Antje Sievers / 27.07.2009 / 11:12 / 0 / Seite ausdrucken

Austern zum Frühstück!

Neulich, beim Aufräumen des Küchenschrankes, fiel mir mein altes Exemplar des Kochbuchs von Barbara Rütting in die Hände; Erscheinungsjahr 1981.
Da wurden Erinnerungen wach:
Ich stand kurz vor dem Abitur und war dem Bio-Wahn verfallen, als man mir dieses Kochbuch schenkte. Es pries die hohe Schule der naturgemäßen Lebensweise, in diesem Falle einer Ernährung ohne Fleisch und Fisch, mit wenig Eiern und noch weniger Alkohol. Und ausschließlich mit Bioprodukten.
Ich fing also an, Brot zu backen und rohes Gemüse in mich reinzustopfen.
Meine Familie trug diese Phase mit Fassung: Das verwächst sich auch wieder!
Bei der Geberin des Kochbuchs allerdings verwuchs es sich nicht, im Gegenteil. Sie ging als einer der ersten schwereren Fälle von Orthorexia nervosa in die Medizingeschichte ein. Außerdem entwickelte Sie nach Jahren der einseitigen Gesundkost eine schwere Darmerkrankung:

http://www.das-eule.de/html/eu_l_e_n-spiegel_ausgabe_4-5_22.html

Der Arzt verordnete klugerweise Umstellung auf abwechslungsreiche Mischkost mit Fleisch und Fisch. Vor allem aber verhängte er ein sofortiges Embargo über den Verzehr von frischem Vollkorn. Der Mensch, so der Arzt, sei nun mal kein reiner Pflanzenfresser.
Das allerdings hätten wir auch damals schon dem Barbara-Rütting-Kochbuch entnehmen können. Jawohl.
Denn nach seitenlanger Schilderung der üblen Folgen des Fleischgenusses (Der Tod sitzt im Darm!) zitiert die Autorin gänzlich unbefangen den großen Feinschmecker Jean Anthelme Brillat-Savarin, der einst zwei Greise von 78 und 74 Jahren zu folgendem Frühstück gebeten hatte: Jeder zwei Dutzend Austern, am Spieße gebratene Nieren, eine Gänseleberpastete mit Trüffeln und endlich die Hauptspeise, eine Eierfondue. Dazu trank jeder eine Flasche Sauterne und es folgten Früchte und Konfitüren, Mokka und Liköre.
Jamjam!
Die durchschnittliche Lebenserwartung lag im achtzehnten Jahrhundert etwa bei vierzig Jahren. Wären die Rokoko-Greise auf Barbaras Pferdefutter angewiesen gewesen, wie damals die armen Leute, wären sie wohl kaum so alt geworden

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