Oliver Marc Hartwich, Gastautor / 21.05.2015 / 09:44 / 2 / Seite ausdrucken

Bitte warten: die EU und die Roaming-Gebühr

Angesichts der dräuenden Wolken am europäischen Horizont – der mögliche Austritt Großbritanniens aus der EU, Griechenlands Balancieren am Abgrund des Staatsbankrotts, und das Unvermögen, sich auf eine Antwort auf die Flüchtlingskrise im Mittelmeer zu einigen – stellen sich viele Bürger Europas die Frage nach dem Nutzen der europäischen Integration.

Ein Projekt wurde bisher immer als leuchtendes Beispiel für das segensreiche Wirken der EU herangezogen. Zwar betrifft es nicht Griechenland oder den Euro, dafür aber die Mobiltelefonrechnungen der Bürger.

Allerdings könnte es sich für die EU als Rohrkrepierer erweisen.

Die Europäische Kommission und das Europaparlament versuchen seit Jahren, die lästigen Zusatzkosten abzuschaffen, die Mobiltelefonnutzern bei Reisen in Europa abverlangt werden. Vor einiger Zeit noch waren diese Gebühren horrend hoch. Ein Kunde, der ein paar Mal aus dem Ausland anrief, Kurznachrichten verschickte oder ein bisschen im Web surfte, fand bei der Rückkehr oft eine unverschämt hohe Rechnung vor.

Mit dem Argument, dass diese Roaming-Gebühren mit dem Binnenmarkt unvereinbar waren, hatte die EU bereits Aufschläge für mobiles Telefonieren beschränkt. Die Aufschläge auf die Inlandspreise für ausgehende Telefonanrufe waren demnach auf 0,19 € je Minute und für eingehende Anrufe auf 0,05 € je Minute begrenzt, für das Versenden von SMS auf 0,06 € je Nachricht.

Den ehrgeizigen EU-Politikern war das zu wenig. Sie wollten die Roaming-Aufschläge nicht bloß begrenzen, sondern sie ganz abschaffen.

Aus dem Ministerrat ist nun durchgesickert, dass es nicht dazu kommen wird. Offenbar als Reaktion auf den Druck großer Telekommunikationsanbieter ist die EU dabei, ihre Vorschläge zur Senkung der Roaming-Kosten zu verwässern.

Anstatt sie abzuschaffen, will die EU nun lediglich ein Roaming-Grundkontingent kostenfrei stellen. Die Kunden sollen mit ihren mobilen Endgeräten im Ausland zum Inlandstarif 50 Minuten telefonieren, 50 Kurznachrichten verschicken und 10 MB Daten abrufen dürfen – wohlgemerkt, pro Jahr und nicht pro Monat.

Eine derart verwässerte Roaming-Lösung wäre für die EU, d.h. die Kommission und das Parlament, ein peinlicher Rückzug. Denn die EU-Institutionen haben immer auf die Gebühren für mobiles Roaming verwiesen, wenn sie die Vorteile der EU für Verbraucher herausstreichen wollten. Sowohl Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und Parlamentspräsident Martin Schulz hatten die Abschaffung von Roaming-Gebühren als Paradebeispiel für erfolgreiches Wirken der EU herausgestrichen.

In gewisser Weise hat das Scheitern der EU an diesem Prestige-Projekt etwas Gutes. Denn wenn sich Europa nur um solche Dinge dreht, braucht man die europäischen Institutionen nicht.

Die EU hat Roaming-Gebühren immer mit einem einfachen Argument kritisiert. Da alle EU-Mitgliedsstaaten einen gemeinsamen Markt bilden, sollte es keinen Unterschied machen, ob man sein Telefon zu Hause oder im Ausland benutzt. Extrakosten für die Nutzung eines Mobiltelefons wären dann eine ungerechtfertigte Verzerrung dieses Marktes.

Aber auch in einem schrankenlosen Binnenmarkt gibt es eben nicht den einen europäischen Telekommunikationsmarkt, sondern mehrere nationale Märkte. Die Mobilfunkanbieter betreiben gewöhnlich ein Netz in einem Land. Auch wenn sie in anderen Ländern Schwestergesellschaften oder Niederlassungen führen, operieren sie dennoch als nationale Provider.

Wenn ein Kunde von einem Land in ein anderes reist, entstehen Kosten, für die ein nationaler Mobiltelefon-Provider seine ausländischen Partner, deren Infrastruktur in Anspruch genommen wird, bezahlen muss. Diese Kosten sind wohl erheblich niedriger als die Aufschläge, die den Kunden in der Vergangenheit berechnet wurden, es bleibt aber ein Unterschied zwischen den Kosten der Telefonnutzung zwischen Inland und Ausland.

Gerechtigkeit bedeutet, Gleiches gleich zu behandeln, und Verschiedenes unterschiedlich zu behandeln. Aber dann ist es nur angemessen, dass der Kunde einen jeweils verschiedenen Preis für Inlands- und Roaming-Anrufe, Nachrichten und Daten bezahlt, da er ja unterschiedliche Produkte nutzt.

