Wolfram Weimer / 16.05.2008 / 10:57 / 0 / Seite ausdrucken

Beck up

Es gibt Missionen, die sind ehrenvoll, aber doch so heikel, dass man sie keinem wirklich wünscht: Frauenbeauftragter bei Beate Uhse, Zahnarzt beim Weißen Hai oder auch Vorsitzender der SPD. Kurt Beck, die brave Seele, hat sich für Letzteres entschieden und alle Welt unkt nun, ob er es länger als Engholm, Platzeck, Rau und Müntefering, kürzer als Lafontaine, Scharping und Vogel oder doch so lange wie Schröder im Amt aushält mit dieser Partei, die alle zwei Jahre ihren Chef wechselt wie andere ihre Badezimmermatten.

Entgegen allen Prognosen glaube ich freilich, dass Beck der Typ ist, der sehr lange im Amt bleiben kann. Pfälzisch lange. Er hat die große alte Volkspartei in einem Moment schwerer Krise übernommen. Die SPD ist nach dem Ende der Ära Schröder wie implodiert. Sie verkümmert bei 25 bis 30 Prozent Wählerzustimmung, ihre Machtbasis in Ländern und Kommunen ist dramatisch erodiert, sie hat tausende Mandate in Parlamenten verloren und mehrere Zehntausende an Mitgliedern.

Und noch gefährlicher: Das kulturelle Vorfeld der Sozialdemokratie wirkt altmodisch, gestrig, steinern. Das flirrende Milieu von Schriftstellern und Künstlern ist dem Mief von AOK- und Gewerkschaftsfunktionären gewichen. Dabei hatte die Partei gerade bei der geistigen Avantgarde einst ein Kraftzentrum, nun wirkt es wie erloschen. Sich offen für die SPD zu engagieren, ist für Intellektuelle heute in etwa so attraktiv geworden wie Rot-Weiß Oberhausen für Fußballfans.

Das serielle Verschleißen ihrer Vorsitzenden scheint daher nur ein Symptom für ein pathologisches Defizit an kultureller Kraft und Identität: Die SPD frisst ihre Häupter, weil sie um sich selbst nicht mehr weiß. Selbstkannibalisierung als Sublimation des Klassenkampfes gewissermaßen.

Denn die historische Mission der SPD ist erfüllt – mit dem modernen Sozialstaat ist die Idee der Verteilungsgerechtigkeit, der Emanzipation der Arbeiterschaft buchstäblich Staat geworden. Instinktiv glaubt die SPD daher, dass sie den großen Staat immer und überall verteidigen, Etatismus und Steuererhöhungen zu ihrem Gencode erklären müsse. Damit aber wird sie zusehends unmodern, denn die Größe und die Organisation des Staates müssen variieren können, um die Kraft des Landes und am Ende auch des Sozialsystems zu verteidigen.

Gerhard Schröder hatte dieses Dilemma erkannt. Seine Agenda 2010 war der Emanzipationsversuch sozialdemokratischer Politik aus dem ideologischen Etatismus. Schröders Wahlspruch von der „neuen Mitte“ sprach explizit die notwendige Verbürgerlichung der SPD an. Raus aus der Kohlekumpelromantik, fort aus den Klauen der Gewerkschaftsbürokraten, weg von Umverteilungsideologen. Mehr Laptop, weniger Betonmischer. Allerdings: Am Betonmischer steht nicht nur die Wiege der Partei, sondern auch viele, die nur am Betonmischer politisch überleben können. Vor allem die alten Seilschaften des DGB.

Die Kardinalfrage des Kurt Beck betrifft daher das Verhältnis zu den Gewerkschaften, die dramatisch an Sympathie und Akzeptanz verlieren. Gelingt die Befreiung der SPD aus deren Geiselhaft? Schlägt Beck das kulturelle Fenster der Freiheit auf oder ist Schröders Scheitern auch sein Fanal?

Ich glaube, er hat aus drei Gründen bessere Chancen als die meisten derzeit denken. Zum einen ist die Krise der SPD so groß wie einst die der CDU, als Angela Merkel den Vorsitz übernahm. Darum wächst ihm der gleiche Notarztbonus zu. Zum zweiten verkörpert Beck wie kein anderer die Brücke zwischen den verfeindeten Lagern der Schröderianer (Steinbrück, Steinmeier und Ähnliche) und der Lafontainisten (Nahles, Wowereit, Ypsilanti und Genossen). Kurt Beck wird derzeit zwar zwischen diesen Uraltfronten bis aufs Blut zerrieben, er ist aber auch der Einzige, den beide Seiten als kleinstes Übel akzeptieren.

Und drittens hat Kurt Beck, was seinem Dutzend Vorgänger fehlte: süddeutsche Standfestigkeit. Das ist wichtiger, als man ahnt. Für Süddeutsche ist die Macht des Faktischen ein Selbstläufer. Wer Wein anbaut, Karneval begeht, wer die Jahreszeiten würdigt und den Kirchenkreis lebt, wer stolz Dialekt spricht und in einer Welt aus starken Familien und selbstbewussten Mittelständlern lebt, dessen SPD ist eingebettet in Rituale und Haltbarkeiten. Kurt Beck denkt langfristig wie einst Helmut Kohl, der mit ähnlichen Nehmerqualitäten durch grausam tiefe Täler gehen musste. Die andere SPD aber, die so nervös nach Schafotten ruft, ist eine der Konzerngewerkschaften und des nordostdeutschen Etatismus. Diese schwierige SPD auf Verbürgerlichungskur zu schicken, ist gewiss nicht einfach. Aber der landsmannschaftlicher Vorteil ist genauso groß wie einst der von der ostdeutschen Angela Merkel für die Liberalisierung der CDU.

Die Berliner Republik hat den kulturellen Schwerpunkt unseres Landes ins Nordelbische verschoben. Ins Protestantische, ins Rationale und Kollektive. Es herrscht eine Hegemonie der Anonymität, die der kulturellen Sehnsucht unserer Nation eigentlich zuwiderläuft. Deutschland ist in seinem Wesen – vor allem aber in seinen Kraftzentren – viel handfester, zupackender, leidenschaftlicher, individualistischer, süddeutscher, als das im Moment sichtbar wird. Das ist Becks Chance. „Genieß den Süden“, heißt das Motto Ihrer Heimatstadt Bad Bergzabern. Man kann zu Fuß nach Frankreich laufen, hier wachsen Wein und ein bürgerliches Selbstbewusstsein, das weniger Staat nicht mit weniger Solidarität verwechselt. Vielleicht macht er aus seiner von Nordwinden zerzausten Partei doch noch eine südlichere Gemeinschaft. Steinmeier mag Kanzlerkandidat werden, aber Kurt Beck sollte man noch nicht abschreiben.


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