Zu den unverzichtbaren Attributen in Karikaturen des rücksichtslosen Kapitalisten gehörte neben Zylinder und (Nadelstreifen)Anzug stets die Zigarre. So sehen die gierigen Blutsauger und deren politische Erfüllungsgehilfen in der Realität zwar schon länger nicht mehr aus, dennoch findet man auch in aktuellen Cartoons noch diesen Typus, zum Beispiel hier und hier .
Gerne fällt dabei unter den Tisch, dass auch rücksichtslosen Kommunisten die Zigarre mundete. Wer denkt nicht an Fidel Castro und Che Guevara? Auch von deren Urvater Karl Marx ist bekannt, dass er wie ein Schlot schmauchte, und zwar so viele Zigarren, dass er nach eigenem Bekunden gegenüber seinem Schwiegersohn und Genossen Paul Lafargue befürchtete, das „Kapital“ werde ihm „nicht einmal so viel einbringen, als mich die Zigarren gekostet, die ich beim Schreiben geraucht“.
Dass das eine wahrlich beträchtliche Menge gewesen sein muss lässt sich unschwer daran erkennen, dass Marx' Zigarren, offenbar das Übelste, das sich Tabakfabriken zu produzieren wagten, wegen ihrer olfaktorischen Eigenschaften buchstäblich weithin gefürchtet waren. Wer einmal in einem geschlossenen Raum nasses Laub zusammen mit schimmliger Wollunterwäsche verbrannt hat, ahnt, warum die Menschen in Marxens Umgebung häufig versuchten, seine Vorräte zu verstecken.
Was ebenso vergeblich war wie ähnliche Maßnahmen im Hause Lafe Marx, dem Großvater der Marx Brothers. Der rollte seine Stumpen eigenhändig aus den Abfällen einer obskuren Klitsche; oft stopfte er dieses Gemisch auch ohne weitere Umwege in eine Pfeife. „Wollte Lafe ein Zimmer ganz für sich haben, brauchte er es bloß mit seiner Pfeife zu betreten. Der kleinste Hauch aus seinem Miniaturverbrennungsofen ließ alle Anwesenden aufspringen und an die frische Luft eilen. Von Großvaters Pfeife hätte jedes Stinktier im Lande einiges über beißende Gerüche lernen können. Wir versteckten sie häufig, aber Großvater stöberte sie jedesmal anhand des Geruches wieder auf.” So Groucho Marx in seinen Erinnerungen.
Das dürfte bei Karl nicht anders gewesen sein, aber gewiss anders als bei einem weiteren Marx mit Vorliebe für gerollten Tabak, dem Barockbischof Reinhard Marx, dessen Zigarren angesichts der üppigen, von Gläubigen wie Ungläubigen bezahlten Monatsgehälter wohl von erlesenerer Güte sein dürften als die ärmlichen Stumpen seiner Namensvettern. Der Kardinal, Erzbischof und Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz sowie vehementer Kapitalismuskritiker zeigt sich allerdings des Images wegen nicht mit Zigarre in der Öffentlichkeit. Genau so wenig wie auf dem Jerusalemer Tempelberg mit seinem ansonsten obligatorischen Brustkreuz, aus Höflichkeit gegenüber anwesenden Muslimen. Aber das ist eine andere Geschichte.
