Das Antidepressivum zum Sonntag: Hier und da ist Panama

In Frank Capras Filmklassiker „Arsen und Spitzenhäubchen“ ermorden zwei liebenswerte alte Damen der Reihe nach einsame Herren, um diese „Gott näher zu bringen“. Abby und Martha Brewster, so die Namen der goldigen Geschwister, vermieten in ihrem niedlichen Haus nahe der New Yorker Brooklyn Bridge Zimmer, und wenn ein alter, einsamer Herr einzieht, erlösen sie ihn umgehend mit einem hausgemachten Wein, dem sie Arsen, Strychnin und Zyankali beigemischt haben, von seinem traurigen Dasein.

Um die Frage, wohin mit den Verblichenen, kümmert sich ihr Neffe Teddy, der in Folge einer ausgeprägten geistigen Insolvenz glaubt, Präsident Theodore Roosevelt zu sein, der in Ausübung seiner Amtsgeschäfte im Keller des Hauses höchstpersönlich mit einer Schaufel den Panamakanal gräbt. Die Kanalarbeiten werden häufig gestört, da die Tanten ihm Opfer eines tückischen Gelbfiebers anliefern, das in Panama grassiert (Knick knack, knick knack!), und so kümmert Teddy sich aufopfernd darum, den Toten im Keller die letzte Ruhestätte zu bereiten...

Gut möglich, dass ich zum ersten Mal etwas von Panama hörte, als ich diesen Film sah. Da war ich noch recht klein und verstand vieles nicht so ganz. Inzwischen sah ich „Arsen und Spitzenhäubchen“ immer mal wieder, stets mit dem selben Vergnügen. Wenn Sie ihn nicht kennen – unbedingt besorgen und anschauen. Der Film ist eine einzige Aneinanderreihung wahnwitziger Situationen, erstklassiger Dialoge und großartiger Charaktere, unter denen einer verhaltensauffälliger als der andere ist. Der Kontrast zwischen dem nach außen mehr als biederen, kleinbürgerlichen Milieu und den recht drastischen Ereignissen, zu denen nicht nur Teddy, Abby und Martha, sondern auch zwei weitere Neffen namens Mortimer und Jonathan und vor allem der von Peter Lorre gespielte Arzt (?) Dr. Einstein beitragen, setzt dem Ganzen das Glanzlicht auf. Selbst der Leiter eines psychiatrischen Sanatoriums, Mr. Witherspoon („Roosevelts haben wir zur Zeit mehr als genug, wir sind allerdings an Napoleons zur Zeit etwas knapp“) macht nicht gerade den Eindruck, Herr seiner Sinne zu sein. Dabei wäre das dringend von Nöten, die Zahl der Gelbfieberopfer übersteigt nämlich allmählich die Aufnahmekapazitäten Panamas, und Teddy wird zunehmend erholungsbedürftiger …

Panama, mystisches Land zwischen Karibik und Pazifik. Janosch hat eins seiner bekanntesten Kinderbücher „Oh wie schön ist Panama“ genannt (Untertitel: „Die Geschichte, wie der kleine Tiger und der kleine Bär nach Panama reisen“). Vielleicht kennen Sie das Buch, habe es selber als Kind geliebt oder es Ihren eigenen Kindern vorgelesen. Tiger und Bär glauben, in Panama, von dem sie nur wissen, dass es weit weg liegt, den idealen Platz zum Leben zu finden und machen sich dorthin auf, gelangen aber zuletzt wieder an ihren Ausgangsort zurück um zu erkennen, dass es ein Trugschluss ist, von fernen Orten zu glauben, dort sei alles besser und schöner.

Der Panama-Hut stammt nicht aus Panama

In der Tat ist Panama  mit allerlei Mythen verbunden, Mythen, die sich bei näherer Beschäftigung  als falsch, fiktiv oder zumindest ungenau erweisen, eben als Mythen. Vielleicht erinnert sich noch jemand an den auch als Ananasgesicht (Cara de Piña) bekannt gewordenen Manuel Antonio Noriega Moreno, der das Land von 1983 bis1989 de facto als Machthaber regierte, er wird immer noch häufig als ehemaliger Präsident Panamas angesehen – ein Mythos, Noriega war in Wirklichkeit nur Chef der Nationalgarde und kurze Zeit, für ein paar Tage, Regierungschef, aber nie Präsident. Das wäre er gewiss gerne länger geblieben, war ihm allerdings nicht vergönnt – die USA starteten 1989 eine breit angelegte militärische Invasion gegen Panama, um Noriega aus dem Verkehr zu ziehen, der hatte sich nämlich in groß angelegte Drogengeschäfte verwickeln lassen und war auch sonst in Ungnade gefallen. Noriega flüchtete zunächst in die Botschaft des Vatikans, ergab sich aber nach etwa 14 Tagen vollkommen entnervt – die Amerikaner hatten seinen Zufluchtsort rund um die Uhr mit lautstarker Musik beschallt. Das hält selbst ein abgebrühter Ganove nicht lange aus. Hätte es damals schon Die Amigos, die Wildecker Herzbuben oder Semino Rossi gegeben, wäre er wohl schon nach 14 Stunden nervlich am Ende gewesen. Noriega landete im Gefängnis, zuerst in den USA, später in Frankreich und zuletzt wieder in Panama; dort ist er im Mai dieses Jahres gestorben.

