Vor ein paar Tagen lag ich in einem Magnetresonanztomographiesystem, oder wie der Volksmund sagt, ich bekam „ein MRT gemacht“. Das heißt, eine bestimmte Region meines Körpers, in diesem Fall der Lendenwirbelbereich, wird in carpacciodünne Scheiben geschnitten. Zum Glück nicht nach der Methode Gunther von Hagens, sondern nur „bildgebend“, also quasi fotografisch, und das macht dann vorgefallene Bandscheiben und andere körperliche Malässen sichtbar.
Es ist für manche Menschen beängstigend bis traumatisierend, sich in so ein Gerät zu legen. „Darin bekomme ich Platzangst!“ hört man immer wieder. Was ganz und gar unnötig ist. Die Gefahr, sich in der engen, wenig geräumigen Röhre wie auf einem großen leeren Platz zu fühlen, dürfte gleich Null sein. Mir ist jedenfalls nicht bekannt, dass jemand jemals wegen Agoraphobie den Notfallknopf gedrückt hat. Denkbar ist hingegen, dass sich manche Patienten klaustophob belästigt fühlen, also eine unangenehme Raumangst verspüren.
Das wird, neben der fehlenden Armlänge Abstand zu den umgebenden Wänden, wohl auch an der im Inneren herrschenden Geräuschkulisse liegen. Technisch bedingt tobt während der Untersuchungszeit ein ziemlicher Lärm, vergleichbar mit der akustischen Situation auf einer Technoparty oder in der fünften Etage eines Mehrfamilienhauses, in dessen Erdgeschoss ein Technofan Scooter laufen lässt. Um es nicht ausarten zu lassen, bekommt man vor der Einfahrt in den Tunnel einen massiven Kopfhörer aufgesetzt, so dass vieles gar nicht erst bis an die Ohren dringen kann. Da vor einer MRT Untersuchung keine wach machenden Drogen gereicht werden, zieht sich die Prozedur allerdings nicht über ein ganzes Wochenende hin, sondern dauert nur ungefähr ein Viertelstündchen. Das heißt: Man beginnt gerade darüber nachzudenken, ob man mal kräftig an die Wand klopfen soll, da ist es auch wieder vorbei.
Vor Jahren hatte ich schon einmal das Vergnügen, und da ich immer neugierig bin, sah ich der Untersuchung damals mit offenen Armen entgegen. Ich meine mich zu erinnern, dass ich bei der Einfahrt beinahe von dem Kabel am Notsignalknopf erwürgt wurde, das etwas unglücklich um meinen Hals lag, aber das konnte anscheinend noch rechtzeitig behoben werden. Im Inneren der Röhre, auf Augenhöhe, hatte jemand an der Decke hübsche Disney-Sticker angebracht, die ohne Zweifel etwas ängstlichere Patienten beruhigen konnten; ich als eingefleischter Donaldist, war jedenfalls begeistert, und Angst trieb mich ohnehin nicht um.
Fragen, die sich bis dahin noch nie aufgedrängt hatten
Wenn man da liegt und der Dinge harrt, hat man Zeit, über vieles nachzudenken. So kamen mir damals bei der Betrachtung von Daisy, Donald und Dagobert Fragen, die sich bis dahin noch nie aufgedrängt hatten. Wieso die Enten zum Beispiel ausgerechnet „unten rum“ unbekleidet sind, wo Disney doch ansonsten ein Hort von Sauberkeit, Anstand und Asexualität ist. Donald wie Daisy sind zwar von Kopf bis Taille korrekt gekleidet, drunter aber herrscht die pure, nur mühsam von Federn bedeckte Nacktheit.
Dagobert Duck, der alte Fantastillionär. trägt zwar einen langen, altmodischen Gehrock, der den Blick auf seine unteren Extremitäten verdeckt, doch spätestens, wenn er mit erigiertem Pürzel kopfüber in seinen Geldspeicher springt, erkennt man, dass auch der alte Herr unten drunter keineswegs dem amerikanischen Reinheitsgebot entspricht. In der Schweiz würde man so jemanden Grüsel nennen und aus dem öffentlichen Verkehr ziehen.
