Ende dieses Monats wird der britische Premierminister David Cameron eine Rede halten, die viele Male zuvor bereits verschoben wurde. Darin wird er endgültig seine Vision von Großbritanniens Platz in Europa darlegen. Zumindest hat er das am vergangenen Wochenende im BBC-Fernsehen angekündigt.
Camerons Ankündigung einer Ankündigung zu Europa braucht allerdings keine zu große Begeisterung auszulösen. Zu Europa gibt es einfach nicht viel Wesentliches, das Cameron zu äußern wagen würde. Wenn er wirklich etwas mehr sagen wollte, hätte er dazu keine sieben Jahre seit seinem Amtsantritt als Vorsitzender der Konservativen Partei Ende 2005 gebraucht.
Als ich Chefvolkswirt von Policy Exchange war - einem britischen Think Tank mit engen Verbindungen zum damaligen Oppositionsführer David Cameron - suchte die Konservative Partei verzweifelt nach frischen Ideen. Kein Wunder: Nachdem sie dreimal nacheinander gegen Tony Blairs New Labour verloren hatten, fehlte ihnen ein Rezept, um wieder Wahlen zu gewinnen, da Blair und sein Finanzminister Gordon Brown die meisten Politikfelder mit ihrer Agenda des so genannten ‘Dritten Weges’ wirkungsvoll besetzt hatten.
Die Tories brauchten Alternativen zu dieser Strategie und Policy Exchange sollte ihnen diese liefern. Daher gab es nur sehr wenige No-go-Areas für uns Forscher.
Man konnte über die Privatisierung des Bildungswesens nachdenken, die demokratische Wahl lokaler Polizeipräsidenten vorschlagen, eine umfassende Straßenmaut anregen oder den Sinn der britischen nationalen Grüngürtelpolitik in Frage stellen. Man konnte sogar eine neue Generation Londoner Doppeldeckerbusse verlangen - ein echtes Zeichen für den neuen Tory-Radikalismus.
Nichts war zu übertrieben oder weit hergeholt, um in diesen ersten Tagen des „Cameronismus“ nicht erwogen zu werden.
Es gab jedoch ein Wort, das unter keinen Umständen in einer unserer Erklärungen, Vorschläge, Reden oder Artikel auftauchen sollte. Es war vielleicht noch nicht einmal mit einem formellen Bann belegt, aber uns allen war klar: Sobald wir es erwähnten, würden wir keine Gelegenheit mehr bekommen, über irgendetwas anderes zu sprechen.
Wir wussten, dass David Cameron und sein Team ganz genauso darüber dachten. Es handelte sich nämlich um ein gefährliches Wort, das die bösen Geister der Torys wachrufen, die Partei spalten und der Öffentlichkeit beweisen würde, dass Camerons Konservative sich trotz Camerons unablässiger Versuche, die Partei cool und modern erscheinen zu lassen, nicht wirklich geändert hatten.
Das fragliche Wort war natürlich „Europa“.
Europa war für die britischen Konservativen das Trauma der letzten Jahrzehnte. Es war eines der Hauptschlachtfelder für die früheren Tory-Premierminister Margaret Thatcher und John Major. Schlachtfelder selbstverständlich nicht im Kampf gegen den politischen Gegner, sondern im Kampf gegen ihre eigene Partei. Vor allem John Majors sieben Jahre an der Spitze der britischen Regierung hatten unter einem offenen Bruch zwischen Euroskeptikern und Euroenthusiasten gelitten. Dieser untergrub Majors Möglichkeiten, das Land effektiv zu regieren, und machte erst recht keinen Eindruck auf die Wähler.
David Cameron war mit den großen Schwierigkeiten mit Europa, mit denen die Regierung Major zu kämpfen hatte, bestens vertraut. Anfang der 1990er Jahre war Cameron Berater zuerst des Premierministers und dann des Finanzministers Norman Lamont gewesen, genau zum Zeitpunkt des „Black Wednesday“, an dem Großbritannien aus dem europäischen Wechselkursmechanismus gedrängt wurde. Cameron erlebte also das Europa-Martyrium der Konservativen aus erster Hand und diese Erfahrung hatte zweifellos Auswirkungen darauf, wie er sich hinsichtlich Europa zu positionieren gedachte. Seine Schlussfolgerung war einfach, sich gar nicht zu positionieren.
