Henryk M. Broder / 02.05.2016 / 12:07 / 4 / Seite ausdrucken

Auch bei antisemitischen Ausfällen muss auf die Zuständigkeit geachtet werden

Was den real existierenden Antisemitismus angeht, ist das seit Menschengedenken sozialdemokratisch regierte Bremen eine Musterkolonie. Es war kein Zufall, dass ausgerechnet in Bremen als Kammerjäger gekleidete „Inspekteure“ Geschäfte und Märkte aufsuchten, um zu sehen, wo „Waren aus den illegalen israelischen Siedlungen“ verkauft würden. Die Väter und Großväter hatten noch vor jüdischen Geschäften Wache geschoben -„Deutsche wehrt Euch, kauft nicht bei Juden!“ – die Kinder und Enkel erweckten diese schöne Tradition wieder zum Leben. Auch sonst ist in Sachen „Israelkritik“ in Bremen immer etwas los.

Nun ist Bremen wieder ins Gerede gekommen, wegen eines hyperventilierenden Pastors, der sich als „Antisemit“ geoutet hatte, nur um darauf hinzuweisen, dass er keiner ist. Er tat es ungefragt und unprovoziert in einem Brief an den Europa-Korrespondenten der Jerusalem Post, Benjamin Weinthal, der sich daraufhin brieflich an den ehemaligen Ratspräsidenten Nikolaus Schneider wandte, der als besonders integer gilt. An Schneiders Stelle antwortete der Leiter der Pressestelle der EKD, Carsten Splitt.

Sehr geehrter Herr Weinthal,

ich habe Ihre Fragen wie gewünscht an Herrn Schneider weitergeleitet. Er bittet um Verständnis, dass er sich nicht dazu äußern möchte, da es sich um eine Angelegenheit der Bremischen Kirche handelt. Auch ist ihm Herr Keller nicht bekannt.

Mit freundlichen Grüßen

Carsten Splitt

 

Daraus ergab sich der folgende email-Wechsel zwischen Carsten Splitt und mir:

 

sehr geehrter herr splitt,

bitte seien sie so freundlich, meine mail herrn schneider vorzulegen, mit der bitte um eine zeitnahe und zitierfähige Antwort

Sehr geehrter Herr Schneider,

ich wüsste gerne, ob Sie es tatsächlich meinen oder ob es sich um ein Missverständnis um zwei Ecken handelt, dass Sie sich mit einem Fall von Antisemitismus nicht beschäftigen wollen, weil er sich im Sprengel der Bremer Kirche ereignet hat und weil Sie den Urheber nicht persönlich kennen? Sind Sie nur für den Antisemitismus bei Martin Luther und Adolf Stöcker zuständig?

Soll ich Ihnen wirklich erklären, warum jemand, der sich ungefragt und unprovoziert als Antisemit outet, tatsächlich ein Antisemit ist? Auch wenn er sich nun als ein Trittbrettfahrer von Jan Böhmermann ausgibt?

Ich wünsche Ihnen einen schönen Seder-Abend und Seinen Segen auf allen Ihren Wegen.

Viele Grüße aus Bad Nenndorf

Ihr HB, 22.4.

 

Sehr geehrter Herr Broder,

vielen Dank für Ihre Anfrage an Herrn Nikolaus Schneider, die ich ihm

umgehend weitergeleitet habe.

Mit

freundlichen Grüßen

Carsten Splitt, 22.4.

 

sehr geehrter herr splitt,

brütet herr schneider noch immer über einer antwort auf meine mail? ist der tatbestand wirklich so schwer zu verstehen?

wenn ein pastor einer frau einen brief schreiben und ihn mit "XYZ, ein vergewaltiger" unterschreiben würde, würden sie sich mit der interpretation des schreibens auch so schwer tun?

es scheint, als würde sich die EKD vom antisemitismus distanzieren, aber nicht von antisemiten in eigenen reihen.

mit maßvollen grüßen

ihr hb, 27.4.

 

Sehr geehrter Herr Broder,

Herr Schneider war am Wochenende zeitlich sehr eingespannt und bittet um Verständnis. Er wird Ihnen aber gern antworten.

Mit freundlichen Grüßen

Carsten Splitt, 27.4.

