Rainer Grell / 03.07.2016 / 12:00 / Foto: Tomaschoff / 5 / Seite ausdrucken

Politiker-Sprüche: Grobe Klötze und zarte Seelen

In den letzten Jahren und Jahrzehnten gab es immer wieder Sprüche von Prominenten, die Empörung ausgelöst haben (heute nennt man das Shitstorm) und solche, die kaum Wirkung zeigten. Schauen wir uns zuerst ein paar von der „starken“ an.

Wir können die Zukunft nicht dadurch sichern, dass wir unser Land als einen kollektiven Freizeitpark organisierenverkündete Helmut Kohl als Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung vom 21. Oktober 1993.

Wer dem Volk anstrengungslosen Wohlstand verspricht, lädt zu spätrömischer Dekadenz ein" ließ der damalige FDP-Vorsitzende, Außenminister und Vizekanzler Guido Westerwelle die Leser seines Gastkommentars in der Welt vom 11. Februar 2010 wissen.

Als der arbeitslose Henrico Frank den damaligen Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz in seiner Eigenschaft als SPD-Vorsitzenden auf dem Wiesbadener Sternschnuppenmarkt (Weihnachtsmarkt) am 13. Dezember 2006 für seine prekäre Situation verantwortlich machte, sprach dieser den für einen Genossen bemerkenswerten Satz: „Wenn Sie sich waschen und rasieren, haben Sie in drei Wochen einen Job" (zitiert nach Spiegel online).

„Sie können ein Dirndl auch ausfüllen“.

Und schließlich die legendäre Äußerung des FDP-Spitzenkandidaten Rainer Brüder (Jg. 1945) am Abend des Dreikönigstreffens der FDP am 6. Januar 2012 an der Bar des Stuttgarter Hotels Maritim gegenüber der Stern-Journalistin Laura Himmelreich (Jg. 1983) mit Blick auf deren Busen: „Sie können ein Dirndl auch ausfüllen“.

Demgegenüber nahm von den folgenden Aussagen kaum jemand Notiz, obwohl sie es durchaus in sich haben.

1980 prophezeite der langjährige Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Heinz Kühn: „Wenn die Zahl der Ausländer, die als Minderheit in einer Nation leben, eine bestimmte Grenze überschreitet, gibt es überall in der Welt Stimmungen des Fremdheitsgefühls und der Ablehnung, die sich dann bis zur Feindseligkeit steigern. Allzuviel Humanität ermordet die Humanität. Wenn jedoch eine Grenze überschritten ist, wird sich die Feindseligkeit auch auf jene erstrecken, die wir sogar gern bei uns haben möchten" (Neue Osnabrücker Zeitung vom 13. September 1980).

Man kann aus Deutschland mit immerhin einer tausendjährigen Geschichte seit Otto I. nicht nachträglich einen Schmelztiegel machen. … Weder aus Frankreich, noch aus England, noch aus Deutschland dürfen Sie Einwanderungsländer machen. Das ertragen diese Gesellschaften nicht... Aus Deutschland ein Einwandererland zu machen, ist absurd...“ Das stammt nicht etwa von einem Rechtsradikalen, einem Rassisten oder Nationalisten, ja nicht einmal von einem CSU-Politiker, sondern von dem allseits geschätzten elder statesman Helmut Schmidt (Interview in der Frankfurter Rundschau vom 12. September 1992).

„Wer betrügt der fliegt“

Im Wahlkampf 1998 befand der spätere Bundeskanzler Gerhard Schröder zum Thema Ausländer: "Wer unser Gastrecht missbraucht, für den gibt es nur eines, raus, und zwar schnell" (zitiert nach Zeit online vom 17. Februar 2000, Seite 6), ohne dass jemand Anstoß daran nahm. Der CSU-Slogan aus dem Jahr 2014 „Wer betrügt der fliegt“ erregte da schon mehr Unmut.

„Noch nie habe ich die Nationalhymne mitgesungen und werde es auch als Minister nicht tun", teilte Jürgen Trittin jedem mit, der es wissen wollte – oder auch nicht (FAS vom 2. Januar 2005 Seite 6).

Was lernen wir aus der unterschiedlichen Reaktion der „Öffentlichkeit“ auf derartige Äußerungen? Schwer zu sagen. Offenbar kommt es darauf an, wer die jeweilige Aussage gemacht hat. Reizfiguren wie Kohl („Birne“) oder Westerwelle („Spaßwahlkampf“) provozieren wohlfeilen Widerspruch. So konnte Heiner Geißler über Westerwelles Dekadenz-Spruch spotten: „Die spätrömische Dekadenz bestand darin, dass die Reichen nach ihren Fressgelagen sich in Eselsmilch gebadet haben und der Kaiser Caligula einen Esel zum Konsul ernannt hat. Insofern stimmt Westerwelles Vergleich: Vor 100 Tagen ist ein Esel Bundesaußenminister geworden.“ Nun weiß man, dass Caligula nicht einen Esel, sondern sein Lieblingspferd Incitatus zum Konsul ernannte und dass Poppaea Sabina, die Frau Neros, das Bad in Eselsmilch als Schönheitskur schätzte, wobei nicht überliefert ist, ob sie dieses vor oder nach einem Fressgelage nahm. Aber wie hätte es sich angehört, Guido Westerwelle als Pferd, als Hengst gar, zu bezeichnen!

