Schön, wahr und gut. Allerdings denke ich, dass die “offene Gesellschaft”, die sich evolutionär entwickelt (und das Primat der Vernunft voraussetzt) und die Popper abgrenzte von den revolutionären, gemeint: ausgedachten, erfundenen, nach “Plan” gemachten Ordnungen oder Gesellschaften, mithin den auf Ideologien beruhenden und auf sie ausgerichteten Gesellschaften, nichts mit dem zu tun hat, was Sie unter “offener” Gesellschaft Popper unterzwirbeln wollen. Das, was wir jetzt erleben, ist das genaue Gegenteil von dem, was Popper wollte. Das alles fallibel ist, heisst ja nicht, dass alles Alte falsch ist, sondern es heisst, dass auch alles Neue falsch ist. Oder richtig. Falsch und richtig sind die falschen Kategorien. Am Falschen festzuhalten, ist falsch. Ebenso wie das Neue anstreben, nur weil es neu ist. Denn nur, weil es neu ist, ist es nicht richtig. Die krankhaften Versuche, überkommene Werte “umzuwerten”, Versuche, die seit Beginn des 20. Jahrhunderts von Ideologen unternommen und zum Teil in die Tat umgesetzt wurden, Abermillionen von Menschenleben gekostet haben und viel Leid und Not und Zerstörung nach sich gezogen haben, sind ganz gewiss nicht im Popperschen Sinn gewesen. Eine “offene Gesellschaft” im Sinne Poppers verwirft nicht und “wertet” nicht ständig “um”, sondern entwickelt sich, mal in die eine Richtung, mal in die andere. Dazu gehört eine fortwährende Kontrolle, ob das, was sich entwickelt, allen den größten Nutzen bringt. Da aber insbesondere der Staat gar nicht weiß und wissen kann, was dem Menschen am meisten nutzt, geschweige denn, was ihn glücklich macht, ist es dem Staat gerade verwehrt, diese Kontrolle vorzunehmen. Das muss jeder einzelne tun und sein Handeln danach ausrichten. So verändert sich Gesellschaft. So ist sie “offen”. Was wir jetzt erleben und erleiden ist derselbe Versuch wie zu Beginn der sogenannten Moderne, den “neuen Menschen” zu formen, ob dies der neue sozialistische, ökologische, “deutsche”, gegenderte Mensch ist, ist nebensächlich. Allein die Idee zu haben, Menschen in diesem Sinne zu formen (Ursprung ist der Unhold Rousseau), ist schon verwerflich, auf den “Wert” dieser Idee oder Ideologie als solche kommt es gar nicht an. Gleichwohl bin ich bei Ihnen (und bei Popper).
Was soll denn – um nur eines der vielen schlechten Beispiele, die der Autor anführt, zu nennen – der Gedanke, dass die Verkehrsüberwachung ein Repressionssymptom wäre? Ist das Rasen auf Ausfahrtsstraßen, ist das Falschparken etwa in Ordnung? Schaue ich mir an, wie rücksichtslos, gemeingefährlich und vernunftlos sich etliche Verkehrteilnehmer trotz der vielen Schilder und Punkte in Flensburg verhalten, komme ich doch eher zu dem Schluss, dass es sich hier um ein Symptom dafür handelt, dass Menschen in bestimmten Situationen selbstsüchtig handeln und nicht einsichtsfähig sind, so dass entsprechende „Freiheitsverluste“ einfach erforderlich sind.
Konservative “glauben nicht an ein Ende der Geschichte, sondern an immer neue Anfänge aus Geschichte.” Der beste Beleg, dass diese Kernerkenntnis nicht nur eine intellektuell daherkommende Redewendung, sondern die Grundlage unseres heutigen Lebens ist, ist unser Grundgesetz. Denn dieses ist (wie auch andere Verfassungen) gleichermaßen Essenz aus einer mehrhundertjährigen Geschichte der politischen Philosophie und die Grundlage unseres heutigen Lebens (unterteilt in die beiden Hauptrubriken “Grundrechte” und “Staatsaufbau”). Es ist durch die Tragödie und Katastrophe der Nazi-Diktatur, so könnte man meinen, aus dem Blick geraten, dass das Grundgesetz nicht auf spontanen Einfällen der “Väter des Grundgesetzes” beruht, sondern eben auf mehrhundertjährige Geschichte. Diese gilt es zu erhalten, bewusst zu machen und als Ausgangspunkt für “immer neue Anfänge aus Geschichte” zu machen. Das kann ganz in dem Popper’schen Sinn geschehen, also durch eine offene Debatte, die das Kernmerkmal einer offenen Gesellschaft ist. Unser Grundgesetz gibt nicht vor, zu welchem Ende unsere zukünftige Geschichte führt; alles, was es vorgibt, ist die Art und Weise, wie wir zu den “immer neuen Anfänge(n) aus Geschichte” kommen. In diesem Sinne ist das Grundgesetz nicht nur un-ideologisch, sondern anti-ideologisch. Das ist gleichermaßen wichtig wie notwendig. Denn ich sehe (im Gegensatz zu Herrn Weimer) nicht, dass “sich die westliche Welt ihrer Ideologien entledigt” hat. Das wird auch auf absehbare Zeit nicht geschehen. Denn Ideologien haben einen entscheidenden Vorteil gegenüber der (auch vom Grundgesetz geforderten) offenen Gesellschaft (im Popper’schen Sinn! nicht in ihrer verballhornten Sicht von Grenzöffnung): Ideologien machen die Welt übersichtlich, letztlich einfach! Das ist ein in der Tat großer Vorteil gegenüber der offenen Gesellschaft. Auch der intellektuelle Aufwand der Ideologie-Theologen kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich Denkfaule, eingebildete Schein-Denker und Dumme leicht unter den simplen Phrasen, die jede Ideologie bereit hält, versammeln lassen. (Das gilt für Ideologien mit und für solche ohne Gott.) Ideologien sind Zerstörer der Geschichte, mit Ausnahme des kleinen Ausschnitts der Geschichte, der sie hervorgebracht hat. Die offene Gesellschaft nach Popper und im Sinne unseres Grundgesetzes benötigt die Geschichte als Ausgangspunkt der Gestaltung von Gegenwart und Zukunft. Die Schlüsselrolle fällt daher dem Konservativen zu.
