Archi W. Bechlenberg / 03.07.2016 / 06:25 / Foto: Ceridwen / 6 / Seite ausdrucken

Das Antidepressivum zum Sonntag: Ein Lob des Exzentrikers

Diese Briten und ihr „Exit!“ – ich verstehe das ja alles nicht. Wie wenig ich davon verstehe kann man schon daran erkennen, dass ich nur einen Tag vor der Abstimmung noch etliche Autoteile für meinen alten Mini in England bestellt habe, natürlich zum bis dahin gültigen Pfund-Kurs. Was hätte ich sparen können, jetzt, wo das Pfund nicht einmal mehr 100 Gramm wiegt.

Als ich die Insel 1970 zum ersten (und bis heute letzten – ich werde schnell seekrank, habe Flugangst und leide in Tunneln an Klaustophobie) mal besuchte, kam ich mit 400 Mark für vier ganze Wochen aus. Man musste allerdings bereit sein, per Anhalter zu reisen, sich beim Frühstücken auf Spam zu beschränken und in Parks, unter Strohballen, in Schafställen oder – einmal – in einer Telefonzelle zu übernachten. In Wales fand ich auf einer Wiese einen dort als Gerätehaus abgestellten Eisenbahnwaggon, gut zehn Minuten Fußweg vom Städtchen Monmouth entfernt und somit bestens an die wirtschaftliche Infrastruktur angeschlossen. Darin wohnte ich eine ganze Woche, es war trocken und ruhig, der Schlafsack lag auf einer mächtigen Lage Heu, und bei aufgeschobener Waggontüre hatte ich einen fantastischen Blick über die Brecon Beacons, einem malerischem Mittelgebirge. Einmal schaute ein freundlich grüßender Bauer vorbei und meinte, ich möge doch bitte während meines Aufenthalts nicht rauchen. Was ich nur zu gerne versprach. Wenn es nach mir gegangen wäre, ich würde wohl heute noch dort wohnen.

Ich durfte in einem weinroten Bentley Platz nehmen

Allerdings hätte ich dann nicht ein nettes, älteres Ehepaar kennengelernt, das mich an der Straße nach Abergavenny auflas. Dieser Lift war insofern außergewöhnlich, als dass die Leute mit einem weinroten Bentley unterwegs waren, auf dessen ebenfalls weinroten Ledersitzen ich Platz nehmen durfte. Nie saß ich vornehmer! Man habe sich entschlossen, mich mitzunehmen – so erklärte mir die reizende Misses – weil just zur gleichen Zeit ihr Sohn ebenfalls als Anhalter unterwegs sei, und zwar auf dem Kontinent, und vielleicht würde Derdaoben ja ihre Geste wohlwollend wahrnehmen und dem Filius zur Belohnung ebenfalls eine angenehme Reise bescheren. Natürlich bekräftigte ich diese Hoffnung von Herzen und beglückwünschte meine weinroten Engel zu ihrer Weitsicht. Unterwegs hielten sie an einem Gasthaus mitten in der waliser Wildnis und lud mich zu einem durchaus üppigen Brunch ein. Vor einiger Zeit habe ich Fotos wiedergefunden, auf denen die netten Leute zu sehen sind sowie das Gasthaus. Und einige Minis.

Gute 46 Jahre ist das her. Damals sah ganz England – die Dörfer und Straßen und Fahrzeuge und Tiere und Menschen - noch so aus wie in den Miss Marple-Filmen. Aus und vorbei. Heute gibt es keine liebeswerten, älteren Leute mehr auf dem Land – anstatt sich ihren Marmelade- und Chutneyrezepten zu widmen und selbstgemachte Kuchen und Kekse sonntags nach dem Gottesdienst vor der Pfarrkirche anzubieten, machen sie sich 2016 einen Spaß daraus, den jungen Menschen in Großbritannien die Zukunft zu stehlen.

Ein Bürgermeister der die Toupets von Donald Trump aufträgt

Alte Landbewohner haben dafür gesorgt, dass man das Abstimmungsergebnis selbst bei überaus kreativer Auszählung nicht zurechtbiegen konnte. Diese Blockheads fielen auf die Parolen zweier besonders zwielichtiger Gestalten herein: zum einen der UKIP-Anführer Nigel Farage , der auf den in der deutschen Presse zu findenden Fotos immer so aussieht, als habe seine Mutter mal etwas mit Goofy gehabt. Zum anderen Boris (sic!) Johnson, ein ehemaliger Londoner Bürgermeister, der ganz offenbar die aussortierten Toupets von Donald Trump aufträgt, und das nicht etwa aus finanziellen Nöten heraus, sondern als Zeichen von Exzentrik.

