Den folgenden Briefwechsel mit einer Mitarbeiterin im “Stab des Polizeipräsidenten” von Berlin hat uns achse-Leser Jens Z. zugeschickt. Es geht um einen kultursensiblen Einsatz der Berliner Polizei, der weit über Berlin hinaus für Schlagzeilen gesorgt hat. Anders als bei der Weihnachtsansprache der Kanzlerin handelt es sich nicht um eine satirische Überhöhung der Wirklichkeit. Es ist die Wirklichkeit.
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich lese grade von einem Einsatz des Berliner SEK im September, bei dem eine Moschee durchsucht wurde - in Socken.
Ich weigere mich zu glauben, dass diese Pressemeldung korrekt ist. Das kann doch eigentlich nur Satire sein! Auch viele Verdächtige ausserhalb von Moscheen halten einen sauberen Teppich für praktischer als einen dreckigen. Darf ich also annehmen, dass im Zuge der Gleichbehandlung die Einsatzbestimmungen des SEK so abgeändert wurden, dass Hausdurchsuchungen nun grundsätzlich ohne Schuhe vorgenommen werden? Und wenn dem so ist, wie wirkt man der Lächerlichkeit entgegen, die sich zwagsläufig bei einem solch servilen Verhalten einstellt?
Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie mir bei der Beantwortung meiner Fragen zur Seite stünden.
Mit freundlichen Grüßen
Jens Z.
Sehr geehrte Damen und Herren,
vor einigen Wochen hatte ich Ihnen eine Frage zugesandt (siehe unten). Leider ist diese bisher nicht beantwortet.
Zusammengefasst: Gilt der neue Reinigungsservice des SEK, sich vor dem Einsatz bzw nach Sicherung der Räumlichkeiten die Schuhe auszuziehen, generell oder nur fūr bestimmte Personengruppen?
Falls Sie als Pressestelle die falsche Adresse sind, um Öffentlichkeitsarbeit anzubieten und Būrgerfragen zu beantworten, teilen Sie mir doch bitte mit, an wen ich mich wenden kann.
Mit freundlichen Grūßen
Jens Z.
Sehr geehrter Herr Z.,
anlässlich Ihrer Anfrage möchte ich Ihnen einige erklärende Informationen zukommen lassen, die den von Ihnen angesprochenen Polizeieinsatz vom 22.09.2015 betreffen. An diesem Tag wurden in acht Berliner Objekten richterliche Durchsuchungsbeschlüsse wegen des Verdachtes der Vorbereitung und Anstiftung zu einer schweren staatsgefährdenden Straftat vollstreckt. Bei einem der Objekt handelte es sich um die Ibrahim-Al-Khalil-Moschee, was großes mediales Interesse hervorrief.
Ich setze Ihr Verständnis dafür voraus, dass polizeiinterne oder taktische Informationen über die Vorgehensweise von Ermittlungsdienststellen an Bürger oder Pressevertreter nicht detailliert herausgegeben werden. Die Ermittlungen waren in diesem Fall zuständigkeitshalber beim Landeskriminalamt, Abteilung 5 – Staatsschutz angegliedert. Das Dezernat 54 ist als Fachdezernat auf Ermittlungen im Zusammenhang mit Islamismus und Terrorismus spezialisiert.
Wie in allen anderen Delikts- und Ermittlungsbereichen wird die Polizei bei ihrer Vorgehensweise stets die Gefühle von Menschen mit anderer Weltanschauung und Religion respektieren und achten, sofern diese im Grundgesetz verankert sind und der freiheitlich-demokratischen Grundordnung entsprechen. Dazu gehört auch die Gewährleistung der ungestörten Religionsausübung gem. Artikel 4 Absatz 2 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland.
In der Hauptstadt leben zahlreiche Menschen mit der Zugehörigkeit zur islamischen Religion. Zu den fünf Säulen des Islam gehört auch das rituelle Gebet mit den festen dazugehörigen Riten wie z.B. einer körperlichen Waschung vorher und dem Ausziehen der Schuhe während des Gebetes, um die Reinheit des Untergrundes (Gebetsteppich) zu wahren.
Dies wurde auch während des in Rede stehenden Einsatzes in die polizeiliche Vorgehensweise einbezogen. Nach der Herstellung einer überschaubaren Sicherheitssituation im Anschluss an das Eindringen der Polizeikräfte, stellte das Überziehen bereitgestellter „Schuhüberzieher“ ein angemessenes Mittel dar, um die zuvor genannten Riten des Islams beim Betreten der Gebetsteppiche mit Straßenschuhen innerhalb des islamischen Gotteshauses zu respektieren.
Das Fertigen von Bildern zweier SEK-Beamter durch anwesende Pressevertreter entstand in einer Einsatzphase, die eine Beantwortung der Fragen von Journalisten durch den anwesenden Imam zuließen. Die Beamten bewegten sich im Hintergrund der Pressearbeit ohne Straßenschuhe auf Socken und haben damit die Leitlinie des Einsatzes erfüllt.
