Archi W. Bechlenberg / 04.02.2018 / 06:15 / 4 / Seite ausdrucken

Das Antidepressivum: Tastend durchs Leben

Erster Satz: burlesco con brio dolcissimo

Auch wenn ich es selber nie zu spielen gelernt habe – den ersten Bezug zu einem Musikinstrument hatte ich nicht zu einer Blechtrommel, sondern zum Klavier.

Ein Klavier schien mir in meiner frühen Kindheit wie selbstverständlich zu jeder Wohnungseinrichtung zu gehören. Bei uns stand ein schwarzes Piano von Bechstein im Herrenzimmer, und es stand nicht nur da, es wurde auch oft und gerne gespielt. Vor allem meine Mutter, die wohl über den Krieg einen dicken Stapel Noten gerettet hatte, ließ die Tasten erklingen, und das durchaus souverän.

Mir als Kind gefielen die Melodien, die die Mutter spielte, ausgesprochen gut, was wohl daran lag, dass ihr Repertoire nicht aus klassischen Werken bestand, sondern aus Schlagern ihrer Jugend. Also alles von Friedrich Hollaender, Lothar Brühne, Michael Jary, Peter Kreuder, Peter Igelhoff oder Theo Mackeben, und sie sang auch dazu und konnte pfeifen wie Ilse Werner. Leichte Kost somit, die mir, dem Vorschulkind, angenehm in den Ohren klang.

Mein Vater beherrschte das Instrument ebenso, überließ die abendliche Unterhaltung aber lieber meiner Mutter, und gegen Ende der 1950er Jahre hielt dann das erste Fernsehgerät im Haus Einzug. Das Klavier blieb zwar stehen, doch nun meist mit zugeklapptem Deckel.

Demzufolge blieb lange unentdeckt, dass ich mir heimlich einen Weg geebnet hatte, selber ein wenig Musik zu klimpern, die reproduzierbar war. Also keine kindlich-spontanen Improvisationen molto martellato. Ich hatte mir dazu mühsam die Tonfolge des Schlagers „In mir klingt ein Lied“ erarbeitet. Dass dieses hübsche, häufig von meiner Mutter intonierte Stück eigentlich Chopins Etüde in E-dur Op. 10,3 entsprach, wusste ich natürlich nicht, zudem wäre es mir egal gewesen. Ich hielt es für einen Schlager von Zarah Leander oder Marikka Röck.

Meine Zukunft als Interpret endete piangendo.

Meine Spielmethode war simpel und reichte auch nur für die erste Phrase des Themas: mit einem sogenannten Kopierstift hatte ich mir auf die weißen Tasten aus echtem Elfenbein Zahlen geschrieben, in der Reihenfolge der Noten. La laa la la laa …. Chopins Tempovorgabe Lento ma non troppo kam meiner kindlichen Einfingertechnik sehr entgegen, und so spielte ich immer und immer wieder diese paar Noten, bis ich mich dann nach ein wenig Übung – ich konnte bald ohne auf die Zahlen zu schauen spielen – an ein paar der folgenden Noten wagte. Dummerweise war bald Schluss mit Kling und Klang; meine Mutter bekam mit, was ich da trieb und eilte herbei. Noch bevor sich ihre Begeisterung über mein plötzlich erwachtes musikalisches Genie Bahn brechen konnte, entdeckte sie die Zahlen auf den Tasten.

Es gab subito ein crescendo dal niente, und zwar ausgeprochen addolorato, gefolgt von einem arpeggio alla turca con dolore macabro. Ich reagierte fortissimo con ebollizione e flebile, und meine Zukunft als Interpret der ganz kleinen Form endete piangendo.

Man bot mir später an, richtigen Unterricht zu nehmen; der um die Ecke wohnende und somit sich anbietende Klavierlehrer war allerdings der Vater eines Mitschülers, den ich nicht leiden konnte, aber das ist eine andere Geschichte.

Noch heute kann man auf den Tasten des Instrumentes feine Spuren des ins Elfenbein eingezogenen Kopierstifts erkennen, die Dinger sind offenbar nicht nur dokumenten-, sondern auch tastenecht. Und in der Innenfläche meiner rechten Hand erkennt man für immer einen dunkelbläulichen Punkt, der war zuvor eine Minenspitze. Angeblich giftig bis dorthinaus. Ich habe es überlebt, könnte ich Ihnen sonst davon erzählen?

