Archi W. Bechlenberg / 24.09.2017 / 06:21 / Foto: Horstbu / 1 / Seite ausdrucken

Das Antidepressivum zum Sonntag: Dialog mit Django

„Was machst du heute?“, fragt Django und sieht mich von unten mit seinen Bernsteinzimmeraugen an.

„Ich schreibe meinen Text für Sonntag, morgen und übermorgen komme ich nicht dazu. Dann haben wir Besuch.“

„Hast du ein Thema?“

„Ich überlege noch. Immerhin ist der 24. September ein bedeutender Tag. In drei Monaten ist Heilig Abend.“

Django rückt etwas näher, dann springt er auf den Tisch und besetzt das Mauspad. Nun sind wir auf Augenhöhe.

„Ein doofes Thema. Wen interessiert jetzt, an diesem sonnigen Spätsommertag, der Heilige Abend? Dann ist es draußen kalt und dunkel und ich hole mir beim Kontrollgang ums Haus kalte Pfoten.“

„Aber du bekommst dann abends vom Kapaun die Papstnase!“

Django kneift die Augen zusammen.

„Ja toll, ein Klumpen Fett mit etwas gegrillter Haut obendrüber.Wie von einem Hähnchen, bloß größer.“

Ich versuche, ihn sanft mit der Hand vom Mauspad zu schieben. Er macht sich noch etwas schwerer, als er ohnehin ist. Keine Chance. Ich müsste ihn schon mit beiden Händen packen und auf den Boden setzen, und das würde mir dann wieder als mangelnde Diskussionsbereitschaft ausgelegt.

Django lebt seit März in unserem Haus – oder ist es umgekehrt? Wirklich sicher bin ich mir da nicht; selbst meine Fähigkeit, Dosen öffnen zu können, macht mich nicht wirklich so überlegen, dass ich die Regeln des Zusammenlebens bestimmen und mich somit als sein Herr im Hause bezeichnen  könnte. Längst hat der Kerl mit seinem Casanovablick die gesamte weibliche Nachbarschaft unter Kontrolle und schnorrt die feinsten Leckereien, ist also nicht wirklich auf die heimische Versorgung angewiesen. Seit März dürfte er inzwischen sein Gewicht mehr als verdoppelt haben. Wann immer mir nach einem zweiten, dritten oder vierten Frühstück ist und ich in die Küche gehe, folgt er mir wie ein pelziger Schatten und lässt so lange keine Ruhe, bis auch sein Napf gefüllt ist. Und was er ringsum abgreift, will ich gar nicht genau wissen. Zwar beteuern alle Nachbarn, er bekomme von ihnen nichts, aber das zweifle ich stark an.

Django war ein mickriges kleines Bündel, als wir ihn aus dem Tierheim holten. Man wollte ihn erst gar nicht abgeben, er hustete und nieste mit sich um die Wette und bekam alle möglichen Spritzen und Pillen und es hieß, wenn wir ihn wirklich nehmen wollten, müssten wir uns noch gedulden, außerdem müsse er noch entmannt werden. Also geduldeten wir uns, und als wir ihn zwei Wochen später endlich abholen konnten, war er längst nicht über den Berg, das dauerte noch bis in den Mai hinein.

„Ich weiß ein besseres Thema“, sagt Django wie nebenher und beginnt sich gelangweilt zu putzen.

„Und zwar?“

„Mich.“

„Gute Idee“, lache ich und schaue mich auf dem Schreibtisch um, ob ich da noch einen Knusperstick finde, mit dem ich ihm die Klappe schließen könnte. Die Dinger müssen mit irgendetwas eingerieben sein, das Katzen um den Verstand bringt. Eine Stange pro Tag, so die Empfehlung auf der Verpackung; wenn es nach Django geht, wäre eine Packung pro Tag angemessen. Da ich keine mehr finde, mache ich mir als Übersprungshandlung eine Toscano an. Die italienische Dreimänner-Cigarre (Einer raucht, die beiden anderen halten ihn fest) sieht entfernt einem Knusperstick ähnlich, so dass Django, mehr seinen Augen als der Nase trauend, ab und an danach zu greifen versucht, zumindest, wenn sie noch nicht brennt. Mir wäre einmal fast das umgekehrte Malheur passiert, da hatte ich in der einen Hand die Toscano, in der anderen einen frisch ausgepackten Knusperstick. Es ging gerade noch einmal gut.

„Das Internet ist voller Katzen“, sage ich, während ich die Tastatur nach links schiebe, um zwischen dem besetzten Mauspad und dem Keyboard ein wenig freien Raum zu schaffen, auf dem ich die Maus bewegen kann. Django beobachtet das misstrauisch, rückt aber immerhin nicht nach. „Man sagt, es sei nur deshalb erfunden worden, damit die Leute aus aller Welt Katzenbilder posten können. Also wer sollte sich groß für dich interessieren? Zudem auf den Tag genau drei Monate vor Weihnachten?“

„Das mag ja sein“, sagt Django mit deutlicher Genervtheit in der Stimme. „Aber die können nicht sprechen.“ Dabei reckt er sich in die Höhe und schiebt seinen mächtigen Ranzen nach vorne, während er aufmerksam die Nägel der linken Pfote betrachtet.

