Oliver Marc Hartwich, Gastautor / 10.04.2015 / 09:52 / 5 / Seite ausdrucken

Bernankes unausgegorener Vorschlag für Deutschland

Seit dem 30. März dieses Jahres verfasst der frühere Chairman der Federal Reserve Ben Bernanke Blogbeiträge über Wirtschaftspolitik für einen den Demokraten nahestehenden US-amerikanischen Thinktank, die Brookings Institution. Dort ist er Distinguished Fellow in Residence. Seine ersten Beiträge kreisten um Fragen wie die einer Erklärung für niedrige Zinssätze, die These einer „säkularen Stagnation“ sowie die globale Ersparnisschwemme. Alles durchaus von Interesse, aber auch ein bisschen fade.

Am fünften Tag seiner Bloggertätigkeit allerdings deutete Bernanke den wahren Bösewicht der Weltwirtschaft aus: ein Land, das angeblich eine große Gefahr für seine Nachbarn darstellt und dessen Politik eine Erholung der Weltwirtschaft gefährdet.

Damit meinte Bernanke nicht die unter Schulden ächzenden Japaner oder Griechen, es ging ihm auch nicht um reformabgeneigte Brasilianer oder Italiener. Zielscheibe seiner Kritik war Deutschland. „Der deutsche Handelsüberschuss ist ein Problem“, so seine Überschrift.

Im Blogbeitrag von Bernanke werden einige altbekannte Beschwerden über die Stärke Deutschlands im globalen Wettbewerb wieder aufgewärmt.

So schalt der damalige US-Finanzminister Tim Geithner Deutschland unverblümt wegen seiner hohen Handelsüberschüsse (Europe’s most dangerous man, 11. November 2010). Ein förmlicher Tadel durch sein Ministeriums wegen der deutschen Exporterfolge folgte 2013 (Don’t put Germany on the economic axis of evil, 7. November 2013). Ende letzten Jahres stellte auch die französische Regierung eher bizarr anmutende Ideen zur Schwächung der deutschen Außenhandelsstärke in den Raum (France’s indecent proposal is an affront to policymaking, 23. Oktober 2014).

Bernanke hat nicht ganz unrecht. Deutschland profitiert nämlich von einem unverhältnismäßig niedrigen Wechselkurs. Ihm ist zuzustimmen, wenn er schreibt: „Der vergleichsweise schwache Euro entpuppt sich für Deutschland als ein generell unterschätzter Vorteil aus seiner Teilnahme an der Währungsunion. Hätte Deutschland die D-Mark behalten, wäre sie wohl heute viel stärker als der Euro und würde deutsche Exporte erheblich verteuern.“

Auch erläutert Bernanke zutreffend, warum der deutsche Handelsüberschuss so beharrlich hoch bleibt. „Systeme aus fixen Wechselkursen – wie die Euro-Union oder der Goldstandard – haben historisch darunter gelitten, dass Länder mit Zahlungsbilanzdefiziten unter starkem Anpassungsdruck stehen, wohingegen Länder mit Überschüssen keinen entsprechenden Druck verspüren.“

Jedoch zieht Bernanke in der Folge seines Blogbeitrages nicht die richtigen Schlüsse aus seiner eigenen Analyse. Wenn der Wechselkurs für Deutschland unangemessen niedrig ist und sein Zahlungsbilanzüberschuss offenkundig von Dauer sein wird, solange es einem System mit festen Wechselkursen angehört: Liegt dann nicht die Vermutung auf der Hand, dass Deutschland besser nicht der Eurozone angehören sollte?

Die von Bernanke in seinem Blog beschriebenen Probleme werden sämtlich eben dadurch verursacht, dass Deutschland keine eigene Währung mehr hat. Die von ihm angesprochenen Ungleichgewichte würden allesamt verschwinden, wenn Deutschland wieder zur D-Mark zurückkehrte. Denn mit Austritt aus der Eurozone würde die neue Währung augenblicklich aufwerten, die deutsche Position im globalen Wettbewerb sich verschlechtern und der Handelsüberschuss dahinschmelzen. Problem erkannt, Problem gebannt.

Leider aber verschwendet Bernanke keinen Gedanken an die Möglichkeit eines deutschen Austritts aus dem Euro. Vielmehr geht er offenbar von der deutschen Euro-Mitgliedschaft als Tatsache aus, an der nicht zu rütteln ist. Das führt ihn zu „Lösungen“, die vielleicht zu einer Senkung des deutschen Handelsüberschusses beitragen könnten, jedoch allesamt im Laufe der Zeit neue Verwerfungen erzeugen würden.

