Politik besteht zum großen Teil aus der Kunst, über Bande zu spielen. Ein hübsches kleines Exempel dafür lieferte gestern Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU). Er stimmte in Brüssel für eine Verlängerung der Zulassung des Pflanzenschutzmittels Glyphosat um fünf Jahre. 18 der 28 EU-Länder stimmten in einem Vermittlungsausschuss für einen entsprechenden Vorschlag der EU-Kommission, neun Staaten votierten dagegen, einer enthielt sich. Deutschland stimmte nach Angaben aus EU-Kreisen für die Verlängerung – anders als bisher. Die Behörde will den Beschluss nun schnell umsetzen. Das ist eine hochsymbolische Entscheidung.
Hintergrund: Der ökologisch-industrielle Weltrettungs-Komplex in Deutschland wollte das Verbot dieses in der modernen Landwirtschaft nur schwer zu ersetzenden Mittels als Hebel benutzen, um eine weitere "Wende" herbeizuführen: Die "Agrarwende", die der modernen Landwirtschaft auf deutschem Boden ein Ende bereiten sollte, damit das Volk sich künftig ausschließlich biodynamisch von deutscher Scholle ernähre, nachhaltig und für mindestens 1.000 Jahre. Das war bei Jamaika bereits fest eingepreist, und eine Idee ähnlich irre wie die Energiewende. Ulli Kulke berichtete in den letzten Monaten auf der Achse ausführlich, siehe hier und hier und hier.
Doch Landwirtschaftsminister Schmidt trug den Dolch im Gewande und meuchelte hinterrücks die seit Jahren mit Fake-News vom Bande genährte Erzählung, die in keiner grünen Gute-Nacht-Geschichte fehlen durfte. Entsprechend schäumen die Düpierten wie eine zu lange geschüttelte Flasche Bionade.
SPD-Umweltministerin Barbara Hendricks warf ihrem CSU-Kollegen Christian Schmidt Vertrauensbruch vor. Sie habe noch am Montag gegenüber dem Landwirtschaftsminister erklärt, sie sei "mit einer Verlängerung der Zulassung von Glyphosat weiterhin nicht einverstanden". Dennoch habe der Vertreter des Landwirtschaftsministeriums in Brüssel für eine Verlängerung gestimmt – wer an "Vertrauensbildung zwischen Gesprächspartnern interessiert" sei, könne sich so nicht verhalten, erklärte Hendricks.
"Glyphosat wird zum Vertrauensvernichter"
Der gesundheitspolitische Sprecher der SPD Karl Lauterbach bezeichnet den Vorgang auf Twitter als "Skandal", SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles kritisierte die Entscheidung ebenfalls. "Ich werte das als massiven Vetrauensbruch", empörte sich Nahles über die Entscheidung, die "so nicht abgesprochen" gewesen sei. "Wir empfinden das wirklich als schwere Belastung." Über die Kanzlerin sagte Nahles: "Ich frage mich, ob Frau Merkel ihre Leute im Griff hat." Und sie fügte hinzu: Die Vertrauenskrise zwischen dem SPD- und dem CSU-geführten Ministerium könnte die ohnehin schon schwierige Regierungsbildung noch mehr belasten. "Glyphosat wird zum Vertrauensvernichter", orakelt die Süddeutsche Zeitung.
Ich vermute jetzt mal: Das war genau die Absicht. Offenbar haben weder Frau Merkel noch Herr Seehofer ihre Truppen in ausreichendem Maße im Griff. Wer welches Spielchen spielt ist nur schwer durchschaubar, fest steht aber, dass hier ein ferngesteuertes Torpedo gezündet wurde, von dem man noch nicht genau weiß, wo es einschlägt. Die Erklärung von Landwirtschaftsminister Schmidt ist jedenfalls von humoresker Unschuld geprägt: Er begründete das deutsche Abstimmungsverhalten in Brüssel damit, dass die EU-Kommission "sich ohnehin für die Verlängerung der Zulassung von Glyphosat entschieden" hätte. Nun ja, dann hätte Schmidt sich ja auch der Stimme enthalten können und alles wäre in Butter. Aber genau das wollte er wohl nicht. Es ging offenbar um eine Demonstration. Gegen was und für was wird sich noch rausstellen.
