Rainer Grell / 18.11.2017 / 13:00 / Foto: Lusilier / 5 / Seite ausdrucken

Cool

Eine der schlimmsten Erfindungen der letzten Jahrzehnte ist die Coolness. Wer nicht „cool“ ist, ist out, kann nicht mitreden, gilt als Weichei. Zwar ließ Lenny Bernstein schon 1957 in seiner West Side Story „Ice“, den neuen Anführer der „Jets“ singen: “Got a rocket in your pocket. Keep cooly cool boy ... Just play it cool, boy, real cool.” Aber es dauerte noch ein paar Jährchen, bis sich „cool sein“ als generelle Leitlinie bei Jugendlichen durchgesetzt hatte. Aber so ist es ja häufig: Fax und Internet gab es auch schon lange, ehe beide Techniken weite Verbreitung fanden. Dabei ließ uns Anita Ekberg (das war die mit den gewaltigen Kurven aus Fellinis „La dolce vita“, die in den Trevi-Bunnen in Rom sprang), die kühle Miss Schweden 1950, nach ihren ersten Kontakten in Hollywood wissen, dass man dort nur weiterkomme, wenn man „cool“ sei. Wobei nicht ganz klar war, was das eigentlich konkret bedeuten sollte. Doch das war ja gerade das Coole daran.

Cool heißt zunächst mal kühl oder kalt und wird dann auch im übertragenen Sinne gebraucht. Also, to keep cool, die Ruhe, ruhig Blut, einen kühlen Kopf bewahren. Heute ist cool so ein Allerweltswort wie „interessant“ oder „Scheiße“ und bedeutet so viel wie „geil“, lässig, fetzig, frech und Ähnliches in dieser Richtung. Jugendliche finden heute alles „cool“, was in irgendeiner Weise gut ist. Das Gegenteil ist „uncool“ und so ziemlich das Schlimmste, was man sein kann.

Soweit so gut. Die Jugend hat zu allen Zeiten ihre eigene Sprache gehabt. Aber „cool“ fällt doch aus dem Rahmen. Es bezeichnet nämlich nicht nur eine Eigenschaft oder ein Werturteil, sondern auch eine Lebenshaltung. Mich erinnert der Begriff immer an „eiskalt“ und „knallhart“: Man schaut nicht rechts, man schaut nicht links, die Situation anderer berührt einen nicht, wenn man „cool“ ist. Man nimmt sie entweder gar nicht wahr oder lässt sich nicht anmerken, dass man sie wahrgenommen hat. Man steht irgendwie über der Sache. Ist der harte Hund, der sich durch nichts erschüttern lässt. Begriffe bzw. Empfindungen wie Mitleid, Mitgefühl, Trauer, Angst, Unsicherheit usw. kommen in diesem Zusammenhang nicht vor.

Bei Orwell hieß uncool sein "Gesichtsverbrechen“

Mich erinnert das immer an die Menschen, die George Orwell in „1984“ beschreibt: „Sein Gesicht blieb vollkommen undurchdringlich. Nur keine Unlust verraten! Niemals entrüstet sein! Ein einziges Zucken in den Augen konnte einen verraten.“ In dem Roman als Feind des Großen Bruders, heute eben als Weichei. „Es war schrecklich gefährlich, seine Gedanken schweifen zu lassen, wenn man bei einer öffentlichen Veranstaltung oder in Reichweite eines Televisors war. Die geringste Kleinigkeit konnte einen verraten. Ein nervöses Zusammenzucken, ein unbewusster Angstblick, die Gewohnheit, vor sich hinzumurmeln – alles, was den Verdacht des Ungewöhnlichen erwecken konnte, oder dass man etwas zu verbergen habe. Einen unpassenden Ausdruck im Gesicht zu zeigen – zum Beispiel ungläubig dreinzuschauen, wenn ein Sieg verkündet wurde –, war jedenfalls schon an sich ein strafbares Verbrechen. Es gab sogar ein Neusprachwort dafür: Gesichtsverbrechen.“

Nur keine Schwächen zeigen, keine Gefühle, keinen Einblick in sein Inneres gewähren, unbeteiligt ins Nichts schauen, das ist cool. Natürlich gibt es keinen Zusammenhang zwischen dieser Attitüde und der Haltung, die Orwell beschreibt. Denn heute droht niemandem Gefahr, wenn er nicht cool ist. Oder doch? Durchaus. Er geht das Risiko ein, von seinen Kumpeln, seiner Gruppe, seiner Clique, seiner Gang oder von wem auch immer als Schwächling angesehen zu werden, der nicht dazu gehört. Und wenn’s ganz schlimm kommt, wird er „gemobbt“, findet sich „im Netz“ bloßgestellt. Schlimmer geht’s nimmer.

