Wolfram Weimer / 19.03.2016 / 14:38 / Foto: Olivier Colas / 2 / Seite ausdrucken

CDU: Der italienische Weg in die Marginalisierung

Die Krise der CDU ist größer als sie scheint. Das jüngste Wahlergebnis hat die Volkspartei erdbebenhaft tief erschüttert. In ihrem Stammland Baden-Württemberg hat die CDU in der Merkel-Ära jeden dritten Wähler verloren. Ein Wähleranteil von 27 Prozent markiert das schlechteste Ergebnis der Geschichte. Auch im Heimatland Helmut Kohls sackt die CDU auf historische Tiefstwerte ab. Eine Analyse der Adenauer-Stiftung warnt, dass man inzwischen sogar in der Stammwählerschaft einbreche. Es gebe überdurchschnittliche Verluste bei Älteren, Katholiken, Selbständigen und Landwirten.

Die Krise der CDU ist durch die Migrationspolitik der Bundesregierung dramatisch beschleunigt worden – doch sie zeichnete sich schon länger ab. Bei den letztjährigen Bürgerschaftswahlen in Bremen und Hamburg – also noch vor der Offentor-Politik Merkels – brachte sie es schon nurmehr auf peinliche 22,4 und 15,9 Prozent. Die Partei schlittert seit vielen Landtagswahlen auf abschüssigem Terrain. Sie hat in der Merkel-Ära ein halbes Dutzend Landesregierungen verloren – und gewinnt sie nicht mehr zurück. Sie wirkt inzwischen wie ein Scheinriese im Zaubermantel einer Kanzlerin, die nurmehr auf den Stelzen ihrer selbst umher stakst.

Die CDU verliert die alten Wähler aber gewinnt keine neuen

Nun kommt der Niedergang der CDU zusehends einem Achsbruch gleich, denn die Partei verliert ihre magische Autorität selbstverständlicher Macht und Mehrheit. Ihre Akzeptanz und ihr Selbstbewusstsein erodieren in einer Geschwindigkeit, die man ansonsten nur von Bundesliga-Absteigern kurz vor Saison-Ende kennt. Der spektakuläre Aufstieg der neo-konservativen AfD ist daher für die Union brandgefährlich, denn er trifft die Union im Moment großer Schwäche und könnte die Machtarchitektur der CDU an ihren Pfeilern brechen.

Die CDU ist unter Angela Merkel – was vielfach gelobt wird – „modernisiert“ worden, sie habe sich „neuen Milieus und Themen geöffnet“, sie habe „alten Ballast abgeworfen“ und sei für „metropolitane, junge Wählerschichten anschlussfähig“ gemacht worden. In Wahrheit ist die CDU unter der Kanzlerin bloß nach links gerückt – und sie gewinnt damit keine neuen Wählerschichten sondern verliert ihre alten.

Die Union hat derzeit keinen konservativen Flügel mehr, auch ihr wirtschaftsliberaler ist weitgehend verschwunden. Der Partei fehlen profilierte Köpfe wie Friedrich Merz oder Roland Koch. Einzig Wolfgang Bosbach ist wie ein letzter Herold des Traditionsbürgerlichen tapfer unterwegs und wird vom Kanzleramt nurmehr geduldet wie ein Hofnarr seiner Majestät.

Stromlinienförmiger Flugrumpf des manisch Mittigen

Während Helmut Kohl immer darauf achtete, dass eine Volkspartei wie ein Vogel nur mit breiten Flügeln fliegen können (er darum von Kanther bis Blüm die Lager gezielt einband), wirkt die CDU heute wie ein stromlinienförmiger Flugrumpf des manisch Mittigen.