Wie also lauten die Vorschläge von Bernanke? Es sind deren drei:

• Mehr Investitionen in die öffentliche Infrastruktur.
• Höhere Löhne und Gehälter für deutsche Arbeitnehmer.
• Steigerung der inländischen Konsumausgaben.

Diese Vorschläge mögen auf den ersten Blick sinnvoll erscheinen, dennoch führen sie jeweils in die Irre.

Bernanke hat zwar recht, wenn er auf die Notwendigkeit von Investitionen in die öffentliche Infrastruktur in Deutschland hinweist. Denn seit 2003 sind die Nettoinvestitionen in jedem einzelnen Jahr negativ gewesen. Anders ausgedrückt lebt die deutsche Infrastruktur von der Substanz. Auch trifft es zu, dass Deutschland sich derzeit zu außergewöhnlich niedrigen Zinssätzen verschulden kann.

Keinesfalls aber bedeutet dies, dass die Deutschen nun in großem Stil Geld für die Infrastruktur ausgeben sollten, erst recht nicht, um den Handelsüberschuss substantiell abzubauen. Es ist sicher klug, für den Bundeshaushalt die “schwarze Null” anzustreben, um für die alternde deutsche Bevölkerung einen fiskalischen Puffer aufzubauen. Angesichts rapide steigender Kosten für Renten und Pensionen wäre eine weiter zunehmende Verschuldung grob unverantwortlich.

Der zweite Vorschlag von Bernanke ist noch schlechter. Ja, die „deutschen Arbeitnehmer verdienen einen kräftigen Einkommenszuwachs“, wie er schreibt. Ein solcher Zuwachs käme ganz von alleine, dürfte der Wechselkurs sich den Marktkräften anpassen. Wenn aber eine Aufwertung nicht stattfinden kann, gibt es leider nicht viele Möglichkeiten, einen bundesweiten Anstieg der Löhne und Gehälter zu verfügen. Oder meint Bernanke ernsthaft, die Bundesregierung solle per Gesetz dafür sorgen, dass Arbeitnehmer mehr verdienen?

Um es deutlich zu sagen, die Politik hat einen Fehler gemacht (die Einführung eines festen Wechselkurssystems für weit auseinanderklaffende Volkswirtschaften, d.h. die Eurozone), und als Reaktion auf diesen ersten schweren Fehler möchte Bernanke nun den nächsten begehen, nämlich einen Eingriff in den Mechanismus der Preisfindung auf dem Arbeitsmarkt. Bernanke war ein Zentralbanker, aber hier klingt er wie ein Zentralplaner.

Damit kommen wir zu seinem letzten Vorschlag, nämlich einer Ankurbelung der Binnennachfrage. Hier empfiehlt er „mehr steuerliche Anreize für inländische Investitionen durch private Haushalte, den Abbau von Hemmnissen für den Wohnungs- und Hausbau, Reformen im Einzelhandel und bei Dienstleistungen, sowie eine kritische Prüfung von Vorschriften, die deutsche Banken motivieren könnten, eher im Ausland als im Inland zu investieren.”

Ohne Herrn Bernanke zu nahe treten zu wollen, aber das ergibt überhaupt keinen Sinn. Erstens liegen keine Hemmnisse für den Haus- und Wohnungsbau vor, sonst sähen wir heute nicht einen Spitzenwert der Bautätigkeit seit 20 Jahren. Von welchem Land spricht er? Deutschland kann es nicht sein. Und welche Regelungen im Finanzwesen sind es, die nach Bernankes Ansicht deutsche Banken von Investitionen in Deutschland abhalten?

Wenn deutsche Unternehmen es vorziehen, im Ausland zu investieren, haben die Gründe jedenfalls nichts mit deutschen Vorschriften im Finanzwesen zu tun. Auch ist völlig unklar, welche Reformen im Einzelhandel den Handelsüberschuss reduzieren würden. Welche Maßnahmen stellt sich Bernanke denn vor? In seinem Artikel findet sich nicht die Spur einer Andeutung, wie Einzelhandelsreformen zu einer Senkung des Handelsüberschusses beitragen könnten, und mir fällt auch kein zweckdienlicher Mechanismus ein.