Posen mit Zigarre geht gar nicht
„Manchmal ist eine Zigarre nur eine Zigarre“, so formulierte es einst Sigmund Freud, selber ein Anhänger des feinen Rauches; er spielte damit auf die Symbolträchtigkeit dieses phallischen und Macht suggerierenden Gegenstandes an. In der Tat, man kann es mit der Deutung von Dingen auch übertreiben. Dass mit der Zigarre gewisse Assoziationen verbunden werden, dafür kann sie nichts. Das Längliche ist nun einmal die optimale Form für einen Gegenstand, den man zwecks „Verzehr“ in den Mund stecken möchte. Das wussten schon die karibischen Ureinwohner, über deren seltsamen Brauch des Rauchens die spanischen Eroberer staunten. Das wissen heute Wurst- und Schokoriegelhersteller und auch Eis-am-Stil-Gefrierer, und auch ein Lippenstift in Form eines Blumenkohls wäre kein Produkt mit Zukunft. Männliches Imponiergehabe sehe ich viel eher als bei Zigarrenrauchern bei Fotografen, die mit möglichst überdimensionierten Teleobjektiven auch da umherstolzieren, wo es mit einem bescheidenen 200 mm Zoom getan wäre. Dass es Poser mit Zigarren gibt, steht außer Frage, ihnen fehlt alles das, was einen echten Aficionado ausmacht, so wie es Zino Davidoff war, der das oberste Gesetz für die Genießer von Zigarren formulierte: „Rauchen Sie vor allem eines: unauffällig.“
„Wo man raucht, da kannst du ruhig harren, böse Menschen rauchen nicht Zigarren.“ Ein schöner Spruch, aber stimmt der wirklich? Leider nein, genau so wenig wie der, dass böse Menschen keine Lieder haben. Es ist verständlich, dass die oft und gerne anfeindeten Zigarrenraucher sich mit solchen Versen eine Art Gemeinschaftsgefühl schaffen wollen, was eine Zeitlang sogar so weit ging, dass selbst Frauen kurzerhand für ein Zeitschriftencover eine – meist gar nicht brennende – Zigarre ins manikürte Händchen gedrückt wurde, um damit zu sagen: Seht ihr, die andere Hälfte der Menschheit liebt ebenfalls Havanna & Co. Schöner Schein. Sicher gibt es auch passionierte Zigarrenliebhaberinnen, aber die findet man, wenn man ehrlich ist, so selten wie eine Brieftasche auf der Straße.
Es muss aufgeräumt werden in diesem falschen Aficonado-Universum von sexy Frauen und sympathischen Männern. Warum nicht endlich einmal der Wirklichkeit ins Auge sehen und Schurken mit Zigarre vorstellen?
Kater Karlo
Eindeutig den Schurken zuzurechnen ist der 1928 zum ersten Mal als Gegenspieler von Micky Maus aufgetauchte Charakter, dessen verschlagenes Wesen schon an der Vielzahl der Namen zu erkennen ist, unter denen er immer wieder in unschöne Erscheinung tritt. Neben Kater Karlo hätten wir Pete, Peg-Leg Pete, Big Bad Pete, Black Pete oder auch Pietro Gambadilegno. Man ahnt: der Mann hat etwas zu verbergen, und zwar sich selbst. Denn wenn es in Entenhausen einen Typen gibt, dem die Panzerknacker nicht gewachsen sind, dann ist es dieser üble Bursche, zu dessen Markenzeichen neben einem – nur manchmal (sic!) vorhandenen – Holzbein vor allem eins gehört: eine Zigarre. Diese trägt er stets völlig zerkaut in einem der Mundwinkel, und auch beim Sprechen belässt er sie dort. Sein Dasein als Schurke nimmt im Laufe der Jahre immer kriminellere Züge an und kulminiert schließlich in der Rolle eines Nazispions, der für den berüchtigten Gestapo Chef von Wiesel arbeitet, zum Glück aber 1943 durch Micky Maus entlarvt wird. Kater Karlo ist geradezu der Prototyp eines Schurken; selbst wenn er sich einmal in einem vermeintlich ehrenwerten Beruf wie dem eines Sheriffs, eines Bauarbeiters oder eines Cowboys betätigt, hat das nur einen Grund: dem Verbrechen und der Niedertracht zu frönen. Karlo blieb sich stets treu, und man tut ihm bitteres Unrecht, wenn er in einem Verzeichnis der Größten Schurken der Comicgeschichte nur auf Platz 20 kommt, weit abgeschlagen von Daffy Duck und Eric Cartman.