Die Deformierung der Partei hin zum reinen Kanzlerinnen-Wahlverein führt auch dazu, dass der Wettbewerb um Ideen und Konzepte eingeschläfert ist. Wo bleibt eine Wertedebatte, eine Privatisierungsidee, ein bürgerliches Entlüftungsprogamm für den Bürokraten- und Bevormundungsstaat? Wenigstens eine Steuervereinfachung? Wo bleibt eine Kultur- und Geschichtspolitik, die ernsthaft nach Herkunft und Identität und Kulturformen der Eigentlichkeit und nicht bloß der politisch-korrekten Machbarkeit fragt? Wo bleibt eine Medienpolitik, die die dramatische Krise des öffentlich-rechtlichen Systems wenigstens hinterfragt? Wo bleibt eine Familien- und Mittelstandspolitik, die der Mitte der Gesellschaft endlich das Gefühl zurück gibt, sie seien auch abseits von Sonntagsreden wichtig in diesem Land? Wo bleibt die große Bildungsoffensive, die Deutschland schon so lange versprochen wird? Wieso bauen wir nicht die besten Universitäten der Welt? Wo bleibt der Schutz vor wachsender Kriminalität und Islamisierung? Weil es in der CDU keiner fordert. Der größte Erfolg bürgerlicher Politik der vergangenen Jahre liegt in der Freigabe des Fernbusverkehrs aus staatlichen Verbotswelten.

Italiens Democrazia Cristiana: Der völlige Niedergang vollzog sich im Zeitraffer

Die völlige Konzentration der Union auf eine einzelne Frau und auf ihren sozial-grün-demokratischen Kurs droht für die CDU gefährlich zu werden. Manche in der CDU studieren bereits mit Sorge das Schicksal der italienischen Democrazia Cristiana. Die war die wichtigste, die staatstragende Nachkriegspartei Italiens und stellte für Jahrzehnte fast alle Ministerpräsidenten. Sie war gewissermaßen die CDU Roms. Doch sie begab sich in den siebziger Jahren auf einen merkelartigen Linkskurs, der mit ähnlichen Argumenten vollzogen wie das heue bei den CDU-Modernisierern zu hören ist. Damals feiert man eine „compromesso storico“ (einen historischen Kompromiss), dass die Christdemokraten fortan auch mit Kommunisten kooperieren können sollten. Über Jahre des Niedergangs hinweg regierte die DC noch mit linken Partei, erkannte im wachsenden Etatismus ein Instrument zum Machterhalt und formierte zusehends ein politisches Kartell aus fünf Parteien, dass die Italiener schließlich „Pentapartido“ nannten. Sie gaben damit einerseits den Raum nach rechts frei für neue, und dann tatsächlich modernere, wenn auch entschieden rechtere Parteien. Zugleich verstrickten sie sich im Dauerregieren zusehends in ein selbstgefälliges Machtkartell, das letztlich in Korruption, Mafia und Vetternschaft enden musste. Der völlige Niedergang der DC vollzog sich dann im Zeitraffertempo. Heute existiert sie nicht mehr.

Pessimisten in der CDU und Mahner aus der CSU fürchten bereits, dass die AfD so etwas werden könnte wie die „Forza Italia“ oder die „Lega Nord“ für die DC – die Totengräber der eigenen Partei. Dafür freilich müsste die AfD erst einmal ihre Demokratiefähigkeit beweisen. Vor allem aber müsste die Union aus ihren Fehlern einer blinden Merkel-Gefolgschaft, einer falschen Migrationspolitik und einer linken Schräglage nichts lernen und stumm wie stur auf „weiter so“ setzen. Kaum vorstellbar?

Dieser Artikel erschien zuerst auf The European und handelsblatt.com

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Paul Mittelsdorf / 19.03.2016

Was soll das denn: “Dafür freilich müsste die AFD erst einmal ihre Demokratiefähigeit beweisen”? Geht es vielleicht noch ein bißchen überheblicher, Herr Weimer? Zumal die AFD mehr direkte Demokratie fordert, im Gegensatz zu den anderen größeren und kleineren Parteien. Zudem nicht die AFD es ist, die Gespräche und die Zusammenarbeit mit anderen Parteien verweigert. Zudem es die AFD ist, die die vollkommen parteiischen Öffentlich-Rechtlichen einstampfen möchte. Es ist auch nicht die AFD, die verlauten läßt, daß Wahlbetrug ja nicht so schlimm sei, wie erst neulich ein Politiker aus Norddeutschland hinsichtlich der Vorkommnisse in Bremen meinte, wo man die AFD um einen Sitz bringen wollte. Wie steht es also um die Demokratiefähigkeit der übrigen Parteien, in denen angesichts solcher Äußerungen nicht der Ansatz eines Proteststurms einsetzt? Und: In Sachsen ist die AFD bereits im Landtag vertreten und bisher gibt es dort keinerlei Probleme.

