Frank-Walter Steinmeier ist als Bundespräsidentenkandidat so etwas wie Bausparen für Rentner. Kann man machen, klingt sogar solide, ist aber die falsche Wahl zur falschen Zeit. Die Große Koalition wird ihren Kandidaten als “integer”, “erfahren” und “präsidiabel” preisen. Das stimmt formal auch. In Wahrheit aber geht von ihm die Faszination einer Wiedervorlagemappe aus. Just in dem Moment, da die Republik, Europa, ja der Westen aufgewühlt um seine Zukunft ringt, sich dramatisch polarisiert – es gärt in unseren Landen – entscheidet sich Berlin für das fleischgewordene Weiter-so. Damit wird ein Bundespräsident des Gestern gewählt und keiner für Morgen.
So ist es kein Wunder, dass unter politisch Bewegten zwar viele offiziös nicken, sich aber niemand recht freut – außer dem Schily-Schröder-Rotweinfreundeskreis. Angela Merkel ist mit dieser Personalie der Vorhang ihrer Macht heftig verrutscht, und die Republik sieht dahinter eine peinlich stolpernde Kanzlerin, die selbst über Monate hinweg eine einfache Personalie nicht mehr in ihrem Sinne hinbiegen kann, deren Macht zusehends zerfällt, die am liebsten Schwarz-Grün strategisch plant, der aber das eigene Bürgertum (zuvorderst die CSU) darob abhanden kommt. Wolfgang Schäuble hat völlig Recht: Dies ist eine spektakuläre Niederlage für Merkel und die CDU.
Aber auch für die Grünen ist das ein empfindlicher Rückschlag auf dem Weg zurück zur Gestaltungsmacht. Ihr pubertärer Linksruck auf dem Parteitag mitsamt zweitem Steuererhöhungs-Eigentor zum Wahlkampfauftakt hat für Winfried Kretschmann die Tür ins Schloß Bellevue zugeschlagen. Wäre die Partei seinem Votum gefolgt, den Mittelstand in Deutschland besser zu stärken als ihn zu steuerschröpfen, er wäre Merkels Bundespräsident geworden.
Steinmeiers außenpolitische Bilanz ist eher bescheiden
Enttäuschung auch bei Liberalen. Denn nach dem Freigeist und Marktwirtschaftsfreund Gauck kommt nun wieder ein sozialdemokratischer Etatist, ein Apparate- und Parteienbürokrat ins Präsidialamt. Bei AfD und Linkspartei wiederum keimt geradezu Verachtung ob dieser Personalie. Den einen ist er die Inkarnation der Euro-Schulden-und-Grenzöffnungspolitik; die anderen stört seine Agenda- und Militärpolitik.
Auch unter Genossen ist Frank-Walter Steinmeier keineswegs unumstritten. Vor allem das Handling der Flüchtlingskrise, das die Volksparteien ins Wanken bringt, entspringe und entlarve auch ein außenpolitisches Versagen, heißt es. Tatsächlich ist Steinmeiers außenpolitische Bilanz eher bescheiden. Zwar gilt er als integrer Mann, sein Auftritt ist seriös und konziliant; seine realpolitischen Leistungen aber bleiben ungut: In seiner Amtszeit sind Europas Außengrenzen blutige Konfliktlinien geworden, Europa gelingt keine Friedenspolitik im Nahen Osten, Europa schafft keinen Schulterschluss mit Russland in der Ukraine- und Syrienpolitik, Europa gelingen nicht einmal geordnete, interne Absprachen im Umgang mit Flüchtlingen. Im Gegenteil steckt die Europäischen Union in einer historischen Zerreißprobe. Großbritannien ist – zum Schaden Deutschlands – ausgetreten. Die Tonlage klingt innerhalb der EU inzwischen nach dem Nationalismus des späten 19. Jahrhunderts.
Natürlich ist der bemühte deutsche Außenminister für all diese Entwicklungen nicht alleine verantwortlich, und doch ist er nun einmal Europas wichtigster Diplomat und seine Bilanz also dunkel überschattet. Während der Kontinent in eine außenpolitische Krise historischer Dimension schlittert, hört man von Steinmeier häufig nur kommentierende Plattitüden. Steinmeier müsste – anstatt über Monate wilde Beschimpfungen der Berliner Regierung auf Ungarn, Polen, Tschechien, die Slowakei, Österreich, Dänemark und Großbritannien (also unseren unmittelbaren Nachbarkreis) zuzulassen – eine Kompromisslösung in der Migrationsfrage herbeiführen. Doch während Deutschland mit moralischer Überheblichkeit an seiner Grenzöffnung festhielt, wollten alle anderen einen effektiven Grenzschutz und mussten schließlich mit regionalen Alleingängen die Balkanroute schließen. Berlins Außenpolitik kommentierte auch das noch kritisch und stürzte sich lieber in einen zweifelhaften Deal mit Erdogans Despotie.
Die Weiter-so-Politik aus politischen Kartellen verheißt nichts Gutes
Es ist weder ein Steinmeier-Plan zur europäischen Integrationspolitik noch zur Brexit-Bewältigung noch eine europäische Friedensinitiative für Syrien auf dem Weg. Insofern entsteht nun der Eindruck, dass der Außenminister vor dem Gewahrwerden seines politischen Scheiterns ins Präsidialamt flüchtet.
Für die Geschicke der Bundesrepublik ist das kein gutes Zeichen. Es verstärkt sich der Eindruck für ein skeptischer werdendes Bürgertum, dass eine Berliner Kaste von Großkoalitonären in ihrer eigenen Republik lebt. Spätestens der Trump-Sieg in den USA sollte die politische Klasse aufrütteln, dass die Weiter-so-Politik aus politischen Kartellen nichts Gutes verheißt. Nach langen Jahren der Großen Koalition bräuchte Deutschland wieder einen lebhaften Wettbewerb der Ideen, Meinungen und Personen – für einen ideellen Aufbruch aus dem Reformstau.
Joachim Gauck hat der Republik auch darum so gut getan, weil er gerade nicht aus der Mitte des Volksparteienfilzes entsprungen ist. Auch diesmal hätte es gute Kandidaten für geistige Autonomie, für ein selbstkritisches Reformbürgertum, für einen liberalen Aufbruch, für Modernisierungsideen und gegen falsche politische Korrektheit gegeben. Wofür aber steht Frank-Walter Steinmeier anderes als für ein Ancien-Régime politisch korrekter Großkoalitionen?
Dieser Betrag erschien zuerst auf The European hier.