Von Herbert Ammon.
A.D. 2017 stehen wir, „die schon länger hier leben“ (Merkel), a) politisch im Zeichen der Landtagswahlen in NRW, sodann der Bundestagswahl b) politisch-kulturell im Zeichen des Reformationsjubiläums, genauer der von dem deutschen Augustinermönch Martin Luther ausgelösten Revolution der abendländischen Kultur, Geschichte und Politik. Inwieweit für die wachsende Anzahl derjenigen, die „zu uns kommen“ (Merkel), das zweitgenannte Thema von Interesse ist, scheint fraglich.
Es dürfte nicht allein frommen Muslimen, sondern auch Erdogan-begeisterten Migranten dritter Generation herzlich gleichgültig sein. Wenn diese etwas über Deutschland wissen und daran zu schätzen wissen, so ist es dessen fantastisches Sozial- und Umverteilungssystem. Zudem werden historische Grundkenntnisse in diesem Lande kaum noch vorausgesetzt. Politisch unerwünscht ist indes die unter nicht wenigen Migranten verbreitete Bewunderung des deutschen Diktators A.H., jener historischen Figur, der wir, „die schon länger hier leben“, unser Unglück zu verdanken haben.
In unserer Geschichte gab es einen Glücksfall: den Mauerfall am 9.November 1989. Nicht ohne Grund sprach Erhard Neubert, einer der Vorkämpfer der DDR-Opposition, die im unbeabsichtigten Zusammenwirken mit den „Ausreisern“, sprich DDR-Flüchtigen (mit dem deutschen Staatsbürgerrecht von 1913 im Gepäck), das Bauwerk der sozialistischen Utopie und des Kalten Krieges zu Fall brachten, von einer „protestantischen Revolution“. Von kaum jemand in ihrer Vorphase wahrgenommen, mündete sie innerhalb eines knappen Jahres in die deutsche Wiedervereinigung – ein mittlerweile wieder üblicher, anfangs „umstrittener“ Begriff. Das Ziel der „Massen“ und einiger namhafter Dissidenten, war die deutsche Einheit in Freiheit. Sie wussten, dass entgegen allen (westdeutschen) Proklamationen des Vorrangs der Freiheit diese ohne die Einheit nicht zu haben war.
Das Dilemma von „Einheit“ und „Freiheit“
An den Glückstag deutscher Geschichte soll, so wollten es politisch maßgebliche, im Reichstag („Dem Deutschen Volke“) versammelte Volksvertreter, ein Denkmal erinnern. Vom Kulturausschuss des Bundestags wurde ein von der Choreographin Sascha Waltz vorgeschlagenes Gebilde gewählt, welches in Gestalt einer gewaltigen beweglichen Betonschale, das vermeintlich ewige, realiter mit der von Bismarck durchgesetzten „kleindeutschen Lösung“, verknüpfte deutsche historische Dilemma von „Einheit“ und „Freiheit“ symbolisieren soll. Zum Zwecke besseren Verständnisses seitens unbedarfter deutscher und globaler Berlin-Touristen sollten die im Herbst 1989 hintereinander proklamierten Parolen („Wir sind das Volk“, „Wir sind ein Volk“) das Kunstwerk zieren.
Nachdem der Haushaltsausschuss im April 2016 aus Kostengründen – die Kalkulation für die Einheitsschaukel hatte sich von 5 Millionen auf 15 Millionen gesteigert – das Projekt gekippt hatte, bekräftigte der Kulturausschuss im Januar erneut seinen Beschluss. Unterstützung fand er immerhin bei den beiden Fraktionsvorsitzenden der Großen Koalition. Dagegen regt sich nunmehr erneut politisch korrekter Widerspruch. In der „Zivilgesellschaft“, genauer: in der FAZ (03.03.2017) macht sich der Feuilleton-Redakteur Andreas Kilb zum Sprecher eines (laut Kulturstaatssekretärin Monika Grütters) „weitverbreiteten öffentlichen Unbehagens“.
Natürlich treibt ihn weniger die Sorge um gefährdete Rollstuhlfahrer - oder der Gedanke an womöglich von der staatlich alimentierten Tante Antifa am Hebelpunkt anzubringenden Sabotagesteinen – um als moralische Bedenken. Die Kunsthistorikerin Gabi Dolff-Bonekämper habe bereits erkannt, dass die Kennworte – allein schon das „Wir“ alle anderen von dem auf oder vor dem Denkmal Stehenden vom „beschworenen Volkskörper“ ausschließe. Usw. usw. usw.
Ein peinlich erhobener Zeigefinger
Der Artikel ist bebildert durch drei Foto-Simulationen der drei ursprünglich konkurrierenden Entwürfe. Einer zeigt – in Farbe – die physiognomisch unspezifische Gestalt eines knieenden (frauenlosen!) Mannes sowie die Einheitsschaukel. Darüber wird in Großformat – projeziert auf den Hintergrund eines Vorkriegsbildes des Berliner Schlosses – ein anderes Bauwerk präsentiert: eine auf Stelzen errichtete Deckplatte, umrahmt von Metallbuchstaben, „die sich zu Schlüsselworten der deutschen Geschichte fügen.“ Das gefällt dem Autor. Er nennt „Einheit“, „Freiheit“, „Volk“ als Begriffe unter vielen. Kilb: „Aus all den Worten entsteht ein Dach, das die Verkörperung der Werte ist, die die Zivilgesellschaft schützen muss und von denen jeder einzelne zugleich beschützt werden muss.“
Das von dem FAZ-Feuilletonisten favorisierte Schutzprojekt ist nichts für Legastheniker. Obendrein entwickeln „wir“ uns – nicht nur in den Problemvierteln Berlins – laut Bildungsstatistiken zusehends zu einem Volk von Analphabeten. Die „verfassungspatriotisch“ gutgemeinte Feuilleton-Empfehlung zielt an der gesellschaftlichen Wirklichkeit des neuen Deutschlands vorbei. Die Einheitsschaukel war/ist nicht nach meinem Geschmack. Ihre historischen Aussagen erscheinen mir ästhetisch weniger unangenehm als der im FAZ-Feuilleton erhobene moralische Zeigefinger. Dieser ist so peinlich wie Rhetorik und Gestik der Kanzlerin. Diese ließ sich am 9. November 1989 in der Sauna von der Nachricht des Mauerfalls nicht stören.
Herbert Ammon ist Historiker und politischer Publizist. In den 1980er Jahren engagierte er sich in der damaligen Friedensbewegung. Er ist insbesondere mit dem Buch „Die Linke und die nationale Frage“ bekannt geworden, das er zusammen mit Peter Brandt herausgab. Ammon ist Mitgründer und Mitglied im Kuratorium der Deutschen Gesellschaft e. V.. Sein Blog „Unz(w)eitgemäße Betrachtungen“ erscheint als Kolumne in „Globkult“.