In den 80er und 90er Jahren erschienen Tausende von Zeitungsartikeln, Radio- und Fernsehsendungen, die das große Waldsterben voraussagten. Seit Ende der 90er Jahre unübersehbar wurde, dass die Annahme, die deutschen Wälder würden flächendeckend absterben, ein Irrtum war, erschienen immer noch Hunderte von Veröffentlichungen, die die Prognose weiterhin für richtig erklärten, das Absterbend der letzten Bäume nur um ein paar Jahre verschoben.
Die Zahl der Beiträge, die sich kritische mit solchen Behauptungen auseinandersetzen, blieb sehr bescheiden. Doch offenbar ist für manche Hüter des Glaubens eine Analyse der Fehlprognosen immer noch Blasphemie. Hubert Weiger, Vorsitzender des BUND und Mitglied des bayerischen Rundfunkrates legte offiziell Beschwerde gegen den Film „Und ewig sterben die Wälder“ von Tobias Streck und mir ein.“ Hier sein Brief (siehe unten):
Unterdessen haben bis heute, Samstag, bereits über 11 000 Zuschauer “Und ewig sterben die Wälder” „arte+7“ angesehen. Er ist damit der meist gesehene Film in der arte-Videothek. (Ergänzung am Dienstag, 24.5., dem letzten Tag der Abrufmöglichkeit auf arte+7 waren es 15137)
Hier kann man den Film bis nächsten Dienstag noch abrufen:
http://videos.arte.tv/de/videos/und_ewig_sterben_die_waelder-3895684.html
Außerdem wird er am Donnerstag den 26. Mai um 10.00 Uhr auf arte wiederholt.
DER BRIEF:
Landesverband Bayern des Bundes für Umwelt- und Naturschutz Deutschland e.V.
Prof. Dr. Hubert Weiger, 1. Vorsitzender
Bauernfeindstr. 23
90471 Nürnberg
Tel. 09 11/81 87 8-10
Fax 09 11/86 95 68
hubert.weiger@bund-naturschutz.de
http://www.bund-naturschutz.de
Nürnberg,
20.05.2011
ARTE Deutschland TV GmbH
Postfach 10 02 13
76483 Baden-Baden
Per Mail: info@arte-tv.de
Betrifft: Beschwerde gegen die Dokumentation „Und ewig sterben die Wälder“, Ausstrahlung am 17. Mai 2011
Sehr geehrte Damen und Herren,
der von Ihnen am 17. Mai 2011 ausgestrahlte Film „Und ewig sterben die Wäl-
der“ ist eine gekonnte Mischung aus richtigen und falschen Fakten und Erkennt-
nissen in Folge der Debatte um das Waldsterben Anfang der 80er Jahre.
Dieser Film enthält aber eine zentrale Falschaussage, nämlich dass der Erfolg
der Großfeuerungsanlagenverordnung auf nationaler und auf damaliger EG-
Ebene keinen Zusammenhang hatte mit der Waldsterben-Diskussion. Nachweis-
lich wurde bis Anfang der 80er Jahre statt des Einbaus von Entschwefelungsan-
lagen in Steinkohlekraftwerken die „Hochschornsteinpolitik als Beitrag zur Luft-
reinhaltung“ politisch akzeptiert.
Es wurden deshalb auch beispielsweise bei den Anfang der 80er Jahre geplan-
ten Erweiterungs-Neubauten der Kohlekraftwerke Staudinger (Hessen) und
Buschhaus (Niedersachsen) der Bau entsprechender Entschwefelungsanlagen
abgelehnt. Der Bau von Entschwefelungs-/Entstickungsanlagen bei Braunkohle-
kraftwerken wurde sogar technisch ausgeschlossen. Erst durch die Waldster-
ben-Debatte entstand ab 1981 der öffentlich notwendige politische Druck, um die
bis dahin in den Schubladen vorbereitete Verordnungs-Entwürfe auch politisch
durchsetzen zu können. Dies wird sicherlich auch der frühere Bundesinnenminister Gerhard Baum bestätigen, der dies so bei einer Pressefahrt des Bundes
Naturschutz im Frühjahr 1982 formuliert hat.
Auch die Durchsetzung bleifreien Benzins, die Einführung des Katalysators, die
Entschwefelung des leichten und schweren Heizöls wäre ohne die durch die
Waldsterben-Diskussion verursachte öffentliche Diskussion nicht möglich gewe-
sen, wie eine korrekte Analyse der politischen und öffentlichen Debatte (Proto-
kolle der Anhörungen im Bayerischen Landtag und im Deutschen Bundestag
1983) ergeben hatte.
Die Durchsetzung der Großfeuerungsanlagenverordnung 1983 hatte zur Folge,
dass in einem Zeitraum von 10 Jahren die sehr hohen Schwefeldioxideinträge
markant um 80 % und mehr in Deutschland reduziert wurden. Deshalb konnten
sich auch Baumarten wie die Weißtanne sichtbar bis heute erholen (siehe Anla-
ge: Pressemitteilung Bund Naturschutz 2007). Es kann also niemand sagen,
was ohne die Waldsterben-Debatte mit unseren Wäldern passiert wäre, mit Si-
cherheit wären die Schäden aber wesentlich größer als sie heute sind. Denn
durch diese Debatte ist in der Folge das größte Luftreinhaltungsprogramm zu-
rückliegender Jahrzehnte durchgesetzt worden. Vor allem dadurch ging der
Schwefeleintrag in die Wälder massiv zurück.