Auf dem Bechstein lernte später meine jüngere Schwester das Spiel, mit Hilfe des besagten Klavierlehrers. Ich glaube, sie hatte sogar mal was mit dessen Sohn, aber das habe ich verdrängt. Ich konnte ihn halt nicht leiden. Fazit des Ganzen: Ich bin der Einzige, der nicht Klavier spielen kann.

Klavier als unabdingbarer Gegenstand des täglichen Bedarfs

Wie anfangs angedeutet, hielt ich Klaviere lange Zeit für unabdingbare Gegenstände des täglichen Bedarfs, so wie Telefonbänkchen, Kleiderschränke oder Garderoben. Denn auch im Haus der Großeltern mütterlicherseits stand ein solches; dabei war die Oma Schneiderin und der Opa Hausmeister. Um den Dreiklang abzurunden, besaßen die Großeltern väterlicherseits ebenfalls ein solches Instrument.

Das war nun wirklich bemerkenswert, denn „Ander-Opa“ war Landwirt mit Händen wie Traktorsitze, und „Ander-Oma“ brachte ein Dutzend Kinder zur Welt und war somit zeitlich wie nervlich eigentlich ausgelastet, vor allem, wenn diese – meine Onkeln und Tanten – Klavier spielen lernten. Es war ein prächtiges Klavier in mattem Nussbaum, rustikal eben, mit allerlei verzierendem Maßwerk ringsum, anstatt des glänzenden, schwarzen Klavierlacks, auf dem man jeden Fingerabdruck gleich sah. Von Kratzern ganz zu schweigen.

Sie sehen: Da sich mein Privatleben zu jener Zeit nahezu ausschließlich an diesen drei klavierbestückten Orten abspielte, gab es für mich keinen anderen Gedanken als den, es würde ohne Frage in jeder Wohnung so etwas stehen. Beruflich war es nicht anders, im Kindergarten stand natürlich auch ein solches, viel genutztes Instrument, daneben ein kleiner Tisch mit Nickneger, der fleißig an meinem ohnehin frugalen Sonntagsgeld nagte und dafür zuständig war, dass die Kinder in Afrika eines Tages auch ein Klavier haben würden. 

Eben fällt mir ein, manchmal besuchte meine Mutter mit mir eine ihrer Cousinen, Tante Trudi. Die hatte tatsächlich kein Klavier zu Hause, besaß dafür aber eine Frittenbude.

Zweiter Satz: Intermezzo pensieroso e amoroso

Ich überspringe rund fünfzehn Jahre, inzwischen studierte ich und verdiente mir diesen Zeitvertreib mit dem Gärtnern in mehr oder weniger herrschaftlichen Häusern rings um die Uni. Eins dieser Häuser war eine beeindruckende Villa oberhalb der Stadt, umgeben von einem mächtig großen, grünen Grundstück. Die Bewohnerin, wie sich herausstellte, eine kleine alte Dame mit Gehstock, hatte sich auf mein Inserat gemeldet; der Garten machte ihr zu schaffen und sie brauchte eine zuverlässige Hilfe. „Zuverlässig“, das forderte mich heraus. Ich fuhr gleich nach dem Anruf hin, wurde freundlich empfangen („Sie sind aber etwas dünn, junger Mann! Ob Sie das denn schaffen?“) und in einen hellen Salon geführt, dessen andere Türen den Blick hinaus auf eine Terrasse und den dahinter liegenden Garten öffneten.

Dass in einem solchen Ambiente ein Klavier stehen müsste, war gar keine Frage. Aber da stand kein Klavier. Statt dessen dominierten zwei sich spiegelnd aneinander gerückte Konzertflügel den Raum, der im Übrigen so groß war, dass er noch Platz für ein paar Dutzend Zuhörer bot. Dass ich fortan in einem hochmusikalischen Haus für Liguster, Giersch und Knöterich zuständig war, ließ sich wirklich nicht übersehen, und es gefiel mir sehr.

