Am Montag einigten sich Europas Finanzminister auf die Freigabe von 6,8 Mrd. € für Griechenland. Dies war eine Konsequenz aus dem letzten Bericht der Troika aus Europäischer Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds über die griechischen Reform- und Sparmaßnahmen.
In der Gesamtschau scheinen weitere 6,8 Mrd. € für Athen inzwischen kaum noch der Rede wert. Im Verlauf der Eurokrise wurden schon viel höhere Beträge verteilt - und nicht nur an Griechenland.
Und doch lohnt es sich, sich diese neueste Tranche von Hilfsgeldern für Griechenland näher anzusehen. Die nüchterne Art und Weise, in der diese Beträge gewährt werden - fast ohne Ansehen der momentanen Verhältnisse in Griechenland, geschweige denn seinen wirtschaftlichen Aussichten - ist durchaus bemerkenswert. Hat Europa sich mit der Aussicht, dauerhaft für Griechenland zu zahlen, abgefunden?
In ihrer gemeinsamen Erklärung schreibt die Troika: “Es werden zwar weiterhin beachtliche Fortschritte erzielt, doch die Umsetzung der Maßnahmen bleibt in manchen Bereichen hinter den Vorgaben zurück. Die Behörden haben Abhilfemaßnahmen zugesagt, um die Einhaltung der Haushaltsziele für 2013-14 sicherzustellen und in diesem Jahr die Primärbilanz zu erreichen.”
Mit anderen Worten: Griechenland hat abermals seine Versprechen nicht gehalten. Und auch diesmal hat das Land wieder etwas versprochen, was es bisher nie halten konnte.
Dieses Muster ist schon während der gesamten Zeit der Griechenlandkrise erkennbar. Voraussetzung für eine weitere Unterstützung Griechenlands ist die Umsetzung harter Reformmaßnahmen. Griechenland ist jedoch diesen Verpflichtungen schon mehrfach nicht nachgekommen, ohne dass dieses Versagen Sanktionen nach sich gezogen hätten. Letztlich fließen die internationalen Gelder dennoch – einfach weil man fürchtet, die Alternative könne noch schlimmer werden.
Andererseits ist nicht zu leugnen, dass die griechische Regierung ihre Ausgaben tatsächlich verringert. In diesem Jahr werden die Staatsausgaben ihren niedrigsten Stand seit zehn Jahren erreichen. Nach dem Höchstwert von 125 Mrd. € im Jahr 2009 wird Athen im Jahr 2013 nur 87 Mrd. € ausgeben. Doch selbst die drastische Haushaltskürzung um 30 Prozent innerhalb von nur vier Jahren reicht zur Lösung des griechischen Problems nicht aus. Dafür gibt es zwei Gründe.
Erstens mögen die Kürzungen der Staatsausgaben zwar dramatisch ausfallen, genügen aber nach wie vor nicht, um zu einem ausgeglichenen Haushalt zu gelangen. Zweitens würde es der griechischen Wirtschaft selbst dann, wenn die Regierung ihre Budgetkrise bewältigen könnte, nicht gelingen, wieder zu einem Wachstumskurs zurückzukehren und Arbeitsplätze zu schaffen.
Das erste Problem liegt auf der Hand. Trotz der Sparmaßnahmen der griechischen Regierung sind die Schulden immer weiter gestiegen. Von 105 Prozent des BIP im Jahr 2008 erhöhten sie sich auf 157 Prozent bis Ende letzten Jahres – trotz eines ersten Schuldenschnitts für Griechenland. Die Steigerung kommt durch die anhaltenden Haushaltsdefizite bei gleichzeitig rapide schrumpfender Wirtschaft zustande. Für die Schuldenquote wiegt der rückläufige Zähler fast so schwer wie der wachsende Nenner. Das ist einfache Arithmetik.
Das zweite Problem ist noch schwieriger zu lösen. Es wäre zwar unter Umständen möglich, den griechischen Staatshaushalt durch weitere drastische Kürzungen und Verhinderung des Staatsbankrotts auszugleichen, doch damit hat Griechenland noch kein nachhaltiges Geschäftsmodell gewonnen.
Abgesehen von seiner Haushaltslage hat Griechenland noch eine Menge anderer Probleme zu lösen. Seit Beginn der Krise hat es etwa ein Viertel seiner Wirtschaftsleistung verloren. Die Arbeitslosigkeit bewegt sich um die 27 Prozent. Selbst wenn die letzten Prognosen einen Hoffnungsschimmer von Wirtschaftswachstum für 2014 enthalten, so wird dessen Umfang nicht ausreichen, um das Blatt wesentlich zu wenden.
