Archi W. Bechlenberg / 05.06.2016 / 11:58 / 1 / Seite ausdrucken

Das Anti-Depressivum zum Sonntag: Mein Lieblings-Misanthrop

Der Henker führt den Verurteilten hinaus zum Galgen. Es regnet Katzen und Hunde, und der Delinquent sagt:

„Was für ein mieses Wetter!“ Darauf der Henker: „Du hast gut reden. Ich muss den ganzen Weg auch noch zurück gehen.“

Es ist nicht leicht, in diesen Zeiten den Humor zu bewahren. Deutschland wird aus allen Himmelsrichtungen geflutet, seit Wochen jetzt auch von oben. Bilder, die man sich sonst wohlig gruselnd aus England, Frankreich oder Italien in den Abendnachrichten ansieht, stammen auf einmal aus der näheren Umgebung. Erst gestern lese ich, dass meine Gemeinde besonders stark von Überschwemmungen betroffen sei. Sie besteht aus mehreren Dörfern, und mein Glück ist es, direkt neben der Kirche zu wohnen. Immer habe ich das als arges Handicap gesehen, aber in diesem Fall erweist es sich als Glück, da das Gotteshaus auf dem höchsten Punkt der Gemeinde steht, folglich auch mein Haus. So habe ich von den Überschwemmungen nur ein paar hundert Meter weiter nichts mitbekommen. Gut, vor einigen Jahren schlug im Kirchturm der Blitz ein und es gab ein prächtiges Feuer, aber das ist eine andere Geschichte.

Zu den wettermäßig besonders gebeutelten Regionen der USA gehört der so genannte Bible Belt. Dort wohnen Menschen, denen man als eher rational geprägter Geist nicht unbedingt begegnen möchte. Wenn wieder einmal ein Tornado ihre Stadt zerlegt, findet sich rasch jemand, der vor den Resten seiner Kirche steht und verkündet, er sei Gott dafür dankbar, dass er eine so prächtige Prüfung ihres Glaubens geschickt habe, außerdem wären die Schwulen am Wetter schuld, da der Grundgütige ihren heimlichen Treffpunkt mittels Sturm und Wasser von der Erdoberfläche entfernt habe. Derartige talibaneske Erklärungsmuster liegen mir leider fern; ich sage leider, weil man als Irrer eindeutig leichter durchs Leben kommt, denn als Skeptiker. Als Irrer hat man sogar beste Chancen, bis in höchste Regierungs- und Oppositionskreise aufzusteigen, aber das ist eine andere Geschichte.

Mein Lieblings-Misanthrop heißt W.C.Fields

Sie merken, ich habe heute meinen misanthropischen Tag, es ist also alles wie immer. Natürlich haben auch Misanthropen ihren Gott, und meiner heißt W. C. Fields. Der Mann hasste Hunde und Kinder, konnte mit einem randvoll gefüllten Glas Gin die Treppe herunterfallen, ohne dabei auch nur einen Tropfen zu verschütten und verströmte so eine Lebensfreude, dass Groucho Marx neben ihm wie Fips Asmussen erschienen wäre. Fields, der aus der Tradition des Vaudeville Theaters kam, war ursprünglich ein begnadeter Artist, seine Jongleurnummern suchten ihresgleichen, und bis hin nach Europa machte er sich einen Namen in den großen Variete-Theatern wie dem Londoner Palace und dem Pariser Folies Bergère.

1915 stand er zum ersten Mal vor der Filmkamera und demonstrierte in dem Film Pool Sharks seine artistischen Billardkünste. Doch erst mit 48 Jahren begann seine eigentliche Filmkarriere, die ihn zu einem der beliebtesten Komiker seiner Zeit machte. Dabei verkörperte er alles andere als sympathische Figuren. Umgeben von nörgelnden Ehefrauen, nervigen Kindern, Mitmenschen und Hunden, dazu in Berufen gefangen, die er hasste, weil er darin nie von der Stelle kam – so einen wollte man wirklich nicht als Nachbarn haben. Auf der Leinwand hingegen, mit der nötigen Distanz, war Fields in seinem stetigen Unglück ein gern gesehener Darsteller, eine Art Donald Duck für Erwachsene, der sich im Gegensatz zu der – ebenfalls in den 1930er Jahren populär gewordenen Ente -   in den Alkohol rettete. Gewiss gab es Mucker und Temperenzler, denen Fields ein Dorn im Auge war, aber den meisten Zuschauern  blieb Fields gerade deshalb sympathisch.

