Der mutige Chefredakteur der Nordhessischen Neuen Zeitung, die von der IG Metall herausgegeben wird, hat mich um einen Kommentar zu den Anti-G-8-Protesten von Heiligendamm gebeten. Das habe ich natürlich sehr gerne gemacht, und ich hoffe, der freundliche Kollege bekommt dafür jetzt keinen Ärger.
“Die vor dem Zaun gegen die hinterm Zaun. Dieses Symbol bleibt übrig vom G-8-Gipfel in Heiligendamm, von einer Woche Tamtam, von PR-Scharmützeln zwischen Gipfelgegnern und Polizei, von bunten Clowns hier und Staatsführern in Strandkörben dort. Politisch ist alles so gelaufen, wie es eben läuft bei solchen Treffen: Vorher gibt es Knatsch, am Ende einigt man sich. Die G-8 können das, und sie sind effektiv. Fast jeder zweite Punkt, auf den sich dieser Kreis verständigt, wird laut Experten der Universität Toronto auch umgesetzt. Von so einer Statistik kann die Uno nur träumen. Trotzdem hat die ein besseres Image.
Aber was haben die erreicht, die auf der anderen Seite des Zauns standen? Was haben sie überhaupt gewollt? Wollten sie Vorschläge für eine »andere Welt« machen? Und wenn ja, welche? Wollten sie die G-8 blockieren? Wollten sie sich prügeln? Die Antwort auf alle Fragen lautet: Ja. Das ist das Problem. Workshops, Sternmärsche, Blockaden, Konzerte, alles zusammen, alles nebeneinander – das einzige, was den Aktionismus von ganz links bis ganz rechts irgendwie zusammenhielt, war eine billige, überflüssige Botschaft: Dagegen!
Es ließe sich trefflich mit den G-8 darüber streiten, wie eine »andere Globalisierung« aussehen könnte. Aber dazu müsste das globalisierungskritische All-Ideen-Bündnis eine Vorstellung davon entwickeln, was es will. Der Gegengipfel bekam nicht einmal so etwas wie ein gemeinsames Schlusswort hin.
Statt dessen: Ressentiments. Nur im Feindbild USA waren die Kritiker sich einig, und in einem widerlichen Ressentiment gegen ein Gespenst namens Neoliberalismus, das für alle Übel verantwortlich ist: Für Armut, für Aids, für Krieg, für schrankenlosen ebenso wie für beschränkten Welthandel, für schlechtes Wetter ...
Nur wenn die Weltsicht so kurz ist, wird es möglich, sich hinter dem widersprüchlichen Anti-Konzept zu versammeln, das am Zaun von Heiligendamm als Alternative präsentiert wurde. Gegen Hunger und gegen grüne Gentechnik, gegen Krieg und gegen Friedensmissionen, gegen Israel und gegen Rassismus, gegen Klimawandel und gegen Kernenergie – und am Ende waren die Medien schuld, weil es ihnen nicht gelang, »Inhalte« zu transportieren. Offen gesagt: Was wirklich publikumstauglich war, fand in Rostock zwischen Polizei und Autonomen statt.
Es stimmt, dass Staatsorgane und Polizei vor und während des Gipfels maßlos überreagiert haben. Die Aufklärungsflüge mit Tornado-Jets waren der traurige Höhepunkt staatlicher Hysterie, die eine in weiten Teilen harmlose Bewegung unzulässig dämonisierte. Aber das rechtfertigt nicht, dass die Anti-G-8-Bewegung bis zuletzt an ihrem Credo festhielt, niemanden aus ihrer Mitte »auszugrenzen«. Diese trotzig-selbstgerechte Botschaft der Abschlusskundgebung war verheerend. Wer »gegen« die Globalisierung mobil macht, muss erklären können, warum er nicht gleich mit der NPD marschiert. Das dürfte schwer werden. Eine Linke, die gegen Internationalismus und Fortschritt schreitet, ist alles, nur nicht links. Und wer darauf besteht, für eine »andere« Globalisierung zu, der sollte aufhören, sich mit Leuten zu solidarisieren, die bewusst nicht genehmigte Demonstrationsrouten austesten, in Sperrgebiete eindringen oder Blockade für einen Debattenbeitrag halten. Denn es geht bei Globalisierungskritik nicht um einen fassbaren Gegenstand wie einen Castor-Transport, bei dem Blockade allein schon ein legitimes Statement ist. Globalisierung ist komplex. Sie einfach in einem Monstrum von Ismus-Wörtern aufzulösen und dieses dann zu bekämpfen, mag ein netter Zeitvertreib sein. Die Welt ändert sich dadurch nicht.
Die diffuse Anti-Stimmung der Globalisierungskritik bei G-8-Gipfeln äußert sich in dem Slogan »Eine andere Welt ist möglich«. Als ob eine »andere Welt« ein Ziel wäre. Eine »bessere« Welt ist der Job, um den es geht. Und den hat der Kapitalismus in den letzten Jahrzehnten deutlich besser hingekriegt als jeder seiner Gegner. Das heißt nicht, dass Kritik und Alternativen unzulässig wären, aber die Wirklichkeit sollte erstmal anerkennen, wer die Welt nicht nur in Positionspapieren verbessern will. Afrika ist dafür ein gutes Beispiel.
Hat irgendjemand in den Camps rund ums Ostseebad zur Kenntnis genommen, dass die Globalisierung nirgends so einen guten Ruf genießt wie unter den Afrikanern? Dass afrikanischen Intellektuellen Solidaritäts-Konzerte und Entwicklungshilferegen entsetzlich auf die Nerven gehen, weil sie bestenfalls nichts erreichen – und schlimmstenfalls das Gegenteil von dem, was sich die Almosengeber aus der Ersten Welt versprochen hatten? Afrika braucht keine Hilfe von alternativen Europäern. Jedenfalls nicht, wenn sie, wie die Veranstalter der Anti-G-8-Proteste, nicht einmal eine Suppenküche führen können, ohne innerhalb einer Woche 15 000 Euro Miese zu machen. Afrika braucht Freiheit, Menschenrechte, Investitionen, eine faire Chance. Aber bei Attac ist man ja noch nicht einmal so weit, anzuerkennen, dass Fairness für die Dritte Welt offene Märkte bedeutet – schließlich ist die französische Bauernlobby maßgeblicher Teil der Bewegung. Sie will das Gegenteil dessen, was Afrika braucht.
Vom G-8-Gipfel 2007 wird ein Zaun in Erinnerung bleiben, hinter dem sich die Mächtigen verschanzten. Wir werden uns an brennende Autos erinnern, an ein Bootsrennen auf der Ostsee, an den lallelnden Sarkozy und die Einigung zum Klimaschutz. Aber ein einziger vernünftiger Vorschlag von der anderen Seite des Zauns? Fehlanzeige. Draußen vor dem Zaun herrschten buntes Treiben und politische Leere.
Für die Nordhessische Neue Zeitung, Ausgabe 7/07