Von Karim Dabbouz.
Über den Tellerrand zu blicken, ist ja eine Tugend, die besonders von denen hochgehalten wird, die sich für weltgewandt, tolerant und offen halten. Als im Spätsommer über eine Million Menschen mit der Hoffnung auf Asyl nach Deutschland kamen, hielten die Toleranten dies für eine durchweg gute Idee. Skeptiker ahnten schon damals, dass die Toleranten es möglicherweise selbst nicht so mit dem Blick über den Tellerrand haben.
Die Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft in Berlin (HMKW) hat nun die Einstellungen von Asylbewerbern zum kulturellen sowie religiösen Miteinander und zu ihren gesellschaftspolitischen Ansichten untersucht. Das Ergebnis dürfte Refugees-Welcome-Enthusiasten erstaunen, denn "das Wertebild der Flüchtlinge ähnelt in zentralen politischen Teilen am ehesten dem der AfD-Anhänger und anderer rechtspopulistischer Bewegungen."
Demokratie ja - aber nur mit einem starken Führer
Der Inhalt der Studie liest sich wie die Bestätigung eines Best-Of islamkritischer Positionen: 22 Prozent der befragten Flüchtlinge widersprechen der Aussage, dass es jedem Erwachsenen erlaubt sein sollte, seine Religion zu wechseln. Dass Sex vor der Ehe eine Sünde ist und bestraft werden sollte, halten 48 Prozent für richtig. Dazu passt, dass 24 Prozent der Befragten keine geschlechtlich gemischte WG als Nachbarn haben möchten; ganze 43 Prozent lehnen ein homosexuelles männliches Paar als Nachbarn ab. Selbst ein deutsches, unverheiratetes Paar stößt bei 18 Prozent auf Ablehnung, während 14 Prozent nicht gerne neben einer jüdischen Familie aus Israel leben möchten.
Interessanter als die archaischen Moralvorstellungen sind die Aussagen zur Demokratie. Sie offenbaren Erstaunliches: Zwar hält die überwiegende Zahl der Flüchtlinge die Demokratie für die beste politische Staatsform, allerdings scheint man unter Demokratie im Nahen Osten etwas gänzlich anderes zu verstehen als in Europa. "Die beste politische Staatsform ist, wenn ein starker Führer zum Wohle aller regiert" - diese Aussage bejahen 64 Prozent der Befragten. Genauso viele stimmen der Aussage zu, dass das Wichtigste in einer Gesellschaft die Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung ist, notfalls auch mit Gewalt. Ob auch die verquere Sexualmoral oder das Übertrittsverbot zum anderen Glauben zur Not mit Gewalt geschützt werden soll, beantwortet die Studie leider nicht.
Religion ist Privatsache, aber Sex vor der Ehe sollte bestraft werden
Während ein Viertel der Befragten seinen Mitmenschen verbieten möchte, ihre Religion zu wechseln, halten interessanterweise 87 Prozent der Studienteilnehmer Religion für Privatsache, die den Staat nichts angehe. Auch die Aussagen zur Sexualmoral, die zu wesentlichen Teilen einen religiösen Ursprung haben dürften, scheinen nicht zur Privatheit der Religion zu passen. Wie kommt das? Nun, wenn der Staat nicht darüber entscheiden soll, was "Recht und Ordnung" ausmacht, dann entscheidet es halt eine besonders laute Minderheit, die ihren Mitmenschen ihre religiösen Moralvorstellungen aufzwingt. Die Studienautoren sagen selbst, es gäbe "handfeste Hinweise auf mögliche Konfliktlinien". Übrigens: Die Stichprobe der Studie ist etwas weiblicher und besser gebildet als der Durchschnitt der beim BAMF registrierten Asylbewerber. Verteilt wurden die Fragebögen in Arabisch, Farsi und Englisch. Wer diese Sprachen nicht spricht oder nicht lesen kann, konnte an der Studie nicht teilnehmen.
Den meisten Flüchtlingen ist Bildung wichtig
Positives berichten die Studienautoren über den Willen der Flüchtlinge zur Integration. So halten es 91,9 Prozent der Befragten für sehr wichtig, Deutsch zu lernen. Schließlich wollen 98 Prozent für immer in Deutschland bleiben. Soweit der Wunsch. Auch an der deutschen Kultur ist die Mehrheit der befragten Asylbewerber interessiert. Was den "Stammtisch" angeht: Dem Vorwurf, die meisten Flüchtlinge kämen, um es sich im Schoße des Sozialstaats gemütlich zu machen, widerspricht die Studie. Die Mehrheit der Flüchtlinge möchte lieber erst in Bildung investieren, um später eine gute Arbeit zu finden, als das schnelle Geld zu machen. Je nach Bildungsstand der Befragten schwankt die Bereitschaft zum Lernen: Hochschulabsolventen sind auch in ihrer neuen Heimat am ehesten gewillt, in Bildung zu investieren. Zumindest für die Integration in den Arbeitsmarkt bringt ein Großteil der Befragten also eine gute Motivation mit. Bleibt zu hoffen, dass sie dabei nicht an der Realität scheitern.
Überheblicher Multikulturalismus
Angesichts des Weltbildes vieler Flüchtlinge könnten auch diejenigen bald mit der Realität konfrontiert werden, die vor einem Jahr mit Klatschpappen und Plüschtieren an deutschen Bahnhöfen standen. Dann nämlich, wenn die kulturellen Differenzen an den Anforderungen des alltäglichen Zusammenlebens zerbersten. Man darf da ruhig skeptisch sein, denn erstens gestaltete sich die Integration von Einwanderern nicht immer einfach und zweitens zeugt die Art und Weise, wie mit dem Flüchtlingsandrang umgegangen wurde, von hilfloser Naivität. Wie sonst käme man auf die Idee, die Behörden derart zu überfordern, dass selbst IS-Schlächter und ihre ideologischen Unterstützer problemlos einreisen können, während ihre Kollegen in der Heimat einen Genozid an Andersdenkenden verüben?
Hinzu kommt: Bürgerkriege fallen glücklicherweise nicht vom Himmel. In der Regel gären Konflikte einige Zeit und meist setzen sich die radikalen Weltbilder der Kriegsparteien auch in der "normalen" Bevölkerung fort - zumindest in abgeschwächter Form. Skeptiker ahnten deshalb, dass viele Asylbewerber aus dem Nahen Osten nicht unbedingt die gleichen Vorstellungen von einer freien Gesellschaft haben könnten wie wir. Überraschend ist das nur für diejenigen, die der festen Überzeugung sind, dass jeder zum toleranten und friedliebenden Menschen wird, solange man nur ausreichend lieb zu ihm ist.
Karim Dabbouz (29) lebt im Ruhrgebiet.