Dialog mit einem Barmann:

Fields: "War ich gestern Abend hier und habe 20 $ versoffen?"

Shemp: "Ja."

Fields: "Oh Junge, da fällt mir ein Stein vom Herzen... Ich dachte, ich hätte das Geld verloren!“

Im ersten Film mit W.C. Fields, den ich sah, spielt er einen Sheriff, der während eines Billardspiels einem Anderen erzählt, warum man ihn „Honest John“ - Ehrlicher John - nennt. Das war derart surreal und in seiner Pointenlosigkeit komisch, dass ich von da an Fields verfallen war. Dank Internet kann man viele seiner Filme mühelos finden, bei Youtube gibt es auch eine sehenswerte Dokumentation über den Mann, der unter zahlreichen absurden Rollennamen und Pseudonymen wie Professor Eustance McGargle, Elmer Prettywillie, Augustus Q. Winterbottom, J. Effingham Bellweather, Rollo La Rue, Egbert Sousè („accent grave over the e“), Harold Bissonette, Ambrose Wolfinger, Larson E. Whipsnade, Cuthbert J. Twillie oder T. Frothingill Bellows auftrat bzw. die Drehbücher verfasste.  Mein Favorit ist „Otis Criblecoblis“, wobei „Mahatma Kane Jeeves“ auch nicht schlecht war.

Ein professionellen Alkoholiker, aber zuverlässig

Die Grenzen zwischen dem echten und gespielten W. C. Fields waren fließend, und vor allem in seinen letzten Lebensjahren entwickelte er sich zu einem professioneller Alkoholiker. Von Unzuverlässigkeit bei Dreharbeiten ist hingegen nie berichtet worden, hier wusste er stets, was er sich, den Kollegen und dem Publikum schuldig war. Zwar erzählt man, er habe Kindern, mit denen er vor der Kamera stand, gerne mal einen tüchtigen Schluck Gin in die Limonade geschüttet, aber ob das stimmt - ich habe meine Zweifel. Ich glaube, Fields war in Wirklichkeit ein durch und durch netter Mensch; wenn man ihn in Filmen mit Kindern agieren sieht, lässt sich das leicht erkennen. Eher waren diese Blagen die tatsächliche Pest, vor allem, wenn man ihnen seitens der Filmstudios als „Kinderstars“ hofierte. Von den Hundestars mal ganz zu schweigen.

Im Testament verfügte der 1946 gestorbene Stinkstiefel, ein Teil seines hinterlassenen Vermögens solle für die Gründung des „W. C. Fields College for Orphan White Boys and Girls, where no religion of any sort is to be preached“ („W. C. Fields College für weiße Waisenjungen und -mädchen, wo keine Religion gepredigt werden soll“) verwandt werden, doch seine gierige Gattin focht das Testament erfolgreich an. Wer bitte war hier das Ekel?

Deutsche Website zu W. C. Fields hier.

Die Geschichte von Honest John hier.

W. C. Fields im Diner.

W. C. Fields: Never give a sucker an even Break.

W.C. Fields: Behind The Laughter (Dokumentation)

Noch mehr kluge und entspannende Gedanken finden sie stets in Archi Bechlenbergs Herrenzimmer.

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Leserpost

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Uwe Wilken / 06.06.2016

Ähh.. “Orphan white Boys and girls” only? Keine religiöse Indoktrination für Waisenkinder ist ja OK! Aber wieso nur für die mit weißer Hautfarbe? Hat seine Witwe eventuell wegen Rassendiskriminierung erfolgreich gegen das Testament geklagt? Kann ich mir aber nicht vorstellen zu der Zeit. Die meisten Prominenten jener Epoche würden wohl einen PC-Test nach heutigen Kriterien nicht bestehen.

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