Die EU hat versucht, Roaming-Gebühren als populistischen Aufhänger zu benutzen, um ihre Nützlichkeit zu beweisen. Dabei hat sie aber den Grundgedanken der Gerechtigkeit vernachlässigt. Unter dem Vorwand, den Binnenmarkt zu optimieren, wollte sie in die Mechanismen des Marktes eingreifen.

Das Vorhaben, die Roaming-Gebühren abzuschaffen, war nichts anderes als ein altmodisches Preisdiktat. Damit wird in die Vertragsfreiheit der Telefongesellschaften eingegriffen, speziell ihre Freiheit, selbst Preise für ihre Dienste festzusetzen. Es stimmt zwar, dass manche Anbieter die Roaming-Gebühren als „cash cow“ ausgenutzt haben. Aber dazu hatten sie jedes Recht. Und der Kunde hatte immer die Möglichkeit, sich dem zu entziehen, indem er an einer Landesgrenze die SIM-Karte austauschen oder auf WLAN bzw. Internet-Telefonie ausweichen konnte.

Es gibt noch ein weiteres Argument gegen eine verordnete Festsetzung einheitlicher Preise für Telefonie in Europa: Damit wird eine kleine Gruppe von Nutzern auf Kosten der übrigen Nutzer bevorteilt.

Die meisten Europäer reisen nicht ständig in andere Länder. Sie fahren vielleicht einmal im Jahr in Urlaub, aber davon abgesehen bleiben sie meist von Roaming-Gebühren verschont. Die am stärksten von Roaming-Gebühren betroffene Gruppe sind Geschäftsreisende, die ohnehin generell Kommunikationsdienste stärker nachfragen.

Würden die Preise EU-weit vereinheitlicht, dann ist davon auszugehen, dass die Telekom-Anbieter ihre Verluste wettmachen werden, indem sie für alle Verträge und alle Kunden die Preise erhöhen. So würden Vieltelefonierer durch Wenigtelefonierer subventioniert. Auch wenn dies nicht in der Absicht der EU liegt, würden gelegentliche Roaming-Nutzer für das Recht der Geschäftskunden auf Roaming bezahlen.

Auch dann, wenn eines Tages EU-weites Roaming verwirklicht wird, wären weitere Markteingriffe wohl unausweichlich. Denn wenn jede SIM-Karte eines beliebigen EU-Mitgliedsstaates die gleichen Dienste bereitstellt, können die Kunden sich einfach nach dem günstigsten Angebot umsehen. So könnte ein britischer Nutzer von Mobiltelefonen eine lettische SIM-Karte in sein Gerät einstecken, falls lettische Verträge günstiger sind. Um dies zu verhindern, hat Italien bereits vorgeschlagen, eine Vorschrift über „angemessene Nutzung“ einzuführen, wonach die Anzahl der Tage, während der ein Mobiltelefon außerhalb des Heimatmarktes genutzt werden kann, begrenzt werden soll. So zieht ein Eingriff einen Rattenschwanz weiterer Eingriffe hinter sich her.

Der Gedanke der EU-Politiker, alle Roaming-Gebühren überall in der EU abzuschaffen, entspringt einem Schielen nach breiter Zustimmung. Ebenso offensichtlich ist aber, dass diese Politik nicht sehr sinnvoll ist. Am Ende könnten die Preise für mobiles Telefonieren für alle Nutzer steigen. Weitere Eingriffe wären erforderlich, damit der Plan funktioniert. Die EU zeigt sich so von ihrer schlechtesten Seite, indem sie die ureigenste Aufgabe der Märkte – die Preisfindung – usurpiert.

Leider hat das alles nichts mit einer Stärkung des EU-Binnenmarktes zu tun. Allenfalls dient das Vorhaben als Ablenkung vom Unvermögen der EU, die wirklichen Probleme der EU anzugehen.

Wie sich nun herausstellt, ist die EU noch nicht einmal damit erfolgreich.

Dr. Oliver Marc Hartwich ist Executive Director der The New Zealand Initiative.

‘Why the EU is hung up on mobile roaming’ erschien zuerst in Business Spectator (Melbourne), 21. Mai 2015. Übersetzung aus dem Englischen von Eugene Seidel (Frankfurt am Main).

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Robert Bond / 21.05.2015

Interessanterweise verlangen aber alle Anbieter so ziemlich die gleichen Roaming-Tarife. Muss wohl an der Kostenwahrheit liegen… Und Angebote europaweiter Flatrate waren gaaaanz schnell wieder weg. Vermutlich keine Interessenten….

Robert Rubekula / 21.05.2015

“Die am stärksten von Roaming-Gebühren betroffene Gruppe sind Geschäftsreisende, die ohnehin generell Kommunikationsdienste stärker nachfragen.” Die am stärksten betroffene Gruppe dürften mutmaßlich EU-Politiker sein, die ihr Mobiltelefon mal in Brüssel, mal in Straßburg, mal in ihrem Heimatland, vielleicht auch mal in Luxemburg oder wo immer sie es gerade hin treibt verwenden.

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