Samira El Ouassil und Dominic Boeer / 26.06.2014 / 23:36 / 4 / Seite ausdrucken

BIO schmeckt, verdammt nochmal!

Meistens ist es ja umgekehrt, aber an diesem Sonntagmorgen bin ich im Gegensatz zur Fernsehmoderatorin Andrea „Kiwi“ Kiewel glänzend aufgelegt.

Die ärgert sich nämlich im ZDF-Fernsehgarten live über eine Zuschauerin, deren strahlendes Urteil über konventionelles Nicht-Bio-Brot „super“ ausfällt. Bevor die lässige Zuschauerin mit der Sonnenbrille die Chance hat zu fragen, ob sie noch mehr von dem köstlichen Discounter-Brot bekommen kann, brummt „Kiwi“ mit ernstem Blick – ja, den hat sie auch – in die Kamera: „Trotzdem muss man immer aufpassen, dass man bloß kein billiges Brot kauft.“

Okay, der Erziehungsauftrag musste trotz des verpatzten Brot-Tests noch schnell erledigt werden, bevor die blonde Moderatorin in der grünen Jacke versucht, in gewohnter Hach-was-hab-ick-für-‘ne-freche-Klappe-Manier weiterzumoderieren.

Aber sie ist sauer, verständlicherweise. Schließlich hätte man aus der Vergangenheit lernen müssen. Denn nur wenige Tage zuvor gab es auf demselben Sender die Sendung „WISO-Duell: Ist Bio besser?“

Für den großen Geschmackstest dieses TV-Magazins beauftragte man Sternekoch Johann Lafer damit, ein reichhaltiges Buffet zweimal herzustellen. Einmal mit konventionellen Lebensmitteln und einmal ausschließlich mit Bio-Ware, aber eben optisch identisch. Nach einer Blindverkostung sollten 40 Gäste als Höhepunkt des Experiments darüber urteilen, welches Buffet ihnen besser geschmeckt hat.
Ergebnis: 26 zu 14 für das Nicht-Bio-Essen. Das war so natürlich nicht geplant!

Eine der erschrockenen Probandinnen wagte vor laufenden Kameras einen Erklärungsversuch und erinnerte daran, dass den Leuten eben grundsätzlich besser schmecke, was sie gewohnt seien.

Es ist also keineswegs so, dass Bio-Produkte uns nicht besser schmecken würden – unsere Geschmacksnerven sind nur einfach noch nicht so weit! Oder anders gesagt: Der Mensch ist einfach zu blöd, um zu schmecken, dass ihm Bio besser schmeckt.

Diese skrupellose McDonald’s-Mafia hat es doch tatsächlich geschafft, unseren Geschmack so verkümmern zu lassen, dass uns die kleinen, braunen, säuerlichen Äpfel aus Muttis Garten nicht mehr schmecken. Letztlich geht es unserem Geschmackssinn eben nicht anders als einem stinknormalen CSU-Wähler in Bayern: Er weiß nicht, was wirklich gut für ihn ist.

Deshalb ist es notwendig, den gefährlich unvoreingenommenen Geschmackssinn unbezahlter Normalos, wenn es um echte Geschmacksfragen geht, lieber außen vor zu lassen. Wie wunderbar dies funktioniert, bewies der gleiche Fernsehsender mit der veganen Ausgabe von „Volle Kanne“: Der junge deutsch-türkische Lifestyle-Guru Attila Hildmann, der laut seiner Bücher „cholesterinbewusst, laktosefrei und klimafreundlich“ kochen kann, möchte neben einem veganen Bio-Matcha-Tee-Frühstück für die Moderatorin Andrea Ballschuh live im Studio vegane Pralinen herstellen. Deren Freude darüber wirkt durchaus glaubhaft.

„So“, kommentiert er Fernsehkoch-like, „nun kippen wir den Bio-Fairtrade-Kakao dazu.“ Ja, das hat er wirklich gesagt.