Und dann kommt es natürlich darauf, was jemand gesagt hat. Kohl hat mit seinem „kollektiven Freizeitpark“ das wohlverdiente Streben seiner Landsleute nach Erholung und Zerstreuung kritisiert, Beck gar stellvertretend alle Arbeitslosen beleidigt. Das geht natürlich gar nicht. Trittin dagegen hat nicht etwa seine Geringschätzung des Landes zum Ausdruck gebracht, dessen Nutzen zu mehren und Schaden von ihm zu wenden er geschworen hat, sondern dem Nationalismus eine Absage erteilt.

Und was ist mit den Äußerungen von Kühn, Schmidt und Schröder? Die klingen doch wie Ausländerhetze. Gott bewahre! Wenn so was von „Rechten“ gekommen wäre, klar, dann könnte man das nicht hinnehmen. Aber die SPD ist schließlich die einzige Partei gewesen, die gegen Hitlers Ermächtigungsgesetz gestimmt habe.

Merke: “All animals are equal, but some animals are more equal than others.”

Foto: Tomaschoff

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Gereon / 03.07.2016

Man darf einiges nicht vergessen: Schmidt fing an gewisse Wahrheiten (unter anderem auch die Unintegrierbarkeit von islamischen und afrikanischen Migranten) zu sagen, als es ihm politisch nicht mehr gefährlich werden konnte und seine Partei sowieso nicht mehr auf ihn hörte. Schröder (übrigens genauso seine Parteikollegen Kraft in NRW und Wowereit in Berlin) erzählte den Wählern immer je nach Gekegenheit und Stimmung das, was diese hören wollten. Um es dann doch garnicht oder komplett anders zu machen. Immerhin waren alle damit kurzfristig sehr erfolgreich, langfristig schadete es der Demokratie sehr. Kühn erlebte von den 60ern bis in die 80er das Sterben der Montanindustrie an der Ruhr und wie die ehemals kleinbürgerlich deutschen Stadtteile in Köln, Duisburg, Oberhausen, Essen, Bochum und Dortmund verlassen wurden, bis nur noch die nie integrierten Arbeitslosen türkischen Gastarbeiter blieben, die man nie wieder los wurde. Dass sich das Ganze irgendwann zu No Go Areas und Ursprungszonen massiver Gewaltkriminalität entwickeln würde war damals bereits abzusehen. Nur hat weder der Ministerpräsident noch seine Partei auch nur einen Finger gerührt um etwas dagegen zu tun. In den 80ern wären noch Möglichkeiten gewesen, heute ist der Zug längst abgefahren und das Problem bleibt auf sehr sehr lange Zeit ungelöst.

JF Lupus / 03.07.2016

Wenn es ernst wird, muss man lügen. (Juncker) Wer unsere Politiker noch ernst nimmt oder glaubt, sie würden unsere Interessen vertreten, der glaubt auch, dass ein Zitronenfalter Zitronen faltet.

Rolf Menzen / 03.07.2016

Mann Mann Mann, Kühn und Schmidt waren ja schlimmer als der Gottseibeiuns, ich meine natürlich die Partei, deren Namen man nicht nennen darf weil ihr das ja Wählerstimmen von den Dummen bzw. dem Pack oder so bringen könnte und deren Protagonisten vermutlich alle einen Pferdefuß haben. Wenn das der maaslose Heiko rauskriegt werden Heinz und Helmut noch post mortem aus der Partei ausgeschlossen.

Ulrich Baare / 03.07.2016

Naja, die “Öffentlichkeit” ist eben nicht die Bevölkerung, sondern letztlich nur Zeitungsschreiberlinge und Fernsehsprecher. Es gibt wenige andere relevante Öffentlichkeiten außerhalb von Wahlen außer denen der Massenmedien. Denn wer redet denn, wer deutet, wer stellt Leute als Zeugen einer Stimmung vor und sucht sie letztlich aus, wer thematisiert was wie? Kommunikation findet immer über einem Medium statt - und wer dieses beherrscht ist derjenige, der kommuniziert - und zwar auch dann, wenn er vorgibt ‘nur’ der ‘Bote’ zu sein.

Harald / 03.07.2016

“Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern?” (Konrad Adenauer) Den im Startloch lauernden Berufsempörten sei jedoch die, eine Möglichkeit unterbreitet, Adenauer habe damit u.U. den Wert der Worte bzw. Sprechblasen oder das Agieren der “Politik” ins Licht rücken wollen. 

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