Als die Piratenpartei kurze Zeit spannend war habe ich mich dort im Forum herumgetrieben und mit einigen anderen interessierten (und fachlich kompetenten) Leuten ein paar praktische Überlegungen zum Thema BGE gemacht, da es an und für sich eine Überlegung wert ist, der Artikel hat ja einige positive Punkte erwähnt, wie etwa die Sozialbürokratie oder die Tatsache, dass wir bereits heute pro Kopf Kuchenstücke über das Land schütten, mit denen man in der halben Welt wie ein König leben könnte. Wir haben versucht, uns die Sache neutral bis leicht positiv zu nähern, nach potentiellen Schwachstellen geschaut, sowie Kausalitäten und Verzerrungen abgeschätzt, die damit entstehen würden. Das Ergebnis insgesamt war, es könnte funktionieren, stünde aber auf sehr wackligen Beinen. Drei Hauptgründe gab es dafür: 1.) Das BGE wird niedrig angesetzt und belastet den Staat nicht oder kaum mehr als die heutigen Systeme, die es ersetzen soll. Dann läge der Wert bei ca. 500 Euro pro Kopf und Monat, womit KV und eine kleine WG-Zimmermiete finanziert werden können. Das würde aber zur permanenten (linken) Forderung führen, den Betrag zu erhöhen, wodurch Szenario 2 relevant wird. 2.) Das BGE wird hoch angesetzt und über massive Steuererhöhungen finanziert. DM-Drogeriegründer Werner würde das über eine 50% MwSt finanzieren, es gibt aber auch die Möglichkeit, andere direkte und indirekte Abgaben zu erhöhen. Neben den steuerlichen Verzerrungseffekten (idR negativ) hätte dies zur Folge, dass es sehr opportun wird, im Ausland einzukaufen, auf nicht besteuerbaren Tauschhandel umzusteigen (der Preis muss nur hoch genug sein), oder zb. nach Thailand zu ziehen. Das würde ein BGE-System schneller zerstören als der automatische Inflationsausgleich die italienische Lira kaputt gemacht hat. Abhilfe könnte hier durch eine Parallelwährung geschaffen werden, in etwa analog zur nichtkonvertiblen kubanischen Währung (theoretisch auch interessant: ein Verfallsdatum für die nichtkonvertible Währung). Damit könnte man zumindest den Abfluss an Liquidität verhindern. Ob man die Substitution hin zu nicht besteuerbaren Tauschhandel verhindern könnte ist eine andere Frage, zumal es da auch Problem Nr 3 gibt. 3) Wir haben versucht, Beispiele zu finden für Fälle in denen es quasi bereits ein BGE gibt. Etwa Wittwenrenten, oder die Rente für ehemalige politische Häftlinge der DDR. Es gibt noch weitere Fälle, aber ihnen ist eines gemein: Mit jedem Euro “BGE-Rente” sinkt das Arbeitsangebot um einen halben Euro. Dies bedeutet, wenn jemand 1000 Euro netto verdient und dann auch 500 Euro BGE erhält (insg. 1500 Euro), dann wird diese Person sein Arbeitsnachfrage im Durchschnitt um 250 Euro senken (insg. 1250 Euro). Die Konsequenzen dieses Effekts sind nicht zu unterschätzen, da es zu enormen Lohnpreisschüben kommen könnte in allen Bereichen, in denen die Arbeit nicht so wirklich Spass macht. Wer würde sich noch eine 24h Wochenendschicht als Krankenpfleger antun, um am Ende 500 Euro mehr in der Tasche zu haben, wenn es auch ohne geht? Richtig, niemand. Der Preis würde steigen und so würde es in den meisten personalintensiven Wirtschaftszweigen passieren. Um Produkte aus Massenfertigung muss man sich keine großen Sorgen machen, da die Maschine im Zweifel einfach eine Stunde am Tag länger läuft. Anders läuft es aber eben da, wo man nicht einfach die Skala erhöhen kann und das würde dem BGE-System zweifellos das Genick brechen. Da Medizin, Bildung, Pflege und Polizei allein etwa 40% des BIPs ausmachen könnten die Preise sich so einpendeln , dass ein 500 Euro BGE am Ende real vielleicht noch 200 Euro wert ist. Und dann geht es bei Schritt 1 weiter… In der Diskussion mit den teilweise doch eher naiv veranlagten Leuten dort im Forum wurde das idR ignoriert, abgetan als unwichtig oder in Kauf genommen. Der eigene Einkommensdruck war bei vielen offenbar so hoch, dass sie unbedingt die Kohle brauchten komme was wolle (siehe auch die Zahlungsmoral der Mitglieder damals…). Mein Vorschlag wäre, eine Art halbes BGE einzuführen: Wer nachweisen kann im Monat 700 Euro zu verdienen (=Halbtagsjob), der bekommt nochmal bis zu 500 Euro oben drauf als negative Einkommensteuer. Damit könnte man die meisten negativen Effekte totschlagen und die positiven erhalten. Allerdings - und das wurde mitunter sehr deutlich artikuliert - das ist ein Nazivorschlag, da es bedeutet, man muss arbeiten, wenn man etwas will. Und dann war die Diskussion auch schon beendet. Bei manchen ist die Welt eben etwas kleiner ;-) Diese manchen haben teils politische Macht ;-(
