Ein Gedi ist ein winziges, fragiles Paradies mitten in der judäischen Steinwüste am Toten Meer, dem tiefsten Punkt der bewohnten Erde. Dort, wo das Leben spendende Wasser in herrlichen Kaskaden die Berge hinuntersaust, um schließlich in der Salzsuppe des Toten Meeres aufzugehen, konzentriert sich das artenreichste Biotop Israels. Es ist eine touristische Attraktion ersten Ranges, komplett mit Kibbuz, Guest House, Youth Hostel und Spa.
Genauso wie Ein Gedi habe ich mir seit frühester Kindheit die Oase von Herrn Tur Tur aus „Jim Knopf und Lukas, der Lokomotivführer“ vorgestellt: Ein wunderschöner Traumort voller Quellen, Leben und üppigem Grün, wo man, entspannt im kühlen Nass liegend, dem Kreisen der Geier zusehen kann.
Für den Naturfreund bleibt hier kaum ein Wunsch offen. Wölfe, Schakale, Füchse und sogar die sehr seltenen israelischen Leoparden sollen sich hier nachts sehen lassen. Überall an den roten Felsen leben Rudel von nubischen Steinböcken, nach denen dieser Ort seit biblischen Zeiten benannt ist, denn Ein Gedi heißt „Die Quelle des Zickleins“. Zwischenzeitlich waren sie beinahe ausgerottet; jetzt sind sie wieder zahlreich und derart an Menschen gewöhnt, dass sie vorzugsweise auf dem Gelände der Jugendherberge chillen. Als Gast darf man sich nicht wundern, wenn morgens vor der Tür ein Steinbock steht, dem man hartnäckig klar machen muss, dass er doch eigentlich ein wildes Tier sei und nicht vor der Tür rumzulungern habe.
Wo in der Wüste Wasser ist, tobt das Leben: Zahlreiche Klippschliefer, Vögel, Schlangen, Kröten, Frösche, Krabben, Insekten, knallrote Libellen, Schmetterlinge und Schnecken tummeln sich im Quellgebiet. Bäume wachsen hier, die es im Rest des Landes nirgendwo mehr gibt. Wer immer im 1. Buch Moses den Garten Eden beschrieben hat, muss Ein Gedi vor dem geistigen Auge gehabt haben. Nur, dass der Garten Eden über bedeutend besseren Naturschutz verfügte: Ein illegal gepflückter Apfel vom Baum der Erkenntnis wurde mit lebenslangem Rausschmiss abgestraft. So gut funktioniert es in Ein Gedi leider nicht, obwohl man sich redliche Mühe gibt: Essen, rauchen, Müll entsorgen und herumlärmen sind strikt untersagt. Das wäre auch alles ganz praktikabel, wenn nicht Tag für Tag etliche Busladungen der schlimmst vorstellbaren Vandalen durch den Park getrieben würden. Der Israeli lässt sich nun mal nicht gern Vorschriften machen und daher verstößt er am liebsten gegen alle Verbote gleichzeitig und noch mehr: Pflanzen werden abgerissen, Wasserflaschen auf Schwimmfähigkeit getestet und Tiere mit Steinen beworfen.
Das Spannende bei den Israelis ist, dass sie nicht so berechenbar sind wie die Deutschen. Wenn man sie also darum bittet, die Klippschliefer nicht mit Steinen zu bewerfen oder Krebse nicht an den Felswänden zu zerschmettern, kommen sie dem zwar verdutzt, aber freundlich nach.
Mit großer Hartnäckigkeit versuchen die Besucher immer wieder, den Nationalpark abzufackeln, egal ob durch das Wegwerfen brennender Zigarettenstummel, offene Feuerstellen oder explodierende Gaskocher. Zum Glück gibt es einige Park Rangers. Aber die sind auch nicht alle gleich. Während der eine bei solchen Vorkommnissen wutschnaubend die Uzi durchlädt und entsichert, schreiend zu Tale rennt und die Übeltäter mit hebräischen Flüchen dem Ausgang zutreibt, guckt der andere lediglich gelangweilt in die andere Richtung. Was er nicht weiß, macht ihn nicht heiß.
Für einen Tagesausflug, ein Wochenende oder vierzehn Tage ist Ein Gedi der Himmel auf Erden. Verbringt man mehr Zeit dort, etwa als Kibbuznik, muss man sich früher oder später fühlen wie im siebten Kreis der Vorhölle. Die Kibbuzbewohner wurden häufig nicht sehr alt, wie man den Grabsteinen dort entnehmen kann. Da nützt es auch nicht viel, dass man sein kurzes Leben in dem unglaublich schönen botanischen Garten des Kibbuz verbringt und täglich der Steinbock grüßt. Es muss an der schwefligen Luft liegen oder an der mörderischen Hitze oder dem atmosphärischen Druck, dass die Bewohner von Ein Gedi mitunter ausgelaugt und subdepressiv wirken. Wer einmal einen Hochsommertag dort verbracht hat, wird das augenblicklich verstehen: Gegen Nachmittag erreicht das Thermometer durchaus schon mal 45 ° C und dann kommt früher oder später der Moment, wo man das Gefühl hat, das einzig adäquate Mittel zur Erfrischung wäre ein Amoklauf. Nach Sonnenuntergang ist die Lage kaum besser. Denn dann setzt ein durch das Jordantal brausender Nachtwind ein, der sich anfühlt, als würde einem ein Fön auf Stufe III direkt ins Gesicht geblasen.
Die Beduinen, die im Negev leben, sind seit Jahrhunderten an diese klimatischen Bedingungen angepasst. Daher arbeiten in Ein Gedi auch junge Beduinensöhne. Tagsüber führen sie den Speisesaal, abends baggern sie die Touristinnen an. Sie sitzen im Dunkeln auf dem Balkon vor ihrem Zimmer, und wenn Frauen vorüber gehen, locken sie sie mit den albernen Geräuschen an, mit denen ich immer Katzen anlocke. Sie haben keinerlei Respekt vor den Frauen der Ungläubigen. Warum sollten sie auch? Dafür haben sie ein viel zu leichtes Spiel bei ihnen: Wenn irgendein Deutscher den Frauen nach der intensiven Kennenlernphase von einer Stunde ins Ohr säuseln würde: Baby, glaub mir, du bist die Liebe meines Lebens! würden sie ihm vermutlich in die Eier treten. Tut hingegen ein glutäugiger Wüstensohn das gleiche, glauben sie ihm nicht nur jedes Wort, sondern lassen sich obendrein auch noch flachlegen.
Wie weit der Irrsinn gehen kann, hat gerade Berit Kessler beschrieben. Es fing an mit einem Flirt in Ein Gedi und endete mit dem vollen Programm: Konversion zum Islam, Verschleierung, wohnen im Zelt als Zweitfrau eines Kamelherdenbesitzers, Vergewaltigungen, Schläge, drei Kinder, von denen zwei regelmäßig von den Onkeln missbraucht und geschlagen wurden. Das ganze Martyrium zog sich über etliche Jahre hin. Und zu keinem Zeitpunkt stellte sich die Frau die alles entscheidende Frage: Bin ich eigentlich noch ganz dicht?
Abends sind die Wadis von Ein Gedi wieder frei von lärmenden Besuchern. Füchse, Schakale und Leoparden streifen an den Ufern umher, während Fledermäuse flattern und die Eulen schreien. Über der grandiosen Naturkulisse wölbt sich ein Sternenhimmel von unvergleichlicher Schönheit. Und man begreift wieder, dass selbst König David hier schon Zuflucht gesucht hat ….