Eine Woche vor der Saarlandwahl waren CDU und SPD nur noch einen Punkt auseinander. Rein rechnerisch hätte es nach den Umfragen wohl für eine rot-rote Koalition gereicht. Und dann rauschte der Schulz-Zug an Saarbrücken vorbei. Sieg für CDU-Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer mit elf Prozent Vorsprung vor der SPD. Was für ein Scoop. Watt lärnt uns datt? würde Kumpel Anton fragen.
Parteifreund Schreckgespenst war's, der den Schwarzen auf der Zielgeraden tüchtig Schub gab. Die Aussicht auf eine Regierung von SPD und Linken, die die SPD-Kandidatin Anke Rehlinger propagiert hatte, sei für viele ein Schreckgespenst gewesen, sagt WDR-Fernsehdirektor Jörg Schönenborn, Die Saar-CDU gab dann auf den letzten Metern Gas in die richtige Richtung und gewann.
Nein, die Gloriole der Regierungschefin, die einen guten Job gemacht habe, war nicht ausschlaggebend, wie der CDU-Vorstand hinterher verlautbarte. Die gab es ja auch schon vor der Trendwende. Und die Weisheit der Bundeskanzlerin, die in ihrer Echokammer sitzt und nicht hört, was im Land los ist, wird es auch nicht gewesen sein. Dass es ein „saarspezifischer Vorgang“ war, wie Schulz sagte, das glaubt er selbst nicht.
Weil Martin Schulz ein kluger Mann ist, hat er das Signal verstanden. Er hatte das Thema Rot-rot-grün schon vorher aus seinem Repertoire verdrängt. Er will sich überhaupt nicht festlegen. Alles ist doof in Deutschland, das muss genügen. Er will auch jetzt keine verbindliche Koalitionaussage machen, wie die Linken fordern. Wenn die CDU aber darauf herumtrommelt, hat er ein Problem. Die SPD wird die Taktik sicher als unfair verunglimpfen. Aber sie ist zweckdienlich und erlaubt.
Seine Sympathisanten empfehlen Schulz, auf die Verdummbarkeit des Publikums zu setzen. „Spiegel Online“: „Nicht drüber reden, vielleicht machen.“ Ja, wenn das so einfach wäre.
Der Rest der Drachenbrut
Keine Frage, Schulz ist immer noch hochpopulär, aber nur, solange er nicht den Eindruck vermittelt, er könne sich unter Umständen mit den Linken ins Bett legen. „Der Rest der Drachenbrut", wie Wolf Biermann sie nannte, hat nach dem Geschmack der Mehrheit im demokratischen Betrieb nichts verloren.
Vor allem nicht deren Fraktionsvorsitzende, Sahra Wagenknecht, eine verbiesterte Stalin-Versteherin, die einen großen Bogen um die Gräber der Opfer des Stalinismus macht, wenn die anderen Promi-Kommunisten an einem Sonntag im Winter dort Kränze ablegen. Deshalb ist die rot-rot-grüne Perspektive für die Schwarzen eine Vitaminspritze.
Schulz könnte sich der Nation natürlich als Führer einer Jamaika-Koalition andienen. Doch das würde die Mehrheit der Genossen verprellen, die die FDP für eine Kaderpartei des Neoliberlaismus halten. Außerdem ist gar nicht mal sicher, dass die Liberalen nicht im letzten Moment aus dem Boot aussteigen würden, wenn sie es denn überhaupt in den Bundestag schaffen. Dann stünde Schulz ziemlich dumm da.
Auch eine Große Koalition unter SPD-Führung ist im eigenen Lager unpopulär. Nein, das wollen die wenigsten.
Die Lage in Schleswig-Holstein, wo am 7. Mai gewählt wird, ähnelt der Lage im Saarland. Die jüngste Umfrage konstatiert 33 Prozent für die SPD und 27 Prozent für die CDU. Im Dezember war es umgekehrt. Am 22. März, auf dem Frühjahrsempfang der CDU in Kiel, war Schulz gleichwohl kein Thema. Spitzenmann Daniel Günther beschwichtigte: Kein Grund zur Unruhe, erstmal abwarten. Der richtige Wahlkampf komme ja erst noch.