Im Laufe der Sendung beichtet Hildmann immer wieder die Verfehlungen seines vor-veganen Lebens: Er sei statt mit dem Fahrrad tatsächlich auch mal Auto gefahren und habe anstatt Agaven-Dicksaft mal echten Zucker zu sich genommen. Als er kopfschüttelnd darauf hinweist, dass ihm damals die Umwelt so egal gewesen sei, dass er sogar Lederschuhe getragen habe, braucht es kurzzeitig ein wenig Phantasie, um in Ballschuhs Gesicht echte Vorfreude auf die Pralinen ablesen zu können.

Als er die Zuschauer kurz darauf wissen lässt, dass er seine Nudeln nur noch aus Zucchini mache, fängt sich die kecke Andrea wieder und schüttelt euphorisiert ihr Ass aus dem Ärmel: „Gestern habe ich für meinen Mann und mich auch vegan gekocht und Nudeln aus Zucchini gemacht! Er wollte das erst nicht, war aber dann genauso begeistert wie ich!“

Natürlich wissen wir nicht, ob sich am späten Abend noch jemand aus dem Hause Ballschuh heimlich zu McDonald’s geschlichen hat, aber in diesem Moment versprühen Andrea und Attila vegane Funken durch die Mattscheibe.

Gegen Ende der Sendung ist es dann soweit: Ballschuh beißt beherzt in die vegane Praline und hat ab diesem Zeitpunkt nicht nur Probleme, die Zähne auseinanderzubekommen, sondern wäscht sich noch während der Abmoderation die Hände, da die kleine vegane Köstlichkeit offensichtlich nicht nur an ihren Beißwerkzeugen klebt.

Noch bevor Hildmann der Gastgeberin mit dem Kinderschokoladen-Gesicht eine weitere Praline anbieten kann, antwortet diese clever, dass „eine vollkommen genug“ sei, da sie ja so reichhaltig seien.

Man stelle sich vor, das ZDF hätte sich an dieser Stelle wie beim Fernsehgarten unachtsamerweise von den unkontrollierten Äußerungen eines unvorbereiteten Normalos mit primitiven Geschmacksnerven in die Irre führen lassen.

Glücklicherweise kann die Hände waschende Ballschuh unwiderruflich klarstellen: Die Dinger sind, verdammt nochmal, köstlich!
Wieso musste man dann aber „Kiwi“ Kiewel an diesem harmlos anmutenden Sonntagmorgen der hübschen Fernsehgarten-Zuschauerin aussetzen, die doch nicht wissen konnte, dass sie sich nur eingebildet hat, dass sie ein Brot lecker fand, dass ihr gar nicht schmecken konnte? Wann wird der Mensch endlich so weit sein, dass ihm Bio besser schmeckt?

Ich beschließe, diese Entwicklung abzuwarten und beiße in mein mit konventioneller Marmelade bestrichenes Nicht-Bio-Brötchen. Unterdessen moderiert die wackere Kiwi weiter, als gäbe es morgen keine Bio-Brote mehr, und der ZDF-Fernsehgarten verläuft ohne zusätzliche Komplikationen. Jedes Playback wird rechtzeitig und sauber abgespielt.
Bio gut, alles gut.

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Richard Rexrodt / 29.06.2014

Man kann natürlich versuchen durch den Fokus auf lachhafte Verhaltensweisen den eigentlich guten Ansatz grundsätzlich lächerlich machen. Nicht, dass ich glaube mit Bio die Welt retten zu können und ja, ich stelle es mir auch unmöglich vor im gekochten Essen den Unterschied von Bio-Karotte und konventionell angebauten Karotten fest zu stellen. Dennoch, ich bekomme im Bio-Laden eine Sortenvielfalt, die im üblichen Supermarkt seinesgleichen sucht. Die Produkte sind nicht vollkommen überzuckert oder mit Süßstoffen durchzogen. Beim konventionellen Bäcker kaufe ich mir Brötchen, die mir entgegenspringen - Dieses geschmacklose aufgeblähte in einer Konsistenz wie Styropor aufgebackenes Frühstücksbrötchen habe ich in einem Bio-Laden noch nicht gehabt.

