Nachdem die Zensur- und Sperraktivität bei Facebook in den vergangenen Tagen so richtig Fahrt aufgenommen hat (Motto: „Meinung kann nur MEINE sein, sonst hieße sie ja Deinung.“), hat der Eine und Andere von uns womöglich noch mehr Zeit, die Achse des Guten zu lesen. Und das Bedürfnis nach Einnahme eines wenigstens temporär wirkenden Antidepressivum steigt entsprechend sprunghaft an. Was bietet sich als solches besser als Musik? Zudem mit etwas nostalgischem Feeling verbunden...
Anfang der 1970er Jahre verbrachte ich fast jedes Wochenende im rund 30 Kilometer von mir entfernten niederländischen Maastricht. Diese Stadt wurde, wer weiß es nicht, Jahre später durch Politiker kontaminiert, die dort Verträge schlossen, welche längst in der Schublade „Gut gemeint ist das Gegenteil von gut gemacht“ verschwanden. Der freundlichen Atmosphäre dieses in weiten Teilen immer noch pittoresken Ortes an einem ebenso freundlichen Fluss namens Maas (DIE Maas, darauf legt das Gewässer großen Wert) hat das zwar bis heute keinen Abbruch getan, für einen großen Teil Europas hingegen … aber das ist eine andere Geschichte.
Dass es mich damals so oft nach Maastricht zog lag vor allem daran, dass es dort zuverlässig an den Wochenenden Auftritte von großartigen Bands gab, wie sie die westdeutsche Provinz noch nicht zu bieten verstand. Außerdem fand man in Maastricht Plattenläden, die ebenfalls gegenüber deutschen Tonträgerhandlungen ein um Lichtjahre voraus eilendes Sortiment boten, und in eben diesen Läden trieb ich mich mit ähnlich interessierten Freunden stundenlang herum. Was zusätzlich dadurch gefördert wurde, dass der Mensch an der Kasse nicht bloß gelangweilt herumlüngelte, sondern sich auch als eine Art Discjockey betätigte, also stets für die akustische Untermalung des Stöberns sorgte.
Bei einem dieser Besuche hörte ich ein Stück, das musikalisch so ganz und gar anders war als das, was man sonst in dieser Zeit zu hören gewohnt war – Hendrix, Santana, Stones, Doors sowie die vielen erstklassigen holländischen Bands der Zeit. Das akustische Kleinod sprach mich sofort an; dabei war die Tonqualität des Stückes ausgesprochen schlecht, es klang dumpf und wie mit einem Grundig Amateur-Tonbandgerät im Keller aufgenommen. Dennoch, es zog mich sofort in seinen Bann, und ich ging zum „DJ“, um zu erfahren, wer da so grummelig-nuschelnd sang und dazu eine ganz und gar entspannte Klampfe schlug.
Als ich den Laden verließ, war „Naturally“ mein
Auf der Theke stand das 30 mal 30 Zentimeter große Cover, es zeigt einen mit rotem Frack und schwarzem Zylinder bekleideten Waschbär, neben dessen Hinterbeinen – der Waschbär sitzt entspannt auf einem Baumstamm – ein Hund schlummert. Das Album heißt „Naturally“, das Stück „The Breeze“. Der Name des Interpreten, ein gewisser J. J. Cale, war mir unbekannt. Wow, war das gut! Doch viel zu schnell war „The Breeze“, eine Miniatur von gerade einmal zweieinhalb Minuten, vorbei, und gerade wollte ich den Chef bitten, „The Breeze“ nochmal zu spielen, da kam schon der nächste Titel der LP, und der war fast ebenso mitreißend wie der erste, nur wieder ganz anders, und dann ging es so weiter, mal mit Tempo, mal mit Melancholie, mal mit entspanntem Vorsichhinklampfen und -fideln. Kurz: als ich den Laden verließ, war „Naturally“ mein. So wie dann später auch alle weiteren Platten von J.J. Cale, dem „Schweiger aus Tulsa“.
