Vor ein paar Tagen kam ein Freund im Zusammenhang mit einem geplanten Fotoprojekt darauf zu sprechen, dass Motorradfahrer oft eine lebenslange Liebe zu ihren Lederjacken aufrecht erhalten, selbst wenn diese schon lange nicht mehr unter den Kleidenden weilen. „Gibt es die eine, sagenhafte und ewige Motorrad-Lederjacke?“ fragte er. Und weiter: „Die, für die man hätte töten können, und in der man lieber wohnt als im Vierjahreszeiten. Die Lederjacke, die man nur auszieht, wenn man duschen geht. Wenn. Die, die man heiraten könnte, die auf dem Moped schützt und mit der man auch in den Krieg ziehen würde. Oder in die Bar.“
Ich war ihm dankbar für diese großartige Vorlage zu einer gepflegten Flucht in die Vergangenheit, an der ich Sie heute ein wenig teilnehmen lassen möchte. Denn auch ich hatte eine solche Jacke, bis sie nach etlichen Jahren Fahren und Stürzen zuletzt nicht mehr zu retten war. Und noch eine andere, die es auch in sich hatte.
Mein erstes Motorrad war eine schon betagte Dürkopp MD 150 von 1953, die ich im Frühjahr 1973 einem Kommilitonen für 200,- DM abkaufte, der sich einen fünf Jahre jüngeren Käfer zugelegt hatte und somit stolzer Besitzer eines Vierräders geworden war. Damals waren Zweiräder nämlich Arme-Leute-Fahrzeuge und nicht die Drittfahrzeuge von Anwälten, Dentisten und Hanseln, die was mit Werbung machen, und die ihre noblen Harleys und Hondas nur zwischen Ostern (wenn es auf spät fällt) und 3. Oktober aus dem Fuhrpark rollen – und das auch nur bei heiterem Wetter.
Ich hingegen, bis dahin nur mit einem seltsamen französischen Mofa unterwegs, sah neue Horizonte vor mir. Die 7,5 PS der Dürkopp waren zwar denkbar ungeeignet, mich zum Rasen zu verführen, doch mit einer durchaus erreichbaren Geschwindigkeit von 80 km/h war ich immerhin 55 km/h schneller als mit der Mobylette, bei der auch das Frisieren nichts geholfen hatte.
Und so erwarb ich von einem Trödler meine erste Lederjacke
Schon bald erkannte ich, dass man auf Touren mit dem recht fragilen Zweitakter aus deutscher Produktion tunlichst immer etwas Werkzeug dabei haben sollte, und so schraubte ich zwei Bundeswehrmunitionskisten rechts und links des hinteren Schwingsattels an und füllte diese nach und nach mit dem Nötigsten. Was zwar die Höchstgeschwindigkeit auf ca. 68 km/h drosselte, dafür aber im Fall einer Panne ein Nachhausekommen wahrscheinlicher machte.
Auch bei dieser eher gemütlichen Geschwindigkeit konnte es – der Sommer ging inzwischen zu Ende – empfindlich kalt werden, und so erwarb ich von einem Trödler meine erste Lederjacke. Sie war aus dunkelgrünem, stark genarbten, mehrere Millimeter dickem Hirschleder, besaß ein ganzes Arsenal an Taschen und reichte bis zur Mitte der Oberschenkel. Ein Futter hatte sie auch mal besessen, wie sich an einigen Resten um Kragen und Ärmel noch erkennen ließ.
Dessen Fehlen ließ sich verschmerzen, denn das Leder war dafür vom feinsten. Derart ausgestattet konnte mir der folgende Winter nichts mehr anhaben. Damals fuhr man bei jedem Wetter und zu jeder Jahreszeit, die Dürkopp war schließlich ein Alltagsfahrzeug und man selber ein Alltagsfahrer. Die Jacke rettete mir einige Male die Haut, und stolz betrachtete ich an den Ärmeln die Spuren der Ausrutscher, wenn ich das Leder dann und wann mit Sattelfett tränkte.
Der Dürkopp mit ihrem nervigen Zweitaktergeräusch folgten im nächsten Jahr eine RT 175 von DKW (Das Kleine Wunder) und zwei Jahre später endlich etwas solides, eine einzylindrige BMW R25/3. Wobei, so zeigte sich rasch, das „Solide“ weniger in der Zuverlässigkeit der Bitte-Mal-Werkzeug steckte, als mehr in der inzwischen mächtig angewachsenen Werkzeugsammlung, die durch ein zweckmäßig zusammengestelltes und ebenfalls nicht gerade leichtes Ersatzteillager ergänzt wurde und längst den Rahmen der beiden noch von der Dürkopp stammenden Munitionskisten sprengte. Wie gut, dass meine treue Lederjacke so viel Platz für allerlei Geraffel bot. Sie wurde dadurch leider und unvermeidlich immer schwerer, aber das nahm ich lieber in Kauf, als mit einem abgerauchten Regler oder versoffenen Vergaserschwimmer irgendwo im Zwielicht der Eifel liegen zu bleiben.