Hinzu kommt ein weiteres Phänomen, das Paradoxon der Öffentlichkeit. In der realen Öffentlichkeit möchte man anonym bleiben, jeden Kontakt mit Mitmenschen möglichst vermeiden. Die könnten ja etwas von einem wollen, zum Beispiel Geld oder Hilfe. Und dann ein endloses Gespräch anfangen, aus dem man nur schwer wieder raus kommt. Deswegen reagiert man auch nicht, wenn jemand sich entschuldigt oder einem etwas zuruft. Ganz anders das Verhalten in der künstlichen Welt des Fernsehens oder des Internets. Hier breiten Menschen vor einem unübersehbaren, aber fernen Publikum ihre intimsten Gedanken aus. Und die gleichaltrigen Zuschauer finden das cool. Meistens jedenfalls.

Mag sein, dass ich mit diesen Überlegungen zu weit gehe, zu viel hineinlege, was gar nicht drin ist. Mag sein. Aber wenn bestimmte Verhaltensweisen immer wieder über einen längeren Zeitraum praktiziert und entsprechend etikettiert werden, können sie dann nicht auch prägend wirken, die Persönlichkeit verändern? Wer wagt denn heute noch höflich und hilfsbereit zu sein? Oder sich zu entschuldigen – außer mit diesem ewigen „Es tut mir leid“. Und wenn man gar zu nett ist („Sie sehen aber gut aus heute“), macht man sich vielleicht sogar verdächtig und löst einen „shitstorm“ aus. Ich muss das noch überdenken, aber ich habe das Gefühl, ich bin auf der richtigen Fährte. Auch wenn das vielleicht „uncool“ ist.

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Leserpost

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Barney Schubert / 19.11.2017

Sie haben einen gigantischen Fehler im Text. Niemand sagt mehr “Es tut mir leid” - alle sagen “sorry”...

Thomas Nuszkowski / 18.11.2017

Wenn man sich heute über irgendetwas aufregt, wird einem schnell vorgeworfen, man sei emotional. Man wird zur Coolness genötigt, denn cool ist das Gegenteil von emotional: emotionslos. Man wird zur Maschine mit minimalen Emissionen. Die Zeichen der Zeit besagen, dass die Freiheit, der Handlungsspielraum immer weiter eingeengt wird. Political Correctness z.B. engt die Sprache extrem ein. Coolness engt die Artikulation insgesamt ein. Vielleicht ist Coolness der Versuch sich in eine enge Situation einzupassen, eine Antwort auf Unfreiheit. Eine Möglichkeit, sich seine Souveränität trotz fehlender Freiheit zu bewahren. Man nimmt sich noch weiter zurück als es die Enge zulässt und erhält dadurch Spielraum.

Klaus Kalweit / 18.11.2017

Und was genau ist nun eine echt coole Socke? So jedenfalls nannte Jens Spahn Jürgen Trittin. Ich habe keine Vorstellung davon, was das sein soll und ob es überhaupt ein anerkennendes Kompliment ist, denke ich doch bei einer Socke eher an etwas Altmodisches oder an ein ungut riechendes Stück Textil.

Anders Dairie / 18.11.2017

Klemperer meinte,  dass die Zeit die Sprache ändert,  die Sprache den Menschen und dieser die anderen.  Die Begriffe cool und das Gegenteil kommen m.W. aus Amerika.  Mit den Filmen, die dortige Zustände aufzeigen sollten.  Nehmen wir “geil”.  Das kommt aus Deutschland - Ost, denn ich war dabei, und habe die ersten Worte Anfang der Sechtiger benutzt.  Damals war “Levi’s”  die allererste Wahl,  sie kam zuhause an, steif wie ein Brett, mit “blauem” Geruch… eben “geil”.  All das ist heute nur geklaut oder geborgt.  Das Un?wort des Jahres ” I bim” ist eine schwache Leistung.  Es kommt aus Ecken, wo man Schreiben und Lesen nicht können muß und ggf. deswegen?  ein Abitur nachgeschmissen bekommt. Oder gleich aus Osmanien.

Stefan Bley / 18.11.2017

Ich denke Sie sind auf dem richtigen Weg Herr Grell. Früher wollte man in den beiden totalitären Systemen Deutschlands der jüngeren Geschichte aus Angst vor Repressalien schlichtweg nicht auffallen, also als uncool gelten. Der Mechanismus heute ist etwas anders gelagert. Die vernetzte Jugend will als cool wahrgenommen werden, indem sie im Mainstreem schwimmend ihre Thumbs-up zu ernten versucht. Mit anderen Meinungen eckt da man nur an. Merkel, Maas und Co. haben das sehr gut erkannt und für sich zu nutzen verstanden.

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