Das Anti-Depressivum zum Sonntag: Gere und Busse

Eine Woche liegt hinter uns, in der sich Deutschland wieder einmal als Kulturnation an allen Fronten zeigen konnte. Allein die Berlinale! Haben Sie auch die Bilder von Richard Gere mit  Begleitung gesehen? Ist es nicht sensationell? Früher Chanel No. 5, heute wabert Kernseife und Essigreiniger in der recht ausgeprägten Nase. Das ist endlich mal wieder ein alter weißer Mann, an dem es nichts zu mäkeln gibt. Was auch zwei an exponierter Stelle im hiesigen Staat tätige Damen finden und ihm deshalb vor laufenden Kameras an den Lippen hingen.

Gleich zwei Filme, so wissen es gewöhnlich gut irritierte Kreisel, stellt der frühere Beau im Hauptprogramm der Bundeshaupstadt vor. Eine Neuverfilmung von „Pünktchen und Anton“ sowie eine Fortsetzung seines wohl beliebtesten Films mit Julia Roberts, diesmal unter dem Titel „Ugly Women“. Ja, Sie haben richtig gelesen: Mehrzahl. Der alte Schwerenöter will es noch einmal so richtig krachen lassen. Ob es wieder eine Badewannenszene gibt? Oder wird in der freien Natur geplantscht, so ganz authentisch und nachhaltig? Dann kann man nur hoffen, dass die Location Scouts korrekte Arbeit leisten und am ausgewählten Drehort kein Schierlings-Wasserfenchel wächst. Dieser schmucke Endemit im Gebiet der Tide-Elbe, eine Charakterart des Nasturtio officinalis-Oenanthetum conioidis und somit eine Meister Röhricht-Assoziation sonder gleichen hätte ja bekanntlich beinahe eine weitere Vertiefung der Elb-Philharmonie verhindert. Doch die Kultur hat gesiegt. Wir bleiben am Ball.

Kultur in Sachsen – Das Denkmal des aufrechten Busses. Viel wurde über dieses Mahnmal des Öffentlich-Rechtlichen Nahverkehrs gesagt und geschrieben, ich erspare Ihnen und mir daher weitere Überlegungen. Nur eins sei gesagt: Kann es ein besseres Symbol für das geben, was die Deutschen bis zur Selbstaufgabe für alle Zeiten betreiben müssen? Nämlich Busse tun? Sie müssen nicht antworten.

Jo da leck mich en de Täsch

Kultur auch im Rheinland. Die Rot-Grünen Funken der Karneval-Traditionsvereine Dä Pharisäer und Die Tollen Antifanten wollen in Köln nach den närrischen Tagen weiter aktiv bleiben. Ihr strategisches Ziel: das örtliche Maritim Hotel, Austragungsort eines AfD Parteitags im kommenden April. Den wollen die Jecken verhindern. Warum sie das tun? Die Begründung ist erwartungsgemäß närrisch: „Köln stand, steht und soll immer stehen für Weltoffenheit, Toleranz und nicht zuletzt Nächstenliebe“. Wer von Ihnen, liebe Leser, einen gewissen Widerspruch zwischen Anspruch und Handeln entdeckt, ist leider kein Narr und kein Jeck und daher mit dem weltoffenen Kölner Wesen nicht vertraut. Ihnen sagen Jux und Tollerei nicht zu? Bei Namen wie Bläck Fööss, Klüngelköpp  oder Rockemarieche legen Sie womöglich die Ohren an? Jo da leck mich en de Täsch.

Einen unschönen, wenn auch eher schwachen Schatten auf die Kölner Nächstenliebe warf im Anschluss die Meldung, Mitarbeiter des Hotels würden bedroht. Sie sollten sich weigern, der AfD vor Ort dienstbar zur Hand zu gehen, sonst...  Das klingt nicht sehr weltoffen, doch die Knallpresse wusste die Dinge zurecht zu rücken. Keine Morddrohungen waren es, sondern nur Todesdrohungen. Ein feiner, nicht zu unterschätzender Unterschied. Todesdrohungen, in diesem Wort schwingt das Schicksalhafte mit, das nicht Greifbare, Unvermeidliche.

Morddrohungen hingegen, da sieht man den rechten, beglatzten Nazirassist-Meuchler geradezu vor sich, wie er um Heim oder Versteck des anvisierten Opfers schnürt. Zur Morddrohung gehört unabdingbar der schurkische Mörder; Freund Hein hingegen erwartet uns ohnehin alle und ist somit weitaus sympathischer in seiner geradezu familiären Beziehung zu dir und mir. Dennoch, ganz in Ordnung sind diese Drohungen nicht, und so muss ich mahnend den Finger heben und anregen, dass sich doch bitte bis April die eine und andere Gelichterkette rund um das Hotel bilden möge, gerne mit jecker, musikalischer Untermalung, damit die im Maritim Arbeitenden nicht einen falschen Eindruck vom toleranten Köln gewinnen können.