General Jack D. Ripper
Anfang der 1960er Jahre. US-Air-Force-General Jack D. Ripper befehligt einen Luftwaffenstützpunkt irgendwo in der Wüste. Es stellt sich nun heraus, dass Ripper geistig noch derangierter ist als andere Militärs, kurz: er hat nicht alle Tassen im Schrank. Leider besitzt er die Befehlsgewalt über B52 Bomber, die rings um die Sowjetunion im ständigen Beobachtungszustand in der Luft sind. Ripper, der überzeugt ist, dass die Russen die „wertvollen Körpersäfte“ der Menschen in den USA zu zersetzen versuchen, indem sie die Einwohner durch vergiftetes Trinkwasser zeugungsunfähig machen, riegelt eines Tages seinen Stützpunkt hermetisch ab und erteilt den atomaren Angriffsbefehl gegen die Sowjetunion. Der Weltuntergang nimmt seinen Lauf...
Stanley Kubrick drehte den bitterbösen Film Dr. Seltsam, oder wie ich lernte, die Bombe zu lieben 1964, auf dem Höhepunkt des Kalten Kriegs. Zuvor hatte es die Kubakrise und den Berliner Mauerbau gegeben, und die Gefahr eines atomaren, dann letztmaligen Weltkriegs schwebte über Ost und West. Der Film zeigt gnadenlos auf, wie selbst ausgeklügelte Sicherungsmechanismen zur Verhinderung eines “irrtümlich” erteilten Angriffsbefehls ausfallen können oder sich gar als genau die Gründe erweisen, aus denen heraus das Grauen dann geschieht.
Die Schauspielerriege ist grandios. Peter Sellers brilliert in gleich drei Rollen als Group Captain Lionel Mandrake, der amerikanische Präsident Merkin Muffley sowie als Dr. Seltsam, ein deutscher Wissenschaftler, der seinem Namen alle Ehre macht. George C. Scott spielt General „Buck“ Turgidson, der im Grunde am Krieg gegen die „Russkis“ nichts auszusetzen hat und auf seinen Kollegen Ripper nur deshalb sauer ist, weil dieser ihm durch die ausgelöste Krise eine Nummer mit einer Sekretärin namens Mrs. Foreign Affairs vermasselt. Und Sterling Hayden gibt General Ripper, zu dessen alles überragendem Attribut eine Zigarre gehört, die wohl in keinem Film ohne XXX-Rating jemals derart phallisch und kriegerisch ins Bild gesetzt wurde wie hier von Kubrick. Die Zigarre symbolisiert Rippers Angst vor Impotenz und der daraus entstehenden Aggressivität gegen die vermeintlichen Verursacher. Daran gibt es in dieser Szene nun wirklich keinen Zweifel.
Sieht man das zeitlose Meisterwerk Dr. Seltsam heute an, wird man das ungute Gefühl nicht los, dass das alles immer noch möglich sein könnte, denn, wie es einst Jim Morrison dichtete: „Madmen are running our world.” Halt, nein, nicht alles wäre mehr zeitgemäß: In US-amerikanischen Atomstützpunkten dürfen mit Sicherheit heute keine Zigarren mehr geraucht werden. Und noch eins hat sich geändert. Inzwischen sind auch Madwomen am Werk.
Gerhard Löwenthal und Karl-Eduard von Schnitzler
Für die Einen war er ein Schurke, für die Anderen das letzte mediale Bollwerk des Westens gegenüber dem Verderben hinter dem Eisernen Vorhang. Von 1969 bis 1987 leitete und moderierte er das ZDF-Magazin, und darin bot er alles auf, was man dem perfiden Pankower in die Schuhe schieben konnte.