Das schöne an dieser politischen Ranküne ist jedoch, dass sie ausnahmsweise ausgesprochen positive Nebenwirkungen zeitigt. Es ist schlicht ein Sieg für die Vernunft und die moderne Landwirtschaft und eine herbe Niederlage für den grünen Panik-Komplex. Sollte die Groko zustande kommen, ist die Sache glücklich vom Tisch. Mit den Sozialdemokraten ist nichts weiter als ein Rückfall in die grüne Ausstiegs- und Hobbit-Mentalität zu erwarten.
In fünf Jahren aber werden sich die politischen Verhältnisse in Deutschland und Europa vermutlich so verändert haben, dass ideologische Wende-Phantasien ohnehin keine Chance mehr haben. Das Zeitfenster schließt sich und deshalb auch das Ensetzen der grünen Moralindustrie, die erstmals spürt, dass ihr die Felle davon schwimmen könnten.
Ein paar Fakten wider die Legendenbildung
Und jetzt zu den Fakten über Glyphosat, die bei der nun einsetzenden Legendenbildung ein wenig vernachlässigt werden. Susanne Günter, selbst in der Landwirtschaft tätig, hat sie kürzlich für Novo noch einmal zusammen getragen und ich zitiere hier nur einige der wichtigsten Passagen:
Das Bundesumweltministerium folgt in seiner Argumentation im Wesentlichen dem Umweltbundesamt (UBA). Dieses hat einen bestimmten Mechanismus ausgemacht, wie Glyphosat die Biodiversität schädige, und zwar einen indirekten Effekt: Glyphosat reduziere den Pflanzenwuchs, so dass Insekten und Vögel weniger Nahrung finden.
UBA-Chefin Maria Krautzberger beschreibt das folgendermaßen: „Denn Glyphosat und andere Breitbandherbizide tragen nachweislich zum Verlust der Artenvielfalt in Ackerlandschaften bei. Sie beseitigen auf Äckern jeglichen Wildpflanzenwuchs, so dass Insekten und Feldvögeln wie Lerche und Rebhuhn die Nahrungsgrundlage fehlt.“ (Umweltbundesamt für Mensch und Umwelt: „Kein ‚Weiter so‘ bei Glyphosat“, Umweltbundesamt online, 20.05.2016).
Als Beleg für diesen Zusammenhang wird stets auf eine Literaturstudie aus dem Jahr 2014 verwiesen, die das UBA in Auftrag gegeben hatte: „Das Schutzgut Biodiversität in der Umweltbewertung von Stoffen – Konzept für das Management des Risikos für freilebende Vögel und Säuger aus der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln unter Berücksichtigung indirekter Wirkung (Nahrungsnetz‐Effekte) und besonders geschützter Arten“ von Teresa Jahn, Hermann Hötker, Rainer Oppermann, Richard Bleil, Laura Vel. (Teresa Jahn et al.: „Protection of biodiversity of free living birds and mammals in respect of the effects of pesticides“, Umweltbundesamt online, April 2014, englische Originalversion).
Dieses Dokument ist eine mehr als 500 Seiten umfassende Arbeit, die u.a. von Mitarbeitern des Michael-Otto-Instituts im Naturschutzbund Deutschland (NABU) verfasst wurde und keinen Peer-Review-Prozess durchlaufen hat, wie das bei einer Veröffentlichung in einem wissenschaftlichen Fachblatt üblich gewesen wäre...
Was erfahren wir hier über Glyphosat und die Auswirkungen des Wirkstoffs auf die Biodiversität? Nicht viel: Wir erfahren etwas über Anwendungsweise und -häufigkeit und dass Glyphosat giftig auf Amphibien wirken kann. Letzteres ist lange bekannt und deswegen gibt es auch Abstandsregelungen zum Einsatz des Wirkstoffs in der Nähe von Gewässern. Aber zu den behaupteten indirekten dramatischen Auswirkungen auf die Biodiversität durch Glyphosat ist nichts zu finden außer Mutmaßungen...
