CSD Frankfurt 2016: Hitler-Satire fällt bei Homosexuellen durch

Was passiert, wenn beim Christopher Street Day in der Frankfurter Innenstadt ein gewisser „Adrian H.“ in einer rosafarbenen (Ver-)Führeruniform und mit einem eindeutigen Schnauzbart ein nicht minder zackig-eindeutiges „LIEB – GEIL!“ in die johlende Menge ruft? Werden die versammelten Lesben, Gays, Bi-, Trans- und Intersexuellen (LGBTI) den Reflex, den rechten Arm zu heben, unterdrücken können? Werden die ohnehin überforderten und irritierten Passanten mit einstimmen oder aber die Polizei holen und die versammelte Regenbogentruppe wegen akuter Volksverhetzung anzeigen?

Wenn es nach den Vorstellungen der Veranstalter des CSD Frankfurt gegangen wäre, hätte man Mitte Juli an der Frankfurter Konstablerwache dieses Szenario mit eigenen Augen erleben können. Und sehr wahrscheinlich hätte man dabei viel Spaß haben und gleichzeitig ein eindrucksvolles Zeichen gegen Rechtsradikalismus, gegen Verbote und für die Freiheit der Satire setzen können. Für die diesjährige Veranstaltung hatte man sich als Botschafter für „Adrian H.“ entschieden. Hinter der Kunstfigur in rosa Uniform steckt Tim Karasch, der diese mit seinem Partner Jochen Döring vom Comedy-Duo „Frankfurter Klasse“ entwickelt hat. H. stellt sich in Videos und auf der Bühne als gebürtigen US-Amerikaner und als „Großneffe eines berühmten Mannes“ vor, will aber nach eigenen Angaben eher wenig mit diesem wohl berühmtesten Österreicher aller Zeiten gemein haben.

Für die totale Durchrassung aller Menschen mit dem Kampfruf „Lieb Geil!“

Adrian H. tritt seinen Ankündigungen zufolge für die „totale Durchrassung aller Menschen“ ein, will die Vermehrung ankurbeln und zudem „Orgasmuskurse für Frauen“ anbieten. Mit dem Motto „Liebe für alle! Mit und für jeden. Bis wir alle braun sind!“ und dem Kampfspruch „Lieb Geil!“ taucht er schon seit einiger Zeit auf Theater- und Comedybühnen der Republik auf. Sogar eine Partei will er gegründet haben: Die L.S.D.A.P. (Liebes Süchtige Deutsche Amor Partei) will die Abschaffung des sexuell-geschlechtsbegrenzenden, altmodischen Konstrukts der Ehe vorantreiben. Kurz gesagt: H. möchte der größte Politiker Europas werden, um dann mit seinem Feldzug namens „Unternehmen Barbar-Rosa“ nach Russland einzumarschieren, um dort „den Halbnackten“ vom Pferd zu holen.

Mit der Wahl von Adrian H. zum Maskottchen des diesjährigen CSD und mit der Festlegung des Mottos „LIEB GEIL“ habe man gezielt provozieren, „den Rechtspopulisten den Stinkefinger zeigen“ und „die Community auffordern [wollen], sich mit aller Kraft für eine offene und respektvolle Gesellschaft einzusetzen“. Eine Veranstaltung wie der Christopher Street Day müsse auf den aktuellen Rechtsruck in der Gesellschaft reagieren, erklärten die Frankfurter Organisatoren: „Denn bei allen spezifischen Forderungen, die eine Gruppe wie die unsere für sich in Anspruch nimmt, ist es ihre Pflicht, in aller Deutlichkeit die Grundwerte einer freien Gesellschaft zu festigen.“

Die eigentliche Satire findet hinter der Bühne statt

Doch ganz offensichtlich teilen Teile der Community die Liebe der CSD-Veranstalter zu den Grundwerten einer freien Gesellschaft nicht, oder aber sie haben das Motto der diesjährigen Parade in Frankfurt ganz grundsätzlich missverstanden. Denn zum geplanten Auftritt von Adrian H. wird es nicht kommen – nicht etwas wegen Protesten von rechts, sondern wegen harscher Kritik aus den eigenen Reihen. Die eigentliche Satire begann nach dem Bekanntwerden der Pläne der CSD-Veranstalter – in Form eines Shitstorms gegen die geschmacklose „Verherrlichung von Nazisymbolen“. „Die Kritik aus der Community war massiv“, erklärte CSD-Sprecher Joachim Letschert. Einige Gruppen hatten angekündigt, die Veranstaltung zu boykottieren, andere kündigten Gegenveranstaltungen an. Im Internet war unter anderem von einer „äußerst unappetitlichen Zumutung“ sowie von „gedanklichen Entgleisungen“ der CSD-Organisatoren die Rede.