Paname – so wird von ihren Einwohnern gerne liebevoll eine Stadt genannt, die eigentlich mit dem mittelamerikanischen Land nichts zu tun hat, nämlich Paris. Woher Paris = Paname stammt, ist bis heute ungeklärt, nachweisen lässt sich Paname bis zurück ins Jahr 1903. Ein Buch zur Geschichte der französischen Sprache aus dem Jahre 1911 erwähnt das in der Alltagssprache verwendete Adjektiv „panama“ für „enorm“, und wieder andere Quellen weisen darauf hin, dass die als „Panama-Hut“ bekannte Kopfbedeckung vor allem im Paris des frühen 20. Jahrhunderts sehr beliebt war und sich Paname dorther leitet. Da gibt es also noch viel zu erforschen.

Womit wir bei einem weiteren Mythos sind. Der Panama-Hut, dieser mehr oder weniger kunstvoll geknüpfte Sonnenschutz für Männer und Frauen, stammt trotz seines Namens nicht aus Panama. Hergestellt wird er seit Jahrhunderten in Ecuador aus den Fasern eines feinen Grases, dem Toquillastroh. Dass er als „Panama-Hut“ weit über sein Ursprungsland hinaus bekannt wurde, hatte zwei Gründe; zum einen wurden viele Güter und Produkte Süd- und Mittelamerikas über Panama verschifft und exportiert, so dass Panama in den Zielländern automatisch als Heimat des Hutes angesehen wurde. Zum zweiten trugen die am Bau des Panamakanals beteiligten Arbeiter gerne den leichten, vor der Sonne schützenden Hut, und als Theodore Roosevelt (diesmal der echte) bei einer Besichtigung des Bauwerks 1906 derart behütet vor die Kameras trat, gingen Fotos des Ereignisses anschließend um die Welt und manifestierten den Namen „Panama-Hut“ wohl für alle Zeit. Wie die Leute in Ecuador dazu stehen, weiß ich nicht, ich denke, es ist ihnen egal, Hauptsache, die Hüte finden Absatz in aller Welt.

Die ecuadorianischen Manufakturen sind überwiegend in den Städten Montecristi und Jipijapa sowie Cuenca angesiedelt. Wenn ein Panama-Hut zum Beispiel „Montecristi“ heißt,  bedeutet das nicht alleine: der Hut kommt von dort; es ist auch ein Qualitätsmerkmal. Und das schlägt sich im Preis nieder. Denn die Fertigung eines echten Panama-Hutes ist eine komplizierte Angelegenheit. Über die Produktionsphasen hinweg sind mehrere Personen daran beteiligt, beginnend bei denen, die sich um das Ausgangsmaterial kümmern bis zu denen, die den Hut in seine endgültige Form bringen. Das ist ganz ähnlich der Cigarrenherstellung, auch dort gibt es für die verschiedenen Schritte der Herstellung jeweils Spezialisten. Übrigens kommen aus Ecuador auch Cigarren, die ihre Qualität ganz besonderen Klimabedingungen des Andenlands verdanken. Aber das ist eine andere Geschichte.

Ein Utensil für Heiratsschwindler an der Côte d'Azur

Je feiner die verwendete Faser und je sauberer das Muster der Knüpfung, um so zeit- und arbeitsaufwändiger ist die Herstellung eines Panama-Hutes; entsprechend fällt der Preis aus. Ein fino fino aus Montecristi, der womöglich mehrere Monate für seine Fertigung benötigt hat, erreicht mühelos einen Verkaufspreis von 5000 Euro. Doch auch einfachere, aus weniger filigranen Fasern gefertigte Hüte sind durchaus nützliche und wertvolle Begleiter überall dort, wo die Sonne sticht. Diese Exemplare liegen preislich deutlich schattiger, hier werden Sie bereits ab 60 Euro fündig. Was für ein handgefertigtes Bekleidungsaccessoire nun wirklich kein Preis ist. Sollten Sie daran denken, Ihren Lebensunterhalt als Heiratsschwindler an der Côte d'Azur zu verdienen, muss es allerdings doch auf jeden Fall ein fino fino aus Montecristi sein, die in Frage kommenden vermögenden Damen achten auf so etwas.