Der bis heute wohl bekannteste Song der 1972 erschienenen Platte ist „After Midnight“, was wohl daran liegt, dass Eric Clapton ihn bereits zwei Jahre zuvor eingespielt hatte. J.J. hörte Claptons Version, inzwischen ein Hit, im Radio seines Wohnwagens und freute sich, dass er davon finanziell ein wenig profitieren würde. „I was dirt poor, not making enough to eat and I wasn't a young man. I was in my thirties, so I was very happy. It was nice to make some money." Ein Freund Cales überredete den Musiker – der eigentlich am liebsten auf der Veranda seines Hauses saß und die Saiten zupfte – mit weiteren Songs eine Platte unter eigenem Namen zu veröffentlichen und so vielleicht etwas von der Popularität von „After Midnight“ zu profitieren. Was zwar gelang, aber nicht im angemessenen Umfang. J.J. blieb nämlich weiterhin ein zurückhaltender Zeitgenosse, hockte als „Okie“ in Oklahoma, schrieb brillante Songs und spielte sie zusammen mit Freunden zur eigenen Erbauung und Entspannung.
Es dauerte bis Mitte der 1970er Jahre, ehe sich J.J. Cale zu einer Tournee außerhalb der USA durchringen (lassen) konnte. Inzwischen waren weitere LPs unter seinem Namen erschienen, „Really“, „Okie“ und „Troubador“, allesamt kleine, wenn auch nicht überragende Erfolge; „Troubador“ schaffte es immerhin acht Wochen in die deutschen LP Charts und bis auf Platz 22.
Liveauftritte vor vielen Leuten waren nie sein Ding
Als ich ihn zu dieser Zeit zum ersten Mal live sah, war die Düsseldorfer Philips-Halle zwar gut besucht, aber nicht so brechend voll wie bei anderen Konzerten, die ich dort erlebte. Ich war nicht begeistert. J.J. spulte mit seiner Handvoll Musikern ein kaum eine Stunde langes Konzert ab und ließ erkennen, dass er eigentlich lieber jetzt gerade in Tulsa auf seiner Veranda mit einem Joint und seiner Gitarre sitzen würde als in Düsseldorf. Ich war enttäuscht und schrieb eine wenig freundliche Kritik für ein Szeneblatt.
Doch wie hatte er mal gesagt: „Es gibt Entertainer und es gibt Musiker. Ich selbst war nie ein Entertainer.“ Naturally – diese eher ernüchternde Erfahrung konnte meine Liebe zum Oakie-Troubador und passionierten Grasshopper nicht wirklich schmälern, und das ist bis heute so geblieben. Liveauftritte vor vielen Leuten waren eben nie sein Ding, und das musste man verstehen und akzeptieren. Dafür entstand eine nette Strecke von großartigen Platten unter eigenem Namen sowie eine kaum zu überschauende Anzahl zeitloser Songs, die dem Musiker durch die Lizenzeinahmen auch so ein angenehmes Leben ermöglichten.
Denn es entstanden zahlreiche Coverversionen seiner Lieder, darunter von Musikern wie Bill Wyman, Kansas, Lynyrd Skynyrd, Johnny Cash, Joe Cocker, Carlos Santana, Leon Russell, Tom Petty und natürlich seinem eigentlichen „Entdecker“ und lebenslangen Freund Eric Clapton. Mit diesem zusammen entstand 2006 das feine Album „Road to Escondido“, und gemeinsame Liveauftritte waren keine Seltenheit. Neben einem weiteren Gitarrenhelden fühlte J.J. sich auf der Bühne nicht ganz so sehr im Mittelpunkt, und man sieht in Aufzeichnungen dieser Konzerte, dass ihm so etwas wie Starallüren und Egotrips völlig fremd waren.
Im Juli 2013 starb J.J. Cale im Alter von 75 Jahren. Doch, wie heißt es immer bei solchen Verlusten: „Seine Musik lebt weiter.“ Was auf ihn bezogen alles andere als eine Floskel ist. J. J. Cale, der Schweiger aus Tulsa, hat einen sicheren Platz in der populären Musik der letzten 50 Jahre, auch wenn er nie – aus eigener Entscheidung – in der vordersten Reihe gespielt hat.
J.J. Cale Naturally (2006)
J.J. Cale & Eric Clapton The Road To Escondido
Eric Clapton and J.J. Cale Interview aus dem Jahr 2006
J. J. Cale live im L.A. guitar shop McCabe's (mit Tom Petty)
Sie finden viele, viele weitere Links auf Youtube unter dem Stichwort J. J. Cale