Bernankes Blogpost krankt daran, dass er ein Problem (den hartnäckigen deutschen Handelsüberschuss) zutreffend analysiert, aber keine sinnvollen Lösungen anbietet. Das liegt daran, dass er den wichtigsten Faktor einfach ausblendet: die Mitgliedschaft Deutschlands in der Eurozone.

Wenn man schon die ungesunde Stärke Deutschlands im Außenhandel kritisiert, sollte man auch den Mut haben, aus dieser Kritik die einzig logische Schlussfolgerung zu ziehen: Deutschland muss aus dem Euro austreten, zum eigenen Wohl und zum Wohle der anderen.

Dr. Oliver Marc Hartwich ist Executive Director der The New Zealand Initiative.

‘Bernanke’s misguided fix for Germany’ erschien zuerst in Business Spectator (Melbourne), 9. April 2015. Übersetzung aus dem Englischen von Eugene Seidel (Frankfurt am Main).

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Günter Fuchs / 11.04.2015

Hervorragend das Problem auf den Punkt gebracht!!! Ein gewisser Wilhelm Hankel hat die genannte Problemlösung (Deutschlands Austritt aus der Eurozone) schon vor Jahren vorgeschlagen!

Helmut Driesel / 10.04.2015

Einfachere Lösung: Deutschland exportiert per Gesetz nur noch zu Preisen, die Gewinne deutlich über dem für die nächsten 10 Jahre wahrscheinlichen (gemittelten) Euro-Wertverlust enthalten. Also mal ganz grob über den Daumen und mit einer gewissen Milde betrachtet: 25%.

Waldemar Undig / 10.04.2015

Und dann kriegen wir wieder die Mark? Aber damals hat man uns doch in den Euro gezwungen (als Preis für die Wiedervereinigung), damit alle etwas von unserer starken Mark haben. Nun haben alle eine starke Währung, aber das ist auch wieder nicht gut. Verrückte Welt.

Friedrich Herberg / 10.04.2015

Das Problem des Herrn Bernanke besteht in dem Problem, das die offizielle Politik der EU-Mitgliedsländer und der EU zunehmend bestimmt und davon abhält, zum Wohl der EU-Länder und ihrer Bürger zu wirken. Es besteht in dem Denkverbot, das sich diese Herrschaften aus ideologischer Verblendung auferlegt haben. Wenn sie sich von diesem Denkverbot freimachten, müssten sie sehr schnell zugeben, dass die Warnungen vor der EURO-Einführung mehr als berechtigt und nicht der Ausfluss einer ewiggestrigen Geisteshaltung waren. Nur ist noch alles viel schlimmer gekommen, als es sich die Warner ausgemalt haben. Ihnen fehlte es nämlich an der Phantasie sich vorzustellen, dass die Politik die selbst auferlegten Regeln bei erstbester Gelegenheit über den Haufen schmeißen könnte.

Wolfgang Schlage / 10.04.2015

Ich stimme zu: a) Der deutsche Handelsbilanzüberschuss ist ein riesiges Problem, und zwar für die europäischen Nachbarländer, besonders die Eurokrisenländer, die genau deshalb in der Krise sind. Der deutsche Außenhandelsüberschuss stellt, weltwirtschaftlich gesehen, ein wirklich schlechtes und zerstörerisches Benehmen Deutschlands im internationalen Umfeld dar. b) Ein deutscher Euro-Austritt wäre absolut sinnvoll. Aber hier bin ich, mit Begründung, anderer Meinung: Entgegen der Meinung des Autors, Deutschland könne doch nicht durch Regierungsanweisungen die Löhne erhöhen, wäre - solange Deutschland im Euro bleibt - genau das sinnvoll und möglich. Was die Agenda 2010 geschafft hat, nämlich eine durch die deutsche Konsenskultur herbeigeführte Lohnzurückhaltung, kann eine ähnliche Agenda selbstverständlich in umgekehrte Richtung ebenfalls herbeiführen: eine durch deutsche Konsenskultur bewirkte allgemeine kräftige Lohnsteigerung (die natürlich auch mit den entsprechenden Preissteigerungen verbunden wäre, was ebenfalls notwendig ist, wenn die Eurozone nicht auseinanderbrechen soll). Auch eine Erhöhung der Staatsverschuldung wäre möglich und sinnvoll. Das Argument, dass Staatsverschuldung zukünftige Generationen belaste, ist wegen des Mackenroth-Theorems nicht korrekt. Wer etwas für die zukünftigen Generationen tun will, hinterlässt ihnen eine hingegen phantastische Infrastruktur. Und davon abgesehen: die deutschen Handelsbilanzüberschüsse werden mittelfristig die deutschen Staatschulden ebenfalls stark steigen lassen, da sie in großem Ausmaß durch Kredite der Öffentlichkeit an das Ausland finanziert werden (zum großen Teil versteckt in Schattenhaushalten); da das Ausland diese Kredite niemals zurückzahlen wird, sind sie korrekterweise als Schulden anzusehen und zu buchen. (Davor hat sich Herr Schäuble bisher gedrückt, vielleicht aus Unkenntnis/Unfähigkeit oder um die Gefährlichkeit seiner Wirtschaftspolitik zu verschleiern. Das wird aber mit Sicherheit kommen; Griechenland ist nur ein Vorgeschmack.) Da wäre es doch wirklich besser, als Gegenwert für diese Staatsschulden eine gute Infrastruktur an die nächsten Generationen vererben zu können - anstatt GAR NICHTS. Kurz und gut: Will Deutschland den Euro erhalten, so muss es kräftige Lohnerhöhungen haben und entsprechende Preissteigerungen in Kauf nehmen; auch eine höhere Staatsverschuldung wäre sinnvoll. Will es diese Dinge nicht, so muss es logischerweise auf ein Ende der Eurozone hinarbeiten. Tut es beides nicht, so fährt es den Wirtschaftskarren so richtig an die Wand. Im Moment tut die deutsche Politik das Letztere. Ich bin, wie Autor Hartwich, für eine Auflösung der Eurozone. Ein Austritt Deutschlands wäre nicht das Schlechteste.