Vorgestern war das Röhreninnere frei von visueller Ablenkung, so dass ich mich auf die Geräusche konzentrieren musste, um die Zeit rum zu bekommen. Klar, man versucht erst einmal, den Kopf abzuschalten und denkt an das, was man vorhin in der einschlägigen Wartezimmerpresse gelesen hat. Daniela Katzenberger begeistert im Bikini, So erkennt man Läuse und Nissen, Kickboxerin Marie Langs neue Brüste sorgen für Probleme, Erdmännchen Toni ist spurlos verschwunden, Kölner verbrennt sich im MRT und bekommt Schmerzensgeld. Es zog sich hin, und beinahe hätte ich noch zum STERN gegriffen, aber da kam ich an die Reihe.
Das Klopfen und Hämmern des bildnehmenden Magnetresonanztomographen lenkte mich von weiteren Gedanken ab, und ich konzentrierte mich auf die Klangkulisse. Es gab, da vier Aufnahmen, vier Varianten mit unterschiedlicher Beats pro Minute Taktung, und das hatte tatsächlich viel von Technomusik; ich wartete bei Beginn jeder Phase darauf, dass jetzt die Synthiedrums einsetzen würden, und da die nicht kamen, trällerte ich sie einfach aus eigener Kraft dazu. In den Pausen zwischen den einzelnen Tracks erklärte eine angenehme weibliche Stimme, ich solle an der nächsten Kreuzung rechts abbiegen; nein, gelogen, das folgende Stück habe eine Länge von drei Minuten.
Es hätte mir gefallen, wenn auf Augenhöhe ein kleiner Monitor angebracht gewesen wäre, mit Donald Duck Cartoons, einer Folge von Broders Spiegel oder einem dieser neuartigen feministischen Pornos, für die die SPD so großzügig Geld rausrückt. Aus technischen Gründen geht das allerdings nicht, da sind die Magnetresonanztomographiesysteme sehr pingelig. Metall jeglicher Art hat drinnen nichts zu suchen, jedenfalls keins, das magnetisch ist. Ein Zungenpiercing nicht vorher entfernt zu haben kann auf das Mundinnere wie eine zu heiß verschlungene Pizza wirken, auch Ohrstecker, Armbanduhren oder Herzschrittmacher sind tunlichst vor der Untersuchung auszuziehen. Ob in der heutigen Zeit noch immer das Tragen von Prinz-Albert-Ringen en vogue ist, weiß ich nicht, falls ja: ablegen. Es drohen sonst unangenehme Konsequenzen, einer Beschneidung ohne Narkose nicht unähnlich.
Rückkehr in die Oberwelt
Auf mich hatte das stereotype Gewummer, ohnehin in seinen höheren Frequenzen durch die Kopfhörer kastriert, einen eher einschläfernden Effekt. Und als nach den 15 Minuten der Schlitten mit einem leichten Ruck für die Rückkehr in die Oberwelt anfuhr, da kam es mir vor, als sei ich zuvor eingedöst. Womit ich nicht sagen will, dass der Aufenthalt in einem MRT heimelig und entspannend ist. Da gibt es schönere Orte, aber manchmal muss es eben sein. Wenn man Rücken hat, ist das nicht immer zu vermeiden. Das Ergebnis der Untersuchung war, sagen wir mal, altersgemäß angemessen und brachte keine wirklichen Überraschungen.
Die Älteren unter Ihnen werden das wahrscheinlich kennen. Wichtig ist, dass man keine Freunde hat, denen das Ockham'sche Messer kein Begriff ist. Wenn Sie denen nämlich etwas von Vom-Kreuz-abwärts-Schmerzen erzählen, tippen die nicht auf das naheliegendste, also eine Bandscheibe oder eine illegal bewaffneten Hexe, sondern kennen katastrophal kreative Karzinome, die selbst Chuck Norris innerhalb weniger Wochen dahinraffen würden, und diese fatalen Wucherungen seien gar nicht so selten und werde viel zu häufig übersehen, und dann sei es ohnehin schon zu spät. Ich kann nur raten: entledigen Sie sich solcher Leute, die machen nur krank. Und sollten Sie selber so jemand sein: Lassen Sie's.
Zuhause sah ich mir dann den halben Abend lang die CD an, die mir der Radiologe mitgegeben hatte. Auf dieser sind vier Diashows längs und quer durch meinen Lendenwirbelbereich abgespeichert, und bis auf zwei wirklich vorwitzige, beim besten Willen auch von einem Laien nicht zu übersehende Bandscheiben sieht das für mich alles nichtssagend aus. Da sind die Plastinate von Hagens doch deutlich beeindruckender, aber nur wegen der schöneren Anmutung mag ich mich denn doch noch nicht carpaccionieren lassen.
