Alexander Wendt / 10.03.2018 / 14:57 / Foto: Smalltown Boy / 26 / Seite ausdrucken

Ausweitung der Moralkampfzone

In normalen Zeiten bringen Verlage Bücher auf den Markt, aber keine Banalitäten in die Öffentlichkeit. Der Suhrkamp-Verlag hat das nun getan: Er twitterte nach einem Streitgespräch zwischen Durs Grünbaum und seinem Autor Uwe Tellkamp am Donnerstag in Dresden:

„Aus gegebenem Anlass: Die Haltung, die in Äußerungen von Autoren des Hauses zum Ausdruck kommt, ist nicht mit der des Verlags zu verwechseln.“

Nun handelt es sich bei Verlagen, zumindest außerhalb von Partei- und Kirchenunternehmen, nicht um Tendenzbetriebe. Dass sich ihre Mitarbeiter kollektiv eine Meinung zu gesellschaftlichen Themen bilden würden, wäre neu. Und noch überraschender, wenn diese Meinung dann auch die Meinung aller ihrer Autoren wäre.

Was war der gegebene Anlass, aus dem Suhrkamp etwas mitteilte, was ohnehin jeder vernünftigerweise erwarten würde?

Uwe Tellkamp hatte in der Debatte mit Grünbein unter anderem gesagt, dass die bedingungslose Grenzöffnung durch Merkel im September 2015 an Recht, Gesetz und Parlament vorbei erfolgte, und dass die meisten Migranten kamen und kommen, weil sie sich ein besseres wirtschaftliches Leben erwarten. Außerdem äußerte er noch die Ansicht, ein realistisches Bild über die Migrationskrise könnte man eher aus der Lektüre der in letzter Zeit neu entstandenen als aus den etablierten Medien gewinnen.

Von SpOn bis zur Aachener Zeitung rollte nach dem Verlagstweet die Meldung: „Suhrkamp distanziert sich von Uwe Tellkamp“; einige Medien informierten ihre Leser noch etwas ausführlicher darüber, was sie von dem „Turm“-Autor zu halten haben:

„Tellkamp („Der Turm“) hatte am Donnerstag in Dresden bei einer Diskussion Positionen der AfD und der islam- und ausländerfeindlichen Pegida-Bewegung vertreten“, teilt der Tagesspiegel mit.

„Bereits in der Vergangenheit ist Tellkamp damit aufgefallen, dass er sich nicht von Rechten distanziert hat“, schreibt die Süddeutsche Zeitung.

Feindlich-negative Person

Stilistisch ähneln die Passagen erstaunlich den Einträgen der Staatsicherheit in Akten über damals sogenannte feindlich-negative Personen.

Natürlich handelte es sich bei Tellkamps Aussagen um keine exklusiven AfD- oder Pegida-Positionen. Sie decken sich mit der Statistik (nur 0,3 Prozent der Migranten von 2016 bekamen tatsächlich Asyl); sie decken sich auch weitgehend mit dem Inhalt des Textes „Sondierung an der Grenze“ von Stefan Aust in der Welt (in den etablierten Medien finden sich durchaus substanzielle Beiträge).

Tellkamp steht schon seit einiger Zeit auf der Beobachtungsliste. Im Herbst 2017 unterzeichnete er als einziger Autor mit A-Prominenz die Charta 2017, in der die Dresdener Buchhändlerin Susanne Dagen nach den linksradikalen Übergriffen auf der Frankfurter Buchmesse gegen die ständige Verengung des Meinungskorridors protestierte. Dagen hatte übrigens einige prominente Autoren angesprochen, die alle absagten, einer mit Begründung, er hätte gar nicht so genau mitbekommen, was da in Frankfurt passiert sei.