Eine besonders unsympathische Eigenschaft der Briten, diese Exzentrik. Wie exzentrisch Johnson ist, kann man vor allem daran erkennen, dass er passionierter Fahrradfahrer ist, und als wäre das nicht genug, kann er auch noch auf türkische und deutsche Vorvorfahren verweisen. Zudem war einmal mit einer Frau namens Allegra Mostyn-Owen verheiratet, und dass einer seiner engsten Freunde mit Nachnamen Guppy heißt, rundet das Bild Johnsons wohl zur Genüge ab.

Die britische Exzentrik ist dem Kontinentaleuropäer fremd und zutiefst suspekt, und so verwundert es nicht, dass bereits im Jahre 1962 Charles de Gaulle und Konrad Adenauer gemeinsam den Beitritt Großbritanniens zur EWG verhinderten (Eine angesichts des aktuellen Gezeters über den Brexit recht interessante Information, die ich einem Kommentar unter dem Titel „Europa im Glück“ entnahm, erschienen am 18.12.1995 im Spiegel und verfasst von Rudolf Augstein, also dem Nachnamensvetter des heutigen Jakobs).

Leute, die sich Frettchen in die Hose stecken, um zu sehen, wie lange man das aushält und die Käse einen steilen Berg hinunterrollen, um sich bei der Verfolgung des Laibes möglichst viele Knochen zu brechen, passten einfach nicht zum seriösen Kontinent. Wieso man jetzt seitens der EU ausgerechnet den ewigen Stänkerern und Extrawursthabenwollern von der Insel hinterher flucht, will sich mir nicht erschließen. Man ist doch auch heilfroh, wenn ätzende Nachbarn endlich das Feld räumen! Aber den Briten nimmt man ihren Stinkefinger gegenüber Merkel, Schulz und Co. dermaßen übel, dass man sich in Brüssel nach der Abstimmungsklatsche nicht einmal entblödet, plötzlich Separationsbestrebungen in Richtung Kleinstaaterei freundlich entgegen zu nicken.

Unter den deutschen kann es keine souveränen Exzentriker geben

Ich mag die britische Exzentrik, und zwar sehr. Ihr verdanken wir nicht zuletzt das, was als „britischer Humor“ weltweite Anerkennung genießt. Bekannte heutige Vertreter sind beispielsweise der TV Moderator Jeremy Clarkson („Ich verstehe Busspuren einfach nicht. Warum müssen arme Leute schneller ankommen als ich?“), Prince Philipp („Guten Tag, Herr Reichskanzler!“) sowie John Cleese, der auch nach dem Ende der Monty Python Truppe bis heute fleißig das betreibt, was laut der britischen Exzentrikerin Edith Sitwell nur Genies und Aristokraten in Vollendung beherrschen, da diese „vollkommen unerschrocken und unbeeinflusst sind von den Meinungen und Launen der Masse.“ Wenn dem so ist – und wer wollte es bezweifeln? - ist klar, dass es unter den Deutschen niemals wirklich souveräne Exzentriker geben kann. Was sollen denn die Nachbarn von einem denken?

Weniger exzentrisch hingegen ist – bis auf seine Ohren - Philips Sohn Charles. Der Thronfolger redet zwar mit Kräutern und Gemüsen, aber das ist  im Zeitalter des Vegetarischen längst Mainstream und punktet nicht wirklich. Früher fiel Charles auch oft und gerne pittoresk vom Pferd, aber das hat er wohl dran gegeben, zudem auch das nicht wirklich exzentrisch ist und wahrscheinlich ziemlich weh tut. Charles ist allerdings erst in seinen Sechzigern, hat also angesichts der offenbar recht guten Leibärzte rund um die königliche Familie noch locker dreißig oder mehr Jahre zur Verfügung, um sich positiv zu entwickeln. Mit seiner Gattin Camilla („Der Rottweiler“; Lady Diana Spencer) beweist er auf jeden Fall ein erkennbares Gespür in Richtung Exzentrik. Und solange sein Vater weiterhin kregel bleibt, muss Charles nicht wirklich aus sich heraus treten. Ich bin für seine Zukunft ganz guter Dinge.