Ein möglichst knapp bemessenes Bedingungsloses Grundeinkommen wäre tatsächlich der von Ihnen beschriebene große emanzipatorische Wurf, Herr Richardt. Und doch: Ihr Wurf geht nicht weit genug. Denn das, was für die Sozialstaatsbürokratie gilt, muss auch für die Steuerbürokratie gelten. Vor allem mit Blick auf die Haupteinnahmequelle des Staates, die Besteuerung der Erwerbstätigkeit. Nur so gibt es eine Akzeptanz des Bedingungslosen Grundeinkommens bei seinen Hauptfinanziers, den Erwerbstätigen. Alle Länder, die ihr Steuersystem vereinfacht und ihre Steuersätze sogar gesenkt haben, haben gute Erfahrungen damit gemacht. Sie nehmen teilweise sogar mehr ein als zuvor, weil die Steuerehrlichkeit gestiegen ist. Dort braucht sich kein Bürger mehr zu sorgen, “der Dumme” zu sein, nur weil er ein Schlupfloch übersehen oder zu wenig absetzbaren Aufwand produziert hat. Was unser Land braucht, ist das Durchschlagen des Gordischen Knotens und das Ausmisten des Augiasstalles zugleich.
Schön wäre ja , wenn durch Einführung des BGE wirklich Einsparungen erzielt würden. Man müßte ja Behörden schließen und deren Mitarbeiter entlassen. Dies würde in einem Beamtenstaat wie Deutschland niemals passieren. Eher würde man die freigewordenen Mitarbeiter gegen Wände schauen lassen und weiter alimentieren.
Wenn das einmal eingeführt werden sollte, wird die Schweiz das nie wieder los. Und schlussendlich im Sozialismus zugrunde gehen. Dann kommen nämlich erst Abstimmungen über (automatische) Erhöhungen, um dann die baldige Minderheit der Einbezahler (v.a. Männer) mit mehrheitlichen BGE-Nehmer- und Frauenwahlstimmen voll mit Steuererhöhungen an die Wand zu fahren. Mal sehen ob die Schweizer so doof sind… ich hoffe es nicht.
In dem verlinkten Artikel wird darauf hingewiesen, daß die Ideen zum BGE ausschließlich aus der bügerlichen Mittelschicht kommen, nicht von Armen oder Arbeitslosen. Dies ist im wesentlichen sicher richtig, trifft jedoch auf so ziemlich jede politische / soziale Initiative zu; ein inhaltiches Argument ist dies nicht. Im Artikel wird hingewiesen auf die Forderung “1000€ für jeden” von Goehler/Werner, darauf dürften sich auch die meisten Argumente beziehen. Natürlich ist die Höhe eines “Bedingungslosen Grundeinkommens” der entscheidende Punkt für die Zielrichtung dieser Forderung und damit auch für deren Sinnhaftigkeit. Bei den verschiedenen Modellen zum BGE gibt es auch weitaus realistischere Ansätze; so wäre eine Summe in Höhe des heutigen Hartz IV-Satzes zuzüglich einer Wohnkostenkomponente sicher kein bequemes Ruhekissen.
Vielleicht sollte das BGE in der Schweiz eingeführt werden, damit wir sehen können, wie dann tatsächlich Bürokratie und Bevormundung abgebaut werden können. Wäre Deutschland beim BGE Vorreiter, würde es noch schlimmer als bei der Energiewende werden.
Ich habe die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens schon immer für die Schöpfung von Endlos-Studenten, Schein-Künstlern, Berufs-Revolutionären und Berufs-Helfern gehalten. Wenn z.B. der dm-Boss das auch unterstützt, zeigt das nur, wie weit sich eine körperlich und geistig verfette Gesellschaft davon entfernt hat, die Grundlagen für ihren Erfolg zu begreifen. Die Grenzen-lose Einwanderung und das BGE ergeben allerdings ein schlüssiges Konzept. Wer gründet mit mir die “Paradies-auf-Erden-Partei”?
Egal, ob und wie eine Regelung zum bedingungslosen Grundeinkommen kommen wird - eines steht jetzt schon fest: Es wird weitergemeckert. Mit herablassender moralisierender Empörung wird man darauf hinweisen, dass nun alles viel schlimmer geworden sei. Notfalls wird man auf Forschungen zu Sozialabbauentzugstraumatisierungen verweisen, die sträflich missachtet würden. Man muss ja auch jetzt schon sorgsam darauf achten, ob es sich bei Gesprächspartnern womöglich um Klimakatastrophenentzugsdepressionsgefährdete handelt.
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