Die Erklärung für die unbeschuhte Vorgehensweise ist ganz einfach: Die Beamten hatten ihre Schuhüberzieher bereits aufgebraucht, bevor ihr erneutes Betreten der Moschee im Rahmen des Einsatzes nochmals kurzfristig erforderlich wurde. Mit dem Ablegen ihrer Straßenschuhe nahmen diese somit schnell und bedacht ihre hoheitliche Aufgabe wahr, ohne noch im letzten Moment die Gefühle der Moscheebesucher zu verletzen.
Ich hoffe, Ihnen mit meinen Ausführungen verdeutlicht zu haben, dass Einsätze von Exekutivbeamten zukünftig nicht standardisiert ohne Straßenschuhe erfolgen werden.
Weiterhin wird unsererseits auf die Belange der verschiedenen Menschen in dieser Stadt mit Sensibilität und Rücksicht reagiert werden, sofern die Einsatz- und Gefahrenlage dies zulässt, ggf. auch mit augenscheinlich ungewöhnlichen Methoden.
Mit freundlichen Grüßen
i.A.
Nicole Arendt
Der Polizeipräsident in Berlin
Stab des Polizeipräsidenten
Sehr geehrte Frau Arendt,
vielen Dank für Ihre ausführliche Antwort, die einige meiner Fragezeichen ausräumen konnte. Allerdings muss ich gestehen, dass neue hinzugekommen sind, die ich Ihnen kurz erläutern möchte.
Es hat mich sehr verwundert zu hören, dass sich eine Behörde eines säkularen Staates die theologische Hermeneutik (5 Säulen des Islam, Waschung, Gebetsteppich usw) einer Religion zueigen macht und als Argument für ihr Handeln heranführt, obwohl eigentlich jedem klar sein sollte, dass weder eine polizeiliche Massnahme noch das in diesem Zusammenhang stattfindende Betreten von Teppichen mit Strassenschuhen die Gewährleistung des Artikels 5 Absatz 2 unseres Grundgesetzes antastet.
Davon abgesehen ist Ihre Auffassung von der fundamentalen Wichtigkeit eines sauberen Gebetsteppich und die religiösen Bedeutung, die sie ihm beimessen, noch nicht einmal theologisch korrekt, wie man leicht an dem Umstand erkennen kann, dass Muslime überhaupt kein Problem damit haben, ausserhalb der Moschee ohne Teppich fröhlich auf dem blanken Boden zu beten.
Was hier letztlich übrig bleibt, ist, dass Sie auf Befindlichkeiten Rücksicht nehmen wollen. Dies ist löblich und an sich nicht verkehrt. Wenn diese Rücksichtnahme aber nur einer bestimmten Gruppe zuteil wird, dann haben wir ein Problem. Und wir haben erst recht ein Problem, wenn religiöse, sprich willkürliche, Parameter hier herangezogen werden.
Sie möchten also aus Rücksicht vor den möglichen Gefühlswallungen unserer muslimischen Mitbürger die Teppiche in Moscheen nicht mit Strassenschuhen betreten. Gut. Warum zeigen Sie dann die gleiche Rücksichtnahme nicht auch beim Rest der Bevölkerung? Es ist sicherlich nicht falsch zu behaupten, dass die meisten Menschen ihre Schuhe vor Betreten ihrer Wohnung ausziehen und wir demnach schlussfolgern können, dass sie einen sauberen Teppich bzw Boden wertschätzen. Warum gehen Sie also bei Nicht-Muslimen nicht mit der gleichen Rücksichtnahme vor? Wenn sich die Einsatzbestimmungen hinsichtlich der Benutzung von Überstülpern also nicht grundsätzlich geändert haben, bleibt das Faktum, dass Sie hier mit zweierlei Maß messen, einem muslimischen und einem nicht-muslimischen. Und das ist, mit Verlaub, ein höchst kritikwürdiger Sachverhalt und hat mit der lobenswerten Rücksichtnahme und Sensibilität gegenüber allen (!) Bürgern nicht das geringste zu tun, sondern beschreibt nichts anderes als die anerkennende Übernahme der religiösen Lebensregeln einer bestimmten Gesellschaftsgruppe durch die Behörde eines säkularen Staates.
Ich hoffe, Sie erkennen die fragwürdige Schieflage Ihres Handelns.
Mit freundlichen Grüßen
Jens Z.
Sehr geehrter Herr Z.,
aufgrund des derzeitigen Arbeitsaufkommens bin ich gezwungen, auf eine ausführliche Korrespondenz zu verzichten bzw. würde ein Telefonat zu dem Thema Durchsuchungsmaßnahmen etc. mit Ihnen bevorzugen.
Leider habe ich keine telefonische Erreichbarkeit von Ihnen. Sobald Sie mir diese mitteilen, werde ich mir ein Zeitfenster suchen, um mit Ihnen ins Gespräch zu kommen.
Mit freundlichen Grüßen
Nicole Arendt
Der Polizeipräsident in Berlin
Stab des Polizeipräsidenten