Andreas Brecht / 29.06.2014

@Max Wedell ” “Gesundheitliche Wirkung” sowie “Umweltbelastung bei Herstellung” werden wohl vermutlich bei Bio-Lebensmitteln bessere Werte aufzeigen als bei herkömmlich entstandenen” Ist in der Tat nicht nur nicht mehr als eine Vermutung, sondern es gibt für diese Vermutung afaik auch keinerlei Belege. Sicher ist eigentlich in diesem Zusammenhang nur, dass “Bio” 1. teurer ist als konventionell (bzw. unbezahlbar wenn auch noch “Demeter” drauf steht), dass es 2. dennoch von den Rumpelhirnen im öffentlich dämlichen Rundfunk bejubelt wird, wie die allein selig machende Heilsernährung und dass sich 3. die diversen Bio”-Zertifizierer auf Kosten der Verbraucher, die auf den Mist reinfallen, eine golden Nase verdienen.

Andreas Mertens / 27.06.2014

Sorry, aber wer freiwillig die parteibuchgesteuerten Staats-Propagandasender anschaut, der gehört bestraft. 5 Jahre Fernsehgarten ohne Bewährung. Und dort dann als strafverschärfende Maßnahme Ekelhaft anstatt Einzelhaft. Bekocht von Labber, Klohbeck und wie sie da alle brodeln. Diese ganze Bande unsäglicher hackender, schnibbelnder, brutzelnder und Nudelschlotz lobender Maultaschen. Nicht dass es im privaten Hirnschmelz-TV Besseres zu sehen gäbe. Mitnichten. Aber für deren mentale Diarrhoe wird man nur bestraft wenn man den dort beworbenen Müll nachher auch kauft. Das ist bei den orwellschen Gesinnungsanstallten von ZDF und ARD schon was ganz anderes. Die treiben ihren Zehnten ein das jedem Ablaßhändler die Tränen in die Augen schössen.  Allen gemein ist jedoch die an Orwells Wahrheitsministerium gemahnende Sprach- und Gesinnungsinquisition. Paradebeispiel dafür ist der KIKA. Dort werden schon den Kleinsten, kaum der Mutterbrust entwöhnt, die erlaubten “Bio-Öko-Flötentöne” beigebracht. Quasi als Vorstufe zum Konzertlager des Fernsehgartens.

Max Wedell / 27.06.2014

Was die drei Attribute: Geschmack, Gesundheitliche Wirkung, Umweltbelastung bei Herstellung angeht, so gibt es immerhin acht Kombinationsmöglichkeiten. Es ist nichts dagegen einzuwenden, den Menschen anzuempfehlen, sich ausschließlich von Lebensmitteln zu ernähren, die super schmecken, total gesund sind, und im völligen Einklang mit der Natur entstanden sind. Ob das immer dann auch Lebensmittel sind, auf denen BIO steht, ist die Frage, aber zumindest “Gesundheitliche Wirkung” sowie “Umweltbelastung bei Herstellung” werden wohl vermutlich bei Bio-Lebensmitteln bessere Werte aufzeigen als bei herkömmlich entstandenen (was nicht bedeutet, daß diese Werte immer auch optimal, d.h. maximal sind). Bzw. wenn man sich nicht mal darauf verlassen kann, dann wäre der Bio-Begriff tatsächlich überflüssig. Wer allerdings dann sagen will: Gesundheitliche Wirkung und Umweltbelastung bei der Herstellung sind mir schnurz, Hauptsache, es schmeckt mir gut, und daher kaufe ich nicht Bio, weil jenseits von Bio gibt es genügend, was sehr gut schmeckt, und auch noch viel billiger als Bio ist, sch… auf gesundheitliche Wirkung und Umweltbelastung bei der Herstellung… darf das natürlich sagen, und auch so handeln. Wir leben in einem freien Land. Gesundheitliche Wirkung und Umweltbelastung bei der Herstellung sind jedenfalls auch nicht so einfach zu quantifizieren wie die Geschmacksqualität, das ist ein Problem. Die Behauptung Kiewels, es könne etwas, das preiswert zu kaufen ist, unmöglich gleichzeitig gut schmecken, ausreichend gesund sein, und unter akzeptablen Bedingungen für die Umwelt entstanden sein, ist aber natürlich falsch, dem stimme ich zu. Man dürfte also ruhig auch billig einkaufen, wenn man nur genau wüsste, auf welche Produkte vorstehendes zutrifft.

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