Vera Lengsfeld / 02.07.2017 / 11:08 / Foto: Vera Lengsfeld / 7 / Seite ausdrucken

„Baumpflegearbeiten“ an Kohls Grab: Wir müssen draußen bleiben

Helmut Kohl fand gestern auf dem sogenannten Kapitelsfriedhof am Rande des Adenauer-Parks in der Domstadt Speyer seine letzte Ruhestätte. Viele Menschen, besonders aus den neuen Bundesländern sind von weit her angereist, um sich an seinem Grab von dem Altkanzler zu verabschieden. Die Dankbarkeit für die Wiedervereinigung scheint im Osten greifbarer als im Westen zu sein. Der Sound auf Speyers Straßen glich dem von Erfurt oder Magdeburg. Als ich heute Morgen vom Hauptbahnhof zum schräg genüberliegenden Park schlenderte, um Helmut Kohls Grab aufzusuchen, stieß ich auf ein verschlossenes Tor. Daran hing ein Schild:

“Aufgrund von Baumpflegearbeiten bleibt der Park vom 26.6.2017 bis einschließlich 2.7.2017 geschlossen. Wir bitten um Ihr Verständnis“.

Genau wie hunderte andere Besucher war ich absolut sprachlos. Ich lief weit um den Park, bis ich an einem Nebeneingang schließlich auf zwei Polizisten stieß. Die bestätigten mir, dass schon sehr viele Menschen abgewiesen wurden. Aber immerhin konnte ich in Erfahrung bringen, dass der Park angeblich heute Nachmittag um 15 Uhr für Besucher geöffnet werde.

Ich fasse zusammen: Zahlreiche Menschen haben bis zu zehn Stunden Bahnfahrt hinter sich, um dem Altkanzler die letzte Ehre zu erweisen. Die Verantwortlichen halten es aber offensichtlich nicht einmal für nötig, die Besucher darüber zu informieren, wann und auf welchem Weg sie das Grab besuchen können. Stattdessen stehen die Menschen im wahrsten Sinne des Wortes vor verschlossenen Türen. Wegen angeblicher Baumpflegearbeiten. An einem Sonntag. Keine weitere Information. Nichts.

Man könnte fast meinen, es ist nicht gewollt, dass die Trauernden zum Grab gelangen, sondern dass sie sich unverrichteter Dinge trollen. Viele werden das auch müssen, weil sie zum arbeitenden Teil der Bevölkerung gehören – und die Heimreise nach Dresden, Erfurt oder Leipzig vor 15 Uhr antreten müssen. Es ist schon fast egal, ob es sich beim Vorgehen der Verantwortlichen in Speyer um Vorsatz oder Unfähigkeit handelt. In jedem Fall ist es ungeheuerlich und unwürdig.

Foto: Vera Lengsfeld

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Leserpost

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Florian Bode / 02.07.2017

“Baumpflegearbeiten”, hahaha. Die älteren Angereisten aus den “neuen” Ländern werden diese groteske Ausrede als Ostalgie zu schätzen wissen. Schade, dass AM bei der Trauerfeier nicht wegen “Fußpflegearbeiten” verhindert war.

Heiko Stadler / 02.07.2017

Das ist doch nur eine Vorsichtsmaßnahme. Schließlich wurden AfD-Mitglieder von herabfallenden Ästen in Schulen und Behörden gelegentlich schon so schwer getroffen, dass sie ihren Beruf anschließend nicht mehr ausüben konnten.

Nadja Schomo / 02.07.2017

Wahrscheinlich waren sich die 100te Besucher uneins, ob sie das Verbot respektieren sollten oder nicht.

Franck Royale / 02.07.2017

Spätestens damit sollte auch Aydan Özoğuz (SPD) endlich klar geworden sein, daß es jenseits der Sprache sehr wohl eine spezifisch deutsche Kultur gibt.

Wilhelm Entenmann / 02.07.2017

Auch wenn Speyer nur einen Katzensprung von Mannheim entfernt ist, so käme ich nie auf den Gedanken, Kohls Grab in Speyer besuchen zu wollen. In Speyer befindet sich nicht das Grab des Kanzlers der Deutschen Einheit, in Speyer befindet sich das Grab einer, zu einem EU-Symbol gemachten Person, die die EU per Akt zu einem zweiten Karl dem Großen als “Vater Europas” gemacht hat. Wenn schon ein Grabbesuch, dann mal eben rüber nach Ludwigshafen zum Grab von Hannelore Kohl, sie stand hinter ihrem Mann, als dieser der Kanzler der Deutschen Einheit war.

Georg Dobler / 02.07.2017

Verehrte Frau Lengsfeld, wussten Sie nicht dass die Arbeiter der Stadtverwaltungen besonders Samstags und Sonntags Büsche und Bäume pflegen? Am Montag dem 03. Juli haben die frei (Ende Ironie). An diesem Wochenend-Termin sehen Sie dass es nicht Unfähigkeit sondern Absicht ist. Jemand wollte die “Leute” dort nicht haben.

Albert Dambeck / 02.07.2017

Wir Deutsche scheinen eine ganz besondere Unfähigkeit im Umgang mit uns selbst zu haben. Konfettiregen im Bundestag, verschlossener Friedhof des Altkanzler nach seiner Beisetzung um nur zwei Beispiele zu nennen. Soviel Blödheit gehört eigentlich bestraft!

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