Von Norbert Jessen.
Brot für die Welt ist verzweifelt. „Ägypten leidet unter einer schweren Menschenrechtskrise“ heißt es in einer Stellungnahme zum Merkel-Besuch in Kairo. Brot für die Welt würde es "sehr begrüßen, wenn sich die Bundeskanzlerin bei ihrem Besuch für die Achtung der Menschenrechte, für eine unabhängige und freie Zivilgesellschaft und für den Flüchtlingsschutz stark machte".
Ganz oben auf der Liste der Menschenrechtsprobleme sieht Brot für die Welt die „mit Regierungskritikern“ überfüllten Gefängnisse des Staates. Die Aktivitäten „zivilgesellschaftlicher Organisationen" würden "durch restriktive Gesetze stark eingeschränkt“. Dazu käme noch die Internierung von über 4100 meist afrikanischen Flüchtlingen in Haftanstalten und deren völkerrechtswidrige Abschiebung in „anerkannt unsichere Länder“ wie den Sudan, Äthiopien und Eritrea. Erst an vierter Stelle geht es um die Lage und die Leiden der Kopten in Ägypten, die immerhin zehn Prozent der Bevölkerung ausmachen. "Die etwa neun Millionen zählende koptisch-christliche Minderheit fühlt sich von Polizei und Militär im Stich gelassen, weil sie seit vier Jahren nicht ausreichend vor regelmäßigen Angriffen durch den sogenannten Islamischen Staat (IS) geschützt wird."
Dass es den Christen schlecht geht, dass sie um ihre Leben fürchten müssen, ist also nicht allein Schuld des IS. Die "radikale Politik" der Regierung, die so tut, als ginge es ihr um Terrorismusbekämpfung, führe "zur Radikalisierung und ist gefährlich für die innere Sicherheit und die Lage der Minderheiten". Sie heize die "Polarisierung im Lande weiter" an. Das hört sich so an, als würde der IS sich nur zur Wehr setzen. Die schwer bewaffneten Islamisten sind zwar zu allen Untaten bereit, sie bringen Kopten, gemäßigte Moslems, Nichtreligiöse und alles, was auf seine Art anders ist, um, sind aber auch Opfer, irgendwie.
Etwas geheuchelt wirkt auch die Sorge um die afrikanischen Flüchtlinge
In der Tat haben demokratische Kräfte in al-Sisis Ägypten gute Aussichten, sich in Mubaraks alten Verliesen wiederzufinden. Doch sollte nicht unerwähnt bleiben, dass die Überfüllung der Haftanstalten auch auf die Belegung durch Salafisten zurückzuführen ist, deren Pläne zur "Demokratisierung" Ägyptens zerstörerischer sind als die von al-Sisi. In der "Brot für die Welt"-Erklärung steht der IS auf Augenhöhe mit der Regierung. Als ob diese IS-Angriffe zulassen würde, um demokratische Elemente in die Gefängnisse stecken zu können. Was nicht ausdrücklich gesagt wird. Aber es liest sich so.
Kein Wort dagegen über die Aktivitäten des IS, der Al-Kaida und andere Terrortruppen im Sinai. Über die vielen ermordeten Polizisten, Soldaten und Zivilisten. Die passen nicht in das Bild von Ägypten, mit dem Brot für die Welt um Spenden bittet.
Etwas geheuchelt wirkt auch die Sorge um die afrikanischen Flüchtlinge in Ägypten, die "unter unzumutbaren Bedingungen" leben würden, was gewiss stimmt. Aber: Millionen von Ägyptern, die keine Flüchtlinge sind, leben ebenfalls unter unzumutbaren Bedingungen. Das hat vor allem mit der im Lande verbreiteten Arbeitslosigkeit zu tun. Die abzubauen oder abzuschaffen, ist bei der gegenwärtigen Geburtenrate unmöglich. "Legaler Zugang" für Flüchtlinge zum Arbeitsmarkt würde die Hungerlöhne noch tiefer sinken lassen, als es beim illegalen Zugang bereits der Fall ist.. Die Brotversorgung für Einheimische wie Flüchtlinge würde dadurch noch mühsamer.
Brot für die Welt meint aber mehr als Brot: Das evangelische Hilfswerk, das mit relativ wenigen Mitarbeitern einen Umsatz von über 70 Millionen Euro generiert, setzt sich "seit 35 Jahren für Entwicklung, Frieden und Gerechtigkeit in Ägypten ein", auch "bei der Bekämpfung von Armut, der Förderung benachteiligter Gruppen und beim Einsatz für mehr gesellschaftliche Toleranz" ist es ganz vorne mit dabei. Woran liegt es dann, dass die Lebensbedingungen in Ägypten nicht besser, sondern schlechter werden?