Archi W. Bechlenberg / 22.01.2017 / 06:25 / 3 / Seite ausdrucken

Das Anti-Depressivum zum Sonntag: Oberweite

Heute Abend – also Sonntag – kommen wieder einmal ein paar enge Freunde zu Besuch. Auch wenn wir alle nicht weiter als 10 Kilometer auseinander wohnen, sehen wir uns doch viel zu selten; jeder hat halt im Alltag sein Päckchen zu tragen, was schade ist, aber nicht zu ändern. Wir rauchen bei diesen Treffen gemächlich die eine und andere feine Zigarre, trinken den Gesetzen und der Verantwortung entsprechend und hören dabei Musik.

Zum Leidwesen eines der Anwesenden, der, obwohl längst ein meisterhafter Chirurg, noch immer dem Punk verbunden ist. Solche Musik halte ich natürlich streng unter Verschluss, nicht, dass der Mann, der ohne Probleme als Bouncer vor einer Discothekentüre wirken könnte, noch anfängt zu pogoen. Natürlich wird auch stets erzählt und geredet, was dann leider, trotz strengster angedrohten Strafen, letzten Endes ins Politisierende abgleitet. Es dürfte klar sein, dass das aktuelle, dominierende Thema größenwahnsinnige, beratungsresistente, uneinsichtige, egomanische, verantwortungslose, unfähige, planlose und gefährliche Politik sein würde. Und wären wir damit durch, würde womöglich auch noch über Donald Trump geredet.

Solche Gespräche werfen unschöne Schatten auf eigentlich dem Eskapismus, also Geist, Genuss und Gelassenheit gewidmete Herrenabende. Daher habe ich für dieses Mal eine todsichere Strategie gewählt, mit der jeder Gedanke an die Welt da draußen bereits im Keim erstickt wird. Wir werden uns einen Film anschauen. Einen Film von Russ Meyer.

Als ich zum ersten Mal – es muss in den 1970ern gewesen sein – einen Streifen dieses vollkommen wahnsinnigen Regisseurs sah, war ich … nun ja, ich war etwas verstört. Derart Wüstes hatte ich bis dahin noch nicht vorgeführt bekommen, und es brauchte eine gewisse Zeit, bis ich dieses Erlebnis verarbeitet hatte.  Dabei war „Im tiefen Tal der Superhexen“ (Beyond the Valley of the Dolls) nicht einmal ein besonders krasses Beispiel für Meyers Werk, immerhin hatte ein Major Studio, die 20th Century Fox, das Machwerk produziert, und die Fox stand vor allem für Kommerz und Massentauglichkeit, was gewisse Regeln und Einschränkungen mit sich brachte.

Dass ausgerechnet Meyer für die Fox arbeiten durfte, hatte einen durch und durch kommerziellen Grund. Dem damaligen Chef Richard D. Zanuck war aufgefallen, dass Meyer für fünfstellige Beträge Filme drehte, die Millionen einspielten, und Millionen konnte die Century Fox gerade sehr gut brauchen; nachdem man mit Cleopatra, dem bis dahin teuersten Film der Geschichte, einen Riesenflop produziert hatte, war die Fox über Jahre hinweg reichlich klamm. Geld musste her. Also gab man in der Erwartung üppiger Gewinne Russ Meyer einen siebenstelligen Etat, um die Fortsetzung eines damals höchst erfolgreichen Romans, „Das Tal der Puppen“ zu drehen. Meyer, der bis dahin stets mit äußerst beschränkten Budgets gedreht hatte, war aus dem Häuschen. „Für die Fox zu arbeiten, das war, als hätte man einen Verrückten in einer Spielzeugfabrik losgelassen“ erinnerte Meyer sich später an diese Episode.