Ben Frick / 19.03.2016

Die Entwicklung und Situation der CDU kann nur derjenige mit dem Ende der DC vergleichen, welcher die italienische Parteiengeschichte nicht kennt oder wider besseres Wissen recht eigenwillig interpretiert. 1976 tolerierten die Kommunisten (die PCI erreichte 34,4% der Stimmen) eine DC-Minderheitsregierung (38,7%). Zum damaligen Zeitpunkt wäre Italien anders nicht regierbar gewesen. Jedoch endete der im Artikel erwähnte compromesso storico nach der Entführung und Ermordung Aldo Moros, der sich auf der Seite der DC für den Kompromiss starkgemacht hatte.  “Pessimisten in der CDU und Mahner aus der CSU fürchten bereits, dass die AfD so etwas werden könnte wie die „Forza Italia“ oder die „Lega Nord“ für die DC – die Totengräber der eigenen Partei.” Nein, das ist Unsinn. Die Auflösung der DC hatte weder etwas mit einem Linksruck zu tun, noch mit der Forza Italia und der Lega Nord, sondern einzig und allein mit dem System von Korruption, Amtsmissbrauch, illegaler Parteifinanzierung und kriminellen Verflechtungen, genannt tangentopoli. Die Ermittlungen, genannt mani pulite, führten nicht nur zum Fall der DC, sondern auch zum Ende der ersten Republik und zum Zusammenbruch der wichtigsten Parteien, darunter v.a. der PSI (vergleichbar mit der SPD). Die Lega Nord ist ein regionales Phänomen. Sie strebt die Unabhängigkeit Norditaliens an. Berlusconi trat aus guten Gründen (nämlich um sich und sein Wirtschafts- und Medienimperium zu retten) erst nach mani pulite, also nach dem Ende der DC und der PSI, in die Politik ein und stampfte die Forza Italia (heute Popolo della Libertà, PdL) aus dem Boden. Viele DC- und PSI-Politiker fanden schließlich in der Partei Berlusconis eine neue politische Heimat. Im italienischen Parlament - mehrheitlich in der PdL - sitzen noch heute einige Abgeordnete, die rechtskräftig verurteilt wurden und/oder Gefängnisstrafen absaßen und/oder die Nutznießer einer der Amnestien wurden. Auch gegen Berlusconi selbst gab und gibt es Prozesse und Ermittlungen wegen Korruption, Bilanzfälschungen, Steuerbetrug, Veruntreuungen, Mafiakontakten und -verstrickung und Prostitution Minderjähriger, die Dank seiner politischen (stets halfen neue Gesetze und Dekrete) und wirtschaftlichen Macht eingestellt wurden oder glimpflich ausgingen. Die AfD hat zunächst wenig bis gar nichts mit der Lega Nord oder der Forza Italia (PdL) gemein, sondern sie lässt sich inhaltlich und personell am ehesten mit der AN (Alleanza Nazionale) vergleichen, die 1995 aus dem neofaschistischen MSI hervorging und bis zu 16% der Stimmen bei Nationalwahlen erhielt. Die AN koalierte unter dem hoffähigen Fini mit der Forza Italia und der Lega Nord und setzte sich insbesondere für den Kampf gegen Kriminalität und (illegale) Einwanderung, die Familie, die Bewahrung der italienischen Identität, für soziale Marktwirtschaft und gegen die EU ein. Ein weiterer wichtiger Punkt in der Programmatik war die Bewahrung der nationalen Einheit, was zu Konflikten mit der separatistischen Lega Nord führte. Heute gehören Teile der AN dem berlusconischen PdL an, so auch Alessandra Mussolini. Was das Pentapartito (DC plus PSI plus liberale Parteien) begann, setzten PdL (das berlusconische Sammelbecken für ehemalige Politiker des Pentapartito), Lega Nord und AN erst richtig fort. Sie richteten Italien wirtschaftlich, politisch, gesellschaftlich und kulturell zugrunde.

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