Viele Zeitgenossen, die Israel weniger herzlich zugetan sind, pflegen die andauernde Gefahr, die Land und Bewohner zu ertragen haben, gern herunter zu spielen. Der Iran strebe keineswegs nach Atomwaffen, heißt es; und die Freiheitskämpfer in Gaza hätten allenfalls ein bescheidenes Arsenal von einigen Tüten Aldifeuerwerk. Dieselben Zeitgenossen sind maßlos empört, wenn man es wagt, die humanitäre Katastrophe namens Hamas, die gern Hinrichtungen auf offener Straße zelebriert und sich politischer Gegner entledigt, indem sie sie von Hausdächern stürzt, als Terrororganisation zu bezeichnen. Dabei ist die Hamas doch nun wirklich eine Truppe zum lieb haben: Juden, Frauen und Schwule hassende Unsympathen, deren erklärtes politisches Ziel es ist, den Staat Israel auszuradieren und die Juden ins Meer zu treiben, um anschließend einen islamischen Gottesstaat frühmittelalterlicher Prägung zu errichten, wo nach Herzenslust gekreuzigt, gepeitscht und gehackt werden darf.
In Internetforen gehen seit Beginn der Operation Pillar of Defence die Wogen erwartungsgemäß hoch. Die Blöden meinen, der Siedlungsbau der Israelis sei genau so schlimm, wie Raketen von Schulhöfen, Moscheen und Wohngebieten in Gaza abzuschießen; vorzugsweise vor acht Uhr morgens, wenn viele israelische Zivilisten, vor allem Kinder unterwegs sind. Die noch Blöderen jammern, dass verwundete und getötete Frauen immer besonders erwähnt werden, und die ganz Blöden munkeln, die Raketen der Hamas seien vom Mossad eingeschmuggelt worden, damit Israel einen Grund hat, den Gazastreifen anzugreifen. Es ist auffallend, dass die wenigsten Gazaexperten überhaupt wissen, wie man Palästinenser/Pallestinänser/Palestinensär schreibt. Das könnte daran liegen, dass Araber jeder Art diesen Leuten im Grunde so was von am Arsch vorbei gehen - so wie etwa die in Syrien.
Dem vorherrschenden Tenor in der Berichterstattung deutscher Medien ist es letztlich zu verdanken, dass Israel für den oberflächlichen Betrachter immer als der Aggressor dasteht. Man muss nur einmal den Nahostkonflikt in a nutshell gehört haben, wie er auf ZDF Spezial zu sehen war - eine Zusammenstellung von Wahrheiten, Unwahrheiten, Halbwahrheiten und geschickten Auslassungen; wobei es kaum noch überraschen konnte, dass dort nicht nur von der „ersten Infada“, sondern obendrein auch von der „zweiten Infada“ die Rede war.
So wird die israelische Siedlungspolitik grundsätzlich als ein Hauptgrund für die arabische Gewalt dargestellt, obwohl sie im gesamten Konflikt eine untergeordnete Rolle spielt. Von den Raketenangriffen, unter denen besonders der israelische Süden seit Jahren täglich leidet, erfährt der Zuschauer prinzipiell erst, wenn die IDF anfangen, die Verantwortlichen unschädlich zu machen, und dann werden diese für den Schutz der israelischen Bevölkerung (zu der rund 1,6 Millionen Araber zählen) unerlässlichen Maßnahmen als Vergeltungsschläge tituliert, denn das klingt wirkungsvoll nach V2, nach Blutrache und nach Altem Testament.
Stillschweigend wird über manches Hochinteressante hinweg gegangen, zum Beispiel, wie sehr man in Westbank und Gazastreifen unter Problemen wie Überernährung oder dem fehlenden Nachschub von I-Phones 5 leidet. Oder wie auch jetzt Bewohner des Gazastreifens vollkommen selbstverständlich von Israel medizinisch versorgt, ernährt und mit Strom beliefert werden. Oder dass die IDF die erste Armee in der Geschichte der Menschheit sein dürfte, die die Zivilisten im feindlichen Gebiet umfassend vor jedem Angriff warnt. Das wären ein paar schlichte Wahrheiten, die ein völlig anderes Bild aufscheinen ließen. Aber lieber zeigt man Märtyrertheater von Weltformat – Made in Pallywood. Diese Art der Propaganda hat den erwünschten Erfolg: Selbst die jenigen, die fünf Minuten dazu brauchen, Israel auf dem Globus ausfindig zu machen, wissen in der Regel, wer im Nahen Osten der Böse ist.
Die Einschätzung der Kriegslage ändert sich erfahrungsgemäß, wenn der deutsche Volksgenosse von ihr betroffen ist: Als ich 2006 aus Israel zurückkam, wo gerade der zweite Libanonkonflikt ausgebrochen war, wurde ich von vielen empfangen, als käme ich blutüberströmt direkt vom Schlachtfeld. Ob es nicht entsetzlich gewesen wäre? Ob ich nicht furchtbare Angst gehabt hätte? Ich will mich nicht besser machen als ich bin: Ja, die hatte ich. Etwa zwei Stunden lang überlegte ich an jenem Schabbatabend, ob wir nicht schleunigst nach Deutschland zurück kehren sollten. Aber als ich dann all die gelassenen Tel Aviver auf der Strandpromenade sah, von denen keiner sich irgendwie hysterisch gebärdete … eine Rieseneisportion von Iceberg (Dark Chocolate/ Marzipan/ Pistacchio - die israelische Antwort auf die Mozartkugel) tat dann das Übrige. Und im Jahr 2008, während Cast Lead, dachte ich nicht einmal mehr darüber nach, ob ich abreisen sollte, obwohl ich erstmals Raketen aus dem Gazastreifen fliegen sah.
Und dieser Weihnachtsurlaub? Nach aller menschlichen Voraussicht werde ich fliegen. Bis man in Gaza die EU-Hilfsgelder wieder für Raketen verbraten hat, anstatt sie in Schulen, Krankenhäuser, Bunkerbau und Aufbau einer funktionsfähigen Infrastruktur zu investieren, kann es eh noch dauern. Israel, ich komme – in guten wie in schlechten Zeiten.