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Oliver Marc Hartwich, Gastautor / 04.10.2019 / 06:26 / 26

Vorsicht, lebende Anwälte künftiger Generationen!

Der deutsche Umweltrat will einen „Rat für Generationengerechtigkeit“ schaffen und das Gremium mit einem Vetorecht ausstatten, um Gesetze aufzuhalten. Was davon zu halten ist, wenn Lobbygruppen sich zu…/ mehr

Oliver Marc Hartwich, Gastautor / 24.06.2016 / 09:45 / 0

„Wen der Brexit nicht aufweckt, dem ist nicht zu helfen“

Achse-Autor Oliver Hartwich lebt in Neuseeland und ist dort Direktor des Wirtschafts-Verbandes und Think-Tanks „The New Zealand Inititiative.“ Gestern (das britische Abstimmungs-Ergebnis war noch nicht…/ mehr

Oliver Marc Hartwich, Gastautor / 04.02.2016 / 05:22 / 3

It’s time for Merkel to go

“With her actions during the refugee crisis, Merkel is dwarfing even these previous policy blunders. If one were to add up all her mistakes, they…/ mehr

Oliver Marc Hartwich, Gastautor / 24.09.2015 / 13:16 / 11

Das Volkswagen-Fiasko und seine Folgen

Mit dem Eingeständnis von VW, die Abgaswerte seiner Fahrzeuge systematisch manipuliert zu haben, wurde nicht nur der weltweit größte Automobilhersteller in eine Krise gestürzt, auch…/ mehr

Oliver Marc Hartwich, Gastautor / 18.09.2015 / 10:13 / 6

Die EU zerfällt

Letzte Woche schrieb ich an dieser Stelle, dass Europas Flüchtlingskrise die EU entzweien könnte. Diese Woche konstatiere ich die Fortschritte während der letzten sieben Tage…/ mehr

Oliver Marc Hartwich, Gastautor / 11.09.2015 / 09:55 / 6

Die europäische Flüchtlingskrise bringt die EU ins Wanken

„Immerhin kommt Deutschland jetzt in den Medien besser weg“, sagte mir ein befreundeter Geschäftsmann vor ein paar Tagen. „Ein erfreulicher Unterschied zu dem, was wir…/ mehr

Oliver Marc Hartwich, Gastautor / 09.09.2015 / 11:00 / 2

Europas Niedergang und seine Wurzeln

Vor fünf Jahren bot mir Alan Kohler an, im wöchentlichen Turnus die Wirtschaftslage in Europa zu kommentieren. Inzwischen habe ich die europäische Schuldenkrise in mehr…/ mehr

Oliver Marc Hartwich, Gastautor / 29.08.2015 / 03:13 / 3

In eigener Sache: Why Europe Failed

Am Montag erscheint im australischen Connor Court-Verlag mein Essay Why Europe Failed. Hier schon einmal eine kurze Zusammenfassung und ein Auszug: “Oliver Hartwich has written…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com