Malte Fischer, Gastautor / 02.10.2015 / 12:00 / 8 / Seite ausdrucken

Australien, Kanada oder doch Costa Rica? Nehmen die mich überhaupt?

Von Malte Fischer

Nach den Flüchtlingsgipfeln von Regierung, EU und ARD bleibt für den unbedarften Zeitungsleser nur eine Frage offen: Australien, Kanada oder doch Costa Rica? Nehmen die einen wie mich überhaupt? Auch Portugal oder Polen sind schön aber die Sprachen so schwer zu lernen. Spätestens seit Jakob Augstein und Heribert Prantl die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin als moralisch vorbildlich preisen, denken Menschen, die noch was im Leben vorhaben, öfter mal ans Koffer packen. Ich hänge an Kreuzberg. Der Sommer war schön. Aber wer weiß wie oft der unbeschwerte Berliner Sommer noch wieder kommt.

Höchstens Intellektuelle können den Schlamassel noch eine Weile ignorieren und gewichtig darüber debattieren, wie wir Menschen in Arbeit bringen, Parallelgesellschaften verhindern und – ganz wichtig - die Zustände in den Herkunftsländern verbessern. Das nämlich geht so: Schritt 1. Verschlechterung der Zustände in unserem Herkunftsland. Eine Frage der Gerechtigkeit. Schritt 2 und 3. Mehr Geld vom Bund. Es ist von großer Wichtigkeit für die steuerzahlenden Bürger ob Bund, Land oder Kommune ihre Euros umverteilen. Schritt 4: Merkel spricht mal wieder mit Assad und Putin. Und mit Zuckerberg. Was macht der eigentlich den ganzen Tag? Schritt 5. Journalisten und Politiker überbieten sich gegenseitig im Verfassen pädagogisch wertvoller Grußbotschaften inklusive Gratis-Belehrungen über unsere supermoderne Werteordnung. Alles zusammen ergibt die perfekte Simulation von Souveränität. Feuchte Träume eines Impotenten.

So lange Deutschland mit freundlicher Willkommenskultur Karma-Punkte sammelt und nicht mal versucht, die deutschen oder europäischen Grenzen zu sichern, fehlt allen schlauen Ideen zu Integration, Einwanderungsgesetzen und europäischen Lösungen die berechenbare Grundlage. Es gibt keine menschlich oder moralisch gute Lösung in der Flüchtlingskrise mehr. Wir können nur noch die Notbremse ziehen und retten, was zu retten ist. Aber über Grenzen und ihre dem Überleben eines Gemeinwesens manchmal nicht ganz unzuträgliche Funktion spricht man in Deutschland gar nicht erst, sondern lieber von Menschlichkeit und Solidarität. Bis nichts mehr davon übrig ist.

Frau Merkel ist heute wohl die einzige Regierungschefin in Europa, die eine Flüchtlingspolitik im weitgehenden Einklang mit den linksliberalen Eliten aus Kultur, Medien und Universitäten betreibt. Die wichtigen Journalisten, kritischen Denker und angesagten Kreativen sprechen ihren Namen seit diesem Sommer mit mehr Respekt aus. Für diese Vorstellung hätten die Deutschen auch Claudia Roth oder Margot Käßmann ins Kanzleramt wählen können.

Oft ist zu lesen, das politische Koordinatensystem habe sich nach links verschoben und Merkel sei mit ihrer CDU von konservativen Positionen abgerückt. Leider ist es viel schlimmer. Der politische Mainstream ist heute nicht unbedingt linker als vor dreißig oder vierzig Jahren. Er ist nur sehr viel grüner. Kein Mensch liest heute Marx oder Lenin. Aber alle denken mit dem Herzen. Indianerweisheiten und Kalendersprüche bilden den politischen Kanon der neuen Mitte. Wozu sind Kriege da? Kein Mensch ist illegal. Jedes Kind ist hochbegabt. Wir sind reich weil sie arm sind. Erst wenn der letzte Baum gerodet ist… 

Die Sozialdemokraten der 60er und 70er hatten nichts gegen ein starkes Deutschland. Sie wollten nur für ihre Klientel einen möglichst großen Anteil vom Kuchen. Erst die Grünen erklärten unseren Wohlstand und unsere Art zu Leben zur Sünde, von der nur sie uns die Absolution erteilen könnten. Auf einmal standen die Deutschen für alle möglichen Menschheitsverbrechen gegen Mutter Erde, die Armen, die Frauen, Afrikaner, Palästinenser und später noch entdeckten geborenen Opfern in der Kreide. Unsere spezifische historische Verantwortung für den Staat Israel und den Frieden in Europa deuteten sie in eine Bringschuld gegenüber allen Benachteiligten um, für die sie sich gerade stark machen.

In einem reichen Land, in dem junge Menschen in der Schule nicht viel mehr über ihr eigenes Land lernen als sein dunkelstes Kapitel, konnten die Grünen mit ihren Quatschideen bis in die bräsige Mitte der Gesellschaft durchmarschieren ohne einen Beitrag zur Lösung irgendeines echten Problems geleistet zu haben. Es sieht im Augenblick nicht danach aus, dass sich Deutschland davon noch einmal erholen wird.