Eigentlich hätte mir der Familienname der Dame schon genug sagen müssen, denn der Name Eschenbach war mir vom Gymnasium her bekannt. Auf eben diesem hat Christoph Eschenbach Jahre vor mir die Schulbank gedrückt, und mein – ausgesprochen unangenehmer – Musiklehrer (Spezialität: das treffsichere Werfen seines Schlüsselbundes bei Unaufmerksamkeit) ließ keine Gelegenheit aus, damit zu prahlen, dass er den zu dieser Zeit bereits mit Karajan arbeitenden Pianisten und später weltberühmten Dirigenten bis zum Abitur unterrichtet habe.

Eine Dame mit dem wunderschönen Vornamen Wallidore

Ich gärtnerte also fortan bei Eschenbachs; die Dame des Hauses mit dem wunderschönen Vornamen Wallidore war die Adoptivmutter des am 20. Februar 1940 in Breslau geborenen Musikers, und so klein und freundlich und durch und durch kultiviert sie war, so resolut konnte sie sein.

Wir gerieten ab und an in kleinere Geplänkel, so über die Frage, ob die wunderschönen, bis zu 2 Meter hohen Adlerfarne im schattigen Teil des Gartens nun Unkraut (Frau Eschenbach) waren oder nicht (Studiosus Bechlenberg). Widerstand war zwecklos, es gab kein Pardon für die Pflanzen, ich musste sie bis auf ein paar wenige ausmachen und dem Kompost übergeben. Zwei nahm ich mit nach Hause, wo sie noch jahrelang mit weit ausladenden, prachtvollen Wedeln standen, bis ich zwei kleine Katzen bekam, aber das ist schon wieder eine andere Geschichte.

Auch das Thema Ausrottung des Gierschs zwischen den Steinplatten der Wege bot zuverlässig anhaltenden, fein schwelenden Konfliktstoff. Frau Eschenbach wusste zu gut, dass man dieses Kraut einzig – und auch dann nur begrenzt – unter Kontrolle halten konnte, wenn man selbst kleinste Wurzelfitzelchen entfernt und natürlich nicht auf den Komposthaufen wirft und auch nicht in des Nachbarn Garten. Das bedeutete für mich, jede der zahlreichen Natursteinplatten auf Wegen und Treppchen freizugraben und die grüne Pest darunter bis tief unter die Erde zu keulen. Aus mancherlei Gründen war das nicht wirklich mein Ding; es war mühselig und nutzte letzten Endes auch nicht viel, der Giersch würde nur etwas später doch wieder auftauchen.

So versuchte ich zu mogeln, indem ich rings herum alles Oberirdische wegmachte, die unter den Steinen lauernden Nachkommen aber dezent übersah. Generationen von Landschaftspflegern hatten es vor mir nicht anders gehalten, denn eigentlich bestand der gesamte Garten zu Beginn meiner Tätigkeit aus Giersch, vom Adlerfarn abgesehen.

Tee und Gebäck auf der Terrasse

Das zu beenden hatte Frau Eschenbach eindeutig beschlossen. Ich dachte, ich käme mit dem Schwindel durch, da die alte Dame nicht mehr gut zu Fuß war und den Garten nicht wirklich oft inspizierte, aber in Sachen Giersch kannte sie kein Pardon. Und so buddelte ich denn Woche für Woche wie ein Maulwurf, und trotzdem: Als ich am Ende eines der Wege angekommen war, sah man bereits an dessen Anfang wieder zartes, impertinentes, unheilverkündendes Grün sprießen.

Ja, der Giersch. Ich habe einmal gelesen, es gebe Menschen, die diesen essen. Ganz gewiss Grüne. Die Impertinenz darin, sich immer wieder bemerkbar zu machen, könnte vom Gierschessen stammen. Eigentlich müssten unsere Grünen den Giersch als ihre Symbolpflanze adaptieren und nicht die Sonnenblume.