Ich besitze seit mehr als 20 Jahren einen Panama-Hut, und er begleitet mich seitdem durch jeden Sommer. Er lachte mich damals aus dem Schaufenster eines Marks & Spencer Kaufhauses auf der Kanalinsel Guernsey an. Die liegt bekanntlich im Ärmelkanal, der eben so bekanntlich nicht von Teddy Roosevelt gegraben wurde, sondern seine Existenz der Erdgeschichte verdankt. Dieser Hut gefiel mir auf Anhieb, mit seiner klassischen, zurückhaltenden Form und dem hübschen blau-roten Band; zudem war er preislich von einem fino fino so weit entfernt wie Guernsey von Ecuador. So betrat ich Marks & Spencer in Guernseys „Hauptstadt“ St. Peter Port und begab mich in die Herrenabteilung, wo verschiedene Exemplare des Gesuchten eins der Regale zierte. Bis der Verkäufer erschien, umrechnete ich noch rasch meine Hutgröße von cm in Zoll. Mit der Bemerkung „A very good choice!“ quittierte der distinguierte ältere Herr meinen Wunsch nach einem Panama-Hut, griff, ohne mich nach der Hutgröße zu fragen, hinter sich und kam darauf mit einem Exemplar um seine Theke herum, um es mir sachte aufzusetzen.

Es passte perfekt, ich staunte über das gute Auge des Verkäufers, über das gegen Null tendierende Gewicht, und, nicht unwichtig, gefiel mir mit der Kopfbedeckung im Spiegel. Der Kauf war geritzt, der Mann von Marks & Spencer bedankte sich, legte den Hut zurück ins Regal und holte unter der Theke eine längliche Holzkiste hervor; in Form und Größe geeignet für eine sehr, sehr große Cigarre. Noch ehe ich mich darüber wundern konnte, öffnete er die Dose und entnahm ihr etwas, das im Material Ähnlichkeiten mit dem vorhin probierten Hut aufwies, jedoch ganz und gar nicht in der Form. Das änderte sich rasch; der Verkäufer nahm die strohige Wurst heraus und ließ sie sich kurz an die geänderte Umgebung anpassen. Heraus kam ein perfekt geformter Panama-Hut, der nur noch an ein, zwei Stellen an Krempe und Krone ein wenig mit den Fingern nachgeformt werden musste. Ich staunte.

Nach nunmehr zwanzig Jahren ist mein aus feinem Stroh gefertigter Hut noch immer ein sowohl nützliches, als auch schmückendes Accessoire, auch wenn er an der Krone eine deutlich sichtbare Bruchstelle vorweist, die ich nur stümperhaft mit Sekundenkleber am Weiterausfransen hindere. Nicht mangelnde Qualität des Hutes ist dafür verantwortlich, sondern unqualifizierte Behandlung meinerseits. Nur all zu oft habe ich den treuen Schattenspender beim Ziehen und Absetzen an der Knickfalte der Krone gefasst; dabei sollte man als Besitzer eines Panama-Hutes wissen, dass zu diesem Zweck einzig die Krempe dient. Dennoch liebe und trage ich ihn weiter; so eine Macke ist wie die fehlende Ecke an einer alten Keramikfigur oder die Schleifspuren an einer Messerklinge aus Laguiole. Der Hut hat eben Geschichte, und sollte einmal jemand nach dem Ursprung des Schadens fragen, werde ich sagen, ich sei einst beim Graben des Panamakanals an den Querrahmen einer Kellertreppe gestoßen.

Links:

Arsen und Spitzenhäubchen – Mortimer Brewster erfährt von den Opfern des Gelbfibers

Arsen und Spitzenhäubchen – Trailer

How to fold a Panama Hat

Stilikone Panamahut -– Arte Reportage

Ein Online-Shop für Panama-Hüte (dort kann man die verschiedenen Modellvarianten sehen)

Foto: Bildarchiv Pieterman

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Leserpost

netiquette:

Rudi Mentär / 30.07.2017

Kann sich noch jemand an die Panama Papers erinnern? Ist ja verdammt still geworden um das Thema.

Christine Maack / 30.07.2017

Mein Vater entstammte der bescheidenen Kriegsgeneration, die viel gearbeitet hat, sich selbst aber wenig gönnte. Vor etwa 30 Jahren hatte er beruflich in Ecuador zu tun und wurde von den dortigen Kollegen quasi genötigt, sich diesen Wahnsinnshut zu kaufen. Er kostete 300 Dollar, was meinen Vater fürchterlich schmerzte, aber er kaufte das Ding, um nicht das Gesicht zu verlieren und jammerte jahrelang über dieses überflüssige Ding. Ich besitze heute diesen Hut mitsamt der Schachtel und liebe dieses Erinnerungsstück. Dass man damit Erfolg bei den Damen an der Côte d’Azur hat, lässt mich überlegen, ob ich den Hut nicht meinem halbwüchsigen Sohn leihe, der nächste Woche and Cap Ferrat fährt…aber der versemmelt immer alles. Das wäre schade.

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