Thomas Rietzschel / 20.04.2016 / 16:30 / 5 / Seite ausdrucken

Das Alte stürzt, es ändert sich die Zeit, und neues Leben blüht aus den Ruinen

Wenn man früher, in der DDR, ewig auf alles Mögliche warten musste, um schließlich mit unfreundlicher Dienstleistung oder mangelhafter Ware abgefertigt zu werden, hieß es stets: „Keine Leute, keine Leute!“ Die achselzuckend vorgetragene Ausrede rechtfertigte jegliches Versagen. Wer sie zu hören bekam, wusste, dass er sich abzufinden hatte. Er musste sich weiter „keinen Stress machen“, nicht renitent auffallen, sich keinen Ärger einhandeln, konnte getrost die Faust in der Tasche ballen: war ja doch nichts zu machen.

Tempi passati! Schnee von gestern? Keineswegs, jedenfalls nicht, wenn es um die Politik geht. Da ist aus der einstmals ostdeutschen längst eine gesamtdeutsche Lethargie geworden. Der Westen hat vom Osten dulden gelernt. Obwohl immer mehr Bürger an der fachlichen, moralischen und demokratischen Befähigung unseres politischen Personals zweifeln, würden die meisten von ihnen, dieselben Versager, allen voran die Bundeskanzlerin Angela Merkel, wieder mit ihrer Stimme ins Amt befördern.

„Wer soll es denn sonst machen, ist doch niemand sonst da“, lautet die beinahe schon redensartliche Entschuldigung der Duckmäuser und Leisetreter, nachdem sie hinter vorgehaltener Hand Dampf abgelassen haben. Meine Güte! möchte man da jedesmal ausrufen. Leben wir denn auf einem einsamen Eiland in der Südsee, wo ein paar Dutzend Eigeborene und eine Handvoll Aussteiger unter sich einen ausgucken müssen, der das politische Geschäft versieht?

Immerhin zählt Deutschland zu den am dichtesten besiedelten Ländern Europas. Zuletzt, am 29. Januar 2016 um 9.48 morgens, meldete die Statistik „mindestens 81,9 Millionen“ Einwohner. Zieht man davon all jene ab, die aufgrund ihres Alters oder sonstiger Kriterien noch nicht oder nicht mehr wahlberechtigt sind, bleiben noch immer über sechzig Millionen, die ihre Stimme abgeben können.

Und es ist ja auch nicht so, dass sich die Deutschen dieser Masse nicht bewusst wären. Gerade in den letzten Monaten wurde wiederholt an die personelle Stärke der Nation erinnert, wenn es hieß: Achtzig Millionen müssten doch in der Lage sein, ein paar hunderttausend, vielleicht sogar zwei oder drei Millionen "Schutzsuchende" zu integrieren. Werden dagegen ein paar Politiker gesucht, die fachlich und ethisch befähigt sein sollten, Deutschland zum Vorteil und im Sinne der Bürger zu vertreten, soll uns das Land plötzlich personell verarmt erscheinen. Weit und breit niemand in Sicht, der den Posten des Bundeskanzlers besser ausfüllen könnte als die ostdeutsch geschulte Angela Merkel?

Sind wir tatsächlich gezwungen, diesen dreisten Spatz in der Hand festzuhalten? Gibt es wirklich jemanden, der das ernsthaft glauben mag? Woher kommt dieser absurde Fatalismus?

Vieles spricht dafür, dass die Mehrheit der Deutschen im privaten Rückzug die politische Realität aus dem Blick verloren hat. Im Biedermeier der Konsumgesellschaft sind die Bürger den Parteien in Falle gegangen, indem sie sich zu der Annahme haben verführen lassen, allein im Sumpf des politischen Establishments könne das politische Personal der Zukunft gedeihen. Und da freilich hält man dann in der Tat vergebens Ausschau nach Talenten, die es besser verstünden.

Alles, was bei dieser Inzucht über die Jahrzehnte herausgekommen ist, ist aber eine Parteien-Wirtschaft, die um ihrer selbst willen vor sich hin werkelt. Die ursprünglichen Bindungen an dieses oder jenes Milieu haben sich aufgelöst. An ihre Stelle ist der Schulterschluss einer Politikerkaste getreten, die das Volk, das sie vertreten sollte, bedenkenlos in den Dienst ihrer Existenzsicherung stellt. Über allem steht die Teilhabe an der Macht. Andere Grundsätze spielen keine Rolle mehr. Jeder koaliert mit jedem. Um die Pfründe zu wahren, bilden Schwarze, Rote und Grüne einen Block. Sachsen-Anhalt macht gerade den Anfang.

Und der Bürger, was sagt er dazu? Er murrt und fragt sich unverdrossen, wer es denn sonst machen soll. Dabei könnte er die Demokratie durchaus wieder vom Kopf auf die Füße stellen, wenn er über den Bannkreis der Altparteien hinausblickte, nicht davon ausginge, dass sich das politische Personal zwangsläufig aus diesem Pool rekrutieren muss. Damit wären zwar noch nicht alle Probleme gelöst, aber der Zweifel könnte doch über den Fatalismus siegen, mit dem wir die Versager im Amt halten, weil wir glauben, dass man „keine Leute“ gewinnen könne, die mehr auf der Pfanne haben.

Schließlich ist das parteiorientierte Wahlverfahren kein Naturgesetz, das für alle Zeiten in Stein gemeißelt wäre. Vielmehr zeigt die Überforderung der regierenden Funktionäre, dass da etwas im Argen liegt, Reformen überfällig sind. Auf der kommunalen Ebene wächst ja bereits heute der Anteil parteiunabhängiger Bürgermeister zusehends. Die Wähler wählen, wen sie für befähigt halten, nicht, wenn die eine oder andere Partei ins Amt befördern möchte, um selbst weiter expandieren zu können.