Die FAZ ordnete, auch aus gegebenem Anlass, in ihrem Bericht über die Tellkamp-Grünbein-Diskussion in Dresden auch die Charta 2017 ein:

„Darauf reagierten rund einhundert Dresdner Autoren, darunter Grünbein, mit einem Aufruf, der die Dinge wieder auf die Füße stellte. ‚Die Freiheit, sich zu äußern, begründet kein Recht, sich unwidersprochen zu äußern’, heißt es darin.“

Im Englischen nennt man das ein Straw Man Argument: Weder Tellkamp noch Dagen noch ein anderer Unterzeichner des Aufrufs hatte je verlangt, unwidersprochen bleiben zu dürfen. Sie verlangen nur, dass Stände auf der Buchmesse unbeschädigt bleiben, auch wenn sie linken Aktivisten nicht passen, und dass Verlage ungestört ihre Veranstaltungen durchführen können. Im übrigen machte gerade eine Linksaußeninitiative gegen „rechte Verlage“ auf der Leipziger Buchmesse deutlich, dass es ihr nicht um Diskussion und Widerspruch geht, sondern um exakt das, was Tellkamp und die Charta 2017 benennen: Die systematische Verengung des Meinungskorridors.

Flache Lernkurve des linksmoralischen Erregungskomplexes

Von der Tellkamp-Diskussion einmal abgesehen: Merkwürdigerweise bleibt die Lernkurve des linksmoralischen Erregungskomplexes so flach wie die EEG-Linie eines Hirntoten. Im vergangenen Jahr führte die gleichgerichtete Medienkampagne gegen Rolf-Peter Sieferle (inklusive der Fake News, er „verharmlose“ in „Finis Germania“ Auschwitz und der Wegsäuberung des Buchs aus der Spiegel-Bestseller-Liste) zu einem bemerkenswerten Verkaufserfolg nicht nur für „Finis Germania“, sondern auch für „Epochenwechsel“ und „Das Migrationsproblem“. Bis heute halten sich die Sieferle-Bücher auf respektablen Verkaufsrängen. Die „New York Times“ fragte sich damals in einem wohltuend sachlichen Artikel, was es zu bedeuten hat, wenn hunderttausende Leser eines Landes so demonstrativ einen anderen Weg einschlagen als fast der gesamte Feuilletonbetrieb.

Seit kurzem liegt auch die Bilanz des Versuchs vor, Sachsen und Dresden zu Unorten zu stempeln (Stern: „Sachsen, ein Trauerspiel“, das „dunkelste Bundesland Deutschlands“, Hamburger Morgenpost: „Der Schandfleck“). Die Morgenpost gruselte sich damals wohlig, rechte Umtriebe würden die Tourismuszahlen in dem Schandfleckland einbrechen lassen.

Die Tourismus-Statistik für Dresden und Umgebung für 2017 sieht folgendermaßen aus: 5,81 Millionen Übernachtungen, ein Plus von 3,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Anders als die Auflage der Morgenpost: die rutschte 2017 in den roten Bereich. Der Stern landete seinerzeit mit dem Anti-Sachsen-Titel einen historischen Minusrekord.

Die Prognose ist nicht besonders kühn, dass auch Uwe Tellkamp und seine Bücher keinen Schaden erleiden werden.

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Michael Koch / 10.03.2018

“Stern: ‘Sachsen, ein Trauerspiel’, das ‘dunkelste Bundesland Deutschlands’, Hamburger Morgenpost: ‘Der Schandfleck’ ” Ich bin Dresdner. Ich bin Sachse. Wissen denn diese doofen Heinis nicht, wie ein Sachse mit derartigen Anwürfen umgeht?  - Erst trinkt er gemütlich eine Tasse Kaffee. - Dann denkt er kurz darüber nach. - Dann trinkt er noch eine Tasse Kaffee und sagt sich dabei: “Die ham doch ne Macke. “- Dann steht er auf und geht seiner Wege. - Wie immer!

Paul Siemons / 10.03.2018

Es ist ein Stück aus dem Tollhaus - Tellkamp konstatiert die Stigmatisierung derer, die Merkels Versagen in Sachen Migration kritisieren und wird sogleich was? Stigmatisiert. Es ist ein Stück aus Deutschland.