WW gehört zu den Leuchtürmen der Achse. Was er äußert, in Funk, TV, oder in seriösen Blättern überregionaler Bedeutung, ist klug und regt die „kleinen Grauen“ Zellen an. Besonders auch meine Wenigkeit immer dann, wenn ich seiner Philosophie nicht zu folgen vermag.
Nimm dem Deutschen Geld , Auto und Fernsehgerät/Internet und er muß wieder das Laufen lernen. Mit der Endlichkeit des Lebens mag er sich nicht auseinander setzen . Tod und Unglück ist immer etwas daß andere betrifft. Aber nur wenn ich mich meiner Verantwortung den vergangenen Generationen gegenüber bewusst bin ,werde ich auch die Gegenwart nicht einfach nur ” Konsumieren”. Bloß wenn ich keine Kinder habe , was dann? Alles tote Äste? Die 68er haben schon ganze Arbeit geleistet und mit ihrem Hass auf Autoritäten gleich die ganze Kultur mit entsorgt. Vielleicht finden konservative Bewegungen nur deshalb so wenig Zulauf weil es Mühe macht verantwortlich und werterhaltend zu leben.
“Konservativ ist nicht ein Hängen an dem, was gestern war, sondern ein Leben aus dem, was immer gilt.” Das Schlimmste an dem was wir heute erleben ist, das zu negieren, was immer gilt, was dem Menschen Orientierung gibt. Das sollte gerade in Deutschland zu einer Rückbesinnung führen. Eine deutsche Geschichte, von der man zwölf Jahre auslöscht, verdrängt, oder sie aufarbeitet, wird dadurch nicht in Gänze aufgehoben. Es gibt sie. So vieles in Kultur, Lehre, Kunst und Literatur zeugt davon. Man muss sich nicht verstecken. Man muss seine Identität nicht aufgeben. Hat nicht die erste Nachkriegszeit gezeigt, was in einem Volk steckt, das von einem totalitären Regime so vergewaltigt und gedemütigt worden war. Sich alter Werte erinnernd und zu Neuem fähig, ist es aus diesen Trümmern neu erstanden. Derzeit sieht es allerdings so aus, als wolle man das, was in über siebzig Jahren entstanden ist, samt der Geschichte über Bord werfen. Lieber sollte man es mit Friedrich Schlegel halten: “Unsere Ahnen alte Kunde Ist es, was mir Hoffnung gibt; Wann, belehrt in treuem Bunde, Man das Alte wieder liebt.”
Schade, dass Herr Dobrindt dies bei seiner Erklärung der “bürgerlichen Revolution” nicht parat hatte!
Ich habe die Ankündigung des Buches mit großem Interesse und in der Hoffnung gelesen, einen überzeugenden Ansatz für eine konservative Rückbesinnung zu finden und verbreiten zu können, wurde aber doch eher enttäuscht. Ein Beispiel: Dass dem Autor hier als Musterbeispiel für ‘Repression’ und ‘schleichenden Freiheitsverlust’ als Folge angeblich ‘kindischer Regeln’ und der Kontrolle von deren Einhaltung durch den ‘Überwachungsstaat’ nichts Besseres einfällt als Verkehrszeichen und Radarkontrollen, lässt mich so sehr an seiner Ernsthaftigkeit zweifeln, dass ich fast gar keine Lust habe, sein Buch zu lesen. Ich finde, ein Konservativer sollte klare und möglichst präzise Regeln und deren glaubwürdige Überwachung besonders für einen Bereich, in dem es sehr schnell um Leben oder Tod, bzw. schwerste körperliche Beschädigung gehen kann, begrüßen. Andererseits sollte für einen Konservativen die ‘Repression’ den möglichen Auswirkungen der Übertretung von Regeln angemessen sein. Wie der Autor angesichts des absolut lächerlichen Kataloges an Sanktionen für letztlich lebensbedrohende Regelübertretungen oder solche, die bereits Leben zerstört haben, im deutschen Verkehrsrecht überhaupt von ‘Repression’ sprechen kann, ist mir völlig unverständlich. Ein anderer Aspekt: Es gibt im Hinblick auf die Geschichte und die Traditionen eines Volkes sicher mehrere Konservativismen, die eine moderne konservative Bewegung zusammenbringen müsste. Ein krasses Gegenbeispiel dafür war das Luthergedenken. War es konservativ, dabei die Bauernkriege und Luthers ideologische Rolle bei der blutigen Niederschlagung dieses Volksaufstandes und deren historische Konsequenzen zu verdrängen ? Ist es konservativ, in erster Linie die Prachtbauten des deutschen Adels (wer baute sie ?), wie z.B. das Berliner Stadtschloss als Identität stiftend anzusehen oder wäre es nicht eher z.B. die Charité als lebendiges Denkmal deutscher Wissenschaftlichkeit im Dienste des Allgemeinwohls ?
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