Wie geht es Ihnen heute? Was sagen Leber und Gedärm, nachdem bereits mehr als zwei Wochen in Ihnen dieses … ich habe den Namen vergessen, also dieses Zeug aus den Hühnereiern in Ihnen arbeitet. Ich muss sagen, ich bin sehr zufrieden. Nachdem ich den Konsum von Systemen, die in einem frühen Stadium der Entwicklung eines Ovipars gebildet werden, drastisch erhöht habe, fliegen sowohl Mücken als auch Wespen große Bögen um mich. Wer schon einmal nachts von einer Schnake in die feine Haut zwischen den Fingern gestochen wurde, der weiß, welcher Segen darin liegt, diesen Blutsaugern den Garaus zu machen.
Eier hin, Eier her – die nächste chemische Attacke wartet bereits auf uns, und dieses mal wird es ernster. Oxytocin heißt das Teufelzeug, mit dem wir ab demnächst flächendeckend versorgt werden. Wahrscheinlich in Form von Jodtabletten, Krätzesalbe oder großzügig an Parteiständen unter das Volk verteilten Lutschern. Oxytocin müsste ob seiner verheerenden Wirkung eher Oxytoxin heißen, ist es doch ein schweres Nervengift, das unter anderem dafür verantwortlich ist, dass Frauen am Morgen danach oft von Zusammenziehen, Heiraten und Kinder bekommen schwärmen. Kurz: es verwirrt sämtliche menschlichen Sinnessysteme.
Ziel der chemischen Keulung mit Oxytocin ist eine signifikante Verbesserung von Fernstenliebe und der Spenden- und Hilfsbereitschaft bei denen, die schon länger, aber nicht mehr so lange hier leben. Wozu das führt, kann sich jeder ausmalen: Ganze Facebookgruppen setzen sich demnächst für eine signifikante Erhöhung der Rundfunkgebühren ein, bisherige Nichtwähler geißeln sich mit Knuten und Riemen blutig, um auf dem Weg zum Wahllokal Buße zu tun, und Ralf Stegner muss vor der Woge an Sympathiebekundungen und Kinderwünschen kapitulieren und kann daher stundenlang nicht twittern. Und es werden endlich wieder Brieftaschen verloren.
Der Haken mit dem Oxytocin ist, dass die empathiesteigernden Auswirkungen seiner Einnahme nur räumlich begrenzt sein dürfen. Konkret: weit weg, bis 20 Meter vor der libyschen Küste muss es greifen, jedoch auf gar keinen Fall bis hinüber in die USA. Auch in Richtung Osteuropa darf sich keine signifikante Verbesserung des Verständnisses einstellen, das könnte zu dramatischen, kontraproduktiven Auswirkungen dort wie hier führen. Man darf allerdings annehmen, dass jegliche unerwünschten Nebenwirkungen bereits während der Entwicklung unter Kontrolle gebracht werden konnten.
Was die Bevölkerung besonders freuen wird: die ersten 30 Tage ist Oxytocin völlig kostenlos, erst danach wird eine Schutzgebühr in Höhe der bisherigen Rundfunkabgabe erhoben. Ein kleiner Wermutstropfen für die Bürger der neuen Bundesländer: sie müssen in den ersten 6 Monaten die doppelte Dosierung zu sich nehmen. Unter Aufsicht. Dreimal täglich. Auch nachts.
Karl May wäre ein Bürger der neuen Bundesländer
Womit wir beim eigentlichen Auftrag meiner sonntäglichen Kolumne sind: der Kulturvermittlung. Würde er heute noch leben, wäre auch Karl May ein Bürger der neuen Bundesländer. Karl May, das war der sympathische Gauner aus dem sächsischen Ernstthal, dessen überbordende Fantasie ihn zunächst hinter Gitter und später ins wilde Kurdistan führte. Natürlich las auch ich in meiner Kindheit und Jugend Karl Mays Reiseerzählungen, unter denen mich vor allem die Geschichten faszinierten, die im Orient spielten. Die Western-Romane erschienen mir eher langweilig, vor allem dieser edle Wilde Winnetou, eine Figur, die ich mir deutlich schurkischer gewünscht hätte. Doch dafür gab es im Morgenland Mordbuben hinter jeder Palme und jedem Felsen. Einer dieser Schurken war derart heimtückisch, dass ich meinen Religionslehrer heimlich nach ihm benannte: Mübarek. Aber das ist eine andere Geschichte.