Das „Autonome Schwulenreferat der Frankfurter Goethe-Universität kritisierte, „rechte Symbole würden durch einen satirischen Umgang eher legitimiert“. Man hatte offensichtlich Angst, die Stimmung könne außer Kontrolle geraten, wenn viele Menschen in der Frankfurter Innenstadt das Motto „LIEB GEIL!“ rufen und den Arm heben. Für das Präventionsprojekt der Aidshilfe Hessen „Hessen ist geil“ kündigte Björn Beck in einer Erklärung vom 25. Juni 2016 ebenfalls das Fernbleiben an: Dort hielt man den Veranstaltern einen Mangel an „Weitblick, Selbstreflexion und Wissen um die eigene historische Verantwortung“ vor und betonte, man dürfe sich nicht anmaßen, „Täter_innensprache auf diese Weise zu verwenden“, und man habe die Pflicht, die Überlebenden der Shoah und ihre Nachkommen „vor einer (Re-)Traumatisierung zu schützen“. In einer Pressemitteilung distanzierte sich auch die Bundeskonferenz der schwulen, schwul-lesbischen und queeren Hochschulreferate von dem „paradoxen und verantwortungslosen Geschichtsverständnis“, das die Organisatoren des CSD Frankfurt an den Tag legen würden.

Schließlich sahen sich die Veranstalter des CSD Frankfurt aufgrund dieser massiven Kritik dazu gezwungen einzulenken. Der Auftritt von Adrian H. wurde abgesagt, und auch das Motto wurde geändert: Statt „Lieb geil“ lautet es nun glattgebügelt „Liebe gegen Rechts“. Die Welle der Empörung hätte das Veranstalter-Team „mit Bestürzung aufgenommen“, erklärte Letschert, der dem neuen Motto offensichtlich wenig abgewinnen kann: „Daran reibt sich niemand.“ Allerdings müsse man als Veranstalter dafür sorgen, dass der CSD friedlich ablaufe.

Mit deutscher Satire-Din-Norm nicht vereinbar

Die beiden Künstler der Frankfurter Klasse äußerten aufgrund der Zuspitzungen der letzten Tage Verständnis für die Entscheidung der CSD-Organisatoren, das Motto kurzfristig zu ändern. Comedian Tim Karasch erklärte aber auch: „Wir verstehen nicht, wie man diese totale Verunglimpfung Hitlers als Verherrlichung missverstehen kann. Humoristisches über einen Diktator wurde und wird in einem totalitären System in der Regel mit drastischen Strafen belegt – nicht zuletzt vor diesem Hintergrund können wir den Vorwurf der Verherrlichung nicht nachvollziehen. Während des Nationalsozialismus wäre ein Künstler, der sich mit einer Kunstfigur wie Adrian H. der Öffentlichkeit preisgegeben hätte, mit ziemlicher Sicherheit inhaftiert und mit dem Tode bedroht worden.“

Angesichts der massiven Kritik aus der eigenen Community ist das Einlenken der Veranstalter des Frankfurter CSD nachvollziehbar. Es bleibt aber bedauerlich. Bedenklich hingegen ist der Umstand, dass der satirische Umgang mit Diktatoren mittlerweile nicht mehr nur von diesen selbst, sondern auch von Menschen kritisiert wird, die sich selbst als Verfechter individueller Lebensentwürfe und als Verteidiger der persönlichen Freiheit verstehen. Allein daran zeigt sich bereits, wie sehr die Veranstalter mit „LIEB GEIL“ und Adrian H. inhaltlich ins Schwarze getroffen hatten.

Mehr noch: Der Shitstorm gegen die Hitler-Satire unterstreicht, dass die Vorstellung weit verbreitet ist, man müsse die eigenen politischen Anliegen gegen die Grundwerte einer freien Gesellschaft durchsetzen. Der erzwungene Verzicht auf die provokante CSD-Kampagne „LIEB GEIL“ ist ein weiteres Beispiel dafür, dass unsere Gesellschaft zunehmend Angst vor der eigenen Freiheit hat. In den vergangenen Monaten wurde das in den Auseinandersetzungen um Charlie Hebdo oder auch um das Böhmermann-Schmähgedicht deutlich. Mit dem Auftritt von Adrian H. hätte die LGBTI-Community zeigen können, wie ernst es ihr mit der individuellen Freiheit wirklich ist. Stattdessen macht sie sich so zum Opfer ihrer eigenen Vorurteile. Das ist bedauerlich.

Matthias Heitmann ist freier Publizist und Autor des Buches „Zeitgeisterjagd. Auf Safari durch das Dickicht des modernen politischen Denkens“ (TvR Medienverlag, Jena 2015). Seine Website findet sich unter www.zeitgeisterjagd.de. Dieser Artikel ist zuerst am 7.7.16 auf Cicero Online erschienen. Im aktuellen Videopodcast „Zeitgeisterjagd – der MonatsWahnsinn“ von Matthias Heitmann und Moderator Tim Lauth wurde Adrian H zu der Angelegenheit interviewt.