Anders ist die Situation in Nordrhein-Westfalen knapp zwei Monate vor der Wahl. Noch vor gut einem Monat hatte Armin Laschets CDU gute Aussichten, die rotgrüne Landesregierung vom Sockel zu stoßen. Ministerpräsidentin Hannelore Kraft wirkte müde und ausgebrannt. Dann kam Schulz und mit ihm der Frühling für die behäbige NRW-SPD. Ihre Werte kletterten auf 38 Prozent und darüber.
Wahlkampf mit Samthandschuhen
Das ermutigte die SPD im Hauptausschuss des Landtags, zusammen mit Grünen und Piraten, dem Plenum die Einführung des kommunalen Wahlrechts für Nicht-EU-Ausländer - also vorwiegend für Flüchtlinge und Zuwanderer - zu empfehlen. Fürwahr ein verwegener Vorschlag. CDU und FDP haben gute Gründe, ihn im Landtagswahlkampf zu thematisieren.
Dass die Linken die Fünf-Prozent-Hürde überwinden und dann in den Landtag einziehen, ist fraglich. Es wären eventuell die fünf Prozent, die Hannelore Kraft zum Weiterregieren bräuchte. Aber darüber verliert sie kein Wort. Nebbich. Die CDU merkwürdigerweise auch nicht.
Angela Merkel hat erklärt, bis zum Sommer solle ordentlich weiterregiert werden. Danach beginne dann der Wahlkampf. Aber mit Samthandschuhen. Das hat sie zwar nicht gesagt, aber das hat sie wohl gemeint. Sie will sich die Option nicht verbauen, nach der Bundestagswahl eine neue Große Koalition oder auch eine Koalition mit den Grün-Alternativen ins Leben zu rufen. Vielleicht verzichten die Sozialdemokraten dann auch darauf, ihren Amtsmalus zu instrumentalisieren – auch deshalb, weil sie selbst dafür mitverantwortlich sind.
Die Grünen bieten treffliche Zielflächen für die Regierungspartei. In ihrem Programm findet sich fast jede sozialistische Schrulle, die in den vergangenen Jahren am Markt war. Das "Grüne Netzwerk Grundeinkommen" propagiert die bedingungslose Rente für alle, ohne dass sie dafür einen Finger krümmen müssen. Auch Puffscheine für Senioren vom Sozialamt und Wahlrecht für Babys sind Ideen, die auf grünem Humus wuchsen.
Gewiß, man muß nicht jeden skurrilen Ideengeber ernst nehmen. Aber sie werden alle mitreden wollen, wenn das rot-rot-grüne Regierungsprogramm ausgehandelt wird. Wie Schulz den ganzen vagabundierenden Schwachsinn unter Kontrolle bringen will, hat er noch nicht gesagt.
Alle Rohre auf Schulz!
Wenn sie wirklich kampfbereit wäre, würde die Titelverteidigerin Merkel jetzt die Order ausgeben: Alle Rohre auf Schulz. Es geht nicht mehr um Quisquilien wie Renten, Steuern und soziale Absicherung im ländlichen Raum. Das sind Nebenkampfplätze. Es geht darum, das Charisma des Herausforderers zu zerschiessen. Charme darf nicht das entscheidende Kriterium für den Bundeskanzler sein.
Charme hin, Charme her. Er wirkt nicht auf jeden. Der Vorsitzende der polnischen Regierungspartei PIS, Jaroslav Kaczynski, sagt über den emeritierten Eurokraten, er sei "berühmt für Unbeherrschtheit, für Angriffe, für Geschrei". Er sei ein linker Ideologe. Einer von der „gauche caviar“, wie die Franzosen sie nennen.
Doch Merkel und ihr Berliner Ensemble kommen nicht in die Hufe, nach dem eher tranquilisierenden Saar-Sieg noch weniger als vorher. Es ist klar, dass der Showdown zwischen den zwei Hauptmatadoren ausgetragen wird: Der Kanzlerin Merkel, der man anmerkt, dass ihr das Kämpfen keine Freude macht, und dem penetrant strahelnden Smartie Martin Schulz. Den CDU-Notabeln graut schon vor dem ersten Fernsehduell. Keiner glaubt ernsthaft, dass Merkel das gewinnen kann.