Dass die Einführung ähnlicher Verfahren auf Landes- und Bundesebene eine grundlegende Reform der Wahlgesetzte verlangte, steht außer Frage. Ebenso steht aber außer Frage,dass das vor allem jene als Utopie abtun, die uns im Glauben mangelnder Alternativen halten müssen, weil sie die unabhängige Konkurrenz fürchten. Doch selbst in der DDR haben die Bürger schließlich erkannt, dass die Ausrede „Keine Leute, keine Leute!“ eine faule war, und zwar auf allen Gebieten.

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Wolfgang Richter / 22.04.2016

Der Bürger wird von den Politikern insgesamt, denen der sog. etablierten Parteien, die die Republik inziwschen auf so fziemlich allen Ebenen vereinnahmt haben, schon länger nicht mehr wahr genommen. Und wenn wie bei den letzten Landtagswahlen ein Quasi Denkzettel verteilt wird, interessiert das auch keinen, wie man an den aktuell sich installierenden Koalitionen sehen kann. Es wird einfach neben dem bisher zweiten auch noch ein dritter Partner mit ins Boot genommen, bis es am Ende auf den Block oder wie es im Osten Deutschlands lange hieß, auf die Politik einer Einheitspartei hinaus läuft, Hauptsache man bleibt irgendwie an der Macht, oder zumindest am Steuertropf und muß sich nicht mit der Scuhe nach einem “Brotjob”  aufhalten. Und wenn am Ende nur noch die Damen und Herren aus der Politik zur Wahlurne schreiten sollten, weil sich alle anderen frustriert ob ihrer “Machtlosigkeit” abwenden, dann haben immer noch -alle- gewonnen. Um das zu ändern wird es wohl nötig sein, daß der Punkt kommt, an dem bundesweit auf die Straße gegangen wird, um den Fleischtopfbesetzern klar zu machen, daß sie nicht nur schon lange keine Mehrheit mehr haben, sondern daß der Bürger die “Schnauze voll hat” und nicht gewillt ist, sich von diesen Phrasendreschern länger verkohlen zu lassen. Aber der Punkt ist offenbar noch nicht erreicht.

Karla Kuhn / 21.04.2016

“Wer soll es denn machen, ist doch niemand sonst da”, ist die faulste Ausrede, die ich gehört habe. Damit wollen die Menschen, die in der Komfortzone leben, diese bloß nicht verlassen müssen.  Maulhelden sind die meisten aber wehe, sie sollen mal aufstehen. Karl Marx hat schon geschrieben: “In seinem Sessel behaglich dumm, sitzt schweigend das deutsche Publikum.”  Heute habe ich in der S Bahn einen Franzosen getroffen, der mich gefragt hat, warum die Menschen nicht auf die Straße gehen?  Ist der Deutsche ein Masochist ?  Vielleicht aber ich glaube, diese Front bröckelt.

Wolfgang Schnetzer / 21.04.2016

Erwin Pelzig ... alias Frank-Markus Barwasser hat in einer seiner Sendungen einmal die vorhandenen, vor allem aber der nicht vorhandene Fähigkeiten von Politikern aufgezählt, die staatstragende Ämter innehaben. Ohne Namen zu nennen konnte der Zuhörer anhand dieser Aufzählung problemlos erkennen wer gemeint war. Als Pelzig mit seiner Liste endlich fertig war,  zeigten sich die Zuhörern, die anfangs viel gelacht hatten, sichtlich betroffen.  Pelzig beendete seine Ausführung mit der Frage, wie groß wohl die Chance sei bessere Minister zu finden, indem man die Posten einfach innerhalb der Bevölkerung auslost und erntete dafür tobenden Applaus.

Thomas Schlosser / 20.04.2016

Es gäbe ja schon eine politische Alternative, deren Führungspersonal sich übrigens ausschließlich aus Leuten speist, die in ihrem Berufsleben schon etwas geleistet haben (was in diesem Land ja schon per se unter Generalverdacht gestellt wird). Doch solange sich die maßgeblichen Medien in diesem Land als Propagandainstrument der etablierten Parteien verstehen und dem deutschen Michel den Untergang Deutschlands suggerieren, sollte diese Alternative jemals über Mehrheiten in den Parlamenten verfügen, solange wird sich der als ‘mündiger Bürger’ getarnte deutsche Duckmäuser nicht trauen, dieser Partei seine Stimme zu geben. Da bleibt wohl doch nur die langfristige Option auf Auswanderung, in ein Land, das noch nicht von Irren regiert und bevölkert wird….

Felix Hecht / 20.04.2016

“Eine grundlegende Reform der Wahlgesetze” ist nicht einmal nötig. Das Parlament als Kontrolleur des Geldes und damit der Regierung wird wiederhergestellt durch Direktwahl der Abgeordneten, wie sie ja im GG verlangt wird. Kleine Änderungen, die viel bewirken: - Kandidiert wird entweder im Wahlkreis oder auf der Landesliste. Keine “Absicherung” mehr. - Nicht die ganze Liste wird gewählt, sondern ein Name ist anzukreuzen. Die Namen stehen alphabetisch auf dem Zettel. - Die Zahl der Abgeordneten steht fest. Keine Überhang- und sonstigen Zaubermandate mehr. Das Ergebnis: jeder einzelne Kandidat steht tatsächlich zur Wahl. Das kann, für unsere jetzigen Abgeordneten ganz furchtbar, die Abwahl sein.

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