 

sehr geehrter herr splitt,

lassen sie uns das bauerntheater bitte beenden. herr schneider ist bestimmt auch an diesem wochenende zeitlich sehr eingespannt, und er wird es auch an den kommenden wochenenden sein. ich nehme an, er ist mit dem verfassen einer rede beschäftigt, in der er sich klar gegen den antisemitismus positionieren und  die kirche dazu aufrufen wird, einzusehen, "dass sie zur Judenfeindschaft beigetragen hat", immer und überall, nur nicht heute in bremen.

weiterhin gutes schaffen, herr splitt, in all ihrer gnadenlosen rechtschaffenheit

b, 1.5.

 

Nur zwei Tage nachdem Carsten Splitt mir geschrieben und um Geduld und „Verständnis“ gebeten hatte, beschied er Benjamin Weinthal, der sich zum zweiten Mal an ihn gewandt hatte, ganz anders, nämlich so:

 

Sehr geehrter Herr Weinthal,

vielen Dank für Ihre erneute Anfrage an die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD). Für die Bremische Evangelische Kirche hat sich deren Leitender Geistlicher, Schriftführer Renke Brahms, bereits geäußert. Dieser Antwort haben wir nichts hinzuzufügen. Wie bereits geschildert, liegt die Zuständigkeit in dieser Angelegenheit aufgrund unserer föderalen Struktur bei der Bremischen Evangelischen Kirche. In ihrer deutlichen Ablehnung von jeder Form des Antisemitismus stimmen EKD und Bremische Evangelische Kirche uneingeschränkt überein.

Mit freundlichen Grüßen,

Carsten Splitt, 29.4.

 

Ganz bestimmt. Aber nur, soweit es die föderale Struktur des EKD zulässt.

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Leserpost

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Georg Schmidt / 03.05.2016

Wenn man bedenkt, dass die EKD eigentlich in der Tradition der Bekennenden Kirche steht, muss uns so einiges, was sich dort seit etwa zehn Jahren beobachten lässt, sehr sorgenvoll stimmen. Einen Bekenntnistext von der Qualität der Barmer Theologischen Erklärung von 1934 würden diese Herrschaften vermutlich heute nicht mehr zustandebringen. (Selbst das Jubiläum 2014 fiel vergleichsweise bescheiden aus, man hat bei der EKD also noch nicht einmal Museumswärterqualitäten!) Weder hätte man noch die klare biblisch-theologische Verankerung noch den vielbeschworenen prophetischen Weitblick, der unheilvolle Entwicklungen auch im Voraus benennen kann. Der neue (vertrackterweise nicht “rechte”) Antisemitismus ist so eine Entwicklung, zu der man auf kirchliche Stellungnahmen bislang vergeblich wartet.

Anja Pfeiffer-Amankona / 02.05.2016

Sehr geehrter Herr Broder, ich schätze Sie sehr, vielleicht haben Sie ja die Möglichkeit berühmten dt. Musikern eine Frage zu stellen. Eben sah ich in der Tagesschau, dass Smudo (von den Fantastischen 4) in Freital aufgetreten ist bei einem Konzert gegen Nazis. Das find ich ja grundsätzlich sehr gut. Nur, ich frage mich, warum gibt es keine Konzerte gegen Islamismus bzw. Islamisten gibt auf denen Musiker oder Bands (wie Grönemeyer, BAP, Maffay oder Lindenberg usw.)  kostenlos auftreten? Über die dann auch die Tagesschau berichtet. Nebenbei könnten sie für einen guten Zweck spenden oder werben wie z.B. für das Heroes Projekt von A. Mansour oder andere Islamisten-Aussteiger-Programme. Hab ich solche Konzerte einfach nicht mitbekommen? Sie, Herr Broder treffen doch immer wieder berühmte Musiker – vielleicht bekommen Sie eine Antwort. Es grüßt Sie aus Frankfurt Anja Pfeiffer-Amankona

Andreas Horn / 02.05.2016

Föderale Struktur, interessant. Heißt das, wennn mal wieder irgendwo in Deutschland eine Synagoge brennt, geht es den Bund nichts an und er könnte auf seine “föderale Struktur” verweisen?

Marcin Wilk / 02.05.2016

Bei antimuslimischen Äußerungen würde der Herr keinen einzigen Tag mehr in der Evangelischen Kirche dienen dürfen, koste es was es wolle. Da würde man sofort “Flagge zeigen” und was weiß ich nicht alles.

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