Um Griechenland wettbewerbsfähig zu machen und seine wirtschaftlichen Aussichten aufzuhellen, wird es mit der Umsetzung von Sparmaßnahmen nicht getan sein. Griechenland muss ein anderes Land werden.
Die Weltbank veröffentlicht regelmäßig ihre Doing Business Studien, in denen sie eine Rangliste der Länder nach verschiedenen Kriterien für die Gründung und den Betrieb von Unternehmen aufstellt. Insgesamt nimmt Griechenland beim Kriterium Leichtigkeit der Geschäftstätigkeit den 78. Platz unter 185 Ländern ein. Das ist mittelmäßig für ein vorgeblich zur Ersten Welt gehörendes Land und abgrundtief schlecht für ein Mitglied eines Währungsverbunds, dem so hoch produktive Volkswirtschaften wie Deutschland angehören. Der einzige Trost angesichts dieser Zahlen ist Griechenlands verbesserte Leistung – im Vorjahr stand es auf Rang 89.
Offensichtlich bleibt noch viel zu tun, um Griechenland für Unternehmer und Investoren attraktiver zu machen. Beim Kriterium Unternehmensgründung steht das Land auf Platz 146, beim Anlegerschutz auf Platz 117 und bei der Eintragung von Eigentum auf Platz 150. Für eine Volkswirtschaft, die sich aus ihrem derzeitigen Sumpf befreien will, ist das einfach zu wenig. Warum sollte jemand angesichts solcher Bedingungen in Griechenland investieren? Kein Wunder, dass die Versuche der letzten Zeit, im Staatseigentum befindliche Vermögenswerte zu privatisieren und an ausländische Investoren zu verkaufen, erfolglos verliefen.
Behält Griechenland seinen derzeitigen Kurs bei, so steuert es in nächster Zeit auf einen weiteren Schuldenschnitt zu. Seine wachsende öffentliche Schuldenlast ist unhaltbar. Solange die Wirtschaft sich nicht ausreichend erholt hat, ist selbst bei einem erheblichen Rückgang der Staatsausgaben nichts zu erreichen.
Damit nicht genug, ist Griechenland immer noch in einer Währungsunion gefangen, in der es nicht überleben kann. Seine Kostenstruktur ist nach wie vor zu hoch, als dass das Land mit anderen Volkswirtschaften des Euroraums konkurrieren könnte.
Angesichts dieser Gegebenheiten besteht wenig Hoffnung auf eine rasche Erholung Griechenlands. Daher wirkt die Unterzeichnung eines weiteren Schecks über 6,8 Mrd. € durch die Troika wie ein Akt der Resignation. Die EU, die EZB und der IWF wissen mit Sicherheit, dass es mit Griechenland so nicht weitergehen kann. Dass sie weiterhin bereit sind, Mittel für Athen freizugeben, zeigt lediglich, dass sie trotz ihrer Enttäuschung derzeit noch nicht daran denken, die einzige plausible Alternative ins Auge zu fassen.
Griechenland braucht zweifellos einen weiteren Schuldenschnitt. Diesmal allerdings würde eine homöopathische Behandlung nicht genügen. Griechenland muss den größten Teil seiner Staatsschulden loswerden, um die Chance auf einen Neuanfang zu haben. Es muss auch das geldpolitische System Euro verlassen und eine Währung beschließen, die seine Wirtschaftskraft (bzw. eher -schwäche) angemessen berücksichtigt. Erst wenn Griechenland den größten Teil seiner Schulden nicht mehr beglichen und eine eigene Währung eingeführt hat, besteht eine realistische Chance, dass die nach wie vor notwendigen Wirtschaftsreformen greifen.
Solange das Land weiterhin in der Falle der immer neuen Troika-Konsultationen sitzt, wird es seinem zwangsläufigen wirtschaftlichen Niedergang nicht entkommen können - und je länger die Europäer Griechenland einen Bailout nach dem anderen zugestehen, desto mehr wird sich Griechenlands Abhängigkeit verfestigen.
Die Eurokrise ist nicht vorbei, solange Griechenland der Eurozone angehört.
Dr. Oliver Marc Hartwich ist Executive Director der The New Zealand Initiative.
‘New largesse stars in Greece’s theatre of the absurd’ erschien zuerst in Business Spectator (Melbourne), 11. Juli 2013. Aus dem Englischen von Cornelia Kähler (Fachübersetzungen - Wirtschaft, Recht, Finanzen).