Ich habe nie wieder einen Job so geliebt wie das Gärtnern im Hause Eschenbach. Mehr als 40 Jahre ist das nun her, und ich sehe mich jetzt, da ich das schreibe, gelassen Giersch graben, es ist ein herrlicher Frühsommertag, die großen Terrassentüren stehen weit offen, und dicke Hummeln fliegen brummend und entgegen allen Gesetzen der Aerodynamik um mich herum, und im Salon sitzend begleitet mich Wallidore Eschenbach am Flügel, auf dem die Bilderrahmen mit Fotos ihres Christoph stehen. Später gibt es dann Tee und Gebäck auf der Terrasse, und wir sprechen über niederländische Landschaftsmalerei und Stillleben, denn davon verstand der Studiosos etwas.

Dritter Satz: Gavotta brillante con bravura

Mit Fingern, spitz wie Garnelenscheren, habe ich diese CD wochenlang hin und her geschoben. Da steht ein schreckliches Wort mit S drauf: Scooter. Sollten Sie, lieber Leser, dank Gnade früher Geburt damit nichts anfangen können, küssen Sie den Boden, auf  dem Ihr Schicksal wandelt!

Meine Neigung, die Scheibe auf den Teller zu legen, wurde auch nicht wirklich prägnant dadurch unterstützt, dass Scooter nur im Titel des Albums – 100% Scooter – vorkommt. Eingespielt hat es die Pianistin Olga Scheps, und die hat seit Jahren einen höchst ehrenwerten Namen. Was um Himmels Willen hat diese Künstlerin mit einer Krawallcombo wie Scooter zu tun? Nein, ich werde diese Platte nicht hören, sie ist zerkratzt.

Vor ein paar Tagen fiel mir die Compact Disc beim Kramen wieder in die Hände. Gedreht und gewendet; was mache ich nur damit? Ein Blick auf die Tracklist. Arghhh! Die stinkt übel nach FISH! Doch halt: es umwabert zugleich ein feiner Hauch von Shalimar meine Nase. Denn Olga Scheps, 1982 in Moskau geboren und seit 20 Jahren in Deutschland ansässig, hat mehr als ein halbes Dutzend großartiger Alben mit Kompositionen von Tschaikowsky, Satie, Chopin und Schubert eingespielt und gewann 2010 den ECHO Klassik als Nachwuchskünstlerin des Jahres.

Es half nichts, Widerstand war zwecklos, die Neugier siegte, ich musste der Sache nachgehen.

Die Trennscheibe klang wie das Raunen verliebter Engel

Ja, ich weiß: Scooter, vor allem in Person ihres Frontmannes H. P. Baxxter, sind seit einem Vierteljahrhundert als Stimmungskanonen für die Generation Rave unterwegs, haben einige Fantastillionen Platten verkauft und spielen im Ausland, wenn es um die Frage nach deutschen Musikanten geht, angeblich in derselben Liga wie Kraftwerk. Sie sind eine feste Größe im Musikgeschäft. Doch muss man deshalb vor ihnen kapitulieren? Muss man sich wirklich einer Truppe ergeben, die mit schlimmstmöglichen Drohungen („Scooter Forever“ heißt ihr – leider nur vorerst –  letztes Album) um sich schmeißt wie Prinz Karneval mit Kamellen? 

Mit etwas gutem Willen wäre es trotzdem kein Problem, die Combo zu ignorieren. Zudem alleine schon Baxxters Anblick dazu führen muss, auch die Augen zu verschließen, um ihnen wie den Ohren Frieden zu gönnen. Mir gelingt das seit vielen Jahren; zuletzt dürfte ich Scooter gehört haben, als ich um 2010 in einer gemieteten Werkstatt meinen Oldtimer restaurierte; der dortige Chef war musikalisch eigenwillig, um nicht zu sagen scooteraffin. Ich hingegen war nur Gast auf Erden und froh, für kleines Geld ein Dach und eine Rampe zur Verfügung zu haben. So flexte ich an der Karosse oft mehr als nötig gewesen wäre; das Geräusch der rotierenden Trennscheibe auf Blech klang gegenüber Scooter wie das Raunen verliebter Engel.