Riesige, überdimensionale, groteske, furchterregende Brüste

Russ Meyers Spielzeuge waren vor allem eins: Brüste. Riesige, überdimensionale, groteske, furchterregende Brüste. So riesig, überdimensional, grotesk und furchterregend, dass man sie als Zuschauer nicht wirklich ernst nehmen konnte und bis heute kann. Für Meyer hingegen waren es die Brüste, die die Welt bedeuten. „In rund zwei Dutzend Russ-Meyer-Filmen dominieren Damen mit den pneumatischsten Oberweiten der Filmgeschichte“ fasst der Filmkritiker Rolf Thissen das Werk Meyers in einen Satz zusammen. „Ja, ich bin von meiner Mutter gestillt worden, Ja, meine Mutter hatte schöne große Brüste. Nein, ich habe nie einen Psychiater aufgesucht“ aagte Russ Meyer. Er sah seine Obsession mit dem ihm eigenen Humor auch kritisch: „Wenn ich mich nicht so sehr für Busen interessiert hätte, wäre aus mir vielleicht ein großer Filmemacher geworden.“

Damit stapelt er reichlich tief; von der Filmtechnik her war er ohne Frage einer der ganz großen Könner seines Fachs, und auch kommerziell hat er einiges aufzuweisen. Vier seiner Filme finden sich unter den kassenträchtigsten Streifen aller Zeiten. Es wäre ein Missverständnis, Russ Meyers Werk als plumpes Sexkino abzutun. Roger Ebert, Amerikas wohl renommiertester Filmkritiker, hat über Meyer geschrieben:

„In einem Genre, das von schleimigen Profitgeiern beherrscht wird, ist Meyer der beste Techniker und der einzige Künstler. […] Seine Filme waren nicht nur deswegen erfolgreich, weil an der Kinokasse immer ein gewisses Interesse für Sex besteht, sondern weil die Zuschauer spüren konnten, dass Meyer die Filme für sich selbst machte; dass die jeweilige Erfahrung, den Film zu machen, in seinem Leben wichtiger war, als ihn heraus zu bringen.“

Russ Meyer wird 1922 im kalifornischen Oakland geboren, sein Vater stammte aus Deutschland. Schon früh faszinieren ihn bewegte Bilder; und bereits als Junge dreht er Schmalfilme. Dem Filmen leidenschaftlich verbunden kommt Meyer 1944 mit einer Wochenschaueinheit nach Europa und filmt das Kriegsgeschehen, unter anderem nimmt er an der Bulge Battle, der verlustreichen Ardennenschlacht teil. Ende 1945 kann er wieder nach Hause. Er wird Angestellter eines Firma, die Industriefilme produziert, doch nach einigen Jahren ödet ihn das Filmen von Eisenbahnen, Brücken und Fabriken nur noch an. Er lernt Hugh Hefner kennen und wird Fotograf beim Playboy-Magazin. Sicherlich eine entscheidende Stufe auf dem Weg zum Atombusen-Archivar. Alles Weitere ist Filmgeschichte.

„Typen mit kantigen Gesichtern und einem IQ von 37“

Meyers überproportionierte Frauen sind keine zum Sexualobjekt degradierten, schwachen Weibchen, und seine männlichen Figuren sind alles andere als die aus Porno- und Sexfilmen bekannten, stets ihren Mann stehenden Hengste; gerade die Männer in seinen Filmen sind jämmerliche, verklemmte, sadistische und gewalttätige Typen, die nur  jämmerlichen, verklemmten, sadistischen und gewalttätigen Typen unter den Zuschauern als Vorbilder dienen könnten. Meyer sprach von seinen männlichen Filmfiguren als Möchtegern-Machos, als „Typen mit kantigen Gesichtern und einem IQ von 37“.

Prototyp dieser Spezies war Meyers Lieblingsdarsteller Charles Napier (1936 - 2011), dessen sensationelle Hackfresse wir aus weit über 100 Filmen und Fernsehserien, darunter Blues Brothers, Das Schweigen der Lämmer, Austin Powers oder Philadelphia kennen. Niemand verkörperte den Widerling in Person so überzeugend wie Napier, der privat ein ausgesprochen freundlicher Mensch war. Napier war, so schreibt Rolf Thissen, die ideale Verkörperung typischer Meyer-Männer. „Ein Heavy der besten Sorte, besonders geeignet für die Darstellung übler Typen.“

Charles Napier ist auch der Oberfiesling in dem Streifen, den wir uns heute Abend zu Gemüte führen. Super Vixens aus dem Jahre 1974 beginnt gleich mit einem Paukenschlag: In der Kulisse einer öden amerikanischen Wüstenlandschaft nähert sich der Abschleppwagen einer Autowerkstatt namens Martin Bormanns Super Service, dazu erklingt das Horst Wessel Lied. Dort arbeitet Clint als Tankwart, dessen lüsternes Weib Super Angel ihn nach Hause beordert.