Ein böses, irgendwie hämisches Gelächter
Nun besuchte ich eines Tages ein befreundetes Paar, und da die Freunde in einer recht unsoliden Gegend wohnten, nahm ich einen Teil der in den nicht verschließbaren Munitionskisten verstauten Werkzeug- und Ersatzteilsammlung mit ins Haus. Freund J. war bereits anwesend, die Freundin würde in ein paar Minuten kommen. Ich zog meine Jacke aus, ließ sie leger neben mich auf den Boden scheppern, hockte mich dazu und begann, eine Zigarette zu drehen. Da kam auch schon U. nach Hause, sie entledigte sich ihres Mantels, trat zu uns ins Wohnzimmer, grüßte – Bussi, Bussi, Bussi – mich und J. und kam dann wieder auf mich zu und sagte, sie wolle der Ordnung halber meine Jacke an die Garderobe im Flur hängen.
Mit etwas Fantasie können Sie sich die nun folgende Szene ausmalen. U. beugte sich lässig und ungezwungen vor (gut möglich, dass sie gerade vom Yogakurs oder aus der Clownschule kam), nahm die Jacke mit einer Hand am Kragen und wollte sie behände hochheben. Das gute Stück – ich meine die Jacke – lag allerdings dank ihres Gewichts wie angeschweißt auf der Auslegeware, und so musste passieren, was passierte: Im nächsten Moment verlor U. das Gleichgewicht, machte einen etwas unkoordiniert wirkenden Purzelbaum nach vorne und landete im Abrollen in einer bis dahin recht hübschen und dekorativen Papyrusstaude, die zudem in einer mit Wasser gefüllten Glasschale von der Größe eines Fußballfeldes für Zwerge stand. Freund J. und ich begingen den verhängnisvollen Fehler, darüber in ein böses, irgendwie hämisches Gelächter auszubrechen, was bei der Dame des Hauses gar nicht gut ankam. Zwar beruhigte sie sich im Laufe des Abends, aber nicht lange danach traf ich Freund J. an der Uni wieder, wo er mir seine neue Freundin vorstellte.
Die wunderbare Lederjacke leistete mir noch lange beste Dienste; das Werkzeug in den Taschen forderte aber dann doch seinen Tribut. Die Taschenpaspeln rissen aus, das Innenleben ebenfalls. Zuletzt gab es statt Stauraum für Lichtmaschinenanker, Zündkerzen und Nippelspanner nur noch ins Leere führende Löcher. Da traf es sich gut, dass ich eine komplette Lederuniform angeboten bekam, mit der bis dahin ein Kradstaffel-Fahrer seinen Dienst absolviert hatte. Eine Qualität vom allerfeinsten! Ich habe die zweiteilige Kluft bis heute; die Hose besitzt eine klassische Breeches-Form, zu der man hohe Schaftstiefel tragen muss; das ohnehin dicke Leder auf Sitzfläche und Innenseite der Schenkel ist noch einmal verstärkt.
Die Jacke ist eher schlicht und gerade geschnitten, aber eben so massiv und unzerstörbar und mit etwas Wohlig-weichem gefüttert, gegen das Samt das reinste Nessushemd wäre. Beide Teile sind dunkelgrün gefärbt, und die Jacke besitzt zahlreiche Uniformknöpfe. Was dem traditionsbewussten Katholiken die Kleider und Kostüme ihrer Priester sind, das ist mir diese Uniform, auch wenn ich schon lange nicht mehr zweirädrig fahre.
Sie kannten sich mit Hunnenuniformen aus
Ich trug damals Jacke wie Hose nur selten zusammen, da mir als Student das von diesem Outfit ausgestrahlte Image eines Polizisten nicht so zusagte. Es kam aber ab und zu vor, dass ich in voller Montur unterwegs war. Einmal fuhr ich so zu einem Oldtimertreffen in der Eifel, zu der sich auch eine Horde englischer Biker eingefunden hatte. Die Jungs besaßen allerdings eine Menge Humor – einer hatte auf den Beiwagen seines völlig verbeultes Gespanns „Herald Of Free Enterprise“ gepinselt – und fühlten sich keineswegs provoziert; sie kannten sich mit Hunnenuniformen wahrscheinlich besser aus, als jeder deutsche Nachkriegsgeborene.