Dass Olga Scheps das nicht tat und tut (gemeint ist das Ignorieren), macht zunächst einmal ausgesprochen sprachlos. Hunnen, die mit Titeln wie „Jigga Jigga!“, „Hyper Hyper“, „Bora! Bora! Bora!“ oder mit der Frage, wie viel der Fisch kostet, bombardieren, mögen beim MDMA- und Bier-getuneten Volk auf dem Dancefloor oder auch im Teeniezimmer eine gewisse Berechtigung haben. Die meisten jungen Leute von heute haben für jegliche Art akustischer Beleidigung bekanntlich ein offenes Ohr. Aber eine Kennerin der feinen, klassischen Klavierliteratur? Gibt es denn aus Chopin oder Satie für eine ambitionierte, ja souveräne Interpretin am Steinway wirklich nichts Eigenes mehr zu holen?

Ich will nicht lange drum herum reden. Olga Scheps‘ Album 100% Scooter machte mich bereits mit den ersten Akkorden sprach- und spottlos. Was diese Meisterin der Tasten, zusammen mit Arrangeur und Komponist Sven Helbig (zweifacher ECHO Klassik-Preisträger) aus Scooters Machwerken erschaffen hat, ist, ich sage das ganz und gar ohne Übertreibung, großartig. Ich gehe jede Wette darüber ein, dass niemand, dem Scooter kein Begriff ist, auf die Idee käme, dass die zehn Titel des Albums aus schlimmstmöglicher Kinderstube stammen.

Brillianz unter dem Krawall entdeckt

Olga Scheps und Sven Helbig ist es tatsächlich gelungen, in den Stücken von Scooter Schönheit und Ästhetik zu finden. In den Originalen sind diese Eigenschaften derart versteckt und verfremdet, dass man wahrhaft ein musikalischer Profi sein muss, um unter dem Krawall- und Techno-Sediment Brillanz zu entdecken. So etwas zu vermuten und dann am Ball zu bleiben, hat für mich den gleichen Stellenwert wie die Neugier von Paläontologen oder Archäologen, die unter meterdicken, nichtssagenden Stein- oder Sandschichten etwas vermuten, das es auszubuddeln wert ist.

Hören Sie Olga Scheps’ Interpretation von Scooters Sodbrenner How much is the fish?. Dass das musikalische Leitmotiv des Songs bei der niederländischen Band Bots geklaut ist („Sieben Tage lang“), liegt halt an Scooter; die waren auch bei anderen bekannten Stücken oft wenig zimperlich, wenn es darum ging, eingängiges Material zu hyperhypern. (Zudem die Bots nicht viel maulen können, da sie die Melodie ebenfalls „adaptierten“, sie stammt ursprünglich aus einem bretonischen Trinklied.) Also Leitmotiv hin oder her – lauschen Sie entspannt Olga Scheps‘ Spiel. Das hat nichts mit dem nur allzu berüchtigten Pop goes Classic zu tun, mit dem Musikanten wie – ach nein, lassen wir das. Hier hören wir eine tatsächlich originelle, sehr eigenständige Musik.

Olga versucht gar nicht erst, sich in hochkulturelle Sphären zu mogeln, es bleibt bei allem E stets das U präsent, und das ist auch gut und richtig so. Ihre Musik steht in einer ehrenwerten Tradition. Manches erinnert an Agnes Obel, an Yann Thiersen, an Faton Cahen, und natürlich, manches ist eklektisch hier und da, mal irrlichtert Satie, mal frömmelt Bach, mal halluziniert Chopin umher. Das ist hübsch und erheiternd und ganz und gar entspannt und nirgends aufgesetzt. Und vor allem: Scooter erklingt zu keiner Sekunde. Alleine diese Tatsache macht „100% Scooter“ schon hörenswert, hinzu kommt das sensationelle Spiel der jungen Interpretin.

Ein Album, dass nur gehasst oder geschätzt werden kann. Ich habe mich ohne Zögern für letzteres entschieden. Zu fürchten ist, dass die Scheibe finanziell wohl kein Erfolg werden wird; Scooter Fans dürfte die völlige Abwesenheit von Krawall empören, und Hochkulturanhänger haben eh immer was zu meckern. Aber vielleicht liege ich ja auch falsch. Für Olga Scheps würde ich mich mächtig freuen, wenn ein wenig Fish hängen bliebe.