Die SPD hat erklärt, dass sie Attacken auf Schulz als Schlammschlacht werten wird. Wahlkampf ja, aber bitte nicht persönlich!
Wie denn sonst? Das Unheil und die Unbill, die er an seinen zwei letzten Wirkungsstätten anrichtete, hat er persönlich zu verantworten. Zum Beispiel „Aquana“, das sogenannte Spassbad, dessen Bau er in den achtziger Jahren als Bürgermeister der Stadt Würselen bei Aachen gegen den Willen der Bevölkerung durchgesetzt hat. Es war und ist ein riesiges Fiasko. Der Privatinvestor stieg aus, die Stadt mußte mit einer Bürgschaft von 20 Millionen Euro einsteigen. Noch heute kaut die Stadt an einem sechsstelligen jährlichen Defizit.
Bei der folgenden Kommunalwahl kassierte die SPD in Würselen eine historische Niederlage: Minus 15 Prozent, alle 23 Direktmandate gingen an die CDU. Aber da war Martin Schulz schon in Brüssel.
Bei Geld gilt das Relativitätsprinzip
Ebenfalls persönlich werten muß man das gebrochene Verhältnis des Heimkehrers zur sozialen Gerechtigkeit, hier speziell zu seinen Einkünften als EU-Parlamentspräsident. Es sei denn, man hält seine Nettoeinkünfte von, grob gerechnet, 280.000 Euro (inklusive Zulagen) für gerecht. Oder die Tatsache, dass mehrere tausend EU-Beamte mehr verdienen als die Bundeskanzlerin. Dieser Missstand hat ihn nie tangiert.
Für Martin Schulz gilt in Einkommensfragen das Relativitätsprinzip. Ob einer das Geld verdient, das er ausgezahlt bekommt, das ist für ihn relativ. Er will zwar für mehr Lohngerechtigkeit sorgen und die Bezüge der Superverdiener (nicht der Fußballstars) deckeln, wenn er Kanzler wird. Doch die Abfindung des VW-Vorstandsmitgliedes Christine Hohmann-Dennhardt in Höhe von über zwölf Millionen Euro (zusätzlich 8.000 Euro Monatspension ) nach nur einem Jahr Arbeit hielt er im Januar nicht für erwähnenswert.
Es war eben auch relativ. Denn der niedersächsische SPD-Ministerpräsident Weil hatte den skandalösen Auflösungsvertrag mit Hohmann-Dennhardt selbst abgesegnet und, wichtiger noch, die Bevorzugte ist eine Parteigenossin. Jetzt gerate er deswegen in Berdrängnis, schrieb „Focus“. I wo, woher denn? Die CDU hat das Thema im Landtag einmal kurz auf die Tagesordnung gebracht und dann wieder vergessen.
Schulz und Geld, das ist ein trübseliges Thema. Das „Europäische Amt für Betrugsbekämpfung“ (abgekürzt: Olaf) beschäftigt sich mit der Frage, ob er Freunden steuerfreie Zuschläge zugeschustert hat. Und wer hat die Flüge mit Privatjets für ihn und andere EU-Prominente bezahlt, hat, ist auch noch ungeklärt.
Udo Walz hat einen Rat
Mehr Gerechtigkeit? Ja, bitteschön, Doch wenn sie es ernst meinen würde, dann hätte die SPD erstmal überall da damit angefangen, wo sie mitregiert, nämlich im Bund und in 9 der 16 Bundesländer.
In Brüssel auch. Bei der Verteilung der monströsen Subventionen hat er niemals eingegriffen, bei der ungleichen Verteilung von Flüchtlingen auch nicht. Die gigantische Verschwendung, auf der die EU-feindlichen Populisten mit großem Applomb herumpauken, interessierte ihn nicht. Er hat immer alles so laufen lassen, wie es lief.
Jetzt hat sich der Berliner Promifriseur Udo Walz in die Kanzlerfrage eingeschaltet. Er riet Schulz, sich den Bart abnehmen zu lassen. Das mache ihn sympathischer. Aber Sympathie hat er genug. Er braucht einen Friseur, der ihm sagt, wie er aus der Koalitionsfalle herauskommt.