„Uns're Oma fährt im Hühnerstall Motorrad“

Wo wir gerade bei Musik sind: Haben Sie von den unglaublichen Ereignissen in einer Kleinstadt gelesen, deren Name mir entfallen ist? Ich weiß nur, dass er etwas mit übel riechendem Käse zu tun hat. Eine dort ansässige Veganerin fühlte sich von dem blutrünstigen Lied „Fuchs, du hast die Gans gestohlen“ belästigt, das über den Dächern des Ortes, von güldenen Glocken gespielt, zu gewissen Zeiten erklingt. Beziehungsweise erklang, denn ihrer Beschwerde wurde von der ortsansässigen Verwaltung in Person des Bürgermeisters Marius Hahn wohlwollend stattgegeben. Nun ist Ruhe über allen Giebeln.

Der Text, so die Dame, sei ihr einfach zuwider, schließlich käme darin ein Jäger mit Schießgewehr vor, und das missfalle ihr zutiefst, selbst dann, wenn, wie im konkreten Fall, der Text überhaupt nicht erklingt, da die Melodie bloß geklöppelt wird. Man muss das verstehen, Veganer sind nun einmal besonders empfindlich, wenn es um das Wohl von Fuchs und Hase geht, und dass es einem Bürgermeister namens Hahn auch nicht gerade gefällt, wenn ein solcher Räuber sich an Federvieh vergreift, liegt geradezu auf dem Flügel. Immerhin hat man noch 14 andere Melodien auf Lager, von daher sei für Ersatz gesorgt.

Um welches musikalische Kulturgut es sich handelt, ist mir nicht bekannt. Man muss hoffen, dass nicht weitere strittige Melodien darunter sind. „Uns're Oma fährt im Hühnerstall Motorrad“? Dann hat man nicht nur die Tierschützer, sondern auch die CO2 Bekämpfer auf der Matte. „Ein Männlein steht im Walde?“ Ein Fall für die Gendergendarmerie! „Die Affen rasen durch den Wald“? Rassismus und Umweltfrevel! „Auf der Mauer, auf der Lauer“ MAUER? Geht's noch? „Ihr Kinderlein kommet“? Die Hymne der Pädophilen! Nicht auszudenken, jemand, der wie ich einst bei den Pfadfindern Fahrtenlieder lernte, würde auf der Suche nach Ersatz eine ältere Ausgabe der „Mundorgel“ durchblättern und das legendäre „Negeraufstand ist in Kuba“ entdecken. Das gäbe aber einen Aufstand! Ich sehe offen gesagt eine schwere, wenn nicht hoffnungslose Zukunft für das Glockenspiel in Käseburg. Man muss etwas finden, das gar keinen Text und einen unverdächtigen Titel hat. Wie wäre es mit dem „Ententanz" target="_blank" >https://www.youtube.com/watch?v=ClBL_hciRj8">Ententanz“ ?

Eine arten- und geschlechterübergreifende Lebensgemeinschaft

Dabei – und das ist das Pikante an der Fuchs-Affäre – handelt es sich ausgerechnet bei „Fuchs du hast...“ um ein ganz und gar positives Werk, das von einer wunderbaren Freundschaft erzählt. Der Fuchs hat  die Gans nicht gestohlen und gefressen, sondern aus dem Stall befreit, um sie vor der Schlachtung zu bewahren. Sie ziehen dann beide aufs Land und bilden eine arten- und geschlechterübergreifende Lebensgemeinschaft voller Weltoffenheit, Toleranz und nicht zuletzt Nächstenliebe. Der Fuchs ernährt sich nur noch von Gänseblümchen, und die Gans adoptiert in der letzten Strophe ein hässliches Entlein, dessen Nachkommen viele Generationen später die Grünen gründen. Ist das nicht goldig?

Apropos goldig: Veronika Ferres hat einen Sack Kartoffeln umfallen lassen. Sie, so die Überschrift in der WELT, „möchte nicht mit Donald Trump im Aufzug steckenbleiben“. Hübsch darunter die nachfolgende Zeile bei WELT Online: „Dauer 196 Sekunden“. Womit wir wieder bei der Berlinale wären. Rührend der Versuch einer Radioreporterin, dem Regisseur Paul Verhoeven Begeisterung für das ihrer Ansicht nach so selten wie noch nie „politische Festival“ abzuringen. Souverän bügelt der alte weiße Mann sie ab; von Politik habe er nichts mitbekommen, und er hoffe doch, stattdessen gute Filme zu sehen.

