolitischen Nachteil einen Vorteil zu machen. Es war letztlich dieser geistige Pluralismus, schon vor der Aufklärung, der es den Menschen erlaubte, sich andere Welten als die präsentierte materielle oder imaginäre vorzustellen.

Am Anfang von Veränderung steht Imagination

Am Anfang der Veränderung steht immer die Imagination, und die Frage ist, unter welchen Bedingungen sich die Kraft, die von der Imagenation ausgeht, auch entfalten kann. Mehr noch, welche Imagenationen entstehen überhaupt unter welchen Bedingungen. Vieles davon wird kanalisiert durch die Religion. Sie ist sozusagen der Vermittler zwischen Transzendenz und realer Welt. Es ist nicht die Frage ob Religionen in politischen Entscheidungsprozessen mitwirken, sondern nur das wie. 

Folgt man der Argumentation von Evolutionsbiologen, so werden sich Vorteile durchsetzen und keine Nachteile. So gesehen wäre meine Argumentation falsch, da ich ja von einem geopolitischen Nachteil der Europäer ausgehe. In Einklang zu bringen mit meiner Annahme ist es nur, wenn es eben nicht die Lage Europas ist, sondern die Art zu denken und die Art wie Probleme angepackt werden die den evolutionären Vorteil ausmachen. Also die Kultur, deren nicht geringer Teil auch die vorherrschende Religion ist. Fehlt sie, gleitet das Transzendente ins Esoterische ab. Wie lähmend so etwas auf die Gesellschaften wirkt, sehen wir heute bei neuheidnischen Esoterikern, beispielsweise bei den Grünen mit ihren Nachhaltigkeitsgedöns.

Zuerst erschienen auf Quentins Blog Glitzerwasser

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Leserpost

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Gertraude Wenz / 14.07.2016

Es waren Abenteurlust und vor allem die Suche nach einem Seeweg nach Indien, um der kostbaren Gewürze habhaft zu werden, also Geld, Macht, Reichtum und nicht die Religion.

Johannes Schewitz / 14.07.2016

Da ist mal einer der denkt. Wie schön, Die Imagination braucht, damit sie möglich ist, auch bestimmte Bedingungen. Sehr schön erklärt in Egon Fridells “Kulturgeschichte der Neuzeit” Band 1 Anfang. Warum hat das kleine zerstrittene und teilweise rückständige Europa fast die ganze Welt erobert? Warum haben ein paar zerstrittene Stadtstaaten das perfect organisierte Persien abwehren können? Ein Hauptgrund ist die Freiheit des Denkens, also auch der Imagination. Wenn man sich nicht vorstellen kann, dass etwas möglich ist, versucht man es auch nicht.  

Thomas Schade / 14.07.2016

Danke für dieses Lob des Denkens, Glaubens und Wollens!

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