Das war mal wieder eine Woche, ich bin noch ganz außer Atem und hoffe, es ist Ihnen nicht ähnlich ergangen wie mir.
Das vergangene Wochenende stand ganz und gar im Zeichen eines Freundschaftsdienstes. Ende Oktober klagte mein hoch geschätzter Freund und Autorenkollege Manfred Haferburg ebenhier über einen erschreckenden Engpass bei deutschem Kräuterlikör an seinem französischen Wohnort Paris. Dies ließ mir keine Ruhe, kenne ich doch solche Ausnahmestände selber, da nur zwei Läden im Umkreis von 30 km die von mir geschätzten italienischen Toscano-Cigarren führen und es immer mal vorkommt, dass ihr Lieferant die Versorgungskette mutwillig unterbricht.
Einen Freund lässt man in solch einer Lage nicht im Stich! Also holte ich Donnerstagabend in einem deutschen Fachhandelsgeschäft den in Frankreichs Hauptstadt derzeit nicht erhältlichen Jägertrunk und machte mich Freitag auf den Weg ins westliche Nachbarland. Manfred Haferburg war informiert und fieberte meiner Ankunft entgegen, und damit auch nichts schief gehen konnte, hatte er mir Haus- und Telefonnummer gemailt sowie den Code, den man zum Öffnen der Haustüre benötigt.
An der Peripherique, dem Autobahnring um die Stadt, begrüßte mich ein mittelgroßes Zeltlager, dessen dunkle Bewohner behende vor und zwischen den Autos herum sprangen. Vorsicht war angebracht, wer will schon mit der Schlagzeile „Weißer alter Mann aus Deutschland fährt Todesschneise durch verzweifelte Flüchtlinge“ zu wochenlang brennenden Vorstädten Anlass geben?
Ansonsten war die Stadt souverän wie immer. An Haltestellen und auf Plakatwänden fiel mir die üppig gestreute Werbung für einen deutschen Kräuterlikör auf, womit die Frage für den Grund des Versorgungsengpasses beantwortet war. Erstaunlich, wie Werbung doch immer noch ihre Wirkung nicht verfehlt. Und ein Bewohner von Paris würde in Kürze ein sehr glücklicher Mann sein.
Es wurde dunkler. Und kühler. Sehr viel kühler, so wie es klare Vollmondnächte im Herbst nun einmal an sich haben.
Der Zettel mit Haus- und Telefonnummer lag vergessen daheim
So der Plan. Doch es taten sich Komplikationen auf. Der Zettel mit Haus- und Telefonnummer sowie dem Code für das Öffnen der Haustüre lag daheim auf meinem Schreibtisch. Zwar erkannte ich das Haus nach einigem Hin und Her auf der im 19. Jahrhundert von Haussmann großzügig angelegten Straße wieder, doch nun stand ich vor der verschlossenen Haustüre. Und stand.
Gegen die aufziehende Kälte hätte ich mir mit dem Likör helfen können, aber der war natürlich streng tabu. Es wurde dunkler. Und kühler. Sehr viel kühler, so wie es klare Vollmondnächte im Herbst nun einmal an sich haben. Schließlich nahte Rettung in Person eines Hausbewohners, der den Code kannte und die Türe öffnete, durch die ich rasch mit hinein schlüpfte. Der Mann ließ es ohne Gegenwehr zu, was ohne Frage meinem Vertrauen erweckenden Äußeren zu verdanken war, vielleicht auch der braunen Papiertüte, in der ich den Schnaps versteckt hielt. Alles wurde gut. Manfred Haferburg drückte die Flasche Jägertrunk wie ein frisch gebackener Vater den Sprößling an sich, wir begossen den glücklichen Abschluss des Abenteuers mit französischem Prickelwasser und ließen uns danach in einem nahe gelegenenen, ganz und gar authentischen Bistro die ebenso authentische Auvergner Küche in Form von köstlichen Innereien und Kartoffelzubereitungen schmecken.
Sollte Ihnen gerade beim Gedanken an das Essen von Innereien anders werden: Sie sind nicht alleine. Und das ist schade. Dann wissen Sie nicht um die Genüsse, die Ihnen eine richtig zubereitete Zunge oder Niere vom Kalb oder Lamm bieten kann. Von Leber vielleicht abgesehen ist die Innereienküche in Deutschland eine verpönte. „Das Kochbuch der verpönten Küche“ nannte dann auch der im vergangenen Jahr verstorbende Wolfram Siebeck sein vor einigen Jahren erschienenes, wunderbares Buch, in dem sich alles um das Zubereiten von Herzen und Kutteln und Kalbsbries und weiteren tierischen Teilen dreht. Ein Wissen, das zumindest in Deutschland verloren ging. „Die letzte Generation, die so etwas kochen konnte, lebte im 19. Jahrhundert“ sagte Siebeck. Er meinte damit natürlich die dummen deutschen Köche und Köchinnen.