Keine Kulturkolumne ohne Lese- und Hörtipp. Falls Ihnen der Name Eugen Egner nichts sagen sollte: der Mann hat einst das legendäre „Tagebuch eines Trinkers“ geführt, in dem man so lebensnahe Einträge wie diesen findet: „14. Februar: Teures Mittel gegen Magnesiummangel gekauft. Viel von Parallel-Universen gelesen, versucht hinzugelangen, häßlicher Sturz. Noch am Boden liegend Wunder erlebt! Verstorbener Großvater erschien, um mir Scharlachbergflasche hinzustellen. Grosse Hilfe.“

Egner hat eine Reihe von großartigen Büchern mit Geschichten und Bildern verfasst, ich lege Ihnen den Mann aus vollem Herzen ans Herz. Sie sollten einen gewissen Sinn für die Geschehnisse in Parallel-Universen haben, es könnte Sie ansonsten verunsichern, wenn Sie bei der Lektüre erkennen, dass wir alle selber in einem – oder gar mehreren - solchen leben und das bisher nicht gemerkt haben.

Bei Youtube finden Sie einige Radio-Hörspiele nach Eugen Egner, unter ihnen mein Favorit „Zu jung für eine eigene Hose“. 50 Minuten großartige, hyperrealistische Absurdität. Der stets hoch zu verehrende Herbert Rosendorfer hat einst in Sachen Egner gefordert: „Ich bitte, Herrn Egner den Nobelpreis zu verleihen, zumindest aber, ihn zum Papst zu wählen (Eugen V.).“

P.S. Aus einem kulinarischen Zeitungsartikel der vergangenen Woche: "Pangasius ist deshalb so beliebt, weil er nicht nach Fisch schmeckt."

Lesen Sie auch Archi W.Bechlenbergs Blog Herrenzimmer

Foto: Bildarchiv Pieterman

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Leserpost

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Reiner Steppkes / 12.02.2017

Nun weiß man endlich, wie echte kölsche Jecke denken: Als tolerant und weltoffen darf man sich bezeichnen, wenn man im hillije Kölle politisch Andersgläubigen verbieten möchte, eine - friedliche - Veranstaltung durchzuführen. Ich laach mich kapott! Leev Lück, wo wart ihr denn, als an Sylvester 2015 eine unfriedliche Veranstaltung im Schatten der Domtürme ablief? Och joo, da wart Ihr tolerant und weltoffen. Steht eijentlich noch dä echte Jeck vör der Dom mit seinen antisemitischen Sprüchen? Sicher auch ein Zeichen von Toleranz und Weltoffenheit? Seid Ihr eijentlich beklopp? Och joo, han ich janz verjesse: Ihr seid jo Jecke, die sinn eso un dürfe dat.

Gabriele Schulze / 12.02.2017

Danke! Köstlich!

Reiner Arlt / 12.02.2017

Eine Anmerkung noch zur Verbannung der tierfeindlichen Melodie vom Rathaus: Meines Wissens spielen die Glockenspiele vieler Rathäuser noch immer das Lied “Üb immer Treu und Redlichkeit”. Sind die Ratsherren alle dermassen unsensibel? Ist wirklich noch nie einem von ihnen in den Sinn gekommen, wie ausgrenzend, ja Beleidigend dieses Lied auf all jene armen Neubürger wirken muss, denen die Liebe zu “Treu und Redlichkeit” auf Grund unglücklicher sozialer Umstände nicht in die Wiege gelegt wurde? Oder die - gleichermassen auf Grund der Umstände - gehindert sind, “Treu und Redlichkeit” zu üben, weil sie ja angesichts der jämmerlichen “Sozialleistungen” von irgend etwas ihren besseren Lebensunterhalt bestreiten müssen?

Thomas Schade / 12.02.2017

Richard Gere war bei Merkel, um ihr seine Pläne für seinen neuen Film vorzustellen. No Borders soll sein Film heißen. Sämtliche Einnahmen gehen an die Til Schweiger Foundation. Merkel betonte gegenüber Gere, dass sie keinerlei urheberrechtliche Ansprüche hinsichtlich des Drehbuchs geltend machen wird. Gere bedanke sich. Beide zeigten anschließend ein freundliches Gesicht.

Wolfgang Lang / 12.02.2017

Idiotie und Absurdität in Schland ist weder durch Kabarett, noch extremistische Literatur einzufangen. Sie hat sich verselbständigt und durchdringt alle Poren der Gesellschaft.

Heiko Stadler / 12.02.2017

Wo ist der Widerspruch zwischen “Weltoffenheit, Toleranz, Nächstenliebe” und einem verlockenden Vom-Leben-Erlöse-Angebot?

Günter Schaumburg / 12.02.2017

Früher: Deutschland, das Land der Dichter und Denker. Heute: Schland, das Land der Bekloppten und Blender.

Klaus Blankenhagel / 12.02.2017

Einfach koestlich Herr Bechlenberg..

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