Wolfram Weimer / 19.11.2016 / 20:00 / Foto: Doenertier82 / 13 / Seite ausdrucken

Der neue Bundespräsident als fleischgewordenes Weiter-so

Frank-Walter Steinmeier ist als Bundespräsidentenkandidat so etwas wie Bausparen für Rentner. Kann man machen, klingt sogar solide, ist aber die falsche Wahl zur falschen Zeit. Die Große Koalition wird ihren Kandidaten als “integer”, “erfahren” und “präsidiabel” preisen. Das stimmt formal auch. In Wahrheit aber geht von ihm die Faszination einer Wiedervorlagemappe aus. Just in dem Moment, da die Republik, Europa, ja der Westen aufgewühlt um seine Zukunft ringt, sich dramatisch polarisiert – es gärt in unseren Landen – entscheidet sich Berlin für das fleischgewordene Weiter-so. Damit wird ein Bundespräsident des Gestern gewählt und keiner für Morgen.

So ist es kein Wunder, dass unter politisch Bewegten zwar viele offiziös nicken, sich aber niemand recht freut – außer dem Schily-Schröder-Rotweinfreundeskreis. Angela Merkel ist mit dieser Personalie der Vorhang ihrer Macht heftig verrutscht, und die Republik sieht dahinter eine peinlich stolpernde Kanzlerin, die selbst über Monate hinweg eine einfache Personalie nicht mehr in ihrem Sinne hinbiegen kann, deren Macht zusehends zerfällt, die am liebsten Schwarz-Grün strategisch plant, der aber das eigene Bürgertum (zuvorderst die CSU) darob abhanden kommt. Wolfgang Schäuble hat völlig Recht: Dies ist eine spektakuläre Niederlage für Merkel und die CDU.

Aber auch für die Grünen ist das ein empfindlicher Rückschlag auf dem Weg zurück zur Gestaltungsmacht. Ihr pubertärer Linksruck auf dem Parteitag mitsamt zweitem Steuererhöhungs-Eigentor zum Wahlkampfauftakt hat für Winfried Kretschmann die Tür ins Schloß Bellevue zugeschlagen. Wäre die Partei seinem Votum gefolgt, den Mittelstand in Deutschland besser zu stärken als ihn zu steuerschröpfen, er wäre Merkels Bundespräsident geworden.

Steinmeiers außenpolitische Bilanz ist eher bescheiden

Enttäuschung auch bei Liberalen. Denn nach dem Freigeist und Marktwirtschaftsfreund Gauck kommt nun wieder ein sozialdemokratischer Etatist, ein Apparate- und Parteienbürokrat ins Präsidialamt. Bei AfD und Linkspartei wiederum keimt geradezu Verachtung ob dieser Personalie. Den einen ist er die Inkarnation der Euro-Schulden-und-Grenzöffnungspolitik; die anderen stört seine Agenda- und Militärpolitik.

Auch unter Genossen ist Frank-Walter Steinmeier keineswegs unumstritten. Vor allem das Handling der Flüchtlingskrise, das die Volksparteien ins Wanken bringt, entspringe und entlarve auch ein außenpolitisches Versagen, heißt es. Tatsächlich ist Steinmeiers außenpolitische Bilanz eher bescheiden. Zwar gilt er als integrer Mann, sein Auftritt ist seriös und konziliant; seine realpolitischen Leistungen aber bleiben ungut: In seiner Amtszeit sind Europas Außengrenzen blutige Konfliktlinien geworden, Europa gelingt keine Friedenspolitik im Nahen Osten, Europa schafft keinen Schulterschluss mit Russland in der Ukraine- und Syrienpolitik, Europa gelingen nicht einmal geordnete, interne Absprachen im Umgang mit Flüchtlingen. Im Gegenteil steckt die Europäischen Union in einer historischen Zerreißprobe. Großbritannien ist – zum Schaden Deutschlands – ausgetreten. Die Tonlage klingt innerhalb der EU inzwischen nach dem Nationalismus des späten 19. Jahrhunderts.

Natürlich ist der bemühte deutsche Außenminister für all diese Entwicklungen nicht alleine verantwortlich, und doch ist er nun einmal Europas wichtigster Diplomat und seine Bilanz also dunkel überschattet. Während der Kontinent in eine außenpolitische Krise historischer Dimension schlittert, hört man von Steinmeier häufig nur kommentierende Plattitüden. Steinmeier müsste – anstatt über Monate wilde Beschimpfungen der Berliner Regierung auf Ungarn, Polen, Tschechien, die Slowakei, Österreich, Dänemark und Großbritannien (also unseren unmittelbaren Nachbarkreis) zuzulassen – eine Kompromisslösung in der Migrationsfrage herbeiführen. Doch während Deutschland mit moralischer Überheblichkeit an seiner Grenzöffnung festhielt, wollten alle anderen einen effektiven Grenzschutz und mussten schließlich mit regionalen Alleingängen die Balkanroute schließen. Berlins Außenpolitik kommentierte auch das noch kritisch und stürzte sich lieber in einen zweifelhaften Deal mit Erdogans Despotie.