Foto: Christian Engels / Frankfurter Klasse

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Peter Lichtreich / 10.07.2016

Interessant ist aber auch, dass gerade der Rosa Winkel, den damls Homosexuelle KZ-Häftlinge tragen mussten, das Symbol der Schwulen-Bewegung wurde. Selbst das böse Wort SCHWUL hat man selbstbewusst genutzt und es ins Gegenteil verkehrt. Darauf war ich immer stolz, bis man die Regenbogenflagge nutzte. Hier hätte man einen großen Schritt weiter gehen können, aber die Chance vertan.

Uwe Fey / 09.07.2016

Das gibt’s doch nicht! Seit einiger Zeit beschäftige ich mit dem Thema “Gender-Mainstreaming” und dessen ausufernden Auswüchsen. Gestern Abend (ungelogen!) hatte ich eine spontane Idee für eine Karikatur: Ein (gender-gemainstreamtes) Mensch steht auf einer Bühne—gekleidet in einer regenbogenfarbenen Uniform—und hebt die rechte Hand zum Gruß: “Toleranz und bunte Vielfalt!”. Davor eine Menge ebenso gekleideter Menschen, welche unisono den Gruß erwidern: “Toleranz und bunte Vielfalt!”. Als Unterschrift hätte dort gestanden: “Neulich in Brüssel, bei irgendeiner NGO”. Hier ist mir, wie es scheint, die Realität mal wieder zuvorgekommen. BTW: falls ein Karikaturist die Idee umsetzten möchte, so stelle ich sie hiermit gerne zur Verfügung.

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Matthias Heitmann, Gastautor / 16.01.2024 / 12:00 / 24

Mit dem Traktor durch Frankfurt

Mittendrin statt nur dabei: Unser Reporter nahm auf einem Traktor Platz, der durch Frankfurt/Main rollte. Das Gespräch mit dem Bauern war angenehm unpolitisch, unaufgeregt, sachlich…/ mehr

Matthias Heitmann, Gastautor / 11.03.2023 / 14:00 / 28

Der Mut und die Nation

Der Ukrainekrieg zeigt nicht nur, wie falsch der Westen in seiner Bewertung von Wladimir Putin lag. Es wird auch deutlich, wie viel Bedeutung die Idee…/ mehr

Matthias Heitmann, Gastautor / 30.08.2022 / 14:00 / 20

Die Angst vor der Meinungsbildungsfreiheit

Der heutige Journalismus wirkt entpolitisiert und emotionalisiert. Er basiert auf der bedenklichen Vorstellung, dass Medienkonsumenten der moralischen Anleitung bedürfen. Die Corona-Krise nagt an den Nerven…/ mehr

Matthias Heitmann, Gastautor / 23.02.2022 / 16:00 / 39

Aufstand gegen die Angstapostel

Längst geht es um viel mehr als die Impfpflicht: Gegenwärtig entscheidet sich, wie wir als Gesellschaft künftig mit Ängsten umgehen wollen. Die alten politischen Schubladen…/ mehr

Matthias Heitmann, Gastautor / 04.09.2018 / 06:12 / 60

Organspende ja – Organabgabe nein!

Ich habe mich frei und freiwillig dazu entschieden, Organspender zu sein. Wenn die widerrufliche Organabgabe eingeführt führt, ist es gut möglich, dass ich widerspreche. Seit…/ mehr

Matthias Heitmann, Gastautor / 06.01.2018 / 10:30 / 16

Der Wochen-Wahnsinn: Ein Sportverein ist keine Partei

Peter Fischer, Präsident von Eintracht Frankfurt e.V., hat die AfD als „Nazis“ und „braune Brut“ bezeichnet und angekündigt, keine Nazis im Verein zu dulden. Nun…/ mehr

Matthias Heitmann, Gastautor / 30.12.2017 / 12:00 / 1

Der Wochen-Wahnsinn: 2017 – das Jahr zwischen den Jahren

Zum Jahreswechsel sprechen Zeitgeisterjäger Matthias Heitmann und Antenne-Frankfurt-Moderator Tim Lauth in ihrer Radiokolumne „Der WochenWahnsinn“ über den Sinn der Redewendung „zwischen den Jahren“. Eigentlich sei…/ mehr

Matthias Heitmann, Gastautor / 08.12.2017 / 18:34 / 2

Der WochenWahnsinn: Friedhofsruhe ist nicht friedlich!

„Ich bezweifle, dass Donald Trump Lösungen für die Konflikte in der Welt und auch im Nahen Osten liefert. Ich weiß aber, dass er nicht deren…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com