Eigentlich hat keiner mehr mit dem Vergleich gerechnet. Obwohl er lange in der Luft lag: Man konnte sich mit ihm nur lächerlich machen, das war offenbar auch den Feinden der von US-Präsident Trump geplanten Mauer an der Grenze zu Mexiko klar. Jeder Bezug von dieser zur Berliner Mauer war nur auf den ersten Blick naheliegend, gleichzeitig aber furchtbar banal und vor allem eines: grundfalsch. Folgerichtig wagte sich kaum jemand so recht daran, höchstens auf der Ebene allgemeiner Mauer-Philosophie.
Doch dann kam Michael Müller. Ausgerechnet, der Regierende Bürgermeister von Berlin. Ausgerechnet er ließ es sich nicht nehmen, beide Bauwerke auf eine Stufe zu stellen. Er, der von einer Panne in die nächste stolpert, in dessen Stadt die Schulen zusammenbrechen, die Straßen verrotten, erst die Briefträger und dann die Polizisten sich nicht mehr überall hin trauen, vom Dauerbrenner Flughafen ganz zu schweigen – dieser Michael Müller versucht sich jetzt auf der weltpolitischen Bühne. Hadert er damit, dass man nicht ihn, sondern seinen Genossen Sigmar Gabriel zum Außenminister berufen hat?
Mit einem Pathos, den mancher als Karnevalsscherz interpretiert haben dürfte, richtet er via Pressemitteilung eine Art offenen Brief ans Weiße Haus. Bemüht um den Tonfall von Ronald Reagan („Mr. Gorbatschow, reißen Sie diese Mauer ein!“) und Ernst Reuter („Bürger der Welt, schaut auf diese Stadt!“) ruft er Präsident Trump zur Ordnung: „Und deshalb sage ich: Dear Mr. President, don´t build this wall!“. Gerade die Berliner, sagt Müller, wüssten, „wieviel Leid eine durch Stacheldraht und Mauer zementierte Teilung eines ganzen Kontinents verursacht hat“.
Der kleine Unterschied zwischen Einsperren und Aussperren
Genau, das wissen die Berliner. Sie sind aber auch nicht blöd. Sie wissen nämlich, dass die Berliner Mauer gebaut wurde mit der Absicht einer selbsternannten Regierung, Menschen in „ihrem“ Land einzusperren, aus dem diese auswandern wollten, weil es ihnen dort schlecht ging. Und nicht von einer demokratisch legitimierten Regierung, von einem Präsidenten, der im Wahlkampf – so unsinnig, so übertrieben, so menschenverachtend gegenüber Ausländern auch immer dieser Wahlkampf gewesen sein mag – immer betont hatte, dass er die Grenzen dicht machen will.
Gegen illegale Einwanderung vorzugehen, ist das Recht jeder Regierung, und auch jedes Volkes, das mit dieser Absicht zur Wahlurne schreitet (viele sprechen hier sogar von der Pflicht einer Regierung). Anders eine Regierung, die in Selbstanmaßung und ohne jeden demokratischen Auftrag ein Gehege baut für die Menschen in ihrem Land, um sie nicht mehr herauszulassen. Das wiederum verstößt bekanntlich gegen die fundamentalen Menschenrechte. Ob die Mauer gegen illegale Einwanderung ökonomisch sinnvoll ist, ob sie ihren Zweck erfüllt oder überflüssig ist, das ist eine ganz andere Frage, die allerdings ohne Pathos zu besprechen wäre.
Was findet Müller so schlimm an der Mauer? Ist er für illegale Einwanderung? Will er sie erleichtern, hält er sie grundsätzlich für legitim, ein bisschen muss sein? Inklusive Drogenhandel? Grenzverkehr legal, illegal, scheißegal? Meint er, alle Grenzen auf der Welt seien einzureißen? Dann muss er das auch sagen, und nicht Kritik üben an einer – zumindest geplanten – Effektivierung der Grenzsicherung. Wie gesagt, ob sie den Zweck erfüllt, ist eine andere Frage.
Hat Müller niemanden, der ihn vor solchem Stuss bewahrt?
Müller betitelt seine Presse-Erklärung gegen Trump mit der originellen Überschrift: „Jemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten“. Ist ihm bei dieser Zeile nicht sein eklatanter Missgriff mit diesem Vergleich klar geworden: Ja, genau, Müller hat Recht: Da hat einer lange vor der Wahl offen angekündigt, er will eine Mauer errichten. Und ist – auch deshalb – gewählt worden. Er hat eben gerade nicht gelogen wie Ulbricht mit seinem „Niemand hat die Absicht…“. Das ist der offensichtliche, fundamentale Unterschied. Da fehlt’s dann, Michael Müller, richtig?
Berechtigter wäre es also gewesen, Müller hätte einen offenen Brief ans amerikanische Volk gerichtet. Aber dann wäre ihm die ganze Lächerlichkeit seines Vorstoßes gleich im Ansatz klar geworden. Und das wollte er nicht, also hat er seine Augen verschlossen. Hier stellt sich allerdings die Frage: Was sagen seine Medien-Profis zu seinem lächerlichen Brandbrief ans Weiße Haus? Hatte er sie am Freitag schon ins Wochenende geschickt? Damit sie ihm nicht in die Quere kommen? Ihm nicht beibringen, dass er von allen guten Geistern verlassen ist?
Wie geschichtsvergessen kann ein Regierender Bürgermeister von Berlin eigentlich sein? So einen hatten wir jedenfalls noch nicht. Willy Brandt würde sich wohl im Grabe umdrehen, Ernst Reuter auch.
Und, apropos Geschichte: Wie sieht es eigentlich mit der eigenen Geschichte aus? Was hätte der Juso Müller von 1987 wohl gesagt, wenn ihm damals jemand gesagt hätte, dass er sich einmal auf Reagan beruft? Wie fand er das damals, als Reagan den Mut fand, sich eine Welt ohne Mauer vorzustellen, und mit seiner Rüstungspolitik dazu auch beigetragen hat, dass sie kommt? Ist das in Ordnung, Herr Müller? Und zeigt all das vielleicht, dass Reagan dann doch besser war als man bei seinem Amtsantritt 1981 gedacht hatte? Na gut, da will ich jetzt aufhören mit den historischen Bezügen. Dass man das dereinst auch von Trump sagen kann – dafür fehlt mir fürs erste der Glaube. Wenn er allerdings nichts Schlimmeres macht als eine Mauer zu Mexiko zu bauen, dann werden wir alle noch gut dabei weg kommen. Vielleicht wird ihn ja Michael Müller auch davon abhalten.
Möllemann ist tot, Strauß auch. Irgendwie kommt mir der Spruch von Strauß über den „Riesenstaatsmann Mümmelmann“ aber auch in den Sinn. „Riesenstaatsmann Müllermann“ würde genauso gut passen
Irgendwie komisch. Wenn ich es mir recht überlege, finde ich es grundsätzlich – ganz unabhängig vom Inhalt – gar nicht mal abwegig, wenn sich ein Regierender Bürgermeister von Berlin ans Weiße Haus richtet in einem weltöffentlichen Brief. Bei Müller geht es mir anders. So etwas kann nicht passen. Warum nur?
Dieser Beitrag erschien zuerst auf Ulli Kulkes Blog Donner und Doria hier.