Auf der anderen Seite der Mauer hatte diese Propagandistenrolle unter umgekehrten Vorzeichen Karl-Eduard „Sudel-Ede“ von Schnitzler inne, und die beiden kalten Krieger schenkten sich wahrlich nichts. Im Westen war das ZDF-Magazin selbst bei manchen Linken Kult, denn kaum jemand gab den Westschurken so überzeugend, nicht selten unfreiwillig komisch, wie Löwenthal, über den man sich den schönen Witz erzählte: “Guten Tag, Herr Löwe!” “Ich heiße Löwenthal!” “Na da sehen Sie mal, wie schnell ich Ihre Sendung ausschalte.”
Sowohl Löwenthal als auch von Schnitzler wussten eine gute Zigarre zu schätzen; zumindest das vereinte die ansonsten spinnefeindlichen Herren, die beide der selben Generation angehörten und nahezu gleichzeitig (Schnitzler 2001, Löwenthal 2002) starben. Dass Löwenthals Zigarrenleidenschaft in der ganzen BRD bekannt wurde, verdankte der Moderator einer Panne. In einer Folge des Magazins hatte er, offenbar während eines Filmbeitrags und daher nicht selber im Bild, genüsslich eine Zigarre gequarzt. Er verpasste das Ende des Beitrags und erschien wieder für alle sichtbar auf der Mattscheibe, den heftig qualmenden Stumpen noch in der Hand. Rasch ließ Löwenthal ihn unterm Tisch verschwinden, aber da er gerade erst einen tiefen Zug genommen hatte, musste er vor Beginn der folgenden Moderation kräftig nonverbalen Dampf ablassen, was ein wunderbares Bild abgab. Für einen Moment konnte man glauben, Löwenthal habe sich endgültig entzündet. Dank Youtube kann man dieses kleine Schurkenstück auch heute noch belustigt betrachten.
Wolf J. Flywheel
Ein Schurke, wie dem Schurkenlehrbuch entsprungen. Auch dieser mehr als zwielichtige Charakter bedient sich durch Durchführung seiner Schandtaten zahlreicher Namen, darunter Rufus T. Firefly, Captain Jeffrey T. Spaulding, Prof. Quincy Adams Wagstaff, Otis B. Driftwood, Dr. Hugo Z. Hackenbush, J. Cheever Loophole und S. Quentin Quale, selten hingegen verwendet er ein schlichtes Pseudonym wie Ronald Kornblow oder Sam Grunion. Immerhin geht Flywheel um einiges fantasievoller an seine Schurkereien heran als der vorhin beschriebene Kater Karlo; auch seine angeblichen beruflichen Qualifikationen als Arzt, Hoteldirektor oder Anwalt, lassen erkennen, dass Flywheel sich in anderen, gesellschaftlichen Regionen aufhält als der vierschrötige Kater. Entsprechend sind die finanziellen Aussichten für die Schurkereien, bei denen er vor nichts zurück schreckt.
Bevorzugt wanzt er sich an wohlhabende, ältere Damen heran, denen er ohne jeden Skrupel vormacht, sie zu lieben und zu ehren, bis dass der Tod sie scheide. Seinen unbestritten vorhandenen Charme unterstützt Flywheel durch recht seriöses Auftreten, vermeintliche berufliche Qualitäten sowie eine geschickte äußere Tarnung, zu der ein beeindruckender Haarwuchs im Gesicht und eine fette Zigarre gehören – damals eindeutig Zeichen für Liquidität und Seriösität. Dass die ständig qualmende Zigarre wohl eher Marke “Bahndamm Schattenseite” ist und der Bart und die mächtigen Augenbrauen nur mit Schuhwichse aufgemalt sind, fällt den liebestollen Matronen meist nicht auf, wohl aber dem Zuschauer, der sich heute wie vor 80 Jahren noch immer über die Filmabenteuer von Groucho Marx und seinen Brothers prächtig amüsieren kann. Schurke hin oder her.
Links:
Die Zigarrenszene aus „Dr. Seltsam“
Kater Karlo peinigt Donald Duck
Zigarrenraucher Groucho Marx findet seine Meisterin