Als Cameron Tory-Chef wurde, versprach er dem euroskeptischen Flügel seiner Partei ein Referendum über die geplante EU-Verfassung. Dabei verärgerte er allerdings die Europhilen nicht zu sehr. Als die EU-Verfassung dann zur Lissaboner Vertrag mutierte und Cameron den Vertrag von seinem Vorgänger Gordon Brown erbte, fand er gute Gründe, seine „gusseiserne Garantie“, eine Volksbefragung darüber abhalten zu lassen, nicht zu erfüllen.
Camerons EU-Politik war bisher schwer zu enträtseln, sofern man davon ausging, er habe eine gehabt. Einerseits konnte er große Gruppen euroskeptischer Hinterbänkler nicht daran hindern, ihn im Parlament in Verlegenheit zu bringen. Andererseits trat er bei EU-Gipfeln manchmal in einer Weise auf, als wolle er sich selbst an die Spitze der Euroskeptiker stellen. Camerons eigene Position zwischen den beiden tief zerstrittenen Flügeln seiner Partei blieb nebulös.
Camerons Haltung zur EU ist jedoch völlig schlüssig, wenn man seine eigenen Erfahrungen mit den bisherigen EU-Strategien seiner Partei berücksichtigt. Er weiß, dass das Problem Emotionen hervorbrechen lässt, die, einmal losgelassen, kaum zu kontrollieren sind, und hat selbst miterlebt, was solche Emotionen bei seinen Vorgängern angerichtet haben. Er muss zudem die Auffassungen seiner eigenen Partei mit denen seines liberaldemokratischen Koalitionspartners abstimmen, dessen Perspektive gewöhnlich sehr viel EU-freundlicher ist. Schließlich hat er es mit einer Öffentlichkeit, die in der Europa-Frage tief gespalten ist, und mit der UK Independence Party zu tun, einer Gruppe von Hardcore-Euroskeptikern, die hauptsächlich Zulauf von verärgerten Anhängern des rechten Tory-Flügels hat und ihm bei Wahlen gefährlich werden könnte.
Angesichts von Camerons entschiedener Unentschiedenheit hinsichtlich Europa muss er schon vor langer Zeit zu der Schlussfolgerung gelangt sein, dass für jeden konservativen britischen Premierminister die Beschäftigung mit der Beziehung Großbritanniens zur EU ein Minenfeld ist, das fast um jeden Preis umgangen werden muss.
Zu seinem Unglück kann eine solche Strategie nur in der Opposition funktionieren, wenn man die schweren Fragen der amtierenden Regierung überlassen und sich statt dessen auf angenehmere Themen konzentrieren kann. Einmal an der Macht, muss letztlich eine Position bezogen werden, vor allem wenn die Zukunft des Projekts europäische Integration auf des Messers Schneide steht.
Wenn Cameron schließlich seine lang erwartete Europa-Rede hält, steht er nun vor einer echten Entscheidung. Wird er tatsächlich etwas Wesentliches zu der Frage äußern und eine Konfrontation mit seiner Partei, seinem Koalitionspartner, der Öffentlichkeit, den Medien und natürlich seinen europäischen Amtskollegen riskieren? Oder wird er noch einmal versuchen, es allen Recht zu machen?
Da Cameron soeben bekannt gegeben hat, dass er bis 2020 Premierminister bleiben will, wird er sich mit größter Wahrscheinlichkeit für letzteres entscheiden.
Dr. Oliver Marc Hartwich ist Executive Director der The New Zealand Initiative.
‘Cameron to carve a European illusion’ erschien zuerst in Business Spectator (Melbourne), 10. Januar 2013. Aus dem Englischen von Cornelia Kähler (Fachübersetzungen - Wirtschaft, Recht, Finanzen).