Der Datenträger ist ohnehin nicht für mich bestimmt, sondern für den Orthopäden. Aber das wird vielleicht eine andere Geschichte. Apropos: von Eugen Egner, den ich an dieser Stelle vor längerer Zeit empfohlen habe, gibt es eine Story, die man als Hörspiel bei Youtube findet, ich kann sie allen Freunden der Magnetresonanztherapie heiß empfehlen.
Unendliche Welt entspannter Musik
Nach dem ganzen Techno-Ufta-Ufta-Ufta zum Schluss noch etwas feine Musik. In Italien gibt es seit Jahren eine großartige Musikszene, von der nördlich der Alpen kaum etwas ankommt, und das ist ausgesprochen schade. Wenn es einige Namen bis hier geschafft haben, dann vielleicht Nicola Conte und Mario Biondi. Zumindest manche Stücke von denen wird man auch in (derzeit noch) unserem Teil Europas bereits gehört haben, doch staune ich immer wieder, dass mit den Namen nur wenige Musikliebhaber etwas anzufangen wissen.
Mario Biondi ist Sizilianer und hat eine Stimme wie der schwärzeste Crooner aus dem dunkelsten Ghetto. Bekannt wurde er vor etwas mehr als zehn Jahre mit seinem Album Handful of Soul, und als ich das zum ersten Mal hörte, musste ich mir die Hülle immer wieder ansehen, um zu glauben, dass da ein durch und durch weißer Mann singt.
Bei der Musik von Nicola Conte, der mehr Produzent als Interpret ist, denkt man, man höre Stücke, die bereits etliche Jahrzehnte auf dem Buckel haben. Und in der Tat sampled Conte souverän eine Mischung aus Bossa-Nova und italienischer Filmmusik der 1960er Jahre zusammen. Das klingt oft so authentisch, dass man beim Hören nie auf den Gedanken käme, hier relativ neue Musik, ebenfalls aus den letzten zwei Jahrzehnten, zu hören. Nicola Conte ist ein, wenn nicht der Mittelpunkt der italienischen Nu Jazz Szene, zu der neben Mario Biondi zahlreiche Musiker unbekannten Namens gehören, die man am besten entdeckt, indem man eine Platte von Conte zur Hand nimmt und nach den dort zu findenden Namen googelt. Ein deutscher Musiker, der mehrfach mit Nicola Conte zusammen gearbeitet hat, ist übrigens unser Trompeter Till Brönner.
Conte ist nicht der einzige bedeutende Produzent dieser entspannten Musik. Lauschen Sie mal, was die Brüder Pino Nicolosi and Lino Nicolosi mit Altstars wie Eumir Deodato, Al Jarreau, Danny Gottlieb, John Tropea, Dave Liebman und Billy Cobham sowie mit ihrer eigenen Gruppe Novocento produziert haben.
Ich habe Ihnen eine kleine Auswahl ohne Anspruch auf Vollständigkeit zusammen gestellt. Folgen sie einfach den Namen, die Ihnen auffallen und suchen sie weiter. Es tut sich eine unendliche Welt ausgesprochen entspannter Musik auf, die ein wenig hilft, sich zumindest für ein paar Stunden von allem sonstigen frei zu machen. Antidepressiv im besten Sinne der Klänge. Und wenn Ihnen etwas besonders gut gefällt, dann kaufen Sie es. Die Klangqualität der Clips bei Youtube ist der Qualität der Musik bei weitem nicht angemessen.
Mario Biondi – Come to me
Nicola Conte – Bossa per due
Nicola Conte – Nefertiti
Nicola Conte – Sea & Sand (mit Till Brönner)
Mario Biondi – This Is What You Are
Mario Biondi – Rio De Janeiro Blue
DJ Rosa from Milan – Italian Nu Jazz
Italian Secret Service – Not The Same
Top Lounge and Chillout Music Caffè Italiano Napoli
The Modern Sound of Nicola Conte
Nicola Conte & Stefania Dipierro – Natural
Eumir Deodato – The Crossing feat. Al Jarreau
Billy Cobham – I Want You Back (Nicolosi Productions)
Billy Cobham & Novecento – Stratus
Novecento feat. Danny Gottlieb, John Tropea & Dave Liebman – Living So Fast