Wirsam, Dietmar / 10.03.2018

Eine vorgeschriebene Einheitsmeinung gab es in Sachsen bereits einmal 40 Jahre lang und alle waren froh, als diese Plage vorüber war.  Daher verspürt hier die Bevölkerung nicht denselben Drang wie Linke und Linksextreme nach einer Wiederholung, besonders dann nicht wenn es mit Bezeichnungen wie “Pack”, “Dunkeldeutsche” etc. verbunden ist. Auch der “Schandfleck” müßte noch entsprechend farblich katalogisiert werden, allerdings sind Katalogisierungen nach Meinung der Bundeskanzlerin nicht “hilfreich”. Uwe Tellkamp kann sich bei seinen sogenannten Kritikern höchstens noch für die kostenlose Reklame bedanken. Bleibt die Hoffnung, dass den Sachsen und besonders den Dresdnern in Zukunft linksextreme “Kritiken”  erspart bleiben. Mit freundlichen Grüßen

Monique Basson / 10.03.2018

Nicht nur Herrn Tellkamp beschäftigt dieses Thema, sondern auch die Mehrheit in diesem Land. Das Bedürfnis über relevante gesellschaftspolitische Themen öffentlich zu diskutieren, wird von der Regierung und gleichgeschalteten Medien schlicht ignoriert, bekämpft und stattdessen eine “politisch korrekte Gesinnung” verordnet. Leider werden Menschen, die die Lage im Land richtig benennen, mit einem Maulkorb versehen und in die rechtsradikale Ecke gestellt.

Rudolf George / 10.03.2018

Tellkamp und Sieferle führen deshalb zu einem solch starken Rasseln im Blätterwald, weil es gilt, die linke Lebenslüge zu verteidigen. Diese lautet: Menschen mit Geist stehen links. Das ist das wahre Opium für das Volk, versucht man doch damit all die Dummen zu ködern, die tatsächlich glauben mit einem linken Bekenntnis einen überlegenen Intellekt zu demonstrieren.

Peter Reindl / 10.03.2018

Meine persönliche Boykottliste wird immer länger. Bücher aus dem Suhrkamp-Verlag zu meiden, wird mir zwar schwerfallen, aber der zivile Ungehorsam gegenüber subtiler Meinungszensur und damit verbundener Stigmatisierung hat Vorrang. Ich bleibe verhalten optimistisch: Den Tugendwächtern wird die Realität noch im Rachen steckenbleiben. Bis dahin heißt es: Geduld haben und Konsequent bleiben!

Stefan Leikert / 10.03.2018

Sehe ich das richtig, dass dieser öffentliche Auftritt mit der Stimme eines bekannten und beachteten Schriftstellers ein Wendepunkt ist? Ist damit so etwas wie die Kritische Masse erreicht? Daran kann man jetzt nicht mehr vorbei: alle hören es und sehen es dann: der Kaiser ist nackt!?

Caroline Neufert / 10.03.2018

Unabhängig, ob man den Aussagen Tellkamps zustimmt oder nicht. Man kann es als “Moralkampfzone” sehen, man kann sich auch an Hensel und S&F erinnern und/oder sich sagen, Suhrkamp ist ein Unternehmen und kein Staatsverlag. Wenn Suhrkamp nicht mehr mit Autor X zusammenarbeiten will, kann Suhrkamp es tun, völlig frei von Gesinnungsschnüffelei. WEnn ein Unternehmen mit der Meinung, die ein Mitarbeiter von sich gibt, nicht einverstanden ist, kann dieses Unternehmen innerhalb der rechtlichen Vorgaben (Abmahnung etc.) Entscheidungen fällen. Wo kämen wir dahin, wenn diese Freiheit eingeschränkt würde ? Und auch wenn Sie denken, der Verlag handele nach einer sich selbst aufoktroyierten Moral, wäre auch dies, die freie Entscheidung des Verlages. 

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