Kinder, die einen Salat aus lauwarmen Hühnermägen spachteln
In Frankreich hingegen staune ich immer wieder, mit welcher Selbstverständlichkeit auch schon Kinder Muscheln, Schnecken, Froschschenkel oder zubereitete Innereien wie eine Andouillette (ein mit Därmen gefüllter Darm) oder einen Salat aus lauwarmen Hühnermägen essen. Da kann man in Deutschland lange suchen, und zwar vergeblich. Gut, dass die Kids hierzulande gar nicht wissen, was alles in den von ihnen so geliebten Würstchen verarbeitet wird. Dagegen ist eine solide Rinderzunge geradezu die unbefleckte Unschuld. Wie sagt doch der Metzger über seine wurstigen Produkte: „Wenn raus kommt, was da rein kommt, komme ich da rein, wo ich nicht mehr rauskomme.“
Kurz zurück zur verschlossenen Türe - auch wenn die Code-Tastatur an den Hauseingängen fraglos den Bewohnern sehr viel mehr Ruhe verschafft als die althergebrachten Klingeln mit Namensschildern, hat das System doch seine Schwachpunkte. Zu meiner Pariser Zeit kamen wir eines frühen Sonntagmorgens von einer Party heim und stellten fest, dass Vandalen das gesamte Panel weggerissen hatten und nur noch ein Bündel Kabel aus der Wand lüngelte.
Die Concierge schlummerte friedlich im Hinterhof und war nicht zu erreichen; das Mobiltelefon war noch nicht erfunden. Es blieb uns nichts anderes übrig, als die bunten Strippen in allen nur denkbaren Kombinationen miteinander zu verbinden, in der Hoffnung, dass überhaupt noch Strom floss und man die richtige Verbindung der Kabel irgendwann erwischen würde. Was dann tatsächlich nach sehr langer Zeit gelang. Inzwischen war es hell geworden. Selten habe ich im Leben ein so wunderbares Geräusch gehört wie das Aufschnappen des Schlosses.
Das letzte Wochenende war also schon mal aufregend und mit Aktivität verbunden. Wieder zuhause ging es mit hohem Blutdruck weiter; ich sage nur „sexuelle Belästigung“. Inzwischen sind wir ja bei Erinnerungen an Übergriffe weit bis ins vorige Jahrhundert zurück angelangt. Nicht nur Hollywood ist das neue Oktoberfest, auch in unseren heimischen Funk- und Fernsehhäusern haben sich unfassbare Dinge zugetragen. Von Zeitungsredaktionen und -verlagen gar nicht zu reden. Und Hochschulen. Ja, selbst bei Partys, Firmen- und Weihnachtsfeiern, in gastronomischen Einrichtungen, Parteien und Parlamenten. Jede halbwegs bekannte Frau, die etwas auf sich hält, kann inzwischen von allzu vertraulichen Zugriffen – als sie noch 19 war und was mit Medien machen wollte - erzählen, und die Knallpresse zerrt täglich neue Täter ans Tageslicht. Mir wurde ganz anders beim Lesen. Uschi Glas? Caroline Kebekus? Waren die Lustmolche denn vor gar nichts fies?
Was hatte ich alles auf dem Kerbholz?
Ich blätterte die ganze Woche in meinem Langzeitgedächtnis. Was hatte ich alles auf dem Kerbholz? War da nicht der Griff ans Knie einer Kommilitonin im Audimax, um 1974 herum? Gut, sie hatte mir keine gelangt, sondern kam anschließend mit zu mir nach Hause, aber vielleicht tat sie es nur, weil sie sich eingeschüchtert fühlte oder von mir abschreiben wollte.
Und wie hieß noch mal die hübsche, fast doppelt so alte Bibliothekarin, die ich einst spontan in die Arme nahm, weil sie ein Buch fand, das ich vergeblich gesucht hatte und die – damals! - meinte, dafür sei jetzt aber auch ein nicht allzu dezenter Kuss fällig? Weiß ich, wie diese Frauen nun drauf sind? Sie sitzen vielleicht heute als komische Alte im Park, führen Selbstgespräche und füttern Enten mit Sojakeksen und erinnern sich ganz anders an damals als ich. Und dann droht der Skandal! „Achse-Autor hat mir einst den Haargummi...“
Mir wurde zwischen Dienstag und heute immer Schwarzer vor Augen. Keine Frage, es käme einiges zusammen. Dann fiel mir auch noch eine Freundin ein, mit der ich einst „ging“. Uta hieß sie und war gerade einmal 13 (sic!) Jahre alt. Wir knutschten Abend für Abend in der Garage ihrer Eltern, was auch für mich unschöne Konsequenzen gehabt hätte, wäre ihr Vater auf dem Plan erschienen. Immerhin war ich damals schon 14...