In einem aktuellen Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages (Deutscher Bundestag: „Einzelaspekte der Verwendung von Glyphosat“, Wissenschaftliche Dienste, 01.06.2017) steht nichts zu diesen indirekten Effekten. Dort wird im Abschnitt „Auswirkungen von Glyphosat auf die Biodiversität“ lediglich auf eine umstrittene Studie verwiesen und festgestellt, dass Glyphosat sich „in Experimenten tödlich auf die gefährdete Art Pimelea spicata“ auswirke, was nicht überraschend ist, weil es sich hier um eine grünblättrige Pflanze handelt. Es ist aber auch nicht relevant, weil diese Pflanze nur auf dem australischen Kontinent vorkommt.
Natürlich reduziert Glyphosat den Pflanzenaufwuchs auf einer Fläche – zum Beispiel vor der Neuaussaat –, das macht die mechanische Bodenbearbeitung mit dem Pflug aber auch. Auch der Biobauer reduziert Biodiversität, wenn er zwischen seinen Maisreihen hackt. Und das muss er tun, wenn er nicht nur Kamille ernten will, sondern Mais.
Geradezu verräterisch wirkt dazu folgende Passage aus dem mehr als 4300 Seiten umfassenden Bericht der EFSA (Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit) zur Risikobewertung von Glyphosat: „Im Nachstehenden behandeln wir die Auswirkungen eines Herbizideinsatzes auf die Artenvielfalt terrestrischer Nichtzielarten, besonders im Hinblick auf Feldvogelarten. Zwar handelt es sich hier nicht um stoffspezifische Auswirkungen, sondern um Auswirkungen, die durch den Gebrauch von Herbiziden per se verursacht wurden. Trotzdem betrachtet die RMS es als angebracht, das Thema zur Sprache zu bringen, nachdem Glyphosat das in der EU am weitaus häufigsten benutzte Herbizid ist“.
Hier steht schwarz auf weiß, dass die vermuteten Effekte nicht typisch für die Substanz Glyphosat sind, sondern für den Gebrauch von Herbiziden per se. Auch mechanische Methoden wie Pflügen und Hacken reduzieren den Wuchs der Beikräuter auf dem Acker, das gehört zum Wesen des Ackerbaus. Der Hinweis, dass dieser Aspekt trotzdem wichtig sei, weil Glyphosat schließlich sehr breit eingesetzt wird, führt ins Leere: Wenn nicht Glyphosat, dann würde ein anderes Herbizid eingesetzt werden oder es würde mehr gepflügt werden. Beides hätte garantiert nicht mehr Pflanzenwuchs zur Folge und die ökologischen Konsequenzen der Alternativen werden hier gar nicht abgewogen.
Bei diesen Ackerbausystemen wird auf den Pflug verzichtet, was enorme Vorteile für Bodenleben und -struktur mit sich bringt: u.a. mehr Regenwürmer, mehr Humus im Boden, mehr Biodiversität, bessere Wasseraufnahmefähigkeit des Bodens, weniger Erosion, weniger Treibstoffverbrauch und geringerer CO2-Ausstoß. Es erscheint mir sinnvoll, bei der Diskussion um Herbizide und insbesondere um Glyphosat die Biodiversitätswirkung des gesamten Ackerbausystems zu betrachten und nicht nur die Wirkungen einzelner Maßnahmen. Bei einem direkten Vergleich schneiden Mulch- und Direktsaatsysteme sehr gut ab: Regenwürmer, Laufkäfer und Spinnen profitieren davon, dass Erntereste und anderes organisches Material an der Bodenoberfläche bleiben.
Ein Glyphosat-Verbot würde gerade die Landwirte abstrafen, die sich besonders viele Gedanken um Fruchtfolgen, Zwischenfruchtanbau, Bodenschutz, Reduzierung von Emissionen sowie die Wechselwirkungen in der Natur machen. Und es würde mangels sinnvoller Alternativen wahrscheinlich keinen Nutzen für den Umweltschutz bringen. Prof. Dr. rer. nat. Christoph Schäfers, Bereichsleiter Angewandte Ökologie am Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie in Schmallenberg, formulierte das bereits 2016 in einem Interview mit dem Blog schillipaeppa.net folgendermaßen : „Im Hinblick auf die Alternativen, die ökonomisch, aber häufig auch ökologisch und gesundheitlich problematischer sind, sollte die Genehmigung verlängert werden."