Auch bei einem weiteren Thema stellt der Film die Wahrheit auf den Kopf. Der
durch den Film verursachte Eindruck, dass der Nationalpark Bayerischer Wald
das Zentrum der der Massenvermehrung des Borkenkäfers ist, ist nachweislich
falsch, Denn überall in Deutschland stehen vor allem aufgrund des Klimawan-
dels und der nach wie vor hohen Stoffeinträge alle Fichtenwälder, darunter be-
sonders die Fichtenhochlagenwälder, unter massiver Belastung durch die Mas-
senvermehrung des Borkenkäfers. Ähnliche Bilder wie im Nationalpark Bayeri-
scher Wald könnte man deshalb überall dort aufnehmen, wo Fichtenwälder ab-
gestorben sind und nicht abgeräumt werden. Dies ist aber in unseren Wirt-
schaftswäldern nicht der Fall – nur in aus der Nutzung genommen Flächen in
Nationalparken. Ansonsten hätte man in den Wirtschaftswäldern – ob im Harz,
im Thüringer Wald, im Frankenwald, im Fichtelgebirge, im Oberpfälzer Wald
oder im Bayerischen Wald außerhalb des Nationalparks die gleiche Kahlflächen-
situation. Selbst in Westmittelfranken sind bereits über 3.000 ha Fichtenwälder
Opfer der Massenvermehrung des Borkenkäfers geworden.
Ich bedauere, dass in diesem Film nur die Vertreter der Waldsterbens-
Bagatellisierung zu Wort gekommen sind und nicht auch Wissenschaftler und
Praktiker, welche dazu eine andere Position vertreten.
Damit entspricht dieser Film nicht den Verpflichtungen eines öffentlich-
rechtlichen Senders zur ausgewogenen Berichterstattung.
Sehr geehrte Damen und Herren. ich lege deshalb als Vorsitzender des Bun-
des Naturschutz in Bayern e.V. und als Mitglied des Bayerischen Rundfunkra-
tes offizielle Beschwerde gegen diesen Film ein und bitte um Stellungnahme.
Bei Zusendung des Filmtextes – worum ich bitte – bin ich auch gerne bereit,
zu weiteren Ausführungen detaillierte Ausführungen zu machen. Ich fühle
mich dazu auch persönlich berufen, da ich am 22. Mai 1981 die erste Presse-
fahrt zum Thema Waldsterben durchführte, bei der dieser Begriff geprägt
wurde.
Mit freundlichen Grüßen
Hubert Weiger
Eine kurze Bemerkung zu Weigers Behauptung, im Film würde erklärt, dass der Erfolg der Großfeuerungsanlagenverordnung auf nationaler und auf damaliger EG-Ebene keinen Zusammenhang hatte mit der Waldsterben-Diskussion.
Im Film heißt es:
„…Die Bundesregierung handelt und forciert ab 1983 die Rauchgasentschwefelung. Die Betreiber von Stein- und Braunkohlekraftwerken in Deutschland müssen Filteranlagen einbauen, die schädliche Schwefelverbindungen aus den Abgasen entfernen. Eine sinnvolle Maßnahme, sicherlich! – aber kein Ergebnis der Waldsterben-Debatte und keine Erfindung der Regierung Kohl…“
Fakt ist: Bereits die sozial-liberale Koalition hatte vor dem Regierungswechsel 1982 – und ohne Waldsterbensdebatte – die Luftreinhaltungsgesetze auf den Weg gebracht.
Weiger schreibt:
„…Auch die Durchsetzung bleifreien Benzins, die Einführung des Katalysators, die
Entschwefelung des leichten und schweren Heizöls wäre ohne die durch die
Waldsterben-Diskussion verursachte öffentliche Diskussion nicht möglich gewe-
Sen…“
Im Film heißt es:
„…Die Waldsterben-Debatte hat auch die europaweiten Anstrengungen für eine Verbesserung der Luftqualität beschleunigt. Dem deutschen Wunsch einer flächendeckenden Einführung von bleifreiem Benzin und Katalysatoren begegnete man in Frankreich zunächst skeptisch, weil dies eine große wirtschaftliche Belastung für die französische Autoindustrie bedeutet hätte …Die Gespräche zwischen Präsident Mitterand und Bundeskanzler Kohl bringen schließlich einen Prozess in Gang, der in einem gesamteuropäischen Kompromiss mündet: 1985 einigen sich die Staaten der Europäischen Gemeinschaft auf einheitlich verbindliche Abgaswerte für PKWs. Drei Jahre später wird Bleifreies Benzin Pflicht in Europa und die stufenweise Einführung des Katalysators erfolgt bis 1992…“
Wo ist also das Problem? Das Problem ist, dass es manchen Leuten peinlich ist, an ihre Behauptungen von einst erinnert zu werden. Weigers Ex-Chef Hubert Weinzierl sagte damals: „Das Sterben der Wälder wird unsere Länder stärker verändern als der Zweite Weltkrieg.” Anlass zur Selbstkritik? Nein! Lieber beschwert man sich über Filmemacher, die daran erinnern.