John Cleese schuf zusammen mit seiner damaligen Ehefrau Conny Booth Anfang der 1970er Jahre die Figur des Basil Fawlty, ein Hotelbesitzer im südenglischen Torquay, der seine Gäste von Herzen hasst oder zumindest verachtet (“I mean, have you seen the people in room six? They've never even sat on chairs before.”). So entstand die zwölfteilige Serie „Fawlty Towers“ (im deutschen „Fawltys Hotel“), deren gesamtes Ensemble, bis in die kleinste Nebenrolle, ein umfassendes Panoptikum britischer Exzentrik präsentierte. Ja, bis heute präsentiert, denn Fawlty Towers ist eines der TV-Highlights aller Zeiten, verfügbar auf DVDs und zum Teil auch im Internet. Die Geschichten folgen stets einem gleichen Ablauf; sie beginnen ganz und gar harmlos, geraten dann jedoch innerhalb weniger Minuten völlig aus der Kurve und enden schließlich im völligen Chaos. Man weiß nicht, ob man Hauptfigur Basil Fawlty bemitleiden oder eher hassen soll, immerhin ist er nicht jedes Mal selber schuld an dem, was passiert (wenn auch meistens). Souverän unterstützt wird er auf dem Weg in den Abgrund von seiner schrecklichen Frau Sybil („Did you ever see that film, How to Murder your Wife? Yes, awfully good. I saw it six times.“), dem ebenso devoten wie unterbelichteten Kellner Manuel („Que?“) und diversen Dauergästen, unter denen vor allem Major Gowen hervorsticht, der nicht nur dement, sondern auch schwerhörig ist und deshalb in einer Folge das Wort „Vermin“ (Ungeziefer) mit „Germans“ verwechselt... 

German: Will you stop talking about the war!

Basil: Me? You started it!

German: We did not start it.

Basil: Yes you did, you invaded Poland...

Ich rate Ihnen dringend zum Erwerb der Serie auf DVD, die, wenn Sie auch nur im Ansatz eine Ader für britischen Humor und Exzentrik haben, garantiert keinen Staub im Regal ansetzen wird; bei mir dauert es kaum länger als wenige Wochen, bis ich mir die Folgen wieder zu Gemüte führe, und inzwischen kann ich die Dialoge fehlerfrei mitdeklamieren. Es gibt verschiedene Editionen auf DVD, je nach dem, wie es um Ihre Englischkenntnisse bestellt ist, sollten Sie die eine oder andere wählen, mit Synchronisation oder, falls nicht eingedeutscht, mit Untertiteln.

Persönlich empfehle ich Fawlty Towers: The Complete Collection (Remastered) auf 3 DVDs als UK Import, diese Box enthält zwar nur den englischen Originalton, aber auch deutsche Untertitel sowie schöne Kommentare und Dokumentationen. Und ein ganz großes Plus dieser Edition: man hat sich nicht, wie in der deutsch synchronisierten Version, an der Original-Titelmusik vergriffen. Wer immer auch für diese Untat verantwortlich zeichnet (es war jemand bei SAT1) sollte zur Strafe 100 Jahre lang mit Sybil Fawlty das Ehebett teilen müssen. Ebenso wie die Verantwortlichen bei der BBC, die es 2013 tatsächlich wagten, vor einer erneuten Ausstrahlung der Serie wegen „Rassismus“ einige Dialoge zu zensieren. Immerhin, das Krautbashing haben sie drin gelassen.

Noch mehr Geist, Genuss und Gelassenheit gibts in Archi W. Bechlenbergs Herrenzimmer

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Leserpost

netiquette:

Marc / 05.07.2016

Well, well, well - der Rudolf war doch der Stiefvater vom Jakob, dessen Erzeuger ja der schriftstellernde Martin ist, wenn ich mich richtig erinnere. Übrigens ist John Cleese ein Brexiteer - soweit zur echten Exzentrik! Glückwunsch zur überstandenen Appendix-Resektion!

Peter Zentner / 03.07.2016

Lieber Herr Bechlenberg, um mit der leider allmählich vergessenen Françoise Sagan zu sprechen: Was Sie schreiben, ist immer “Ein bisschen Sonne im kalten Wasser / Un peu de soleil dans l’eau froide”, erfrischend entspannt und gescheit. Das Adjektiv “weise” liegt mir auf der Zunge. Vielen Dank dafür! Mit “Fawlty Towers” rennen Sie bei mir offene Türen ein; die zwei (leider noch nicht die empfohlenen drei) DVDs wohnen bei uns seit Jahren. Nicht minder die fünf BBC-DVDs aller Folgen von “Yes Minister” und “Yes Prime Minister”, die trotz Jahrzehnten auf dem Buckel auch heutige Politik pefekt abbilden. “Blackadder” (Rowan Atkinson, Hugh Laurie, Stephen Fry et al.), als Teenie in Old Blighty begeistert gesehen, gibt’s neuerdings bei YouTube — allerdings in mieser Bootleg-Qualität, so dass ich meine Fühler nach einer Kaufversion ausfahre. — Herzliche Grüße  

Wolf / 03.07.2016

Hinweis: “Fawlty Towers” läuft zur Zeit in einer nicht synchronisierten Fassung auf ARD alpha, jede Folge Samstags um 11:30 und als Wiederholung Sonntags um 22:05.

JF-Lupus / 03.07.2016

Genial!!

Harald / 03.07.2016

...aber Kickstarter und Schonschleudergang hat er nicht.

raindancer / 03.07.2016

Geben sie es zu Charles ist die unlaessige Variante von UK

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