„Ich kannte Doris Day bereits, bevor sie Jungfrau war.“ (Groucho Marx)
Gewaltsame sexuelle Übergriffe von der Perfidität eines Harvey Weinstein dürfen selbstverständlich nicht verharmlost werden; dennoch müssen die Fragen erlaubt sein, wer sich a) darüber heute wundert und b) warum jetzt? Der hässliche Harvey hat die Besetzungscouch nun wirklich nicht erfunden, und dass es in Hollywood nicht gerade zugeht wie einem Reinheitsgebot geschuldet, weiß man spätestens seit Kenneth Angers Buch-Klassiker Hollywood Babylon, der bereits 1959 erschien und auch als Dokumentarfilm in die Kinos kam. Sich über Hollywood zu erregen ist, wie eine Karriere als Elektriker anzustreben und sich zu empören, wenn man zum ersten Mal eine gewischt bekommt.
Wieso beklagt sich eigentlich niemand über den Alltagssexismus, den wir alle – insbesondere die davon herzlich Profitierenden – quasi für naturgegeben halten? Ist es nicht auffällig und sexistisch, dass ausnahmslos alle Moderatorinnen und Sprecherinnen in Sendern bis hin zu „Ruf mich an TV“ von angenehmem Äußeren sind? Astro TV einmal ausgenommen. Wieso steht niemand im ZDF Studio neben Claus Kleber mit der ästhetischen Anmutung von – sagen wir mal – Claudia Roth? Wieso moderiert nicht ein Ebenbild der Umweltministerin „Panorama“ oder „Immer wieder Sonntags“ oder „Brisant“ oder „Exklusiv“? Oder, um auch den Sexismus gegenüber Männern anzuprangern, eine Art Anton Hofreiter die Talkshow „Lanz“? Selbst ich hätte da nicht den Hauch einer Chance. Gerade Lanz ist ein typisches Beispiel für „positiven“ Alltagssexismus – niemand würde im Ernst jemals behaupten, der schmucke Mann sei wegen intelligenter Fragen, fairem Umgang mit Gästen oder der Fähigkeit, zuzuhören, zu seinem Posten gelangt.
Eine per High Heels losgetretene Empörungswelle
Die Tage, in denen ein gewisser Schmidtchen Schleicher (Oh Schmidtchen Schleicher mit den elastischen Beinen / wie der gefaehrlich in den Knien federn kann. / Die Frauen fuerchten sich und fangen an zu weinen / doch Schleicher Schmidtchen schleicht sich immer wieder an!) sich anwanzte, erscheinen aus heutiger Sicht wie die Epoche des Höhlenmenschen. Genauer: des weißen Höhlenmenschen. Und hier haben wir den Schlüssel für die nun per High Heels losgetretene Empörungswelle: Was der Nafri kann, kann der weiße Sexgrüsel schon lange. Jedem übergriffigen Migranten können mindestens zehn Regisseure, Produzenten, Fotografen, Trainer, Parteifunktionäre, Redakteure und Herausgeber entgegegen geschleudert werden. Was dringend nötig ist, um die Bevölkerung nicht noch mehr zu verunsichern durch das, was sich im deutschen Alltag mit zunehmender Beschleunigung entwickelt. Googlen Sie einfach mal das Wort „Joggerin“. (Nebenbei: Dass die #mimimitoo Welle in den USA, deren Migrantenproblem weitaus weniger den inneren Frieden bedroht als in Europa, ausgelöst wurde, hat einen einfachen Grund, er heißt Trump.)
Das Ende naht. Jetzt bin ich tatsächlich ernst geworden, dabei wollte ich Ihnen doch vollumfänglich erzählt haben, warum ich von der abgelaufenen Woche so erledigt bin, aber ich bin bis hier hin noch nicht einmal bei den gravierendsten Ereignissen angekommen. Lena Meyer-Landrut, das sympathische Federgewicht aus Hannover (Nichts gegen Sie, vereehrte Hannoveraner!), steckt momentan mit ihrem neuen Album in einer kreativen Krise. Brigitte Macron, das sympathische Fliegengewicht aus Paris, muss sich mit ihrem Gatten die Desserts teilen, und die seit Tutmosis dem Älteren bewährte, gewichtige Rezeptur von Nutella wurde klammheimlich geändert. Mütter aller Gewichtsklassen mit dem Sternzeichen Waage vergessen gerne ihre Kinder an der Bushaltestelle, Jungfrau-Eltern jeglichen Geschlechts können manchmal ganz schön pingelig sein, Zwilling-Eltern (auch denen mit nur einem Kind) ist wichtig, dass Ihr Trabant stets neugierig bleibt und täglich dazu lernt.
Sollten Sie allerdings im Zeichen des Grottenolms, des Okapitalisten, der Tölpelschlumpe, des Simmerrings oder des Zahnputzers geboren sein, habe ich keine guten Nachrichten für Sie und behalte sie daher für mich. Wen wundert es dann noch, dass Löwe-Väter (also ich, hätte ich Kinder) ab und zu schon mal laut brüllen können.
Nein, nicht nur ab und zu, liebe familie.de-Astrologin und Expertin für Kinderhoroskope. Wenn ich will kann ich brüllen wie eine Fußballerin, der Sepp Blatter an den gluteus maximus fasst, und das wollen Sie nicht hören, Auch Sie nicht und Sie auch nicht! Einen schönen Sonntag noch.