Irgendwann – das wird auch vielen Lesern unter Ihnen so ergangen sein – ist man für Karl Mays Geschichten nicht mehr so recht empfänglich und wendet sich anderen Druckerzeugnissen zu. Bei mir waren es, soweit ich mich erinnere, Bücher von Dürrenmatt, Hemingway, Kerouac sowie die Sankt Pauli Nachrichten; die vielen Karl May Bände verschwanden in Kisten oder wurden verschenkt. Doch vor einigen Monaten entdeckte ich im Internet einen wahren Schatz, Mays Orientzyklus als PDF Datei. Eigentlich bin ich kein Freund von elektronischer Lektüre, doch besitzt sie einen immensen Vorteil gegenüber richtigen Büchern: man kann in ihr nach Stichwörtern suchen.
Sie finden die mächtige Datei (mehr als 18 MB) auf der Website der Gesellschaft der Arno-Schmidt-Leser, und ich möchte den Anfang von Band 1 – Durch die Wüste zitieren:
»Und ist es wirklich wahr, Sihdi {Herr}, daß du ein Giaur bleiben willst, ein Ungläubiger, welcher verächtlicher ist als ein Hund, widerlicher als eine Ratte, die nur Verfaultes frißt?« »Ja,« antwortete ich. »Effendi, ich hasse die Ungläubigen und gönne es ihnen, daß sie nach ihrem Tode in die Dschehenna kommen, wo der Teufel wohnt; aber dich möchte ich retten vor dem ewigen Verderben, welches dich ereilen wird, wenn du dich nicht zum Ikrar bil Lisan, zum heiligen Zeugnisse, bekennst. Du bist so gut, so ganz anders als andere Sihdis, denen ich gedient habe, und darum werde ich dich bekehren, du magst wollen oder nicht.«
Wenn Sie diese ersten Zeilen auch so ansprechen wie mich, dann gönnen Sie sich, ob zum ersten, ob zum wiederholten Mal, Mays großartiges Werk von insgesamt 3144 Seiten durch Wüste, Kurdistan, Bagdad, Balkan und das Land der Skipetaren. Und wenn Sie wollen, nutzen Sie die Suchfunktion, um nach Wörtern wie Giaur, Ungläubiger, Köpfen, Töten oder anderen aus dem kulturellen und religiösen Umfeld dieser Erzählung zu suchen. Sie werden staunen.
Nicht die Gurke des Jahres, aber die „Goldene Henne“
Um auf dem Stand der Dinge zu sein, stöbere ich zwangsläufig auch in aktuellen, vor allem leitkulturgetragenen Umfeldern herum. Was mich gestern auf das Online-Angebot des Focus führte, der neben Rubriken wie Politik, Finanzen, Wissen oder Panorama auch eine mit Kultur überschriebene anbietet. Bei Panorama erwartet man allerlei Buntes wie den Hintern von Frau Kardashian oder die Haare von Brad Pitt, also wählte ich Kultur. Und erfahre alles über „wunderbare Fremdschäm-Szenen“, eine schrille Dame, die „schlussendlich halbnackt in der Badewanne“ endet, einen bekannten Gangsta-Rapper namens Kollegah, der eine Versace-Brille unter Einsatz seiner Fäuste verteidigte, was „die Staatsanwaltschaft Leipzig auf den Plan“ brachte, die daraufhin vor Arbeit nicht mehr ein, noch aus wusste, denn „Monatelang wurde ermittelt“.
Wenn Sie wie ich noch nie etwas von Kollegah gehört haben: er „zählt zu den Top-Sellern der hiesigen Musikbranche“ und haut öfters schon mal, ganz unkollegahl, zu. Und ehe jetzt rassistische Vorurteile aufkommen: des Mannes bürgerlicher Name lautet Felix Blume, was ja wohl eher an Peter Lustig als an eine südländische Herkunft gemahnt. Soweit das, was Focus unter Kultur anbietet. Ach halt – vormerken! Am 13. Oktober wird in Leipzig, nein, nicht die Gurke des Jahres, aber die „Goldene Henne“, verliehen. Zu trinken gibt es dort auch, denn die Rotkäppchen Sektkellerei verleiht mit. Vielleicht halte ich Sie auf dem Saufenden.