Die Weiter-so-Politik aus politischen Kartellen verheißt nichts Gutes

Es ist weder ein Steinmeier-Plan zur europäischen Integrationspolitik noch zur Brexit-Bewältigung noch eine europäische Friedensinitiative für Syrien auf dem Weg. Insofern entsteht nun der Eindruck, dass der Außenminister vor dem Gewahrwerden seines politischen Scheiterns ins Präsidialamt flüchtet.

Für die Geschicke der Bundesrepublik ist das kein gutes Zeichen. Es verstärkt sich der Eindruck für ein skeptischer werdendes Bürgertum, dass eine Berliner Kaste von Großkoalitonären in ihrer eigenen Republik lebt. Spätestens der Trump-Sieg in den USA sollte die politische Klasse aufrütteln, dass die Weiter-so-Politik aus politischen Kartellen nichts Gutes verheißt. Nach langen Jahren der Großen Koalition bräuchte Deutschland wieder einen lebhaften Wettbewerb der Ideen, Meinungen und Personen – für einen ideellen Aufbruch aus dem Reformstau.

Joachim Gauck hat der Republik auch darum so gut getan, weil er gerade nicht aus der Mitte des Volksparteienfilzes entsprungen ist. Auch diesmal hätte es gute Kandidaten für geistige Autonomie, für ein selbstkritisches Reformbürgertum, für einen liberalen Aufbruch, für Modernisierungsideen und gegen falsche politische Korrektheit gegeben. Wofür aber steht Frank-Walter Steinmeier anderes als für ein Ancien-Régime politisch korrekter Großkoalitionen?

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Geert Aufderhaydn / 21.11.2016

Soso, Joachim Gauck “hat der Republik . . . gut getan”. Meinen Sie Sie den gleichen Gauck wie ich ? Vielleicht gibt es ja zwei . . .

Peter Hansen / 21.11.2016

Ich fand Herrn Gauck als Bundespräsidenten leider auch nicht besonders gut. Bis auf seine Rede an der Universität in der Türkei, auf die der Türkenführer etwas verstimmt reagierte (reagiert Ankara verärgert, dann hat man immer etwas richtig gemacht!) fand ich ihn meistens blass. Herr Gauck hat es leider verpasst, das Amt des Bundespräsidenten als ein Bürgerpräsident auszufüllen. Und mit seiner unsäglichen Rede vom “dunklen Deutschland” hat er sich meiner Meinung nach gleich selbst ins Abseits gestellt.

Hjalmar Kreutzer / 21.11.2016

Gauck der Republik gutgetan? Spätestens seit der Einteilung in Hell- und Dunkeldeutsche und der Verkündigung auf Auslansreisen, dass bei uns reichlich Platz wäre, nicht mehr. Steinmeier, eine Fehlbesetzung als Außenminister, soll deswegen mit dem höchsten Amt des Staates belohnt werden? Welch ein Bohei um das Amt des Grüß-Emils, um vom Versagen der Regierenden auf den wirklich wesentlichen Pilutikfeldern abzulenken!

Andreas Rochow / 20.11.2016

Langer Rede kurzer Sinn: Sie hat nichts von ihrem enttäschten Volk gelernt und glaubt, die Lösung der Probleme zu sein, für die sie maßgeblich verantwortlich ist.

Hans-Joachim Schmöcker / 20.11.2016

Herr Weimar, eines haben Sie vergessen: Das Volk möchte einfach auch mal andere Gesichter sehen!  

Uta Heymann / 20.11.2016

Gauck hat dem Land gut getan? Dahinter würde ich drei Fragezeichen setzen.

Bernd Ufen / 20.11.2016

Gut beschriebene Situation bis auf die Darstellung von Gauck, die ich so nicht nachvollziehen kann. Damit ist die Geschichte aber noch lange nicht zu Ende. Wer wird dann Außenminister? Martin Schulz, der ansonsten bald arbeitslos wird? Und wenn Frau Merkel sich entschließt, noch einmal anzutreten und gewählt wird, was dann? Man stelle sich nur einmal diese Konstellation vor! Dann hieße die Überschrift: Die politische Führung, ein fleischgewordener Alptraum!

Thomas Schmied / 20.11.2016

Ich habe das Gefühl, es ist für Deutschland unerheblich, wer in Schloss Bellevue sitzt. Die Galionsfigur bestimmt nicht den Kurs, steuert nicht das Schiff, setzt nicht die Segel. Wir brauchen eine neue Besatzung, keine neue Galionsfigur vom gleichen Typ.

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