Website von Olga Scheps

How much is the Fish – Olga Scheps

Olga Scheps – Mary Got No Lamb

Einmal quer durch das Album

Christoph Eschenbach „Musik bedeutet alles“

Christoph Eschenbach dirigiert das Orchestre de Paris. Bolero von Maurice Ravel. Hinhören und -sehen!

Lang Lang & Christoph Eschenbach. Debussy: Petite Suite

Vladimir Ashkenazy: Chopin Etude no.3 op.10 (1963)

Theo Mackeben mit Margot Hielscher und Heinz Drache: Bei Dir war es immer so schön

Theo Mackebens Jazzorchester: Meine Oma fährt Motorrad

Marlene Dietrich und Friedrich Holländer: Wenn ich mir was wünschen dürfte

Ilse Werner: Wir machen Musik

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Leserpost

netiquette:

Werner Müller / 04.02.2018

Gigantisch, Herr Bechlenberg - herzlichen Dank für das heutige Antidepressivum, das seinen Namen wieder mehr als verdient. Ihre dreistufige Hinführung ist überaus gelungen und die (kleine) Ode auf Olga Scheps mehr als angemessen. Bei der Schilderung Ihrer Probleme mit Scooter habe ich Tränen gelacht.

M. Huth / 04.02.2018

Danke für die Wertschätzung des Instruments und die schönen inneren Sonntagsbilder. Die CD ist wirklich eine Überraschung, weil Scheps so motivisch präzise agiert und eine tolle pianistische Anschlagskultur hat.

Ulla Smielowski / 04.02.2018

Danke für diesen Beitrag auch für die Kunst des Klavierspielens…  Ihre Anregungen habe ich dankend angenommen und war wirklich entzückt von Olga Scheps Spiel und Scooter… So könnten auch Junge wieder daran interessiert werden, ein genialer Schachzug. In Zukunft könnten der Gesellschaft nämlich die Künstler ausgehen. Z.Z. gibt es ja an der Hochschule für Musik in Hannover noch sehr viele, die da studieren, auch aus anderen Ländern… Von unseren deutschen Absolventen findet man dann aber kaum jemanden unter den preisgekrönten.  Jedenfalls habe ich hier die Möglichkeit in sämtlichen Disziplinen mir die klassischen Stücke anzuhören und das völlig kostenlos. Pro Tag gibt es mindestens zwei Veranstaltungen.. Das ist doch der Himmel. Allerdings ist dieser, mein Himmel, in Gefahr.. Es will keiner mehr Künstler sein…....In meiner Familie, die auch einige Musiker und Dirigenten hat und hatte, will keiner mehr ein Künstler werden, trotz hervorragender Begabung. Man geht dann eher zu einer Bank und macht da eine Ausbildung… Auch Mathematik als Studium ist angesagt (Mädchen, Abitur mit 18 Jahre, Notendurchschnitt 1,6). Mein Schwiegersohn konnte schon als Kind ganz hervorragend singen, war im Knabenchor.  Er wollte absolut kein Künstler werden, ja, er ging zu einer Bank die sich DZ-Bank nennt. Gegründet hat er dann mit anderen eine a-Capella-Gruppe,, sozusagen als Ausgleich. Zu glauben reiche Leute mit Kindern seien gebildet, ließen ihre Kinder Klavier spielen ist ein Trugschluß... Durch unser Schulsystem haben die Kinder und Jugendlichen keine Zeit mehr dafür und einen straffen Zeitplan. Es muss ja auch ein guter Notendurchschnitt geschafft werden. Wer es dann an unseren Gymnasien geschafft hat das Abitur zu erreichen, der will dann kein Künstler werden… NOCH SEHEN WIR KÜNSTLER….  DIE FRAGE IST WIE LANGE NOCH..

Hjalmar Kreutzer / 04.02.2018

Lieber Herr Bechlenberg, mit Scooter kann ich ebenso wenig anfangen. Olga Scheps ist dagegen wirklich eine Überraschung, danke! Der Fish erinnert mich allerdings doch mehr an Bots. Auch der Querschnitt durch das Album, einfach schön, und die Pianistin, sage ich alter, weißer, sexistischer… einfach mal so, eine Augenweide. Einen schönen Sonntag!

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