Zurück zum eher Literarischen, einem französisch geprägten Dessert voller Aromen und Flair. Anne Chaplets neuer Roman mit Krimitouch ist vor wenigen Tagen unter dem Titel In tiefen Schluchten erschienen. Ich war, von einer jugendlichen Phase als Jerry Cotton Leser abgesehen, nie wirklich Krimifan und nahm selten mal einen Werwar's zur Hand. Auch gespielte Krimis waren nie mein Ding, im letzten Tatort, den ich sah, spielte ein gewisser Zollfahnder Kressin die Hauptrolle. Einmal geriet ich an einen dieser vor allem in Deutschland beliebten Schwedenkrimis, in dem ich vor lauter psychisch und physisch gestörten Personen, Tatorten, Schauplätzen und Wetterlagen fast die Verbrechen übersehen hätte, wären sie nicht mit einer Extraportion Perversität und Blutrünstigkeit versehen gewesen. Das aber hat man heute schon mehr als genug im politischen Teil der Medien.
Zum Glück nix aus Malmö
Wie viel angenehmer liest sich da In tiefen Schluchten. Die liegen erst einmal in einer wunderbaren Gegend, den Cevennen südlich des französischen Zentralmassivs und nicht in einem sozialen Brennpunkt von Malmö. Und da die Autorin die Region gut kennt – kein Wunder, sie lebt zeitweise dort - gelingt es ihr leicht, ihren Lesern Land und Leute nahe zu bringen. Was nicht alleine wegen der Natur und der sehr eigenen Lebensweise von Einheimischen und zugezogenen Aussteigern lesenswert ist, sondern auch und vor allem wegen der Historie.
Wer heute durch die zu großen Teilen menschenleeren Wälder und einsamen Schluchten der Cevennen reist (vor allem im Herbst empfehlenswert, wenn sich die schier unendlichen Esskastanienwälder verfärben), kann sich kaum vorstellen, dass die Region geschichtsträchtig wie wenige andere französische Landschaften ist. Vor allem die Hugenotten und ihre Verfolgung im 17. und 18. Jahrhundert haben bis heute die Historie des Vivarais, dem südöstlichen Teil der Cevennen, geprägt, eine Historie, deren Spuren man in vielen Orten und Dörfern dort weiterhin finden kann.
Aus dem Dreiklang Region – Vergangenheit – Gegenwart hat Anne Chaplet (so der nom de plume von Autorin Cora Stephan) ihre Geschichte rund um die ins Dorf Belleville gezogene, frühere Anwältin Tori Godon entwickelt. Alles hat mit allem zu tun, nichts wird für sich isoliert erzählt, sondern stets im Kontext mit den anderen Elementen - dem Alltag, der Landschaft, der Bevölkerung, den Geheimnissen der Vergangenheit und daraus resultierenden Umständen.
Dass die Geschichte einen Krimitouch besitzt, ist für mich eher eine Nebensache, fördert aber natürlich die Spannung beim Lesen. Wer zerfetzte Leichen, gefolterte Frauen und psychopathische Killer sowie einen durch und durch an den Haaren herbei geschriebenen Plot erwartet, wird schwer enttäuscht sein. Wer sich für souverän recherchierte, glänzend geschriebene Literatur interessiert, wird um so begeisterter von dieser Geschichte sowie der Ankündigung sein, dass es weitere Romane um die Protagonistin Tori Gordon und die Cevennen geben wird.
Anne Chaplet, In tiefen Schluchten: Ein Kriminalroman aus dem Süden Frankreichs, Taschenbuch, kiwi, 9,99 €, ISBN-13: 978-3462050424
Kultureller Nachtrag kurz nach Zapfenstreich: Die Muppet-Show ist wieder da! Jetzt noch näher am Volk! Während Fozzibär im Vordergrund einige seiner beliebten, gut abgestandenen Uraltwitze erzählt, machen im Hintergrund Artgenossen, allen voran Miss Piggy, ihre üblichen Faxen und stehlen - man muss es neidlos eingestehen - Fozzi die Schau. Verpassen Sie nicht eine Sekunde!