Die Grünen als Partei wirken heute nur deshalb so hemmungslos überflüssig weil alle im Bundestag vertretenen Parteien grüne Rhetorik und Programmatik in Brechreiz erregendem Ausmaß übernommen haben. Ok, es liegt auch ein wenig an Hofreiter. Aber dennoch: Die CDU wickelt Kernenergie, Bürgerarmee und neuerdings die staatliche Ordnung ab. Die Sozialdemokraten bauen den Industriestaat zurück. Die FDP will Cannabis legalisieren und bekämpft mit German Mut die AfD. Wer sich gegen den politisch korrekten grünen Mainstream stellt, gilt in jeder Partei als Störenfried, siehe Oswald Metzger oder Thilo Sarrazin. Wer die manchmal gar nicht so politisch korrekte Wirklichkeit heute nicht mit Wohlfühlworten vernebelt, qualifiziert sich als geistiger Brandstifter.

Die deutsche Willkommenskultur unter Schirmherrschaft der Kanzlerin war die XXL-Mainstreamversion grüner Gesellschaftsromantik. Sie wird XXL-Mainstream-Konsequenzen haben. Sie steht exemplarisch für eine Politik, die es allen recht machen will und daran scheitert, dass sie ständig neue Ansprüche produziert, die sie nicht erfüllen kann.

Vielleicht ist es kein Zufall, dass unsere Kultur so nostalgiebesoffen ist und wir jeden übrig gebliebenen Rocker der 60er und 70er als Botschafter einer besseren weil hoffnungsvolleren Zeit verehren. Vielleicht feiern die jungen Leute aus der ganzen Welt, die jedes Jahr zum saufen und kiffen nach Berlin kommen, einfach nur die große Abrissparty. Vielleicht geht es uns schon zu lange zu gut. Die Freiheit von Todesangst und Existenznöten erscheint vielen so selbstverständlich wie ein Ehepartner, neben dem sie seit Jahrzehnten aufwachen. Es ist normal, dass er da ist. Man muss sich nicht täglich, um ihn bemühen oder gar kämpfen. Oft genug ist man seiner sogar überdrüssig und malt sich ein wilderes und freieres Leben aus. Bis man eines Morgens aufwacht und der Platz im Bett neben einem ist leer. 

Malte Fischer (36) lebt in Berlin, ist seit 2000 Autor und Redakteur für RTL, Pro 7, RBB, WDR mag Bücher, Filme, Serien, Schallplatten und Spaziergänge mit seinem Hund.

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Leserpost

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Bernd Zarneckow / 03.10.2015

Danke für die treffende Beschreibung. Aber wohin nun? Ich denke an Ungarn, ist nicht weit weg, die Küche ist gut, das Klima etwas milder, etc.

Günter Fuchs / 03.10.2015

Sehr gute Kolumne, Sie haben mir aus der Seele gesprochen!!! Ich halte die Grünen für eine der gefährlichsten Parteien, die wir zur Zeit in Deutschland haben! Alles was von denen kommt ist unausgegoren und nicht durchdacht! Schon Merkels schwachsinnige Energiewende wurde auf Druck durch die Grünen initiiert. Die Fukushima -Katastrophe war nur ein Pseudoargument. In Wirklichkeit gab die verlorene Landtagswahl in Baden-Württemberg an Grüne und SPD den Ausschlag (zum ersten mal seit bestehen der Bundesrepublik wurde diese Wahl von der CDU verloren!). Merkel wollte mit der Energiewende den Grünen den Wind aus den Segeln nehmen (auch von Volker Pispers klar erkannt!). Mindestens in jedem zweiten Satz den diese grünen Spinner von sich geben kommt das Wort “Klimaschutz” vor. Als wenn man das Klima schützen könnte, dann müsste man ja des Wetter schützen (völlig hirnrissig). Es gibt keinen einzigen wissenschaftlichen Beweis dafür, dass von Menschen verursachtes CO2 eine Einfluss auf das Klima hat. Allenfalls kann man die Umwelt schützen (vor allem vor den Grünen) denn die verursachen mit ihrer Windmühleneuphorie (siehe Rheinland-Pfalz) einen enormen Umeltschaden!   

Klaus Jürgen Bremm / 02.10.2015

Der Autor hat zum gefühlten 157. Mal eine durchaus treffende Zustandsbeschreibung der Wahnsinnsrepublik geliefert. Nur die Eingangsfrage hat er nicht beantwortet. Wohin trägt man denn nun am besten seine gepackten Koffer?

Gisela Makus / 02.10.2015

Ich unterschreibe jedes Ihrer Worte. Danke für diesen Artikel.

Stefan Bergfeldt / 02.10.2015

Man fragt sich Zwangsläufig was die Politiker und Medienschaffenden nur so anziehend finden an einer Weltsicht die in unserem Land von einer Partei repräsentiert wird die bei den Bundestagswahlen in der Regel irgendwo zwischen 5 und 10% herumpendelt. Was macht ausgerechnet diese Menschen so anfällig?)

Karl Schlunz / 02.10.2015

Mit Ihren 36 Jahren und guter Ausbildung sind Sie überall willkommen. Mit meinen 55 siehts leider schon düster aus, sonst wäre ich bereits im Aufbruch. Mehr als die konkrete Bedrohung durch die Masseneinwanderung bringt mich die offensichtliche Beklopptheit des deutschen Mainstreams und die Feigheit des Restes in Panik. Eine solche Konstellation haben wir ja nicht zum ersten mal.

Matthias Gerhardt / 02.10.2015

Wir beobachten schon eine Weile den polnischen Immobilienmarkt. Aber in der Tat, die Sprache ist so verdammt schwer. Das sind Gedanken, die ich seit dem Untergang der DDR nicht mehr hatte. Wer hätte gedacht, dass wir so rasant auf das grüne Loch zuschlittern.

Paul Mittelsdorf / 02.10.2015

Ein sehr schön geschriebener und klar gedachter Artikel, der bekannte Sachverhalte an teilweise andere Orte rückt, die dort mehr Sinn ergeben als zuvor.

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