Clint, eine Art White Trash Bobby Ewing ist folgsam; beim folgenden Versuch, den ehelichen Pflichten nachzukommen, versagt er allerdings, was zu einem hässlichen Streit mit Super Angel führt. Auftritt Charles Napier als Polizist Harry Sledge, der vom Nachbarn gerufen Clint mit einem Gummiknüppel ausknockt, ohne groß zu fragen. Wenig später – Clint laboriert an seiner Kopfverletzung im Krankenhaus - kommen sich Harry und Super Angel näher, doch auch der so toughe Bulle versagt, was zu einem noch unschöneren Streit führt, in dessen weiteren Verlauf Harry Super Angel in der Badewanne mittels eines ins Wasser geworfenen Transistorradios entleibt.

Wer schon das für reichlich wüst hält, ahnt nicht, was noch folgt. Darunter eine Riege weiterer Frauen mit schweren Rückenproblemen wie Super Haji, Super Cherry, Super Soul, Super Eula sowie Super Vixen, die sich als Wiedergeburt der zuvor ermordeten Super Angel erweist. Am Ende kommt es zum Showdown zwischen Harry, Clint und Super Vixen alias Super Angel, und alles wird irgendwie gut.

The f*** you get is not worth the f*** you get!

Für 400.000 Dollar produziert spielte Super Vixens innerhalb der nächsten fünf Jahre bereits mehr als 13.000.000 Dollar ein. Doch der finanzielle Erfolg war nicht alles. „Meyer ist ein proletarischer Surrealist, der seine Kamera so expressiv und rigoros benutzt wie Hitchcock oder Antonioni. In seinen fähigen Händen wird eine weite, öde Wüste zu einer moralischen Landschaft. […] Super Vixens ist ein wirklich apokalyptischer Film“ schreibt ein Kritiker über Meyers Gewalt- und Busenorgie, und er ist nicht der Einzige, dem es gelingt, im Werk des Meisters mehr als nur die formatfüllenden Möpse zu sehen. Was unter anderem dazu führt, dass Meyer zu europäischen Filmfestivals eingeladen wird und einige seiner Filme in die Sammlung des Museum of Modern Art (MoMA) in New York aufgenommen werden.

Sie sehen, liebe Leser, auch unser heutiger, vordergründig den niederen Instinkten gewidmeter Abend hat einen durchaus ernsthaften Hintergrund. Mit Absicht habe ich den Beginn auf den frühen Abend gelegt. Es soll den Anwesenden im Anschluss genügend Gelegenheit geboten sein, über das Gesehene zu reflektieren und zu diskutieren. Auf einen fruchtbaren Diskurs über die minimalästhetische Wirkung des filmischen Schaffens von Russ Meyer (1922-2004) und dessen Einfluss auf die Eichhörnchenpopulation von Wisconsin zwischen 1974 und 1979 freue ich mich ganz besonders. Ich hoffe, auch Sie haben heute einen angenehmen Wochenendausklang.

Dank der Anti-Humor-Brigade nur mit Anmeldung anzuschauen:

The Latin Brünhilde - Beneath The Valley Of The Ultravixens Dokumentation hier

Russ Meyer als Fotograf hier.

Noch mehr zum Thema Geist, Genuss und Gelassenheit finden Sie auf Archi W.Bechlenbergs Blog Herrenzimmer

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Leserpost

netiquette:

JF Lupus / 22.01.2017

Trailer zu Super Vixens hier.??? Seite kann nicht geöffnet werden… Hat die Kahane-Maas-Anti-Kolonne da auch schon zugeschlagen?

Uli Hengst / 22.01.2017

Es ist zu befürchten, dass dieser gute Versuch fehl schlägt. Denn allzu leicht kann man hierbei in einer Diskussion über Oberweiten bei Brüderle und der Dirndl-ausfüll-Diskussion landen, von der aus es nicht mehr weit zum Feminismus im Allgemeinen, Genderismus im Besonderen und dann das Gespräch wahrscheinlich doch wieder zur verfahrenen allgemeinen Gesamtsituation führen wird.

jens scheunemann / 22.01.2017

Mein Kompliment, bei der Filmwahl wird Trump wirklich Nebenthema.

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