„Niemand wird mir eine sprechende Katze...“

„Kater!“

„Niemand wird mir einen sprechenden Kater abnehmen“, erwidere ich und hoffe, ihn damit ausgebremst zu haben. Mist, hätte ich doch jetzt nur einen Knusperstick zur Hand, dann würde er die Klappe halten. Gut, ich könnte runter gehen und ihm aus der Küche einen holen, aber dann käme er natürlich mit und würde sich ostentativ vor seine Näpfe setzen. Und ich eine Dose aufmachen.

„Nein, nicht?“ Django ist nun mit der Betrachtung der linken Hinterpfote beschäftigt. „Da wäre ich nicht sicher. Leute glauben noch ganz andere Sachen. Dass wir es schaffen zum Beispiel. Dass Deutschland nicht demnächst Jamaika wird. Und Kalkutta. Dass...“

„Schnüss!“ sage ich und versuche vergeblich, ihn mit einem kräftigen Rechtsschwenk der Maus endlich vom Tisch scheuchen zu können. Himmel, ist der Kerl schwer geworden.

„Woher weißt du überhaupt davon?“ frage ich und nähere mich seinem Kopf mit meinem so, dass er endlich hochschauen muss. „Bisher habe ich dich immer dafür beneidet, dass du als Katz keine Ahnung von all dem hast, was sich rings um dich herum abspielt. Dass du noch nie etwas von den Figuren gehört hast, die aus Deutschland Futschland machen. Und jetzt kommst ausgerechnet du damit?“

Django sieht mich tief und lange an und beginnt, laut zu schnurren. Und ich sehe, wie seine Augen einen feuchten Schimmer bekommen und muss daran denken, dass Katzen nicht nur schnurren, wenn sie sich wohl fühlen, sondern auch, wenn sie Angst oder Schmerzen haben, denn sie können sich auf diese Weise selber beruhigen.

„Ich weiß viel mehr, als du denkst“, sagt er, ohne das Schnurren zu unterbrechen. „Ich weiß, dass etwas vom Tisch Gemopstes immer besser schmeckt als das feinste Futter im Napf. Ich weiß, dass ich viel schöner träume, wenn ich nachts im Schlafzimmer auf eurer Bettdecke liege. Ich weiß, dass ein Katz nirgendwo so gemütlich sitzt wie auf der Gartenliege, die du für dich aufgeklappt hast. Ich weiß, dass Wasser wie Champagner schmeckt, wenn ich es auf dem Rand der Regentonne balancierend aus dieser nippe und nicht aus dem putzigen Napf neben dem Futter. Und ich weiß ebenso, was sich so tut in der Welt. Dazu muss ich nur dich beobachten, wie du da sitzt und aus dem Fenster schaust und oft nicht weißt, was du tun sollst, so sinn- und hoffnungslos erscheint dir so vieles.“

„Aber bis auf Letzteres ist alles essentielles Katzenwissen. Doch was interessiert dich der Wahnsinn in der Welt?“

Djangos Blick durchdringt mich. „Also, über was wirst du diesmal schreiben?“

Ich setze mich wieder gerade hin und schaue auf den Bildschirm.

„CO2 wäre ein Thema“, sage ich. Weißt du, dass das DVD-Laufwerk, das ich vor ein paar Tagen in den Computer eingebaut habe, mir per Statusmeldung sagt, wie viel CO2 es dank einer intelligenten Stromversorgung einspart? Ist das nicht der helle Wahnsinn? Was könnte ich darüber herziehen. Ein paar böse, zynische Bemerkungen, ein paar Pointen über den CO2 Wahn, ein paar spöttische Kommentare über die neusten Erkenntnisse zum CO2, ein paar Sticheleien gegen den unnötigen CO2 Ausstoß jedes 'I love Raute' Schwachmaten. Und nicht zu vergessen die ausgesprochen negative CO2 Bilanz von Hund und vor allem Katz...“

Django hat begonnen, seine Rosette zu säubern, wobei er die rechte Hinterpfote hoch in die Luft reckt. Grundgütiger, wenn das jemand sehen könnte! Zwar hat der Katz ein rotes Fell, aber mit einer gesunden Sensibilität für nazistische Umtriebe könnte man das durchaus auch als braun bezeichnen.

Zum Glück sind wir ja unter uns. Und ich weiß noch immer nicht, über was ich für den 24. September schreiben soll. Vielleicht, so denke ich im Stillen, nehme ich Django unter den Arm und trage ihn runter in die Küche und wir frühstücken erst einmal wieder.

„Sounds like a cunning plan“, sagt der Katz, und wir sehen uns an. Wie schön, dass vieles zwischen uns gar nicht ausgesprochen werden muss.

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Burkhart Berthold / 24.09.2017

Murr fährt fort!

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