Beda M. Stadler, Gastautor / 19.08.2011 / 14:30 / 0 / Seite ausdrucken

Das Bundesgericht hat mich krank geschrieben

Das Bundesgericht hat entschieden, dass Rauchen eine Krankheit ist. Als Raucher war ich bisher nur blöd oder diskriminiert; aber krank? Das verunsichert. Natürlich finde ich mich etwas abartig, weil ich andere bedaure, dass sie nicht den gleichen Spass am Paffen haben wie ich. Als Krankheit hätte ich das nicht eingestuft. Gilt Blödheit von nun an als Krankheit, wären die Folgen für unser Gesundheitssystem unabsehbar.
Man ist doppelt verunsichert, weil die bundesgerichtliche Ferndiagnose aufgrund einer Klage eines Pharmamultis zustande kam, der sein Raucherentwöhnungs-Medikament durch die Krankenkasse vergütet haben will. Beim Bundesgericht darf man wohl davon ausgehen, nicht in erster Linie die kommerziellen Interessen einer Pharmafirma zu berücksichtigen, sondern uns armen Rauchern helfen zu wollen.
Schliesslich wird mit dem Entscheid dem Bundesverwaltungsgericht widersprochen, welches sich auch Gedanken über das Rauchen als Krankheit gemacht hat. Dieses Gericht war anderer Meinung, weil in Artikel 3 des Gesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts steht, dass unter Krankheit «jede Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen oder psychischen Gesundheit, die nicht Folge eines Unfalles ist und die eine medizinische Untersuchung oder Behandlung erfordert oder eine Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat», zu verstehen ist.
Diese Definition leuchtet mir persönlich ein, schliesslich bin ich als unsportlicher Mensch durch das Rauchen körperlich kaum beeinträchtigt, geistig immer noch in der Lage, mit Zigarette im Mund ein Sudoku zu lösen, und meine psychische Gesundheit gipfelt darin, überhaupt nichts zu glauben. Ich bin auch frei von religiösen Wahnvorstellungen. Einzig der Rauchstopp-Verantwortliche unseres Spitals möchte mich schon längst behandeln. Da die Uni meine Überstunden ohnehin nicht bezahlt, habe ich bislang freiwillig darauf verzichtet.
Ich fühle mich also rundum gesund und arbeitsfähig. Rauchen muss demzufolge eine Art Geisteskrankheit sein. Da ich den Dualismus von Körper und Seele ablehne, bleibt nur eines: Ich bin ein echt kranker Irrer, der glaubt, gesund zu sein. Meist ist es ja umgekehrt, die Gesunden glauben oft, krank zu sein.
Da all das Zweifeln nichts bringt, habe ich mich entschlossen, das Bundesgerichtsurteil persönlich zu akzeptieren. Ich bin also rauchkrank. Nun möchte ich als Raucher aber nicht mehr diskriminiert werden. Die von der EU übernommenen Antiraucher-Kampagnen des BAG oder die noch rüderen Forderungen der Zürcher Lungenliga müssen ethisch überdacht werden.
Da Rauchen eine Krankheit ist, wirken diese Kampagnen wie ein Mad-TV-Sketch des amerikanischen Komikers Bob Newhart: Eine attraktive Dame sucht den Psychiater auf, weil sie unter der Zwangsvorstellung leidet, lebend in einer Kiste begraben zu werden. Der Psychiater sagt: «Kein Problem, eine Minute kostet einen Dollar, und nach maximal fünf Minuten ist die Behandlung abgeschlossen. » Mitleiderregend schildert die Patientin ihre Angstzustände. Sie hat nicht nur Angst vor jeder Art von Kiste, sie fürchtet sich in Autos, in Häusern und hält es kaum mehr aus. Der Psychiater nickt verständnisvoll und hat die perfekte Therapie. Sie bestehe aus zwei Worten. Die Patientin solle sich diese beiden Worte merken und in ihrem Leben anwenden. Sie ist erstaunt und kann die heilenden Worte kaum erwarten, worauf der Psychiater sie anbrüllt: «Stop it!»
Der Sketch basiert auf der gefühllosen Behandlung der Patientin durch den Therapeuten. Genauso gefühllos werden Raucher behandelt: «Stop it!» Man druckt auf die Zigarettenschachteln Todesdrohungen und eklige Farbbilder. Wer jahrelang «Rauchen tötet» gelesen hat, vor Impotenz gewarnt wird, aber über sechzig ist, der möchte einmal zurückbrüllen: «Stop it!» Was die Patientin schliesslich tut, nachdem der Therapeut ihre Bulimie und die Männerprobleme mit «Stop it!» kurieren wollte.
In der Begründung des bahnbrechenden Entscheids bezieht das Bundesgericht eine extreme Position, hat es doch die Nikotinsucht auf die gleiche Stufe wie die Alkohol und Drogensucht gestellt. Unter Krankheit verstehen juristisch Ungebildete wie ich auch Infektionen, Krebs, Inkontinenz oder Diabetes. In diesen Fällen schreit zum Glück niemand «Stop it!», sondern man erhält je nachdem Antibiotika, Zytostatika, Windeln oder Insulin. Muss, darf oder soll ich nun das Entwöhnungs-Medikament schlucken, das ich nicht will?
Das Bundesgericht hat also ein Präjudiz geschaffen. Mit der gleichen Definition von Krankheit wird als Nächstes die Fresssucht bekämpft werden. Genauso wie man den Verkauf von Drogen, zu denen Zigaretten jetzt zweifelsfrei gehören, einschränkt, wird der Handel mit Kohlenhydraten, Fetten und Zucker reguliert werden müssen. XXL-Portionen werden in Zukunft sicher nur noch draussen vor der Tür in der Raucherzone serviert werden. Dafür können wir uns freuen, dass bald schon gewisse Diäten von der Krankenkasse übernommen werden, ausser die See-Food-Diät: I eat all the food I see.

Zuerst erschienen in der NZZ am Sonntag

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