Auch an jenem Tag, als mich eine Fahrt über die deutsch-belgische Grenze führte, war ich komplett eingeledert, auf dem Kopf trug ich die damals typische Römer Halbschale. Was auch immer das Misstrauen des deutschen Beamten hinter dem Schalter geweckt haben mag: Ich wurde an die Seite gewunken, stellte die BMW ab, ging zum Kontrollbüdchen zwischen den beiden Fahrspuren und wurde unwirsch aufgefordert, alle Papiere vorzuzeigen.
Es galt, Wohlwollen zu zeigen; ein Zöllner fand immer irgend etwas, wenn er wollte, und wenn es das nur sporadisch funktionierende Rücklicht war; im Kabelbaum wohnte nämlich der so vielen Kraftfahrern aus damaliger Zeit bekannte Kupferwurm. Für einen Studenten wie mich konnte das Urteil eines Zöllners oder Polizisten durchaus darüber entscheiden, ob ich mittags in der Mensa über den ganzen Monat ein Stammessen bestellen oder mir nur auf dem Teller eines Kommilitonen Kartoffel mit Sauce als „Nachschlag“ holen konnte.
So stand ich also verlegen lächelnd draußen vor dem Büdchen des Büttels und wartete, während der Beamte sämtliche ihm vorliegenden Fahndungsbücher konsultierte. Ab und zu sah er zu mir herüber, und ich denke, es war meine Uniform, die ihn gewaltig wurmte. Ein Hippie mit einem alten Motorrad, schicker gewandet als er! Welche Schmach! Und ich wusste nicht: War ihr Tragen etwa untersagt? Würde sie vor Ort konfisziert werden? Müsste ich sie gleich ausziehen und im Feinripp zur Vorlesung fahren?
Im Büdchen hinter mir ein ausgesprochen unwirsches Geschrei
Es dauerte. Offenbar gab kein Fahndungsbuch etwas Verwertbares her, und auch ein längeres Telefonat des eifrigen Grenzhüters ergab erkennbar nichts Brauchbares. Sein Büttelkollege war derweil mit einem ebenfalls gestoppten Autofahrer am Straßenrand beschäftigt, so dass für den laufenden Verkehr momentan keine Kontroll-Fachkraft verfügbar war.
Und da kam auch prompt ein PKW angerollt. Der Fahrer hielt mich – Uniform sei Dank – offenbar für eine Respektsperson, er stoppte, kurbelte das Fenster herunter und hielt mir seinen Pass entgegen. Vielleicht war es nur ein unbedachter Reflex – nie hätte ich es ernstlich gewagt, unbefugt hoheitliche, grenzübergangsrelevante Aufgaben zu erfüllen, denn damals – die Älteren unter uns werden sich erinnern – hatte Deutschland noch streng bewachte Grenzen – auf alle Fälle gab ich dem Chauffeur ein freundliches Handzeichen, er könne weiter fahren.
Was er dann auch tat. Im selben Moment ging im Büdchen hinter mir ein ausgesprochen unwirsches Geschrei los. Ich drehte mich um; der Zöllner schnellte gerade von seinem Drehstuhl hoch wie ein Springteufel und kam heraus geschossen. Nein, er hatte ganz und gar kein Verständnis dafür, dass ich ihm etwas Arbeit abgenommen hatte, im Gegenteil, er drohte mir lautstark mit eindringlichen Worten an, er werde Anzeige wegen Amtsanmaßung gegen mich erstatten. Sein Kollege, von dem Lärm herbeigerufen und umfassend informiert, sah mich an, als wolle er mich auf der Stelle in Ketten legen. Ich hörte im Weiteren nicht mehr hin, stand nur da und fühlte mich unwohl und hatte doch gar nichts Böses im Sinn gehabt.
Nach der Anklagerede und zusätzlicher, irgendwie sinnloser Wartezeit, in der ich sowohl vor Schreck als auch wegen der Sonne, die gnadenlos auf meine Uniform brannte, einige Liter Wasser ausschwitzte, ließ man mich endlich fahren. Unter dem Ableisten sämtlicher, während der Zollbüttel-Lehre erlernten, preussisch-strengen Blicke gab man mir die Papiere wieder. Ich werde von ihnen hören.
Was dann allerdings nicht geschah, wahrscheinlich hatte der Diensthabende erkannt, dass er sich vor Kollegen oder Vorgesetzten durch eine Anzeige und die unvermeidliche Zuprotokollgabe des Verbrechens als Vollhorst outen würde. Nach etwa 14 Tagen atmete ich allmählich wieder entspannter, mied aber zur Sicherheit noch für einige Zeit diesen Grenzübergang.